7 Trevellian-Krimis für lange Urlaubsnächte 2023 (eBook)
900 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-6969-6 (ISBN)
Eine junge, hübsche Chinesin, züchtig gekleidet und ein freundlichen Lächeln um die Lippen, fragte mich nach meinem Wunsch. Ich bestellte zunächst mal eine Frühlingsrolle und ein Glas Mineralwasser.
Um mich herum saßen zumeist verheiratete oder unverheiratete Pärchen. Manche hatten Kinder dabei. An einem der Tische wurde deutsch gesprochen. Insgesamt gab es vier Bedienungen. Hinter dem Tresen hantierte ein Chinese um die dreißig. Seine schwarzen, glänzenden Haare waren streng nach hinten gekämmt.
Ich fixierte ihn intensiv.
Er bemerkte es und grinste mich an.
Himmel, durchzuckte es mich, du darfst dich nicht davon leiten lassen, dass du plötzlich hinter jedem Chinesen mit zurückgekämmten Haaren einen der Kerle siehst, die den Burger King beinahe weggesprengt hätten.
Ich grinste zurück.
Das Mädchen brachte das Wasser. Ein paar Eiswürfel schwammen darin, ebenso ein Stück Zitrone. Das bezaubernde Lächeln schien ihr ins Gesicht hineingewachsen zu sein. Es war sozusagen ein pflichtschuldiges Lächeln.
Als die Kleine etwas später mit einem angedeuteten Knicks den Teller mit der Frühlingsrolle vor mich hinstellte und irgendetwas in ihrer Landessprache sagte, was wohl soviel wie 'guten Appetit' bedeutete, sagte ich:
"Darf ich Sie was fragen, Miss?"
Sie strahlte mich mit ihren dunklen Augen an. "Aber sicher", sagte sie in perfektem Englisch, ohne jeden Akzent. Das verriet mir, dass dieses Girl China wahrscheinlich noch nie gesehen hatte und ihr Chinesisch sich auf einige Höflichkeitsfloskeln beschränkte. Als Tochter chinesischer Einwanderer war sie in den Staaten geboren und damit eine waschechte Amerikanerin.
"Ich suche zwei Männer", sagte ich gerade laut genug, dass sie mich verstehen konnte. "Chinesischer Abstammung, ungefähr 30, zurückgekämmte, glatte Haare. Sie sehen aus wie Brüder." Ich wies mit dem Kinn in Richtung Theke und grinste die Bedienung an. "Der Keeper dort, er könnte einer von ihnen sein."
Mit dem letzten Wort griff ich nach dem Besteck und zog es aus der Serviette, in die es eingewickelt war.
"Landsleute, auf die diese Beschreibung passt, habe ich schon hunderte gesehen", gab mir das Mädchen nach kurzer Überlegung Bescheid. "Warum suchen sie diese beiden? Sind Sie Polizist?"
Diese Frage quittierte ich mit einem nichtssagenden Lächeln, bedankte mich und machte mich über die Frühlingsrolle her. Sie war zwar verdammt fett und sicherlich Gift für jeden Body, aber sie schmeckte hervorragend.
Die Bedienung schwirrte davon.
Unauffällig beobachtete ich, wie sie mit dem Burschen hinter der Theke, der die Getränke ausgab, einige Worte wechselte. Er schoss mir einen schnellen, aber ausgesprochen intensiven Blick zu. So empfand ich es zumindest.
Ich mampfte die Frühlingsrolle. Den letzten Bissen spülte ich mit einem Schluck Wasser hinunter. Immer wieder taxierte mich der Bursche hinter dem Tresen prüfend, fast forschend. Einmal ging er zu der Durchreiche in der Tür zur Küche und rief etwas hinein. Gleich darauf sah ich ihn sprechen.
Mir war klar, dass ich mich in der Höhle des Löwen befand. Besitzer dieses Restaurants war Ho Chung. Sein Sohn Li Chung war der Geschäftsführer des Ladens. Nun, der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Und es war wohl so, dass Ho Chung seinen Sohn auf die Nachfolge im Geschäft mit dem Verbrechen vorbereitete.
Mein Vorsatz, mit Lieutenant Kerry vom Revier in Chinatown Verbindung aufzunehmen, verfestigte sich. Mit Kerry hatte ich schon des öfteren zu tun gehabt, wenn die Spur irgendeines Gangsters nach Chinatown führte. Er wusste Bescheid über die Hierarchien und Hackordnungen in diesem Teil des Big Apple.
Ich winkte der Bedienung und bat sie, die Rechnung zu bringen. Wieder flüsterte sie etwas mit dem Keeper. Mir entging nicht, dass dieser mich aus den Augenwinkeln beobachtete.
Das Girl brachte schließlich den Kassenboon, ich warf einen Blick darauf und zückte die Geldbörse. "Sie haben wirklich keine Ahnung, wo ich die beiden Burschen finden könnte, die ich Ihnen beschrieben habe?"
"Tut mir leid", lächelte die Kleine, aber dieses Mal hatte ich den Eindruck, dass sich hinter ihrer Freundlichkeit ein lauernder Ausdruck verbarg.
Der Keeper stand wieder an der Durchreiche und sprach mit jemand, den ich nicht sehen konnte.
Ich überließ der Bedienung ein großzügiges Trinkgeld.
Irgendwie, das spürte ich, hatte ich mit meinem Auftritt hier einen schlafenden Hund geweckt. Für die Reaktion anderer hatte ich im Laufe der Zeit und im Umgang mit Menschen aller Kategorien unheimlich feine Sensoren entwickelt. Es war ein nahezu untrüglicher Instinkt, der es mir meldete, wenn mir jemand nicht grün war oder wenn jemand falsch spielte.
Dieses Empfinden spürte ich damals ganz deutlich bei Sid Maddox, einem unserer Erkennungsdienstler, der in Wirklichkeit ein Agent der Domäne war.
Es war wie ein sechster Sinn.
Und jetzt spürte ich es wieder.
Die Alarmglocken in mir begannen zu schrillen.
Ich verließ das Restaurant. Draußen atmete ich tief durch und füllte meine Lungen mit einer Ladung von den Abgasen der Autos, die die Mott Street hinauf und hinunter rollten. Auf den Gehsteigen bewegten sich Trauben von Menschen.
Ich wandte mich in die Richtung des Criminal Courts Building, wo ich den Sportwagen abgestellt hatte. Durch die von Leuchtschriften und erhellten Fenstern gelichtete Dunkelheit konnte ich linker Hand den Buddhisten Tempel sehen. Über 100 goldene Buddhas wurden in diesem Tempel verehrt.
Ich bog in die Bayard Street ein. Eine Blechlawine bewegte sich sowohl nach Westen wie auch nach Osten. Als ich mich einmal umwandte, sah ich einen mittelgroßen Burschen in einem dunklen Anzug. Er bahnte sich einen Weg durch eine Gruppe Menschen, die den Gehsteig blockierte, weil einer von ihnen etwas erklärte, den Arm in Richtung Bowery ausgestreckt.
Der Chinese, der es recht eilig zu haben schien, durchbrach geradezu rücksichtslos den Pulk und kam schnell näher.
War er hinter mir her?
Auszuschließen war es nicht. Meine Frage an die Bedienung, ihr Gespräch mit dem Keeper, dessen offensichtliches Interesse an mir, seine Unterhaltung mit jemandem in der Küche des 'Woo Lae Oak' - das alles alarmierte das Warnsystem in mir.
Ich mischte mich unter eine Gruppe von Leuten, die die selbe Richtung wie ich nahmen, und als sich eine enge Lücke zwischen zwei Häusern rechts von mir auftat, huschte ich schnell hinein. Es war eine enge Gasse, die in ziemlicher Finsternis lag.
Ich nahm an der Hauswand links von mir ein halbes Dutzend Mülltonnen wahr und duckte mich hinter ihnen. Mich umgab Dunkelheit. In der Gassenmündung lagerte die Helligkeit der Bayard Street. Leute schoben sich vorbei, ohne in die Gasse zu blicken.
Und dann sah ich den Chinamann, von dem ich mir nicht sicher war, ob er mich verfolgte. Genau an der Gassenmündung blieb er stehen, stellte sich auf die Zehenspitzen und renkte sich fast den Hals aus, um über die Köpfe der Passanten hinwegblicken zu können. Dann bohrte er seinen Blick in die Gasse, in der ich bei den übel riechenden Mülltonnen verharrte.
Plötzlich war in mir die unumstößliche Gewissheit, dass mir der Knabe auf der Fährte war. Und kaum war ich zu dieser Erkenntnis gelang, gesellte sich ein zweiter Chinese zu dem Mister. Er kam von der anderen Straßenseite - und er wies in die Gasse, in der ich steckte.
Ich staute zwei Herzschläge lang den Atem. Und ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass nicht noch mehr von den Schlitzaugen auftauchten. Die kleine Lady mit dem freundlichen Lächeln hatte mich also doch bei dem Keeper in die Pfanne gehauen. Mit meiner Frage nach den beiden Chinesen hatte ich im 'Woo Lae Oak' in ein Hornissennest gestochert. Und nun waren die Hornissen ausgeflogen, um mich zu stechen...
Die beiden Kerle traten nebeneinander in die Gasse. Sie waren etwa zehn Schritte von mir entfernt. Etwas raschelte unter dem Schritt eines der Burschen. Hier lag überall Unrat herum. Statt das Verpackungsmaterial der Snacks, die auf der Straße verzehrt wurden, zum nächsten Abfalleimer zu tragen, warf man es wohl einfach in diese enge Gasse.
Nun, der Dreck hier war im Moment nicht mein Problem. Mein Problem waren die Müllhalden menschlichen Charakters, die sich in den beiden Kerlen im Laufe der Zeit wohl angesammelt hatten. Sie sollten mir die Flügel stutzen. Mein nichtssagendes Lächeln und mein Schweigen auf die Frage, ob ich Polizist sei, war der Kleinen Antwort genug gewesen.
Ein Gutes hatte die Sache allerdings auch. Ich glaubte jetzt zu wissen, wo die beiden sich so ähnlich sehenden Chinesen zu suchen waren. Die Antwort auf die Frage, ob sie es waren, die die Bombe im Handtuchkasten auf der Toilette des Burger Kings in Brooklyn deponierten, ließ diese Erkenntnis allerdings offen.
Ich duckte mich noch mehr hinter den Mülltonnen.
Die beiden verließen den Lichtkreis, der von der Bayard Street in die Gasse fiel. Ihre Konturen verschmolzen mit der Dunkelheit. Wie Raubtiere schlichen sie näher. Meine Hand tastete nach der SIG Sauer im Holster unter meinem rechten Jackenschoß.
Etwa fünf Schritte trennten die beiden noch von...
Erscheint lt. Verlag | 4.1.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7389-6969-1 / 3738969691 |
ISBN-13 | 978-3-7389-6969-6 / 9783738969696 |
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