Barfuß am Weg (eBook)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-753-3 (ISBN)
Barbara Mitterer, geboren 1996, lebt in Wien und ist diplomierte Sozialpädagogin, BSc. in Psychologie, Expertin für hochsensible Personen und ausgebildete NIA White Belt Lehrerin9. Durch die intensive Arbeit mit Menschen aus verschiedensten Kulturen, ihre zahlreichen Auslandsreisen und langjährige Selbsterfahrung durchlebt sie seit ihrer Jugend einen tiefgehenden Prozess der Heilung und Transformation. Ihren kreativen Ausdruck findet sie neben Tanz und Gesang im Schreiben.
AUFBRECHEN
Ein Gefühl, tief aus deinem Inneren kommend, das dir sagt: Brich auf und sage ja, zur Reise ins Ungewisse, in ein Land der Entdeckungen, des Wachstums und des Neuen. Ja zu etwas, das sich dir zeigen möchte, von dem du Form und Bedeutung noch nicht kennst. Ja zu all dem Ungewissen, Mystischen und Magischen, das im Unbekannten auf dich wartet. Brich auf und sage ja zu der Wahrheit, die dein Herz dir offenbart.
Die Taube, die die Freiheit fand
Es war bei einer Wanderung auf Gran Canaria. Einige andere Reisende und ich waren auf dem Weg zu Kaffeeplantagen. Der Weg verlief ausschließlich auf einer stark befahrenen Hauptstraße, somit beschlossen wir etwas abseits zu suchen, um einen schöneren Weg zu finden, der uns Abenteuer versprach.
Nach kurzer Zeit kamen wir bei einem Hühnerstall vorbei, separiert davon ein Hahn, in einem eigenen Käfig. Beim Betrachten des einsamen Hahnes entdeckten wir eine Taube. Mitgefühl ging durch die Runde. „Was macht diese Taube im Stall des Hahnes?“ Das konnte nicht richtig sein, es fühlte sich für keinen von uns stimmig an.
Das Verhalten und die Augen der Taube sprachen Bände. Sie saß fest, in einem Käfig, umgeben von schreienden Hühnern und einem verrückten Hahn, der lauthals auf und ab lief. In ihren Augen war Angst. In ihren Augen war Traurigkeit. In ihren Augen war das Wissen, dass das nicht jenes Land war, wo sie zu sein hatte. Dies war nicht die Freiheit, die sie kannte oder erhofft hatte, auf dieser Welt zu finden. Die Taube versuchte wie verrückt nach oben zu fliegen, doch sie hatte keine Chance – alles versperrt. Unsere Blicke trafen sich. Die Entscheidung war klar. Wir mussten sie befreien. Eine öffnete die Tür, die anderen versuchten in verschiedenen Sprachen der Taube unser Vorhaben zu erklären.
Minuten vergingen. Sie schien nichts zu verstehen, außer das laute Geschrei des Hahnes. Ihr Körper signalisierte Angst. Angst davor zu fliehen, Angst, dass der Hahn ihr etwas antun könnte, wenn sie sich bewegt, Angst davor, was wohl mit ihr passieren würde, wenn sie die Tür zur Freiheit wählte. Doch ihre Augen sprachen von Hoffnung. In ihren Augen war zu erkennen, dass sie sich erinnerte – an den Ort, wo sie herkam. Dass sie sich erinnerte, wie es war, frei zu sein.
Unser Vorhaben schien zu misslingen, bis zu dem entscheidenden Moment. Dieser eine Moment, in dem sich der Blick der Taube veränderte. Es war unverkennbar ein Blick durchdrungen von Mut und Stärke. Durchdrungen von dem Willen, trotz der Angst mutig und voll Vertrauen die Chance des Ausbruchs zu wagen. Große Augen lugten zur Tür. Mit einem Satz hüpfte sie auf. Die erste Wand, die zweite Wand, näher Richtung Tür. Ihr Blick fokussiert, unsere Rufe noch lauter. Dann der entscheidende Sprung. Unser Jubel war nicht zu stoppen. Da flog sie, mit voller Geschwindigkeit in das große weite Tal des grünen Nationalparks, in das große weite Tal der Freiheit. Gänsehaut und tiefe Freude gingen durch die Runde. Es war geschafft.
Ich war tief berührt. Ihren Flug zu beobachten war pures Glück. Es war ein Flug in Glückseligkeit über die Freiheit. Ein Flug in das weite Land dieser wunderschönen Erde. In das Unbekannte außerhalb dieses kleinen Stalles, gefangen mit einem schreienden Hahn. Sie war aufgebrochen, um auszubrechen und einzutauchen. Sie fand dorthin zurück, wo sie hergekommen war. Dorthin, wo es ihrem wahren Sein entsprach. Sie hatte den Ruf der Freiheit gehört, all ihren Mut gefasst und den Aufbruch ins Neue gewagt.
In die Stille spürend wurde mir klar: Ich bin diese Taube. Ich bin gefangen in meinen Beschränkungen, Limitationen, Kategorisierungen in gut und schlecht, richtig oder falsch. Gefangen in Bewertungen, in dem von mir Gelernten, was ich zu sein habe oder sein sollte, was sich gehört, was ich kann oder nicht, was ich verdient habe oder nicht. Gefangen in meinem eigenen Käfig mit einem schreienden Hahn – meinem Ego, welches Panik schiebt und verrückt wird, sobald die Tür zur Freiheit sich öffnet und eine kühle, verlockende Brise dieser Unsicherheit außerhalb des Käfigs durch den Türspalt zieht. Eine Brise des Unbekannten, Beängstigenden, Neuen, Aufregenden.
Die Taube hatte zwei Möglichkeiten: bleiben oder gehen. Zu bleiben aus Angst vor den Konsequenzen, aus Angst vor den lauten Rufen außerhalb ihrer vier Wände, aus Angst vor dem schreienden Hahn. Zu bleiben, weil es vielleicht einfacher war. Oder, all ihren Mut zu sammeln und den Rufen zu vertrauen. Sich dem Wunsch, auszubrechen, hinzugeben und zu fliehen, um zu fliegen, um die Flügel auszubreiten und die Luft der Freiheit auf jeder einzelnen Feder zu spüren. Sie hatte zwei Möglichkeiten und es war ihre Entscheidung zu gehen.
Wie alles begann
Die Zeichen des Lebens, dass es höchste Zeit war, den Blick nach innen zu richten, gab es schon lange. Zeichen, die Geschwindigkeit zu reduzieren und durchzuatmen, dass es höchste Zeit war, aufzubrechen und auszubrechen.
Ich war wild, frei und die Süße des Lebens schmeckend. Ein wahrer Wirbelwind. Keine Party, keine Freizeitaktivität, kein Engagement wurden ausgelassen. 24 Stunden und der Tag war immer noch zu kurz. Von der Schule ging es direkt in die Musikstunde, danach wurde kurz gelernt, irgendwann das Zimmer aufgeräumt und am Wochenende jeden Tag gefeiert. Dazwischen noch Kindergruppen geleitet und nebenbei die Events einer Großfamilie genossen. Überall zu jeder Zeit, und alles ging sich aus. Wie könnte es auch anders sein? Der Sturm und Drang-Zeit bedarf doch entsprechender Würdigung! Die bekam sie von mir, zu 200%.
Ich liebte das Leben, liebte, was ich tat, all die Menschen, die ich überall traf und hatte unendlich viel Spaß daran, immer auf Achse zu sein. Das Leben ist doch eindeutig zu kurz, um nicht jede freie Minute mit einem Punkt aus dem bunten Lebensprogramm zu füllen, oder?
Mein Vater war da anderer Meinung. „Babsi, du bist im Dauerstress, dein Körper und deine Seele haben keine Zeit zur Entspannung! Du wirst noch krank, wenn du nicht etwas zur Ruhe kommst.“ Ich wusste nicht, wovon er sprach. Ich im Stress? Vielleicht ein wenig vielbeschäftigt, doch als Stress empfand ich dies nicht. Es belastete mich nicht, mein Leben mit Aktivitäten durchgeplant zu sehen. Ganz im Gegenteil, es erfüllte mich. Ich kannte es nur so.
Körperliche Probleme machten mir nie wirklich zu schaffen, bis sich mit 17 Jahren aus dem Nichts mein Bauchraum meldete. Ich hatte mit starken Unverträglichkeiten, ständigen Schmerzen und Verdauungsproblemen zu kämpfen, während ich fast 10 Kilo zunahm. Ich erinnere mich gut.
Wir befanden uns in unserem alten Wohnzimmer. Ich saß auf unserem grünen Hocker aus glattem Leder, ein Naturheiler mir gegenüber, welcher gekonnt sein Pendel schwingen ließ. Nach einigen Untersuchungen brachte er sein Ergebnis zu Papier: „Kein helles Fleisch, kein Weizen, keinen weißen Zucker, keine Kuhmilchprodukte, keinen Kaffee, keinen Alkohol, plus 20 Minuten Spaziergang jeden Tag. Nur du, allein im Wald, in der Natur – egal wohin, Hauptsache, du gehst 20 Minuten täglich spazieren. Du bist im Dauerstress, dein Körper spricht zu dir. Wenn du nicht bewusst Ruhepausen einlegst, werden auch alle anderen Veränderungen langfristig keine Wirkung erzielen.“
Ich musste lachen. Der Nächste, der mir versuchte zu erklären, wie gestresst ich nicht sei. „20 Minuten? Wie stellen Sie sich das vor? Mein Tag ist durchgeplant, ich habe keine 20 Minuten Zeit für mich, um allein im Wald spazieren zu gehen. In 20 Minuten esse ich, mache Hausaufgaben, räume mein Zimmer auf oder bereite mich auf die nächste Prüfung vor. Aber ganz ehrlich, 20 Minuten für mich allein, das ist fern jeglicher Realität.“
Also fuhr ich mit dem Gewohnten fort, mein Aktivitätsniveau erreichte weiterhin die 150%-Marke. Nur die Ernährung änderte ich radikal von einem Tag auf den anderen. Die Möglichkeit, nur mein Essverhalten strikt zu kontrollieren, schien mir sympathischer, als meine Jugendzeit auch noch allein und nüchtern im Wald zu verbringen.
Mit der Zeit begann mein Körper sich zu erholen, meine Beschwerden wurden besser. Zeit für Ruhe und Alleinsein gab es trotzdem nicht – bis sich die Phase der Unabhängigkeit und Freiheit anbahnte – das Ende meiner Schulzeit, der Abschluss der Matura.
Ohne etwas geplant zu haben, wurden aus dieser Zeit des Aufbruches drei Monate Uganda, ein Jahr Südostasien, vier Monate Saisonarbeit in der Schweiz und viele weitere Destinationen. Zwei Jahre geprägt von Jobs und Reisen in der ganzen Welt. Zwei Jahre, ich mit mir allein. Fremde Länder, fremde Kulturen, keine bekannten Freunde, fast kein Kontakt mit zuhause, einfach nur ich. Das Leben wurde langsamer – und intensiver. Und ohne es bewusst umzusetzen, waren sie plötzlich da, diese 20 Minuten täglich für mich. Nur, dass es meist keine Minuten waren, sondern oft ganze Tage. Und es war gut, sehr gut sogar. Es war der Knackpunkt, wo mein Leben...
Erscheint lt. Verlag | 12.12.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
ISBN-10 | 3-99139-753-6 / 3991397536 |
ISBN-13 | 978-3-99139-753-3 / 9783991397533 |
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