Die weiße Frau (eBook)
204 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-7034-9 (ISBN)
Max Moritz ist ein Pseudonym. Der Autor lebt mit seiner Familie im malerischen Altmühltal.
1. Hinter Klostermauern
Ist das ein Gepolter und Geruckel, noch schlimmer als den Nürnberger Burgberg hinauf. Bernies Twingo rattert über das bucklige Kopfsteinpflaster und scheint jede Sekunde auseinanderfallen zu wollen. Hoffentlich hat das bald ein Ende. Hier ist alles eine einzige Baustelle. Er umkurvt Bagger und Schlaglöcher. Links neben ihm tut sich ein großer Graben auf. Blaue und gelbe Rohre liegen aufeinandergestapelt neben der Straße. Auf einem Schild liest er: „Anlieger frei bis Baustelle.“ Hoffentlich würde er sein Reiseziel überhaupt ansteuern können. Noch eine Kurve und noch mehr Gräben und Buckelpiste, nimmt das denn gar kein Ende. Bernie ist langsam genervt. Doch dann kann er sein Ziel endlich ausmachen. Die zwei imposanten Türme dort vorne, das muss es sein.
Schwungvoll biegt er nach links ab, um gleich wieder einen Rechtsschwenk zu vollziehen. Er hat einen freien Parkplatz ausgemacht, direkt vor dem alten Gemäuer. Zwei Geschosse und ein riesiges Dach türmen sich vor ihm auf. Und dann noch im Hintergrund die beiden Kirchtürme. Das ist schon eine imposante Erscheinung, das Kloster in Heidenheim.
Bernie stemmt die Fahrertür auf und wuchtet sich aus dem Sitz. Er umrundet seinen treuen Begleiter und macht den Kofferraumdeckel auf, um an seine Reisetasche zu kommen. Herrlich hier! Strahlend blauer Himmel, die Sonne scheint. Aber klar, es ist ja auch Hochsommer. Und der 3. August 2020, offizieller Ferienbeginn in Bayern. Was will man denn mehr? Na ja, wenn nur nicht das allgegenwärtige Thema wäre: Corona. Und zudem ist er ja nicht zum Vergnügen hier. Seine Redaktion hatte die Idee – natürlich ebenfalls der Pandemie geschuldet - eine Artikelserie über regionale Urlaubsziele zu bringen. Und da er ja aus der näheren Umgebung stammt, genauer gesagt aus dem nahen Treuchtlingen, hatte man sich entschlossen ihn nach Heidenheim zu schicken, um eine Reportage über die Hahnenkamm-Region zu schreiben:
„Der Hahnenkamm – Das unentdeckte Land“.
Mit der Tasche bewaffnet macht sich Bernie auf den Weg zur Klosterpforte. Das Kloster Heidenheim wurde in den letzten Jahren, wie er bereits aus dem Internet wusste, zu einem Tagungs- und Einkehrzentrum umgebaut. Zudem gibt es einige Kammern, die als preisgünstige Übernachtungsmöglichkeiten für Pilger oder aber auch für ganz „normale“ Gäste, wie ihn, dienen.
Vor dem Eingang angekommen sticht ihm sofort das, heutzutage obligatorische, Schild mit den Corona-Warnhinweisen ins Auge: Bitte beachten Sie die AHA-Regeln und tragen Sie eine Mund- UND, betont in großen Lettern geschrieben, Nasenbedeckung. AHA, was bedeutete das gleich wieder? Bernie grübelt: Ah, ja! Abstand – Händewaschen - … und… und… Maske natürlich! Aber wie passte das zu AHA? Eigentlich müsste es doch AHM heißen, klingt aber blöd. Vielleicht sollte es ja Maske aufsetzten bedeuten, das machte auf jeden Fall Sinn. Ganz in Gedanken versunken zieht er sich seinen leichten Sommerschal über Mund und Nase, dreht sich in Richtung Eingangstür um und… gerade noch rechtzeitig gestoppt! Die Tür fliegt auf und ein adrett gekleideter Mann rauscht aus der Klosterpforte. Legere Jeans, grüne Lodenweste, ein gemustertes Seidentuch um den Hals und natürlich eine dazu passende Seiden-Maske. Alles aufeinander abgestimmt. Ein durchdringender Parfumduft steigt Bernie sofort in die Nase. Nur das Alter kann er schlecht einschätzen, da die Maske das Gesicht des Mannes weitgehend verdeckt. Aber an den Koteletten hatten sich schon Geheimratsecken gebildet und seine Haare sind zum Großteil ergraut. In seiner linken Hand hält er ein Briefkuvert, an dem ein Wachssiegel prangt. Das passt irgendwie zu dem Typen, denkt sich Bernie. Etwas altmodisch, aber gleichzeitig elegant.
„Nicht so hurtig junger Mann! Vorsicht, Vorsicht! Sie müssen besser aufpassen, sonst passiert Ihnen noch ein Unglück“, belehrt er Bernie, der etwas verdattert dreinblickt.
„Gestatten…“ Sein Gegenüber macht eine leichte Verbeugung „…von Eberbach. Leo von Eberbach.“
„Bayerle. Bernhard Bayerle.“ Bernie nickt mit dem Kopf. „Gehören sie hier zum Kloster?“
„Aber nein, mein Guter. Ich bin hier zu Gast“, entgegnet von Eberbach amüsiert.
„Entschuldigen Sie bitte vielmals, aber ich dachte Sie seien hier vielleicht der Geschäftsführer“, versucht Bernie seinen Lapsus wieder gut zu machen.
„Oh nein, da langen mir meine eigenen Geschäfte voll und ganz. Noch ein ganzes Kloster dazu, das wäre dann wohl doch zu viel des Guten.“ Leo von Eberbach winkt ab.
„Dann sind Sie geschäftlich hier?“, bohrt Bernie nach.
„Ja, das kann man so sagen. Die von Eberbachs haben einige Immobilien und Ländereien hier am Hahnenkamm“, frohlockt von Eberbach. „Ich schaue ab und an nach dem Rechten. Und dann quartiere ich mich gerne hier im Kloster ein. Das liegt zentral und bietet günstige Zimmer an.“
„Ja, da haben Sie Recht. Und eine tolle Architektur noch dazu!“, ergänzt Bernie.
„Und was treibt Sie nach Heidenheim, Herr Bayerle? Die Suche nach Einkehr und Ruhe?“
„Der Beruf, Herr von Eberbach. Ich habe vor, eine Reportage über den Hahnenkamm zu schreiben.“
„Ach, dann sind sie Schriftsteller? Das ist ja äußerst spannend!“
„So was in der Art. Ich bin Journalist bei den Neuen Nachrichten und wir bringen gerade eine Artikelserie über regionale Urlaubsziele heraus“, erklärt Bernie seinem Gegenüber.
„Da kann ich Ihnen einige Geheimtipps geben. Ich kenne mich schon seit meiner Jugendzeit hier bestens aus“, entgegnet von Eberbach prompt. „Unser Stammsitz, Schloss Eberbach, liegt zwar weiter westlich, am Fuße des Hesselbergs, aber ich war mit meinem Vater hier oft unterwegs. Sie wissen schon, unserer Ländereien wegen.“
„Dann lassen Sie uns doch zusammen zu Abend essen“, schlägt Bernie vor.
„Liebend gerne Herr Bayerle. Nur für heute Abend habe ich bereits eine… Verpflichtung.“ Die Miene des Adeligen verdunkelt sich bei dem Gedanken.
„Das macht doch nichts, wir laufen uns hier bestimmt noch öfters über den Weg. Dann können wir ja spontan etwas ausmachen.“
„Ja, so machen wir das Herr Bayerle. Ich bin noch die ganze Woche über hier“, überlegt Leo von Eberbach. „So, jetzt muss ich aber weiter, es sind noch einige Dinge zu erledigen. Pfia Gott Herr Bayerle, hat mich gefreut Ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.“ Wieder verbeugt er sich vor Bernie ganz höflich.
„Mich ebenfalls Herr von Eberbach, mich ebenfalls. Ade!“ Auch Bernie deutet diesmal eine kleine Verbeugung an.
Wie zu erwarten war, geht Leo von Eberbach schnurstracks auf den schwarzen Land Rover Defender zu und steigt ein. Er lässt den Motor an, ein sattes Röhren ertönt und langsam rollt der Geländewagen aus der Parklücke neben Bernies Twingo.
Nun aber endlich zur Anmeldung. Wobei, eigentlich hat er ja alle Zeit der Welt. Bernie will die nächsten vierzehn Tage auch ein wenig zum Abschalten nutzen. Das Berufliche mit dem Angenehmen verbinden und es ruhig angehen lassen. Langsam schlendert er durch die Eingangstür und auf die Empfangstheke zu. Das Licht hier drinnen ist dezent gedimmt. Großformatige Farbfotos mit Motiven des Klosters und der Umgebung hängen an den weiß getünchten Wänden. Sie werden von kleinen Spots, die an einer Seilkonstruktion angebracht sind, in Szene gesetzt. Hinter dem Tresen öffnet sich die Glastür und eine schlanke Frau im blauen Business-Kostüm, ebenfalls mit einer Maske im Gesicht, kommt zum Vorschein.
„Hallo, mein Name ist Daniela Gruber. Was kann ich für Sie tun?“, begrüßt sie Bernie.
„Grüß Gott. Bernhard Bayerle. Ich habe für zwei Wochen gebucht.“
„Ach ja, der Gast aus Nürnberg. Von den Neuen Nachrichten“, entgegnet sie wissend. „Sie haben Ihre Daten ja bereits online übermittelt. Wenn Sie bitte das Anmeldeformular überprüfen und unterschreiben würden.“ Daniela Gruber reicht Bernie einen DIN-A4-Bogen und beginnt auf einer Computertastatur zu tippen.
„So bitte. Passt alles.“ Er legt ihr das Formular zurück auf die Theke.
„Sie haben dann Kammer Nummer sieben im Seitenflügel. Frische Wäsche finden Sie in ihrem Zimmer. Toiletten und Duschen befinden sich am Ende des Flurs. Bitte beachten Sie unsere Hygieneregeln.“ Daniela Gruber reicht Bernie einen Flyer. „Hier finden Sie unser Hygienekonzept. Außerdem haben wir überall noch Hinweisplakate aufgehängt.“
„Mhmm…“, kommt es etwas zögerlich von Bernie zurück.
„Und hier ist Ihre Key-Karte.“ Sie reicht ihm eine weiße Plastikkarte. „Damit können Sie die Eingangstür und die Türen zum Seitenflügel öffnen. Tagsüber, solange das Büro besetzt ist, ist sowieso alles offen. Und die Kammern sind grundsätzlich unverschlossen. Klosterfeeling, sie...
Erscheint lt. Verlag | 8.12.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
ISBN-10 | 3-7568-7034-0 / 3756870340 |
ISBN-13 | 978-3-7568-7034-9 / 9783756870349 |
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