Die Elben des Zwischenlandes 1: Ankunft der Elbenschiffe -  Alfred Bekker

Die Elben des Zwischenlandes 1: Ankunft der Elbenschiffe (eBook)

Illustrierte Ausgabe
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2022 | 1. Auflage
140 Seiten
Uksak E-Books (Verlag)
978-3-7389-6832-3 (ISBN)
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Mit Illustrationen von A. Panadero Die Elben des Zwischenlandes 1: Ankunft der Elbenschiffe Von Alfred Bekker Einst hatten die Elben die Welt der Sterblichen verlassen, um eine neue friedliche Heimat zu finden. Aber auch ihr neues Reich ist bedroht: von den grausamen Armeen Xarors. Die letzte Hoffnung ruht auf den Zwillingen aus dem Geschlecht des Elbenkönigs Keandir. Doch ihre Mutter war ein Geschöpf der Finsternis. Über den Autor: Alfred Bekker ist Autor zahlreicher Fantasy-Romane und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA und die GORIAN-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Im Bereich des Krimis war er Mitautor von Romanserien wie Kommissar X und Jerry Cotton

»Land in Sicht!«

Der Ruf des Ausgucks schallte durch das wabernde Grau der Nebelschwaden. Wie amorphe, vielarmige Ungeheuer wirkten sie. Manchmal war der Nebel so dick, dass die einzelnen Schiffe der Elbenflotte selbst aus nächster Nähe nur als dunkle Schemen zu erkennen waren.

König Keandir straffte seine Gestalt. Seine Rechte umfasste den bernsteinbesetzten Griff des Schwerts mit der schmalen Klinge, das er an der Seite trug. Seine Haut war von vornehmer Blässe, und sein schmales, hageres Gesicht wirkte wie gemeißelt und zeigte einen Ausdruck zugleich von Strenge als auch von Ernsthaftigkeit. Spuren tiefer Sorge um sein Volk hatten sich in diesem Gesicht verewigt, seit Keandir das Königsamt von seinem Vater übernommen hatte, und in das schulterlange schwarze Haar mischten sich die ersten grauen Strähnen. Spitze Ohren stachen durch dieses glatte Haar – Ohren, die ebenso empfindlich und sensibel waren wie auch die anderen Sinne des Elben.

Er lauschte den Geräuschen des fremden Landes.

Woher kam dieses plötzliche Unbehagen, das er empfand? Rührte es daher, dass er es als etwas Unvertrautes empfand, wie sich Land anhörte, wie es roch und wie es war, wenn man auf festem Boden stand statt auf den schwankenden Planken eines Elbenschiffs? Oder nahmen seine feinen Sinne etwas wahr, das seine Seele ignorieren wollte, um nicht der soeben zurückgewonnenen Hoffnung beraubt zu werden? Etwas Bedrohliches, etwas Böses, das sich ihm nur als dunkle Ahnung offenbarte.

Er versuchte seine Angst zu unterdrücken, für die es keinen sichtbaren Anlass gab. Er wollte darauf vertrauen, dass es das Schicksal letztlich doch gut mit den Elben meinte. Das Auftauchen der Felsenküste war jedenfalls ein Anlass zur Hoffnung.

Natürlich war sich Keandir bewusst, dass die fremde Küste, die auf einmal wie aus dem Nichts vor ihnen aufgetaucht war, nicht die Gestade der Erfüllten Hoffnung sein konnte. Aber das spielte im Moment keine Rolle. Abgesehen von dem Unbehagen, das sich einfach nicht unterdrücken ließ, fühlte Keandir tiefe Erleichterung darüber, überhaupt wieder auf Land gestoßen zu sein. Die Befürchtung, sein Volk in einen landlosen Nebelozean und damit ins Verderben geführt zu haben, hatte ihm bereits schlaflose Nächte bereitet. Doch nun gab es wieder Grund zu hoffen.

Selbst wenn diese Küste nur Teil eines einsamen Eilands war, so bestand zumindest die Möglichkeit, Vorräte aufzufrischen und dringend nötige Reparaturen an den Schiffen vorzunehmen. Vielleicht gab es ja auch eine seekundige Bevölkerung, zu der man Kontakt aufnehmen konnte.

Eine Ewigkeit lang war die Flotte der Elben durch diese nebelige See gedümpelt. An den Tagen hatte man kaum den Stand der Sonne erahnen und in den Nächten weder Mond noch Sterne sehen können. Ein schwerer, modriger Geruch war aus dem Wasser gestiegen, als würden faulende Untote unter der dunklen, von den Fischschwärmen offenbar gemiedenen Brühe ihren übel riechenden Pesthauch absondern, und kein Wind wehte, um den Nebel aufzureißen und die Segel zu blähen, die schlaff von den Rahen hingen. So war die Mannschaft gezwungen gewesen, zu den Rudern zu greifen.

Keandir trat näher an die Reling. Angestrengt suchte sein Blick im Nebelgrau nach Zeichen, die den Ruf des Ausgucks bestätigten. Und tatsächlich, etwas Dunkles zeichnete sich weit vor ihnen ab, der Schatten eines Gebirges vielleicht.

Der Ausguck wiederholte seinen Ruf – und dann drang das Krächzen einer Möwe aus dem Nichts. Wenig später tauchte der Vogel auf und kreiste als grauer Schatten hoch über den Masten des Schiffes.

»Den Namenlosen Göttern sei Dank!«, stieß ein zwar breitschultriger, aber ansonsten sehr hagerer Elbenkrieger aus. »Es muss tatsächlich Land in der Nähe sein!« Er trat zu Keandir an die Reling. »Ein Zeichen des Glücks und der Hoffnung, mein König!« Er trug ein dunkles Lederwams und hatte sein schmales Schwert auf dem Rücken gegürtet. Sein rechtes Auge hatte er im Kampf verloren; eine Filzklappe bedeckte die leere Augenhöhle.

Keandir nickte und drehte sich kurz zu dem Einäugigen um. »Ihr habt recht, Prinz Sandrilas. Es ist lange her, dass wir zum letzten Mal festen Boden unter den Füßen hatten.«

»Aber diese Küste«, murmelte Sandrilas, »sie gehört nicht zu den Gestaden der Erfüllten Hoffnung.«

Keandir lächelte mild. »Ihr seid von jeher ein Pessimist gewesen, Prinz Sandrilas.«

»Nein, ein Realist. Wahrscheinlich wissen noch nicht einmal die Himmelskundigen, wo wir uns befinden, so lange waren die Sterne vom Nebel verborgen. Ja, wir haben jegliche Orientierung verloren, und ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie wir unser ursprüngliches Ziel noch erreichen wollen.«

»Kein Vertrauen in die Macht des Schicksals, Sandrilas?«

»Ich vertraue lieber auf die eigene Kraft und mein Wissen.«

»Das Nebelmeer hat uns gelehrt, das beides manchmal nicht ausreicht.« Keandir deutete mit dem ausgestreckten Arm in die Ferne. »Hoffen wir, dass wir dort auf die Küste eines Kontinents stoßen, der wir folgen können – und nicht nur ein einsames Eiland, das die Namenlosen Götter im Zorn ins Meer warfen.«

Immer deutlicher wurden die Konturen des aus dem Nebel auftauchenden Landes. Schroffe Gebirgsmassive erhoben sich in unmittelbarer Nähe der Küstenlinie. Die Schreie unbekannter Vogelarten bildeten zusammen mit anderen, nicht zu identifizierenden Tierstimmen einen unheimlichen Chor.

Keandir wandte sich an einen anderen Elbenkrieger. »Merandil! Gib das Hornsignal! Wir werden an dieser Küste an Land gehen!«

»Jawohl, mein König!«, gab der hoch gewachsene Merandil zurück, dessen unter dem Helm hervorquellendes Haar so weiß war wie seine Haut. Er griff zu dem Horn, das er am Gürtel trug, um das königliche Signal an die anderen Schiffe zu geben. Mehrere Tausend der schlanken, lang gezogenen Segler befanden sich dort draußen in der nebelverhangenen See, auf der scheinbar endlosen Suche nach den Gestaden der Erfüllten Hoffnung. Gegen einen Landaufenthalt, der die Eintönigkeit dieser Reise unterbrach, hatte wohl niemand etwas einzuwenden.

Merandil blies das Horn, und sein Signal wurde von den Hornbläsern der anderen Schiffe weitergegeben. Innerhalb von Augenblicken vertrieb der Klang der Instrumente die drückende Stille, die bis dahin geherrscht hatte.

Keandir hörte Schritte hinter sich. Niemand auf den Elbenschiffen hielt es noch unter Deck oder im Inneren der kunstvoll verzierten Aufbauten. Die Entdeckung dieser Küste riss sie alle aus der lähmenden Lethargie, die sich unter ihnen wie eine ansteckende Krankheit ausgebreitet hatte. Stimmengewirr erfüllte das Deck des Flaggschiffs, dem man den Namen »Tharnawn« gegeben hatte. In der Älteren Sprache war dies ein kaum benutztes Wort für »Hoffnung«, und während ihrer bisherigen Reise hatte Keandir diesen Namen oft genug verflucht, denn die Hoffnung war das Erste gewesen, was die Elben verloren hatten, seit ihnen in der Sargasso-See jegliche Orientierung abhanden gekommen war; seitdem wirkte das Aussprechen dieses Namens wie blanke Ironie.

Doch in diesem Augenblick war das alles fast vergessen. Keandir atmete tief durch. Nicht einmal der üble Geruch des dunklen Wassers konnte ihn noch wirklich stören.

»Kean!«, wisperte ihm von hinten eine Stimme zu, die sich trotz des allgemeinen Tumults an Deck deutlich von allen anderen unterschied. Es gab nur eine Person, die König Keandir bei diesem besonderen Namen nennen durfte ― Ruwen, seine geliebte Frau.

Sie trat neben ihn und sah ihn an. Ihre helle Haut war makellos, das Gesicht so feingeschnitten und ebenmäßig, wie kein Bildhauer es hätte schaffen können. Das offene Haar fiel ihr bis weit über die schmalen Schultern.

Keandir fühlte ihren Blick auf sich gerichtet. Für das immer deutlicher aus dem Nebel auftauchende Land schien sie kaum ein Auge zu haben. »Ich muss dir etwas sagen, Kean.«

Ihre Blicke trafen sich, und Keandir bemerkte eine besondere Innigkeit, mit der sie ihn ansah. In ihren Augen glitzerten Tränen. Keandir legte die Arme um sie und sie lehnte sich gegen ihn.

»So sprich«, forderte er sie zärtlich auf. Normalerweise pflegte ein elbischer König seine Gemahlin in der Höflichkeitsform anzusprechen; der gegenseitige Respekt gebot dies. Aber da auch Ruwen eine intimere Anredeform gewählt hatte, antwortete ihr in der gleichen Weise. Das Glitzern ihrer Tränen, der verklärte Gesichtsausdruck und der besondere Klang, den ihre Stimme angenommen hatte, verrieten Keandir, dass ihre Seele nach einer sehr innigen Verbindung zu ihm suchte, nach großer Nähe, obwohl noch kein Wort über die Sache an sich verloren worden war. Wie oft hatte Ruwen bei ihm Trost gegen die Schwermut gesucht, von dem sie ― wie viele andere ihres Volkes auch ― gequält wurde.

Keandir erging es ähnlich, aber er fand, dass es mit den Pflichten eines Königs unvereinbar war, sich dieser Schwermut hinzugeben, und er versuchte daher, sie so gut es ging zu unterdrücken....

Erscheint lt. Verlag 4.12.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
ISBN-10 3-7389-6832-6 / 3738968326
ISBN-13 978-3-7389-6832-3 / 9783738968323
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