ARDILES (eBook)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-583-6 (ISBN)
Arnold Dünser, geb. 1951, lebt in Vorarlberg. Die letzten drei Jahrzehnte arbeitete er als Berater für die Entwicklung von Organisationen und deren Führungskräfte. Aus- und Fortbildungen in Initatischer Therapie, Bioengergetischer Analyse, Transaktionsanalyse und Gruppendynamik bereicherten seinen Zugang zu komplexen Fragestellungen. In seinem Roman ARDILES erschließt der Autor auch die Frage um den inneren Frieden.
Ardiles
Umleitung – ein großes gelbes Verkehrsschild tauchte nach nicht enden wollenden Serpentinen zwischen den Nebelfetzen plötzlich auf. Der weiße Ford Transit mit einem für diese Gegend ungewöhnlichen französischen Kennzeichen kam durch ein spontanes Bremsmanöver leicht ins Schleudern. Kein Wunder bei dem vielen nassen Laub und dem vom Sturm zerstreuten Kleingeäst auf der Fahrbahn.
„Noch eine Viertelstunde mehr“, brummte Arian vor sich hin. Nach fünf Stunden Fahrt bei unwirtlichen Bedingungen von Dijon nach Vorarlberg tat diese Verzögerung nicht wirklich gut. Es war bereits ein sehr ungewöhnlicher und herausfordernder Tag gewesen, reich an Ärger und Improvisationen. Nun gesellte sich noch ein Umweg über den kleinen Ort Göfis nach Feldkirch und schließlich nach Rankweil dazu. Die Strecke war zwar vertraut, aber schon lange nicht mehr von ihm befahren worden. Irgendwie hatte diese Abweichung vom schnellsten Weg aber auch etwas Gutes. Aus dem ersten Gedanken „Wie lange denn heute noch?“ wurde ein Schauen. Zu seinem eigenen Erstaunen verlangsamte er das Tempo und hörte auf, Kilometer zu fressen. Arian bewunderte das Spiel von Licht und Dämmerung, sah, wie der Nebel auf einmal ein paar Birken freigab und Sekunden später die nächste Kurve fast unsichtbar machte. Er bemerkte das Schimmern des Asphalts, der manchmal noch das Abendlicht spiegelte und sich dann pechschwarz mit der Dunkelheit verbündete. Als er sich der Schattenburg von oben näherte, sah er an manchen Stellen die Lichter der Stadt Feldkirch durchschimmern. Für ein paar Sekunden zeigte sich die Burg – ähnlich einem Filmausschnitt aus Herr der Ringe – wie ein unwirkliches, mystisches Gebilde mit einer faszinierenden Ausstrahlung. Er fühlte sich angezogen von diesem Ort, aber gleichzeitig spürte er auch ein diffuses Unbehagen. Lange konnte er sich allerdings nicht auf diese Stimmung einlassen, denn schon Minuten später zwangen ihn der dichter gewordene Nebel und der Feierabendverkehr in Feldkirch zur vollsten Aufmerksamkeit. Dennoch, dieser Umweg hatte ihn in einen Zustand versetzt, den er so schon lange nicht mehr erlebt hatte: Schauen und Staunen, statt von A nach B zu kommen.
Gasthaus Mohren, 4-Sterne-Hotel, Rankweil, endlich angekommen. Das Zimmer hatte Arian schon vor seiner Abfahrt in Dijon bestellt. Er bekam nach den üblichen Formalitäten seinen Schlüssel, Zimmer 11.
„Gerechtigkeit“, dachte er sich, denn die elfte Tarotkarte der großen Arkana bedeutet Gerechtigkeit. „Falls es so etwas überhaupt gibt, könnte ich diese gut gebrauchen.“
Das frisch renovierte Zimmer war modern eingerichtet, hell und behaglich. Eigentlich wollte er vor dem Abendessen duschen, den Tag oder besser noch die letzten Tage herunterwaschen, wegspülen, loswerden. Er öffnete das Fenster, roch die frischfeuchte nebelige Luft und roch auch sich selbst, seinen Schweiß. Er nahm auch den heftigen Kontrast zwischen diesen Gerüchen wahr. Es war ein sonderbares Gefühl, etwas zu riechen, dass es gar nicht gab, etwas im dazwischen.
„Genau da bin ich, ich bin im dazwischen und es fühlt sich gleichzeitig an, als wäre ich nirgendwo. In mir selbst bin ich im Nirgendwo und mit mir selbst bin ich im Zimmer 11.“
Da er seinen Hunger nun nicht mehr länger leugnen konnte, ihm aber das noble Hotelrestaurant unpassend erschien, entschied er, das Duschen zu verschieben und ein Gasthaus zu wählen, wo weder seine Adjustierung noch sein Körpergeruch eine Rolle spielten. Zehn Minuten später stand er mit seinem Ford Transit vor dem Wirtshaus Sternen. Den Weg hätte er auch zu Fuß gehen können, aber dem Nebelregen in der inzwischen angebrochenen Dunkelheit wollte er sich nicht aussetzen.
Kaum aus dem Auto ausgestiegen, hörte er eine vertraute Stimme fragen: „Hey Arian, hast du ein neues Auto?“
„Schau mal auf das Kennzeichen und frag’ mich noch mal“, war seine Antwort und er wusste nicht, woher er diese Antwort genommen hatte. Vielleicht eine Mischung aus Verlegenheit und lass mich in Ruhe, ich will darüber jetzt nicht reden.
„Hoi, Frankreich! Bist du ausgewandert?“ Es war Luis, der das mit seinem unverkennbaren, breiten Lachen fragte. Das Lachen von Luis war eigentlich unwiderstehlich. Normalerweise hätte Arian ihn spontan umarmt und sich riesig gefreut, einen so vertrauten, lieb gewonnenen Freund wieder einmal zu treffen, zufällig jetzt. Aber gerade heute war ihm der Zugang zu unwillkürlicher Freude versperrt. Drei, vier lange Sekunden stand Arian da, unbeholfen, sah Luis an und wusste nicht, wie er reagieren sollte. Aber Luis kam auf ihn zu, drückte ihn kräftig an sich und ließ seiner Freude über dieses überraschende Wiedersehen freien Lauf. Dieses Brust an Brust sein, der Druck der kräftigen Arme dieses 20 Jahre jüngeren Mannes und seine sonnige Ausstrahlung taten ihre Wirkung. Es waren ein paar tiefe Atemzüge, die Arian einholte und dann spürte er ein Gehaltenwerden, eine direkte, schnörkelfreie, ehrliche Zuwendung. Das berührte ihn. Berührte ihn mehr, als ihm im Moment recht war. Es drängten sich Tränen hoch. Tränen, die er in jedem Fall vermeiden wollte, aber die sich dennoch einen schmalen Weg bahnten. Sie kullerten spärlich aber doch über seine Wangen. Einen Moment wehrlos. Als Luis die Traurigkeit, die Müdigkeit, die Erschöpfung in Arians Gesicht bemerkte – weinen hatte er ihn noch nie gesehen – trat er einen Schritt zurück und verharrte wortlos. Sein Lachen blieb aber immer noch ein Lachen, wenn auch ein stilleres, sein Blick wurde fragend. So blieben die beiden im Regen stehen, tauschten ihre Blicke aus und schwiegen. Der Regen wurde stärker.
„Komm, machen wir uns von innen nass. Das ist gesünder“, meinte Luis, legte seinen Arm um Arians Schulter und gab den Schritt vor. „Eigentlich war ich im Gehen und wenn ich jetzt noch eine Stunde später nach Hause komme, hat meine Frau wirklich Grund zu schimpfen“, meinte Luis, der schon wieder sein übliches Lachen gefunden hatte.
Arian wusste, dass er heute lieber allein an seinem gewohnten Tisch sitzen wollte, in Ruhe gelassen, eher drei als zwei Bier trinkend, etwas Saures essend, um dann irgendwann hoffentlich lange schlafen zu können. Er wusste aber auch, dass ihm diese zufällige Begegnung etwas von seiner Schwere nehmen konnte. Und er wusste, dass Luis zwar Fragen stellen würde, aber jedes Verständnis für knapp dosierte Antworten hätte. Luis hatte ihm immer Respekt entgegengebracht und er verfügte über ein feines Gespür für Angemessenheit.
Kaum in den Gastraum eingetreten, verbreitete sich mit dem verrauchten, etwas nach Küche riechenden Duft jene Atmosphäre, die den Sternen ausmachte. Nichts hatte sich geändert: dieselben Menschen, vertraute Gesichter und das seit Jahren gleiche Personal. Beide warteten auf ihr Bier, das von der hoch gewachsenen, immer freundlichen Tochter des Wirts nach drei Minuten serviert war. Dann stießen sie kräftig an, mit festem Blick, wie sie es immer taten. Luis fragte: „Hey Arian, was ist mit dir?“
Arian hatte nichts zu antworten, außer einem hilflosen Blick. Es dauerte ein halbes Bier und zwei gedrehte Zigaretten, bis Luis frei heraus fragte: „Magst reden?“
„Nicht wirklich“, lautete Arians knappe Antwort. „Aber es tut mir gut, dass du da bist.“ Arian wusste, dass Luis nicht nachhaken, nicht insistieren würde und es tat ihm in diesem Moment gut, nicht erzählen, nicht reden zu müssen. Er empfand das als Respekt und willkommenes Verständnis. So nahm sein jugendlicher Freund die Gelegenheit der Begegnung wahr und begann von sich zu erzählen. Von seiner Freundin, den letzten Wochen, in denen ihre Beziehung unter Spannungen litt. Sie wollte unbedingt ein Kind, er im Moment auf keinen Fall eines. Sonderbar, dass Luis immer meine Frau und nie meine Freundin sagte. Er erzählte von seinem jungen, überforderten Chef, den er als Vollkoffer bezeichnete. Doch, und das war eben Luis, sein Lachen zierte immer sein Gesicht. Nicht wie ein Stempel, es war eben dieses innere Lachen, das Arian nur von Luis so kannte. Die Stunde war also schnell vorbei und Arian meinte mit seinem ersten Lächeln: „Kannst dich auf mich ausreden, wenn du noch später heimkommst, aber ein kleines Bier trinkst du noch mit mir. Und einen Bierbrand.“
„Dann ist meine Fahne perfekt, wenn ich heimkomm’“, lachte Luis diesmal auch laut genug für alle Nachbartische.
Irgendwie landeten die beiden Freunde bei einem Austausch über frühere Zeiten, gemeinsam erlebte Übermütigkeiten und die Schwere wich langsam aus Arians Gesichtszügen.
Aus der einen Stunde wurden fast drei, bis Luis sich entschloss, nun viel zu spät, aber doch zu gehen. Arian entschied sich, noch zu bleiben. Die beiden umarmten sich in der Gaststube, was vor allem bei den älteren Stammgästen auf Verwunderung und Befremdung stieß.
Luis...
Erscheint lt. Verlag | 21.11.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur |
ISBN-10 | 3-99139-583-5 / 3991395835 |
ISBN-13 | 978-3-99139-583-6 / 9783991395836 |
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