Die Barrikadenbraut -  Sabrina Schmid

Die Barrikadenbraut (eBook)

Ein Revolutionsroman
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99139-979-7 (ISBN)
Systemvoraussetzungen
11,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Wien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Ein einfaches Kindermädchen zettelt 1848 die Wiener Revolution an und radikalisiert sich mit ihrer verwitweten Dienstherrin Baronin Perin-Gradenstein gegen die absolutistische und gesellschaftliche Unterdrückung. Sie kämpfen Seite an Seite mit den Revolutionärinnen und Revolutionären für ein fortschrittliches Österreich, aber mit ihrem vermessenen Wunsch nach einem selbstbestimmten Leben und einer ungebührlichen Liebe schaffen sich die beiden Frauen mächtige Feinde. Doch sie sind zu jedem Opfer bereit. Vollständig überarbeitete Neuausgabe des Titels 'Das Kreuz im Apfel' (neobooks 2017)

Sabrina Schmid stieß in ihrem letzten Studienjahr auf eine Studie über das Wiener Findelwesen im 19. Jahrhundert, die ihr die Idee für den Prolog von "Die Barrikadenbraut" lieferte. Die Autorin war im siebten Monat schwanger und hatte die letzte Prüfung auf der Uni hinter sich gebracht. 2017 veröffentlichte sie das Manuskript für einen Beta-Test. Aus der Verunsicherung wurde die Gewissheit, die Geschichte taugt zur Unterhaltung eines großen Publikums. Einige Zeit ließ sie sich vom Schreiben abhalten und vermisste irgendwann das Gefühl der Lebendigkeit. Deshalb feilte sie an ihren schriftstellerischen Fähigkeiten und überarbeitete die Geschichte über das einfache Kindermädchen, das wesentlichen Einfluss auf das Weltgeschehen genommen hat, vollständig.

2

September 1833, Wien

»Die Zustände in der Außenpflege sind vielerorts schauerlich! Davor können wir nicht die Augen verschließen!«

»Die Leitung verschließt keineswegs die Augen davor. Fällt eine Pflegepartei dem Visitator ins Auge, wird sie mit sofortigem Entzug des Pfleglings bestraft.«

»Beim aktuellen Fall überkommt einen mehr als ein Schaudern. Er zeigt erneut, dass die derzeitigen Kontrollen nicht ausreichen. Über Jahre hinweg hatte dieses Weib aus Ottakring Kinder aus dem Findelhaus in Pflege. Keiner wusste, welch unehrbarer und verwerflicher Machenschaften sie sich dazu bediente. Im Protokoll des Visitators heißt es und ich zitiere: Nachdem ich an ihrer verschlossenen Tür eine geraume Weile gewartet hatte, kam sie, angeblich aus der Apotheke zurück, und welcher Anblick bot sich mir in der bewussten Stube dar! Auf einem elenden, über zwei Tische gebreiteten Strohlager lagen drei Säuglinge, keiner noch zwei Monate alt, nebeneinander; zwei davon vom Durchfall besudelt, der dritte, vielleicht seit einer Stunde tot.

Die Untersuchung des Falles wurde umgehend eingeleitet und was dabei herauskam, kann getrost als verbrecherisch bezeichnet werden.«

Der Redner machte eine bedeutungsschwere Pause, um die versammelte Kommission auf die erschreckenden Einzelheiten der Untersuchung einzustimmen.

»Vom Herbst 1828 bis zum ersten Halbjahr 1837 nahm die verheiratete Bäuerin Therese Hochstätter siebzehn Findlinge auf. Die ersten sieben starben nach spätestens einem Monat. Die Verordnung des Findelhauses, nur an Brustparteien abzugeben, umging diese Person, indem sie ihre erst kürzlich niedergekommene Tochter schickte. Die beiden siebenjährigen Mädchen und der neunjährige Junge, die trotz erbärmlicher Zustände der Säuglinge, guter Gesundheit vorzufinden waren, befinden sich mittlerweile in anderweitiger Pflege. Über die Zuständigkeit für das Mädchen, das Lisbeth genannt wird, jedoch nirgends aufscheint, weder bei der weltlichen Obrigkeit noch im Taufregister, wird derzeit noch beraten. Der Pfarrer, ein gewisser Johann Lutner, gibt an, nichts von den Zuständen gewusst zu haben. Er hat die Pfarre in Ottakring vor einem Jahr vom verstorbenen Pfarrer Gregor Kaller übernommen. Dieser hatte der Therese Hochstätter jahrelang die Ehrzeugnisse ausgestellt.«

Der Kommissär massierte seine Schläfe, bevor er mit seinem Schreckensbericht fortfuhr.

»Johann Hochstätter gab bei der Vernehmung zu, seine Tochter mehrmals geschwängert zu haben. Wie viele Kinder er tatsächlich mit ihr gezeugt hatte, konnte er nicht konkret angeben. Mit den Betrügereien am Findelhaus hatte er angeblich nichts zu tun. Dies war alleiniges Nebengeschäft seiner Gattin. Einer der drei Säuglinge, die der Visitator Mückisch laut seinem Bericht auf dem Küchentisch aufgereiht vorfand, stammten aus dem Findelhaus. Unhaltbare Zustände! Diese raffgierigen Frauen tun den Findlingen nicht einmal die nötigste Pflege an.«

»Das ist keine neue Erkenntnis, so traurig sie sein mag. Die Findlingspflege hat sich zu einem eigenen Erwerbszweig entwickelt. Da kann noch so oft an den Christenmenschen appelliert werden. Reiche, wohlsituierte Familien nehmen selten einen Findling auf. Es sind die armen Volksklassen, die sich mit dem Kostgeld selbst über die Runden bringen.«

»Die ordentliche Versorgung der Kinder muss trotz dieser Tatsache sichergestellt werden. Darin sind wir uns hoffentlich einig. Eine neue Regelung über die Kontrollorgane wird hermüssen.«

»Werte Herren, nicht nur die Zustände außerhalb sind untragbar, auch der Zustand im Haus.«

»Wie dürfen wir das auffassen?«

»Ich zitiere gerne eine Stelle aus dem Bericht besagten Arztes. Er ist seit dem Jahr 1810 Aufseher der Findelanstalt. Ich kenne ein Weib, welches in einem Jahr zum 13. Male einen lebenden Findling gegen einen unter ihren Händen gestorbenen erhielt.«

»Worauf genau wollen Sie hinaus?«

»Stellt sich das nicht verständlich dar? Dann erkläre ich es gerne. Diesen gottlosen Weibern wird durch die losen Gesetze der Findelanstalt noch die Hand gereicht. Wie kann es angehen, dass eine Frau ihre Tochter vorschickt, ausgestattet mit fremden Zeugnissen, und einen Findling nach dem anderen überreicht bekommt? Wie kann es angehen, dass der Pfarrer gutgläubig Sittlichkeitszeugnisse ausstellt, obwohl in dem Hause Notzucht vorgeht? Eine härtere Reglementierung der Abgabe und vor allem eine stärkere Kontrolle der Pflegefrauen vor der Zuteilung eines Kindes müssen her!«

Doktor Franz Mückisch, langjähriger Visitator der Findelanstalt, dachte ernsthaft daran, sein Kündigungsgesuch einzureichen. Er hatte der Therese Hochstätter die Papiere aus der Hand gerissen und sie aufgefordert, ihr den Säugling aus der Findelanstalt anzuzeigen. Eines der älteren Mädchen schrie wie verrückt, als die Frau auf einen lebenden Säugling deutete: Das ist aus dem Bauch der Mutter!

Der Visitator stand in der nach kranken Ausscheidungen stinkenden Stube und schwor sich, das Schreiben mit seiner Kündigung noch am selben Tag aufzusetzen. Er flüchtete mit zwei größeren Mädchen, einem Jungen und einem in Tücher eingeschlagenen kleinen Leichnam. Ob er die richtigen Kinder mitgenommen hatte, konnte er nicht gesichert sagen. Es waren zumindest fünf an der Zahl, das Geschlecht stimmte und das Alter kam in etwa hin.

In derselben Woche kam die Polizei in Begleitung des fünfundvierzigjährigen Pfarrers.

Die Großmutter bestritt unter Berufung auf Gott die Existenz von zwei weiteren Säuglingen im Haus, wie es der Visitator Mückisch in seinem Bericht vermerkt hatte. Die kleinen Körper der Zwillingsmädchen wurden wenige fingerbreit unter der Erde im Gemüsegarten zwischen den Kürbissen entdeckt. Lisbeth war froh, dass die Großmutter sie nicht zwischen den Karotten verscharrt hatte. Die Großeltern wurden unter lautem Protest aus der Stube geführt und weg waren sie.

Pfarrer Lutner bedeutete ihr, ihm zu folgen. Der Visitator hatte ihn in einem Schreiben dazu angewiesen, das Kind für einige Tage in seine Obhut zu nehmen, bis die Zuständigkeit für die Versorgung des Mädchens geklärt sei.

Johann Lutner wünschte sich zum wiederholten Male in seine alte Pfarre in Hollern bei Bruck an der Leitha zurück. Die alten Ottakringer nahmen es ihm übel, dass er sich nicht wie sein Vorgänger der Gemeinde anschloss und in den Familien verkehrte. Die Bewohner des neuen Ortsteils waren die Nachsichtigeren, obwohl auch diese die Seelsorgequalitäten eines Pfarrers in der Häufigkeit seines Wirtshausbesuches maßen. Demnach war er ein miserabler Seelsorger, denn die Schenken besuchte er nicht. Der Konsum von Alkohol verschlimmerte seine Gicht. Am meisten trug zur Verschlechterung der Beziehung der ewige Streit um den Hausgulden bei, auf welchen er nicht verzichten konnte, ohne sein Einkommen empfindlich zu schmälern. Die Eigentümer der neuen Häuser hielten sich anfangs dazu nicht verpflichtet. Die Rückstände waren größer geworden, bis er eine Beschwerdeeingabe bei der Landesregierung machte. Diese verfügte, dass der zu entrichtende Betrag aus der Gemeindekasse zu erfolgen hatte. Die Gemeinde nutzte diese Gelegenheit, ihn bei der Bevölkerung noch unbeliebter zu machen.

Vor ihnen tauchten der Pfarrhof und die Kirche auf. Er erinnerte sich gut an seine Ankunft vor einem Jahr in der Pfarrei Ottakring. Die Aufschrift ober der Kirchentüre Dilexi decorem domus tuae stellte sich nach einem ersten Rundgang als Ironie erster Güteklasse heraus. Die Kirche war innen rot und gelb gefärbelt, recht stark in die Augen fallend. Der Tabernakel, die Kanzel und die Orgel waren grün angestrichen. Der Kanzel gegenüber stand ein grün angestrichener Kasten mit einem Krippel. Zwei geschnitzte und bemalte Engel von ungleicher Größe auf braunen Fußgestellen thronten auf dem Hochaltar, auf welchem vier alte zerbrochene Leuchter standen. Auf beiden Seiten der Wand waren zwei Bretter angenagelt, nach der Form Johannes und Maria ausgeschnitten. In der Mitte des Altars an der Wand hing die Abbildung des sterbenden Heilands am Kreuze. Dieses Bild ließ er zwar putzen, aber das Gemälde blieb wegen seines Alters undeutlich und schwarz. Seit seiner Ankunft war er auf Übelstände gestoßen. Er hatte mit konsequenter Strenge versucht, die Kassen und das Armeninstitut zu ordnen und die Kirchenzucht zu heben. Seine Bemühungen brachten ihm Widerstand und Anfeindungen ein. Unter sich hielten die Ottakringer nicht zusammen, aber gegen jene, welche hier nicht aufgewachsen waren, war der Zusammenhalt ein fester.

»Du bist nicht getauft«, stellte Johann Lutner fest, als er mit Lisbeth am Tisch im Pfarrhaus Platz nahm.

Zwei kleine quadratische Fenster auf die Gasse und das winzigen Winkelfenster waren die einzige Tageslichtquelle.

»Du bist jeden...

Erscheint lt. Verlag 24.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-99139-979-2 / 3991399792
ISBN-13 978-3-99139-979-7 / 9783991399797
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Ohne DRM)
Größe: 2,4 MB

Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopier­schutz. Eine Weiter­gabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persön­lichen Nutzung erwerben.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Kurzgeschichten

von Katrin Sobotha-Heidelk

eBook Download (2023)
Lehmanns Media (Verlag)
9,99