So weit der Fluss uns trägt (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman. Der SPIEGEL-Bestseller - »Erschütternd, Mut machend und absolut unvergesslich.« Bonnie Garmus

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
368 Seiten
C. Bertelsmann (Verlag)
978-3-641-30461-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So weit der Fluss uns trägt -  Shelley Read
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»Niemand wird den Geschmack der süßen Pfirsiche aus Colorado je wieder vergessen, der diesen beeindruckenden Debütroman gelesen hat.« Denis Scheck, Tagesspiegel
Am Fuße der Berge Colorados strömt der Gunnison River an einer alten Pfirsichfarm vorbei. Hier lebt in den 1940ern die 17-jährige Victoria mit ihrem Vater und ihrem Bruder in rauer Abgeschiedenheit. Doch der Tag, an dem sie dem freiheitsliebenden Wil begegnet, verändert alles. Bald ist Victoria gezwungen, das Leben, das sie kennt, aufzugeben und in die Wildnis zu fliehen. Dort muss sie ums Überleben kämpfen - um ihr eigenes und um das ihres ungeborenen Kindes. Als sie endlich die Kraft findet, neu anzufangen, droht der Fluss, alles zu zerstören, was ihrer Familie seit Generationen ein Zuhause war.

Ein bewegender Roman über unsere Verbindung zur Natur, über Familie und die Stärke einer Frau, die Unglaubliches erlebt und doch niemals den Mut verliert.

»Shelley Reads Heldin ist toll, die Naturszenen großartig, aber, Achtung: Ich hab mehr als ein Taschentuch gebraucht bis zum bewegenden Ende!« EMOTION

Shelley Read lebt in fünfter Generation mit ihrer Familie mitten in den rauen Elk Mountains in Colorado. Sie ist tief verwurzelt in dieser Gegend und ihrer Natur, die auch ihren Debütroman inspiriert und geprägt hat. »So weit der Fluss uns trägt« hat weltweit für großes Aufsehen gesorgt und erscheint in über 30 Ländern.

1


1948


Er sah nicht besonders gut aus.

Zumindest nicht auf den ersten Blick.

»Verzeihung«, sagte der junge Mann und zupfte mit schmutzigem Daumen und Zeigefinger am Schirm seiner abgewetzten roten Baseballkappe. »Geht’s hier zur Schlafstelle?«

Einfach so. Eine gewöhnliche Frage von einem schmutzigen Fremden, der die Main Street heraufkam, als ich gerade die Kreuzung mit der North Laura Street erreichte.

Sein Overall und seine Hände waren schwarz von Kohle. Ich nahm damals an, dass es Schmiere war oder Dreck von der Feldarbeit, obwohl die Farbe für beides zu dunkel war. Er hatte Schmutzspuren auf den Wangen. Braune Haut schimmerte unter herabrinnendem Schweiß. Unter seiner Kappe schauten glatte schwarze Haare hervor, viel dunkler als meines, das ein sehr gewöhnliches Braun hatte.

Der Herbsttag hatte so unspektakulär begonnen wie das Porridge und die Spiegeleier, die ich den Männern zum Frühstück vorgesetzt hatte. Ich bemerkte nichts Ungewöhnliches, als ich mich danach dem Haushalt und den sanftmütigen Tieren in ihren Ställen zuwandte, in der kühlen Morgenluft zwei Körbe Pfirsiche pflückte und meine tägliche Auslieferung machte, indem ich den klapprigen Anhänger hinter meinem Fahrrad herzog, um dann nach meiner Rückkehr das Mittagessen zu kochen. Aber mittlerweile weiß ich, dass das Außergewöhnliche immer unter dem Gewöhnlichen lauert, so wie die tiefe und geheimnisvolle Welt unter der Meeresoberfläche.

»Da geht’s nach überallhin«, erwiderte ich.

Ich hatte gar nicht versucht, witzig zu sein oder irgendwie Aufmerksamkeit zu erregen, aber an der Art, wie er innehielt, und an dem leichten Lächeln auf seinen Lippen erkannte ich, dass meine Antwort ihn amüsierte. Er schaute mich auf eine Weise an, die meine Eingeweide Purzelbäume schlagen ließ.

»Ich meine – es ist eine ziemlich kleine Stadt.« Ich versuchte, die Dinge klarzustellen, deutlich zu machen, dass ich nicht die Art von Mädchen war, die den Jungs besonders ins Auge fiel oder der man auf der Straße nachpfiff.

Die Augen des Fremden waren dunkel und glänzten wie Rabenflügel. Und freundlich – das ist meine stärkste Erinnerung an diese Augen, freundlich vom ersten Blick bis zum letzten Starren –, da war eine Sanftheit, die aus seiner Mitte zu entspringen schien und sich verströmte wie ein überfließender Brunnen. Er musterte mich einen Augenblick, immer noch grinsend, dann tippte er wieder an den Schirm seiner Kappe und ging weiter in Richtung Dunlap’s Pension am Ende der Main Street.

Es war nicht gelogen, dass dieser eine löchrige Gehweg überallhin führte. Neben Dunlap’s hatten wir noch das Iola Hotel für die feinen Leute und die Taverne an seiner Rückseite für die Trinker, Jernigan’s Standard Station, den Eisenwarenladen, der gleichzeitig als Post diente, das Café, das immer nach Kaffee und Speck roch, und Chapman’s Big Little Store mit Lebensmitteln und einer Feinkosttheke und Klatsch ohne Ende. Am westlichen Ende der Straße stand der hohe Fahnenmast zwischen der Schule, die ich früher besucht hatte, und der Kirche aus weißen Holzbrettern, in der unsere Familie jeden Sonntag saß, auf Hochglanz gestriegelt und in unseren besten Sachen, damals, als Mutter noch lebte. Dahinter verschwand die Main Street abrupt in den Hügeln wie ein Punkt nach einem kurzen Satz.

Ich musste in dieselbe Richtung wie der Fremde – um meinen Bruder aus dem Pokerschuppen hinter Jernigan’s zu holen – aber ich wollte nicht unbedingt direkt hinter ihm hergehen. Also blieb ich an der Ecke stehen und schirmte meine Augen mit der Hand gegen die Nachmittagssonne ab, um ihn zu betrachten, während er weiterging. Er schlenderte ganz langsam und lässig dahin, als wäre sein einziges Ziel immer nur der nächste Schritt, seine Arme schwangen an den Seiten mit, während sein Kopf immer einen Tick hinter seinem Gehtempo zurück zu sein schien. Sein schmuddeliges weißes T-Shirt spannte sich unter den Hosenträgern seines Overalls. Er war schlank, hatte aber die muskulösen Schultern eines Hilfsarbeiters.

Als hätte er meinen Blick gespürt, drehte er sich plötzlich um und warf mir ein Lächeln zu, dessen Leuchten sein verdrecktes Gesicht überstrahlte. Ich schnappte nach Luft, als er mich dabei erwischte, wie ich ihm nachstarrte. Ein Hitzeschwall stieg mir den Hals hoch. Er tippte sich noch einmal an seine Kappe, wandte sich wieder um und schlenderte weiter. Obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, war ich ziemlich sicher, dass er immer noch grinste.

Es war ein schicksalhafter Moment, das weiß ich rückblickend. Denn ich hätte mich umdrehen und die North Laura Street wieder nach Hause zurückgehen können, um Essen zu machen, ich hätte Seth alleine zurück zur Farm taumeln lassen können, wo er dann durch die Tür und direkt Daddy und Onkel Og vor die Füße gestolpert wäre, die ihm die Hölle heißgemacht hätten. Ich hätte zumindest auf die andere Seite der Main Street wechseln können und die gelegentlich vorbeifahrenden Autos und eine Reihe von sich gelb verfärbenden Pappeln zwischen unsere beiden Gehwege legen können. Aber ich tat es nicht, und damit war die Sache besiegelt.

Stattdessen machte ich einen langsamen Schritt nach vorn und dann den nächsten, wobei ich instinktiv spürte, wie bedeutend jede dieser Entscheidungen war, einen Fuß zu heben, auszustrecken und wieder auf den Boden zu setzen.

Niemand hatte mich jemals über die Sache mit der Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern aufgeklärt. Als meine Mutter starb, war ich noch zu jung, um diese Geheimnisse von ihr lernen zu können, und ich kann mir eigentlich sowieso nicht vorstellen, dass sie sie mit mir geteilt hätte. Sie war eine ruhige, anständige Frau gewesen, sehr gehorsam Gott und den Erwartungen anderer gegenüber. Nach allem, woran ich mich erinnere, hat sie meinen Bruder und mich durchaus geliebt, aber ihre Zuneigung drang nur innerhalb streng bemessener Grenzen an die Oberfläche, und sie beherrschte uns mit der großen Angst davor, wie wir alle am Tag des Jüngsten Gerichts abschneiden würden. Ich hatte ab und zu einen Blick auf ihre sorgfältig verborgene Leidenschaft getan, wenn sie zum Beispiel unsere Hintern mit der schwarzen Fliegenklatsche aus Gummi bearbeitete oder wenn sie sich nach dem Gebet hastig die Tränen abwischte, sodass unauffällige Flecken zurückblieben. Doch ich habe sie niemals meinen Vater küssen oder auch nur einmal in die Arme nehmen sehen. Obwohl meine Eltern die Familie und die Farm als effiziente, zuverlässige Partner führten, habe ich nie die Anwesenheit jener Liebe bemerkt, die so besonders ist zwischen einem Mann und einer Frau. Ich hatte keine Karte für dieses geheimnisvolle Gelände.

Das Einzige, was ich hatte, war dies hier: Kurz nach meinem zwölften Geburtstag schaute ich gerade in die trübe Herbstdämmerung vor dem Wohnzimmerfenster hinaus, als Sheriff Lyle in seinem langen schwarz-weißen Automobil die nasse Kiesauffahrt heraufgefahren kam und dann zögernd auf meinen Vater im Garten zuging. Durch die von meinem Atem beschlagene Fensterscheibe sah ich Daddy langsam auf die Knie sinken, einfach so im regenfrischen Schlamm. Ich hatte Ausschau gehalten nach meiner Mutter, meinem Cousin Calamus und meiner Tante Vivian, die schon seit Stunden von ihrer Pfirsichlieferung über den Pass nach Canyon City hätten zurück sein müssen. Mein Vater hatte ebenfalls Ausschau gehalten, und ihr Ausbleiben machte ihn so nervös, dass er den ganzen Abend damit verbrachte, die nassen Blätter zusammenzurechen, die er normalerweise hätte liegen lassen, damit sie über den Winter auf dem Gras kompostierten. Als Daddy unter dem Gewicht von Lyles Worten zusammenbrach, begriff mein junges Herz zwei große Wahrheiten: Meine fehlenden Familienmitglieder würden nicht wieder nach Hause kommen, und mein Vater hatte meine Mutter geliebt. Sie hatten nie romantische Gefühle gezeigt oder mit mir darüber gesprochen, aber mir wurde in diesem Augenblick klar, dass sie sie tatsächlich gekannt hatten, auf ihre eigene, stille Art. Ihre unauffällige Beziehung – und die tränenlose, nüchterne Art, wie mein Vater später Seth und mir ernst die Nachricht vom Tode meiner Mutter mitteilte – lehrte mich, dass Liebe eine höchst persönliche Angelegenheit ist, die nur zwischen zwei Menschen gehegt und auch betrauert wird. Sie gehört ihnen und sonst niemand, wie ein geheimer Schatz, wie ein privates Gedicht.

Abgesehen davon wusste ich nichts, vor allem nichts von den Anfängen der Liebe, von dieser unerklärlichen Anziehungskraft, die bewirkt, dass manche Jungs an einem vorbeigehen können, ohne dass man weiter Notiz von ihnen nimmt, während der Nächste eine glasklare Anziehung auf einen ausübt, die so wenig wegzuleugnen ist wie die Schwerkraft. Und ab diesem Moment kennt man nur noch Sehnsucht.

Es lag nur ein halber Block zwischen diesem Jungen und mir, als wir zur gleichen Zeit auf demselben schmalen Gehweg in derselben Stadt in Colorado entlanggingen. Ich folgte ihm und überlegte, woher er wohl gekommen war, von welchem Ort und von welchen Erlebnissen. Er und ich hatten unsere siebzehn Jahre – vielleicht ein bisschen mehr bei ihm, vielleicht aber auch ein bisschen weniger – gelebt, ohne von der Existenz des anderen auf dieser Erde zu wissen. Jetzt, in diesem Moment, kreuzten sich unsere Leben so sicher wie die North Laura mit der Main Street.

Mein Herz schlug schneller, als die Distanz zwischen uns von drei Häusern auf zwei zusammenschmolz, dann eines, und da merkte ich, dass er seine Schritte unmerklich verlangsamte.

Ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Wenn ich auch langsamer wurde,...

Erscheint lt. Verlag 28.6.2023
Übersetzer Wibke Kuhn
Sprache deutsch
Original-Titel Go as a River
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • 40er Jahre • Amerika • Atmosphärisch • aus der mitte entspringt ein fluss • Berge • Berührend • Bestseller • Bestseller 2023 • Bestsellerliste • Blockbuster • Bonnie Garmus • Buchhändlerliebling • Buchtipp 2023 • Chris Whitaker • Colorado • Das Flüstern der Bienen • Delia Owens • Der Gesang der Flusskrebse • Der Papierpalast • eBooks • elk mountains • episch • ergreifend • Familie • Familiendrama • Familienepos • Familiengeschichte • Fänger im Roggen • Feminismus • Go as a river • Heimat • Herkunft • Huckleberry Finn • Kristin Hannah • Leben mit der Natur • Natur • Nature writing • Naturliebe • naturverbunden • Neuerscheinung • Rassismus • Resilienz • Roman • Romane • spiegel bestseller • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Stausee • Urlaubsromane für Frauen • USA • Von hier bis zum Anfang • Weihnachten • Weihnachtsgeschenke • Weihnachtsgeschenke für Frauen • weihnachtsgeschenke kleinigkeiten • Zuhause
ISBN-10 3-641-30461-X / 364130461X
ISBN-13 978-3-641-30461-4 / 9783641304614
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