Dorian Hunter 119 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-4413-3 (ISBN)
Phillips Körper glühte.
Der Arzt, ein dunkelblonder Georgier, machte den schmalen Brustkorb des Hermaphroditen frei und horchte auf seine Herztöne. Kurz darauf schüttelte er den Kopf und zückte einen Spiegel, den er Phillip vor das Gesicht hielt. Er beschlug nicht.
Kiwibin übersetzte das Ergebnis der Untersuchung: »Da ist nichts mehr zu machen. Phillip ist klinisch tot.«
Im nächsten Moment setzte sich der Hermaphrodit auf. »Der Zugang ist gefunden«, sagte er und lächelte.
Als ich Phillips Hand ergriff, war seine Temperatur ganz normal. Wo mochte er gewesen sein? Was hatte er erlebt? Würden wir das je erfahren ...?
1. Kapitel
Wie seine Kollegen trug auch er einen weißen Kittel.
Er hob beschwichtigend die Hände. »Genossen, wir wollen uns nicht streiten. Es ist alles für die Sitzung vorbereitet. Nelja soll kommen. Vielleicht sehen wir dann klarer.«
Einer der Parapsychologen drückte auf einen Klingelknopf. Sekunden später öffnete sich die Tür. Zwei Milizsoldaten in braunen Uniformen führten ein schlankes junges Mädchen herein, das einen völlig abwesenden Eindruck machte. Es trug ein besticktes Kleid aus dickem Stoff, Wollstrümpfe und derbe Holzschuhe. Auf Dr. Wassiliews Wink hin führten die Milizsoldaten das Mädchen zu einem Stuhl.
Nelja setzte sich gehorsam. Ihre Arme wurden auf die Stuhllehnen gelegt und mit Eisenscharnieren angeschlossen. Die Beine bekam sie auf die gleiche Weise an die Stuhlbeine gefesselt.
»Wartet draußen!«, sagte Dr. Wassiliew zu den Milizsoldaten. »Seid ihr bewaffnet?«
Die beiden Soldaten wechselten einen Blick. »Nein, Genosse Dr. Wassiliew. Aber wir können uns Pistolen holen.«
»Schnellfeuergewehre dürften besser geeignet sein. Bleibt auf jeden Fall vor der Tür – egal was geschieht –, bis ihr gerufen werdet!«
»Ja, Genosse Dr. Wassiliew.«
Die anderen Wissenschaftler murmelten. Dr. Wassiliew war ein Einzelgänger, der blendende Erfolge errungen hatte. Seine Kollegen beneideten ihn und misstrauten ihm. Keiner mochte ihn. Wassiliew focht das nicht an.
»Glauben Sie, es wird so schlimm, Genosse Dr. Wassiliew?«
»Vorsicht kann nie schaden«, sagte der Parapsychologe mit dem stechenden Blick und grinste ohne jede Freundlichkeit. »Wir wollen anfangen, Genossen. Schaltet die Aufzeichnungsgeräte ein und nehmt Platz!«
Die zwölf Parapsychologen setzten sich an den langen Tisch, vor dem der Stuhl mit dem gefesselten Mädchen auf einem niedrigen Podium stand. Eine Kamera, die in einer Wandluke montiert war, begann aufzunehmen.
Vor dem Tisch mit der Kommission der Parapsychologen und dem niedrigen Podium stiegen die leeren Stuhlreihen an. In diesem Saal wurden auch die Vorlesungen abgehalten. Hinten an der Wand befand sich eine große Tafel.
Dr. Wassilij Wassiliew, der dreizehnte Parapsychologe, stand vor dem Mädchen Nelja aus Dscheskajan. Er hielt einen kleinen, blitzenden, kreisrunden Spiegel in der Hand, der auf einem Stab drehbar montiert war.
»Wie heißt du?«, fragte er.
Das Mädchen sah starr geradeaus und antwortete nicht.
Die Fernsehkamera surrte in dem überheizten Raum.
»Nelja«, sagte Dr. Wassiliew, »antworte mir!«
»Das ist nicht mein Name«, sagte das Mädchen mit tonloser Stimme. »Ich habe keinen Namen. Ich bin ...« Nelja verstummte.
»Was bist du?«, fragte der Parapsychologe. »Sag es mir!«
Das Mädchen, das nicht älter war als siebzehn oder achtzehn Jahre, wandte nun Wassiliew das Gesicht zu. Dabei lächelte es freundlich. Trotzdem war es, als lauerte etwas hinter diesem glatten hübschen Mädchengesicht. »Ich weiß es nicht. Ich habe es vergessen.«
Dr. Wassiliew versetzte den Spiegel in Drehung. Sein stechender Blick bohrte sich in Neljas.
Neljas Gesicht wurde teilnahmslos. Ihre Augen schauten stumpf und gleichgültig geradeaus.
Dr. Wassiliew hatte sie in Trance versetzt, wie schon bei anderen Gelegenheiten. Nelja hatte auch mediale Fähigkeiten, und sie sprach leicht auf Wassiliews Hypnose an.
Er bewegte den Spiegel dicht vor ihren Augen. Die Pupille veränderte sich nicht. Die Trance war tief. »Ich frage dich wieder«, sagte der Parapsychologe, »wer bist du?«
»Stenka«, sagte das Mädchen. Ihre Stimme klang jetzt ganz anders, dumpf und grollend.
Die Parapsychologen am Tisch sahen sich an und murmelten wieder. Dr. Wassiliew nickte.
»Jetzt ist es endlich so weit«, sagte er. »Wir haben eine direkte Verbindung mit ihrem Alter Ego. Wir wollen sehen, was wir dabei erfahren können.« Er wandte sich wieder an das Mädchen. »Was bist du, Stenka?«
»Ein Dämon.«
»Woher kommst du? Wie siehst du aus?«
Ein Knurren war zu hören. Man konnte kaum glauben, dass ein zartes Mädchen ein solch bestialisches Geräusch von sich gab.
»Ich komme aus einer anderen Welt«, fauchte der Dämon. »Aus dem Jenseits. Von nirgendwo. Bin ich dir Rechenschaft schuldig, du Narr?«
Die Aggressivität in der unheimlichen Stimme erschreckte die Parapsychologen – bis auf Dr. Wassiliew. Er blieb völlig gleichgültig.
»Du hast mir zu antworten, Stenka. Dämon Stenka. Also – wie siehst du aus?«
Fauchen, Knurren, Grollen. Als sei ein ganzer Käfig von entfesselten Raubtieren im Zimmer – so klang es. Dann kam die Antwort, kaum verständlich.
»Ich bin groß und stark wie ein Riese. Meine Ohren sind spitz, mein Gesicht spiegelt meine dämonische Wildheit wider und ist ganz anders als eure blassen Visagen. Meine Hände sind Klauen, und hornige Spitzen sitzen an meinen Gelenken. Schwarz ist mein Körper und behaart, die Haut rau. Meine Füße sind Hufe.«
Der Dämon fauchte und grollte so schrecklich, dass nichts anderes mehr zu verstehen war. Er brüllte, dass die Fensterscheiben bebten.
Es klopfte an der Tür.
»Ist alles in Ordnung, Genossen?«, fragten die beiden Milizsoldaten auf dem Flur, als der Dämon verstummt war.
»Jawohl!«, rief Wassiliew. »Stört uns nicht! Schweigt! Kein Wort mehr, ihr Tölpel!«
Die Parapsychologen betrachteten das Mädchen Nelja. Nichts an ihrem schlanken Körper hatte sich verändert. Und doch hatte sie sich auf so grässliche Weise beschrieben und solche Geräusche von sich gegeben.
Nelja saß wieder still und unbeteiligt da.
Die Parapsychologen redeten erregt durcheinander.
Dr. Wassiliew betrachtete sie verächtlich. Er hörte sich die Debatte eine Weile an, die in seinen Augen völlig sinnlos war. Die zwölf Wissenschaftler vertraten dreizehn verschiedene Meinungen. Sie wären sich auch nicht einig geworden, wenn sie noch den Rest des Tages und die Nacht geredet hätten.
»Genossen«, sagte Dr. Wassiliew. Und noch einmal lauter: »Genossen!«
Endlich wandten sie sich ihm zu.
»Ich schlage vor, ich versuche, Neljas Alter Ego abzuspalten. Dazu wird eine verstärkte Hypnose nötig sein.«
Ein kahlköpfiger Wissenschaftler sprang auf.
»Ich protestiere!«, rief er und fuchtelte erregt herum. »Die Art, wie Sie sich hier aufspielen und der Kommission Ihren Willen aufzwingen, ist unerträglich.«
»Wissen Sie vielleicht etwas Besseres, Professor Schubjakin?«, fragte Wassiliew mit unüberhörbarer Ironie. »Dann sagen Sie es nur! Sie können das Experiment auch gern an meiner Stelle weiterführen.«
Schubjakin wollte sich nicht blamieren und verstummte. Nach ein paar Zwischenrufen und akademischen Erörterungen war Wassiliews Vorschlag angenommen.
Wieder ließ er den blitzenden Spiegel vor Neljas Augen rotieren und starrte sie an. Schweißtropfen perlten über Dr. Wassiliews breites Tatarengesicht, rannen ihm in den Kragen. Er konzentrierte sich, bot seine ganze Willenskraft auf.
Minuten des Schweigens vergingen. Nur ein- oder zweimal war Füßescharren zu hören.
»Es ist so weit!«, sagte Dr. Wassiliew schließlich. »Stenka, ich befehle dir, zeige dich uns! Verlass den Körper und den Geist dieses Mädchens! Stenka, komm! Stenka!« Die Stimme Dr. Wassiliews war wie eine Peitsche.
Ein Röhren und Brüllen war zu hören. Nelja bäumte sich auf und schrie, aber ihr Schrei ging in den anderen Geräuschen unter.
Und plötzlich stand der Dämon im Saal.
Er war riesengroß, wie er gesagt hatte. Über zwei Meter, und das wutverzerrte Gesicht erinnerte an einen Urmenschen oder einen Affen. Er hatte spitze Ohren und hornige Auswüchse an den Schultern, Ellbogen und Handgelenken.
Das Ungeheuer raste auf die vor Angst aufschreiende Parapsychologenkommission los und warf den Tisch um. Nelja wand sich auf dem Stuhl, an den sie gefesselt war. Dr. Wassiliew flüchtete zwischen die Stuhlreihen, warf sich flach auf den Boden und presste die Arme hinter den Kopf. Der Dämon bewegte sich rasend schnell. Er packte die schreienden Parapsychologen, schlug mit seinen Klauen um sich und trat mit seinen Hufen erbarmungslos zu.
Bevor vier Sekunden um waren, lag die Hälfte der Kommission tot oder schwer verwundet auf dem Boden.
Der Dämon ließ keinen der Parapsychologen entkommen.
Die Milizsoldaten rissen nun die Tür auf. Als sie sahen, was hier vorging, brüllten sie vor Schreck auf, warfen die Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre weg und rannten davon.
Der Dämon tötete auch die restlichen Kommissionsmitglieder, nur den zwischen den Stühlen verborgenen Dr. Wassiliew übersah er.
Stenka, der Dämon, brüllte triumphierend. Vom Korridor hallten nun aufgeregte Stimmen herein.
Der Dämon trat zu dem Mädchen Nelja, das verloren lächelte. Dann sah Dr. Wassiliew,...
Erscheint lt. Verlag | 21.3.2023 |
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Reihe/Serie | Dorian Hunter - Horror-Serie |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond |
ISBN-10 | 3-7517-4413-4 / 3751744134 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4413-3 / 9783751744133 |
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