Wem die blaue Stunde schlägt... -  Christina Jonke

Wem die blaue Stunde schlägt... (eBook)

Maja Moro ermittelt
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2022 | 1. Auflage
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99129-671-3 (ISBN)
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Der Galerist Lukas Guggendorff wird tot am Rande eines Weinbergs aufgefunden - in unmittelbarer Nähe des Ortes, an dem vor dreißig Jahren auch sein Vater zu Tode gekommen war. Nicht nur die Ermittlungen im undurchsichtigen Umfeld des Kunstmarktes machen der jungen Ermittlerin Maja Moro zu schaffen, auch ihr grundgrantiger Chef Marc Klingenberg ist nicht einfach zu ertragen...

Christina Jonke lebt mit ihrer Familie in Klagenfurt am Wörthersee. Zahlreiche Theaterstücke aus ihrer Feder eroberten bereits im gesamten deutschsprachigen Raum erfolgreich die Bühnen bevor sie sich dem Schreiben von Kriminalromanen widmete. Bereits erschienen: Die alte Villa am See Sushi Taxi Letzter Vorhang Hinter verschlossener Tür

Selma Guggendorff und Andrea Maier wälzen Männersünden

Andrea schwirrt noch immer der Kopf. Hat Marc recht, wenn er behauptet, dass sie überreagiert? Ausgerechnet er, der ständig wegen Nichtigkeiten ausrastet, wirft ihr das vor! Soll sie sich von ihm doch wieder einwickeln lassen und die Scheidung quasi stornieren? Schließlich hat er schon auch seine sehr gewinnenden, attraktiven und durchaus reizvollen Seiten wenn er sie denn zu zeigen gewillt ist, überlegt sie, in nostalgische Gedanken versunken. Es stimmt schon, dass sie sich damals genau wegen seiner ungestümen Art in ihn verliebt hat. Dieses Vorpreschen, das entschlossene, aus der Situation heraus Handeln hat sie beeindruckt und das hatte sie so noch bei keinem anderen Mann erlebt. Aber mittlerweile findet sie es nur mehr mühsam. Sie hat das Gefühl in einer Art Geisterbahn der Gefühle zu leben. Nein, sie kann und mag nicht mehr. Eine Ahnung davon spürte sie schon damals. Sie waren vielleicht ein halbes Jahr ein Paar gewesen und gönnten sich eine Woche Venedig. Sie genossen es, sich für die Biennale genügend Zeit nehmen zu können, um die Vielfalt an Kunst so richtig auf sich wirken lassen zu können. Allein im das Arsenale-Gelände verbrachten sie schon zwei Tage, die weitläufigen Giardini besuchten sie gleich an drei Tagen, allein, weil sie ein so zauberhaftes Flair boten und zum Verweilen und Trödeln einluden. Sie liebte die extravaganten Speisen, die im kunterbunt gestyltem Restaurant-Pavillon feilgeboten wurden, allein hier hatten sie schon einen halben Monatslohn ausgegeben, um sich durchzukosten. Es waren wunderbare Tage voller Staunen und Lachen gewesen – sie lernten, dass sie einen völlig unterschiedlichen Kunstgeschmack hatten. Aber das machte nichts, im Gegenteil. Sie malten sich aus, dass, sollten sie sich jemals echte Kunst leisten können, es in ihrer Wohnung ein schönes Spannungsverhältnis ergeben könnte. Aber den vorletzten Abend in Venedig wird Andrea nie vergessen, ist sie sich sicher. Sie wollten so richtig schick essen gehen und flanierten durch die Gassen, um die passende Osteria auszusuchen. In Venedig ist es Sitte, wie in vielen italienischen Städten, dass vor fast jedem Lokal, das auf sich hält, ein Mann steht, der die Gäste dazu bewegen will, sich für sein Restaurant zu entscheiden. Der eine versucht zu überzeugen, der andere versucht es über den Preis und manche wählen den absurden Weg, die Dame mit Charme einzuwickeln, damit sie sich für ihn entscheidet. Über die Qualität des Charmes lässt sich streiten, muss Andrea bei der Erinnerung an diese Begebenheit schmunzeln. Sie merkte natürlich, wie sich Marc bei jedem dieser Typen mehr verkrampfte, bis ihm schließlich der Kragen platzte und er den fünften oder sechsten Kellner am Kragen packte, obwohl der noch gar nichts gesagt hatte, sondern lediglich einen Schritt auf Andrea zugegangen war. Mit Müh und Not konnte sie Marc davon überzeugen, dass seine Reaktion nicht angemessen war.

„Diese aufdringlichen Möchtegern-Latin-Lover hab ich so etwas von aufgeschrieben!“, wetterte er. „Dass sich niemand über diese blöde und plumpe Anmache beschwert verstehe ich nicht!“

Andrea war die ganze Sache so peinlich, dass sie auf keinen Fall in dieser Gasse zum Essen bleiben wollte und sie noch einen ordentlichen Fußmarsch hinlegen mussten, bis sie ganz in der Nähe ihres Hotels eine kleine und sehr nette Trattoria fanden, in der sich eine ganz bezaubernde Wirtin höchstselbst um ihre Gäste kümmerte. Marc entschuldigte sich für sein aufbrausendes Benehmen, er sah rückwirkend ein, dass er überreagiert hatte und war den ganzen Abend lang die beste und unterhaltsamste Begleitung, die man sich nur wünschen konnte. Auch die Nacht war Andrea als überaus schön in Erinnerung geblieben. Ach ja, Venedig! Vielleicht hätten sie öfter mal nach Venedig fahren sollen?

Energisch wischt sie den Behandlungsstuhl in ihrem Kosmetikstudio mit einem Desinfektionsmittel sauber und merkt, dass sie vor lauter Gedankenroulette gar nicht mehr weiß, was sie denn nun schon saubergemacht hat und wo sie noch putzen muss. Wütend darüber wirft sie den Putzlappen ins Waschbecken und beschließt, diesem unwürdigen Tun ein Ende zu machen.

„Ich muss raus. Ich brauche Bewegung. Das ist das Einzige, was mir helfen kann, wieder den Kopf freizubekommen“, erklärt sie ihrem Spiegelbild, das ihr ein Gesicht mit geröteten Wangen und einem verschwitzten Haaransatz vorhält.

Sie schnappt sich ihre Tasche, in der sie ihre Trainingskleidung immer griffbereit hat und stürmt aus dem Kosmetik-Studio und gleich um die Ecke in „Selmas Rhythm & Soul“.

Tanzen. Rhythmus. Bewegung. Abschalten. Sie startet ihr Programmvideo und gibt sich der Musik hin, die einzelnen Choreografien gelingen wie von selbst. Nach einer Stunde ist sie fast enttäuscht, dass das Programm zu Ende ist, doch sie spürt auch die Befreiung, die ihr die Verausgabung beschert hat.

„Na du?“ spricht sie Selma, die Workshop-Leiterin und Inhaberin der Einrichtung an. „Du hast ja mächtig Dampf abgelassen. Du solltest etwas trinken.“

Andrea nickt und bemerkt jetzt erst, wie durstig sie ist.

„Magst du reden?“, bietet Selma sich als Kummerkasten an, Andrea schüttelt nur den Kopf.

„Passt schon. Aber das habe ich gerade gebraucht.“

„Ärger mit den Männern?“, gibt Selma nicht auf, ins Gespräch kommen zu wollen. Es ist Andrea fast schon einen Tick unangenehm - andererseits hat sie nichts vor, außer Duschen und nach Hause gehen, wobei sie nicht weiß, ob da nicht Marc mit seiner Kettensäge wartet. Nein, das nicht. Aber garantiert mit schlechtem Gewissen, und seine Zerknirschung nach einem Wutanfall ist auch nicht leicht zu ertragen. Nicht mehr. Es geht ihr auf die Nerven. Sie liebt ihn wohl wirklich nicht mehr. Venedig, Paris und all ihre schönen Reisen hin oder her. Er hat es vergeigt. Ob er aufgeräumt hat? Wohl eher nicht. Für Ordnung hat er überhaupt keinen Blick. Nie gehabt. Wenn es nach ihm ginge, würde man direkt im Vorraum schon über Taschen, Schuhe, Sportgeräte und Garderobe stolpern. Nein, eigentlich hat sie sich schon zu sehr mit dem Gedanken angefreundet, nicht mehr mit Marc zusammen zu leben. Außerdem will sie sich endlich den sehnlichen Wunsch nach einem kleinen Hund erfüllen. Marc war immer dagegen, angeblich sei ein Hund klimafeindlich. Der Mann spinnt wirklich hochgradig.

„Ich habe recht, oder?“, meldet sich Selma wieder und schenkt sich ein isotonisches Getränk ein. Andrea nickt und deutet ihr per Handzeichen, dass sie selbst auch so einen Drink nehmen will.

„Ja, hast du. Zufrieden?“

„Nein, gar nicht. Aber ich finde es interessant, dass man als Frau einer anderen Frau sofort ansieht, wenn es Männerstress gibt. Nicht Ärger im Job oder mit den Kindern, der lieben Schwiegermutter oder gar einer nervensägenden Nachbarin.“

„Vielleicht solltest du dein Angebot hier durch eine Gesprächsstunde ergänzen?“, schlägt Andrea halbherzig vor. Doch Selma winkt großzügig ab und erklärt, dass ein bisschen quatschen nach dem Tanzen im Workshop-Angebot inkludiert sei. „Ich interessiere mich für meine Kundinnen, weißt du. Und wir beide haben ja kaum mehr als ein paar Worte gewechselt, du bist immer gleich weg nach der Stunde.“

Andrea ist im Unterschied zu anderen Teilnehmerinnen, die gleich mit mehreren Freundinnen eingebucht sind, immer alleine hier. Sie mag es, nach einem anstrengenden Tag mit ihren anspruchsvollen Kundinnen, die sich neben Ayurveda-Anwendungen, Massagen und Beratung auch angeregten Smalltalk erwarten, einfach nicht mehr reden zu müssen, erzählt sie. Selma nickt verständnisvoll.

„So ging es mir auch oft. Ich komm todmüde nach Hause und er lümmelt im Sofa, haut sich irgendein Knabberzeug in die Figur, schaut sich wieder so unsägliche Sportübertragung und wartet, dass ich den Haushalt schmeiße. Beim Essen interessiert er sich nicht die Bohne für mein Befinden, erwartet aber, dass ich gebannt seinen Ausführungen lausche, wie großartig es wieder bei einem neu entdeckten Künstler in dessen Atelier gelaufen ist.“

Dunkel meint Andrea sich zu erinnern, dass eine ihrer Kundinnen von Selmas unglücklicher Ehe mit dem Galeristen Lukas Guggendorff erzählt hat. Diese Verbindung soll nicht einmal nach außen hin „hui“ gewesen sein, hatte sie mitleidig betont. Mit wachsendem Unbehagen hört Andrea Selma zu und betont dann, dass sie sich das sicher nicht bieten lassen würde.

„Eh nicht“, beteuert Selma lapidar mit einem seltsam zufriedenen Gesichtsausdruck, der Andrea zwar auffällt, den sie aber nicht zu deuten vermag, zumal ihr Gegenüber auch gleich weiter ausführt: “Echt, ich schalte auf Durchzug … irgendwann vertragen die Ohren einfach keine Töne mehr. Sie sind voll, einfach voll.“

Die beiden...

Erscheint lt. Verlag 19.1.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror
ISBN-10 3-99129-671-3 / 3991296713
ISBN-13 978-3-99129-671-3 / 9783991296713
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