Nachts schweigt das Meer / Dunkel leuchten die Klippen / Kalt flüstern die Wellen - Drei Scilly-Krimis in einem Band (eBook)
1328 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491869-3 (ISBN)
Kate Penrose kennt die Scilly-Inseln vor der Küste Cornwalls wie ihre Westentasche. Seit Kindertagen verbringt sie fast jeden Sommer dort und ist jedes Mal aufs Neue fasziniert von dem atemberaubenden Naturparadies. Die Idee für eine Krimiserie mit diesem einzigartigen Schauplatz kam ihr spontan bei einem Restaurantbesuch, und aus ein paar hastig hingekritzelten Stichworten auf der Speisekarte wurde einige Monate später der erste Insel-Krimi. Kate Penrose, die auch unter dem Namen Kate Rhodes schreibt, lebt mit ihrem Mann, dem Autor David Pescod, in Cambridge am Ufer des River Cam.
Kate Penrose kennt die Scilly-Inseln vor der Küste Cornwalls wie ihre Westentasche. Seit Kindertagen verbringt sie fast jeden Sommer dort und ist jedes Mal aufs Neue fasziniert von dem atemberaubenden Naturparadies. Die Idee für eine Krimiserie mit diesem einzigartigen Schauplatz kam ihr spontan bei einem Restaurantbesuch, und aus ein paar hastig hingekritzelten Stichworten auf der Speisekarte wurde einige Monate später der erste Insel-Krimi. Kate Penrose, die auch unter dem Namen Kate Rhodes schreibt, lebt mit ihrem Mann, dem Autor David Pescod, in Cambridge am Ufer des River Cam.
3
Draußen kreischen Seeschwalben, als ich die Augen aufschlage. Meine Kopfschmerzen sind zurückgekommen, und ich beginne den Tag mit einem Schwall von Flüchen, während ich mich aus dem Bett schwinge. Es ist eiskalt im Haus, doch wenigstens gibt es wieder Strom. Bei Tageslicht sieht das Cottage nicht besser aus: Die Korkfliesen im Bad kräuseln sich an den Rändern, der Generator muss überholt werden, und das Gärtchen, in dem meine Mutter Spinat und Kartoffeln angebaut hat, ist von Unkraut überwuchert. Die Wellen fauchen wie wilde Tiere und schlagen klatschend auf den Strand. Shadow gibt sich alle Mühe, mich zu Fall zu bringen, indem er aufgeregt um meine Füße herumwirbelt und laut bellt, weil er es nicht erwarten kann, den Tag zu begrüßen.
»Verdammter Köter«, grummele ich und zerre den Reißverschluss meiner Jacke hoch.
Heute Morgen fahren ganz sicher keine Fähren. Die Flut donnert gegen die Küste und erinnert mich daran, dass die Bucht aus gutem Grund Hell Bay heißt. Neun Monate im Jahr ist das Wasser ruhig, aber im Winter blasen infernalische Stürme von Westen her, und man braucht Kraft, um die eigene Haustür aufzukriegen. Das Hell Bay Hotel am Ende des weitläufigen Strandes glitzert und strahlt Wohlstand aus. In der Hochsaison kostet ein Zimmer mit Seeblick bei garantiert exzellenter Verpflegung und Unterbringung ein kleines Vermögen pro Nacht. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich Zoe Morrow auf der Terrasse stehen sehen; aus der Ferne ist sie so klein wie ein Strichmännchen. Sie färbt ihre kurzen Haare seit unseren Teenagertagen platinblond und ist von Kopf bis Fuß stahlblau gekleidet. Ich lege eine Hand über die Augen, damit ich sie besser erkennen kann. Sie winkt frenetisch mit beiden Armen und bedeutet mir herüberzukommen. In ihrer glorreichen College-Zeit wollte sie in eine Rockband eintreten und die Welt erobern, aber heute ist ihr Talent zu einem Hobby geschrumpft. Nach dem Herzinfarkt ihres Vaters hat sie ihre Karriere als Sängerin erst einmal auf Eis gelegt. Ihre Brüder überlassen ihr die Leitung des Hotels völlig allein; sie arbeiten beide auf dem Festland, und die Eltern haben sich in Mevagissey zur Ruhe gesetzt. Höflich wäre es, zu Zoe hinüberzulaufen und sie kurz zu begrüßen, aber ich gehe in die entgegengesetzte Richtung davon. Aus Scham, nehme ich an. Mir ist es lieber, wenn meine beste Freundin aus der Schule mich nicht in so mieser Stimmung erlebt.
Als ich schließlich den Droppy Nose Point erreiche, einen Felsensporn, der sich an Bryhers Südspitze in den Atlantik schiebt, hat die frische Luft meine Lebensgeister aufgeweckt. In meiner Kindheit war das hier mein Lieblingsort, wegen des ulkigen Namens und wegen der großen Felsnase, die an einen Elefantenkopf mit Rüssel erinnert. Die Steine sind hier hellgrün von den Algen, Muscheln kleben traubenförmig daran. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, dass ich den Strand nach dem verschwundenen Mädchen absuchen könnte. Vielleicht hat irgendein Junge sie hierhergeführt, und ein Streit zwischen ihnen ist in Gewalt umgeschlagen. Aber ich mache mir erneut klar, dass ich dafür nicht zuständig bin. Den Samson Hill umrundend, komme ich auf die Ostseite der Insel, die vor dem starken Wind geschützt ist. Der Kanal liegt still da wie ein Mühlenteich und macht die gespaltene Persönlichkeit der Insel augenfällig. Über den New-Grimsby-Sund hinweg erkennt man die dunkelgrünen Umrisse der Nachbarinsel Tresco. Der Hund verschwindet in einer Wiese voller Farnkraut, während ich – in der Hoffnung, nicht gesehen zu werden – um das South Cottage herumgehe. Aber ein Mann ruft laut und barsch wie ein Ausbilder beim Militär.
»Wer schleicht da hinter meiner Hecke rum?«
»Ben Kitto, Tom.«
Auch nach zwanzig Jahren fühlt es sich immer noch merkwürdig an, ihn mit dem Vornamen anzusprechen statt mit Mr Horden. Er war mein Klassenlehrer am Gymnasium, bis er aus unbekannten Gründen überstürzt in Pension ging. Ich höre schnelle Schritte auf dem Kies, aber als er mit gestrafften Schultern vor mir stehen bleibt, sehe ich, dass er sich äußerlich stark verändert hat. Zwar trägt er immer noch Hemd und Krawatte unter seinem V-Ausschnitt-Pulli, doch sein Gesicht ist von tiefen Falten zerfurcht. Eines seiner Augen ist trüb wie Milch, aus dem anderen, grauen, trifft mich der böse Blick, mit dem er die Schüler im Mathe-Unterricht zum Weinen bringen konnte. Auch das Haus dieses Mannes ist kompromisslos: ein Klotz aus groben Steinen mit schwarz gestrichenen Fensterrahmen.
»Komm rein, Junge. Sag meiner Frau guten Tag.«
»Ich kann heute nicht. Ray wartet in der Werft auf mich.« Das ist gelogen, aber der Kerl war mir noch nie geheuer.
»Lass ihn warten.«
Horden packt mich am Ellenbogen und schiebt mich ins Haus. Dort begrüßen mich lauter unangenehme Gerüche: Kohl vom gestrigen Abendessen, Putzmittel und überheizte Zimmer. Das Gemisch erinnert mich an Krankenhausflure, und ich sehne mich nach einem schnellen Abgang. Horden führt mich in eine Küche mit geblümten Kacheln, die sicher schon jahrzehntelang die Wände zieren; in den Regalen verstauben Töpfe und Pfannen.
»Besuch für dich, Emma. Du erinnerst dich doch an Ben Kitto, oder? Der Jüngste von Mark und Helen.«
Emma Horden war früher eine elegant gekleidete Frau mit einem beschwichtigenden Lächeln, die vor der Kirche von Tresco regelmäßig für einen guten Zweck gesammelt hat. Nach dem Ausscheiden ihres Mannes aus dem Schuldienst wurde sie einige Monate nicht gesehen, und jetzt ist sie fast nicht wiederzuerkennen: Übergewichtig und mit hängenden Schultern sitzt sie vor mir, sie trägt ein tristes Kleid, ihre Haare sind strähnig. Ihr Blick wandert an mir auf und ab, registriert mein unrasiertes Gesicht, die alte Lederjacke, dann schüttelt sie entschieden den Kopf.
»Benesek singt im Chor. Er ist der einzige Junge, der den Ton halten kann.«
»Das ist eine Weile her, Emma.«
»Lassen Sie mich in Ruhe. Ich will nicht, dass Fremde meine Schätze klauen.« Sie nimmt eine Keramikschale vom Fensterbrett und drückt sie zärtlich an die Brust. »Wer auch immer Sie sind, gehen Sie nach Hause, bevor der Sturm losbricht.«
»Das ist ein guter Rat. Ich wollte nur kurz Hallo sagen, weil ich gerade hier vorbeikam.«
Die Gegenstände in Emma Hordens Schale funkeln in dem Licht, das durch die Vorhänge hereinfällt. Schlüsselringe, Münzen und Muscheln liegen darin. Mr Horden sieht peinlich berührt aus, als wir zurück in den Flur gehen. Er hat die Küchentür zugemacht, um seine Frau nicht noch mehr durcheinanderzubringen. »Du musst sie entschuldigen. Sie hat heute einen schlechten Tag.«
»Den haben wir doch alle mal.«
»Liest du noch so gern? Früher hattest du in meinen Stunden immer ein Buch unterm Tisch.« Es ist schwer zu sagen, ob das freundlich gemeint ist oder ob er mich wegen meines schlechten Benehmens in der Schule vor zwanzig Jahren tadelt.
»Schuldig im Sinne der Anklage.«
Sein milchiges Auge wendet sich mir zu. »Komm mal abends vorbei. Wir haben eine ganze Reihe von guten Romanen, die niemand mehr braucht.«
»Mache ich, Tom.«
»Hast du den Polizeidienst quittiert?«
Ich schüttele den Kopf. »Ich nehme nur eine Auszeit.«
»Wurde dir wohl zu stressig, was?«
»Ich mache Urlaub, das ist alles. Ich geh dann besser mal.«
Die Fragen meines alten Lehrers bringen mich ins Grübeln. Ein fataler Fehler hat mich aus dem Job katapultiert, nicht der Druck, unter dem ich bei der Arbeit stehe. Die meisten Kollegen haben mir verziehen, aber ich selbst bin noch weit davon entfernt. Während ich dem gewundenen Pfad folge, der an der Steinmauer entlang zum Kai führt, holen mich Erinnerungen an die Schule ein. Wir haben uns früher über Horden lustig gemacht; die Schüler haben sich absurde Geschichten ausgedacht, wegen seiner schneidenden Stimme, aber auch weil die Mädchen behaupteten, er würde ihnen lüsterne Blicke zuwerfen. Es tut gut, das Einsamkeitsgefühl wieder abzuschütteln, das dieses Paar verströmt wie einen schlechten Geruch. Shadow folgt mir auf dem Fuß, während ich in nördlicher Richtung am Strand entlanglaufe. Der Blick hinüber nach Tresco mit seinen Gärten und Feldern, die sich scheinbar kilometerweit erstrecken wie grüner Knautschsamt, vertreibt meine schlechte Stimmung.
Rays Werkstatttüren stehen weit offen, aber von ihm selbst ist keine Spur zu sehen. Sonnenlicht sickert durch die Löcher im Blechdach über dem Hof, wo ich ihn schließlich finde. Der Rumpf, den er gerade baut, ist sechs Meter lang, ein traditionelles Fischerboot, dessen grobes Gerüst bereits fertig ist. Ray blickt von seiner Bandsäge hoch und begrüßt mich mit einem Lächeln.
»Das wird ein Klinkerboot«, sagt er. »Für einen Hummerfischer auf St. Mary’s.«
»Du benutzt Zedernholz?«
»Soll ja eine Weile halten«, antwortet er nickend. »Hilf mir dabei, es fertig zu bauen, wenn du Lust hast.«
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Als ich ein Teenager war, hat Ray mir eine Lehrstelle angeboten; ich war wahnsinnig gern in der Werft, aber mir fehlt seine Geduld. Es treibt mich immer noch um, dass ich Bryher mit achtzehn Jahren verlassen habe, ohne mich ordentlich dafür zu entschuldigen, ihn hängengelassen zu haben. Die Arbeit, die er mir jetzt anträgt, würde mindestens einen Monat in Anspruch nehmen, und es gelingt mir nicht so recht, mir vorzustellen, wie der Schiffsrumpf unter meinen Händen Form annehmen soll, nachdem meine Fertigkeiten so lange brachgelegen haben. Shadow scheint auf meine Entscheidung zu warten, seine hellen Augen verfolgen aufmerksam jede meiner Bewegungen. Ich schnappe mir einen Besen und fege Hobelspäne zusammen, während mein Onkel...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Reihe/Serie | Ben Kitto ermittelt auf den Scilly-Inseln | Ben Kitto ermittelt auf den Scilly-Inseln |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atlantik • Ben Kitto • Bryher • Cornwall • ebook bundle • England-Krimi • Entschleunigung • insel-krimi • Krimiserie • locked room krimi • Mord • Rabattaktion • Scilly-Inseln • Sehnsuchtsort • St. Agnes • Tresco • Urlaubskrimi • Urlaubslektüre |
ISBN-10 | 3-10-491869-4 / 3104918694 |
ISBN-13 | 978-3-10-491869-3 / 9783104918693 |
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