Düstere Tunnel (eBook)
386 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7578-8885-5 (ISBN)
Anna-Lena Strauß gehört zur 99'er Generation, lebt in Thüringen und verschlingt neben Büchern fast alles, was zur Kategorie "Süßes und Kuchen" gezählt werden kann. Sie träumte sich seit ihrer Kindheit in die Welten verschiedener Bücher und erschafft inzwischen ihre eigenen. Sie liebt es, mitzuerleben, wie aus dem Funken einer Idee eine Geschichte wächst, mit deren Inhalt sie selbst nicht gerechnet hätte. Am liebsten hält sie sich dabei in fantastischen oder historischen Welten auf. Wenn sie nicht gerade schreibt, fechtet sie mit verschiedenen historischen Waffen, backt, macht Yoga, liest selbst oder kuschelt mit ihren Katzen. Hauptberuflich arbeitet sie als Softwareentwicklerin.
1. LIV
Liviana Gray?«, wiederholte die Wächterin.
Ich nickte langsam. Flucht, schoss es mir durch den Kopf.
Ich musste verschwinden, sofort, bevor jemand die Gelegenheit hatte, mich aufzuhalten. Wenn ich schnell genug war, würde ich es an den Wächtern am Tor vorbei schaffen.
Die Wächterin stand auf und ich ging einen Schritt rückwärts. Der Tisch würde mir einen kleinen Vorsprung verschaffen.
»Würdet Ihr mich bitte begleiten?«, fragte sie.
Das Lächeln hatte ihre Lippen keinen Moment verlassen. Ich zögerte einen Wimpernschlag zu lang. Hinter mir ging die Tür auf, ein weiterer Wächter trat ein und stellte sich neben den Kamin, um seine Hände aufzuwärmen. Mitten in meinen Fluchtweg. Meine Gedanken rasten auf der Suche nach einem Ausweg. »Warum?«
»Das weiß ich leider nicht«, antwortete sie freundlich. »Es besteht kein Grund zur Sorge. Euer Name steht auf der Liste von Personen, auf die jemand hier wartet. Meistens weil es Informationen zu Angehörigen gibt.«
Mein Blick huschte von ihr zu dem Wächter am Kamin, dann zur Tür. Mir fiel niemand ein, der bei den Wächtern angeben könnte, auf mich zu warten – nicht nach einem halben Jahr Abwesenheit. Dann die Wächter selbst? Hatten sie herausgefunden, dass ich mich eine Zeit lang auf dem Schwarzmarkt als Hellseherin ausgegeben hatte? Grundsätzlich war das zwar verwerflich, aber nichts, für das man von einem Gericht belangt werden konnte. Außer … irgendetwas war geschehen.
Verdammt, dachte ich. Warum habe ich mich nicht einfach reinge-schmuggelt?
Die Wächterin führte mich schweigend durch die Burg, stoppte vor einer dunklen Holztür und ließ mich mit dem Hinweis davor zurück, dass bald jemand kommen würde, um sich um mich zu kümmern. Ich wertete es als gutes Zeichen, allein gelassen zu werden.
Trotzdem: Es wäre der perfekte Moment, um mich aus dem Staub zu machen.
Ich holte tief Luft, gab mir einen Ruck und stieß die Tür auf. Diesmal würde ich nicht weglaufen. Nicht jetzt schon, wo ich eben erst angekommen war.
Es war kein Vernehmungsraum, obwohl ich das erwartet hatte. Stattdessen handelte es sich um ein hell gestrichenes Zimmer mit drei Fenstern, einer langen Schiefertafel an der Wand und einem runden Tisch, der unbesetzt war. Und … ein Mann, der mit dem Rücken zu mir am mittleren Fenster stand.
Ich erstarrte in der Bewegung, eine Hand auf der Türklinke. Als er sich umdrehte, huschte Verblüffung über sein Gesicht und blieb in seinen unterschiedlich farbigen Augen hängen. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.
»Liv«, sagte Evan. »Was machst du denn hier?«
Ich zuckte betont gleichgültig mit den Schultern. Meine eigene Überraschung hatte ich hoffentlich besser verbergen können. Ich konnte meine Gefühle wesentlich schlechter verstecken als Evan, aber im Gegensatz zu ihm hatte ich in den vergangenen Tagen genug Zeit damit verbracht, mich auf diese Begegnung vorzubereiten.
»Das konnte mir bisher niemand sagen«, antwortete ich.
Wir sahen uns schweigend an, meine Abwesenheit von sechs Monaten wie ein Abgrund zwischen uns, dessen Brücke erst zur Hälfte fertiggestellt war. Ich hatte mir auf der Reise ein paar Worte der Begrüßung zurechtgelegt und überlegt, was ich tun würde – aber in diesen Überlegungen hatte ich vor Evans Tür gestanden. Nicht mitten in der Wächterburg, ohne zu wissen, warum wir hier waren.
Schließlich gab ich mir einen Ruck und im selben Moment, als ich einen Schritt nach vorn trat, tat Evan es mir gleich. Wir landeten in einer verwirrenden Mischung aus Hände schütteln und Umarmung, verharrten einen Atemzug lang so und lösten uns dann wieder voneinander. Dank der plötzlichen Nähe brach die Erinnerung wie ein Gewitter über mich herein: Evan, wie er bei einem unserer letzten Aufenthalte hier mein Blut getrunken hatte. Wie seine Gedanken und Gefühle so offen vor mir gelegen hatten, als wären es meine eigenen. Wie mir klargeworden war, dass er meine ebenso deutlich wahrgenommen hatte. Ohne die daraus entstandene Intimität wäre die Begrüßung wesentlich angenehmer geworden. Dann hätten wir uns einfach als Bekannte sehen können, anstatt unsicher zu sein, wie tief der Grad unserer Freundschaft ging.
Evan räusperte sich. »Seit wann bist du wieder in der Stadt?«
»Eben erst angekommen«, erwiderte ich. »Diesmal wollte ich mich ordnungsgemäß anmelden und mich nicht illegal in die Stadt schleichen. Aber offensichtlich hat irgendjemand hier auf mich gewartet.«
Ich schob die Hände in meine Manteltaschen und ging zum Fenster. Evan würde gleich fragen, wie der Besuch bei meinen Eltern gewesen war, aber der Bodenfrost draußen auf dem Hof wäre ein zu gezwungener Themenwechsel, um länger als zwei Sätze anzuhalten.
»Weswegen bist du hier?«, fragte ich stattdessen. »Es wäre ein komischer Zufall, dass sie uns beide in denselben Raum bringen, ohne einen Grund dafür zu haben.«
Evan hob eine Augenbraue. »Für mich ist es eher ein komischer Zufall, dass du genau jetzt wieder in der Stadt bist. Ich habe eine freundliche, aber sehr deutliche Aufforderung erhalten, mich hier einzufinden – und keine halbe Stunde nach meiner Ankunft tauchst du auf.«
»Allmählich glaube ich nicht mehr an Zufälle«, antwortete ich. »Was ist mit Keldan und Skadi? Hast du mit ihnen gesprochen? Sie müssten uns sagen können, was hier los ist.«
Bevor ich die Stadt verlassen hatte, hatte ich Evan geraten, ebenso wie Skadi als Berater für die Wächter zu arbeiten, um eine sinnvolle Beschäftigung in seinem Leben zu haben. Als jetzt ein reumütiger Ausdruck über sein Gesicht huschte, wusste ich, dass dieser Rat vergebens gewesen war.
»Nein«, sagte er. »Ich –«
Das Öffnen der Tür unterbrach ihn. Eine junge Frau in schlichter Kleidung trat ein, gefolgt von einem Wächter, der die Tür mit Nachdruck hinter sich zu zog. Sie hielten einen Augenblick inne, als sie mich sahen.
Skadi lächelte. »Hallo, Liv. Schön, dich wiederzusehen.«
Ich nickte, ebenso wie Keldan. Falls einer von beiden ernsthaft überrascht war, mich zu sehen, verbargen sie es gut. Also musste es wirklich Keldan gewesen sein, der meinen Namen auf die Liste gesetzt hatte.
Evan hüstelte. »Ihr habt mich fast eine Stunde warten lassen, ohne mir auch nur ansatzweise zu sagen, was überhaupt los ist. Würde mir jetzt endlich jemand erklären, warum ich hier bin?«
»Der Frage schließe ich mich an«, fügte ich hinzu.
Keldans Miene verfinsterte sich. Dass er sich keine Mühe gab, das mit einem Lächeln zu kaschieren, beunruhigte mich. Als wir ihn ken-nengelernt hatten, hatte er darauf geachtet, nicht zu zeigen, was er von unserem eigenmächtigen Handeln hielt.
Jedenfalls bei den ersten Malen. Irgendwann hatte er es aufgegeben, und das waren Situationen, in denen seine Verärgerung mehr als berechtigt gewesen war. Ich konnte in den letzten sechs Monaten schlecht etwas verbrochen haben – Evan dafür schon. Und von unserem ersten Treffen an hatte er mich zuverlässig in seine Schwierigkeiten mit hineingezogen.
»Setzt euch«, sagte Keldan. Er selbst blieb stehen, während Evan und ich uns in stummem Einvernehmen bei der Tür niederließen und Skadi sich einen Platz gegenüber von uns suchte.
Ich überlegte, ob das schon der Zeitpunkt war, mich von allem Folgenden ausdrücklich zu distanzieren.
Skadi fing meinen Blick auf. »Du bist nur hier, um uns zu sagen, ob Evan ehrlich antwortet oder nicht«, sagte sie. »Es passt perfekt, dass du gerade heute zurückgekommen bist.«
Das steckte also dahinter. Ich seufzte und war nicht sicher, ob ich es vor Erleichterung oder Frustration tat. Als Evan mich bei sich aufgenommen und um meine Hilfe gebeten hatte, war es auch nur gewesen, weil ich Lüge von Wahrheit unterscheiden konnte. Aber etwas hatte sich geändert. Ich hatte mich verändert. Ich war nicht mehr bereit, wahllos für jeden das Orakel zu spielen.
»Wenn das hier ein Verhör werden soll, sage ich gar nichts«, kam mir Evan zuvor. Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme und setzte jene Miene auf, die er sich genau für solche Situationen zurechtgelegt zu haben schien: eine Augenbraue erhoben und der Anflug eines spöttischen Lächelns auf den Lippen. Der Ausdruck eines Mannes, der genau wusste, dass seine Ankläger mit ihrem Verdacht richtig lagen, aber nichts beweisen konnten.
»Kein Verhör«, sagte Keldan. »Wir haben nur ein paar Fragen, das ist alles.« Er stellte sich neben Skadi und musterte Evan aufmerksam. »Du erinnerst dich sicher an die Tunnel unter der Stadt, durch die wir gemeinsam vor einem halben Jahr geflohen sind. Irgendjemand treibt sich dort unten herum.«
»Und ich...
Erscheint lt. Verlag | 10.2.2023 |
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Reihe/Serie | Die Wächter von Brient | Die Wächter von Brient |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller | |
Schlagworte | COSY • Fantasy • Fantasykrimi • Magie • Vampir • Wächter |
ISBN-10 | 3-7578-8885-5 / 3757888855 |
ISBN-13 | 978-3-7578-8885-5 / 9783757888855 |
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