Die Ermittlungen von Kommissar Liewe Cupido, gebürtiger Deutscher, aber auf Texel aufgewachsen und darum »der Holländer« genannt, führen von einem Tauchclub auf Terschelling über einen Wohnungseinbruch auf Föhr bis zu einem Familiendrama in Wilhelmshaven.
Je näher Cupido dem Täter kommt, desto mehr wird er in einen Fall verwickelt, in dem Väter und Söhne versuchen, einander zu beschützen, bis zum Äußersten.
Mathijs Deen, geboren 1962, ist Schriftsteller und Radioproduzent. Er veröffentlichte Romane, Kolumnen und einen Band mit Kurzgeschichten, der für den renommierten AKO-Literaturpreis nominiert war. 2018 wurde ihm für die literarische Qualität seines Werks der Halewijnpreis verliehen. Bei mare erschien von ihm zuletzt 2022 »Der Holländer«, der erste Fall für Liewe Cupido, der von Publikum und Presse begeistert aufgenommen wurde.
Andreas Ecke, 1957 in Wuppertal geboren, studierte Germanistik, Niederlandistik und Musikwissenschaft. Er übertrug u. a. Bücher von Geert Mak, Cees Nooteboom und Bert Wagendorp ins Deutsche. Für seine Übersetzung des Romans Oben ist es still von Gerbrand Bakker erhielt er 2010 den Else-Otten-Übersetzerpreis, 2016 wurde er mit dem Europäischen Übersetzerpreis ausgezeichnet. Für mare übersetzte er u. a. die bisher erschienenen Bücher von Mathijs Deen.
2 Donnerstag
Christine hat jemand anderen erwartet. Als sie die Haustür öffnet und die Polizisten sieht, trübt sich ihre Miene deshalb rasch ein, von freudiger Erwartung zu Unverständnis und gleich darauf Mutlosigkeit.
»Doch nicht wieder«, sagt sie.
»Frau Matz?« Der Ältere der beiden ergreift das Wort. Seine Kollegin, eine kräftige Frau, die breitbeinig hinter ihm steht, macht sich noch breiter, indem sie die Hände in die Hüften stemmt. Vor der tief stehenden Sonne verdunkeln die beiden den Hauseingang.
»Was hat er denn jetzt wieder angestellt?« Christine sucht Halt am Türrahmen und blickt die Polizeibeamten fast flehend an.
»Sie sind die Mutter von Johannes Matz?«
Eine eigentlich überflüssige, nur der Form halber gestellte Frage. Die beiden kommen nicht zum ersten Mal. Christines Sohn Johannes, von seinen Eltern seit jeher Johnny genannt, ist Ende vergangenen Jahres von denselben Beamten abgeholt und in die Polizeiinspektion gebracht worden. Damals war sogar eine Kriminalbeamtin dabei, Schulze hieß sie. Fast eine Woche war Johnny in Untersuchungshaft. Jetzt wartet er zu Hause auf seinen Prozess. Er wird beschuldigt, Hauke Mauer, einen Jungen aus demselben Viertel, ein Jahr jünger als er, vorsätzlich so schwer verletzt zu haben, dass er wohl nie wieder ganz gesund werden wird.
»Ich heiße nicht mehr Matz, das habe ich Ihnen doch beim letzten Mal schon gesagt«, erwidert Christine und streicht sich mit der Hand über die Stirn. »Und mein Sohn ist bei seinem Vater, auf Föhr.«
Das bringt die Beamten aus dem Konzept. Christine späht an ihnen vorbei in beiden Richtungen die Straße hinunter.
»Ich erwarte jemanden«, erklärt sie, »und es ist mir unangenehm, wenn Sie dann hier vor der Tür stehen.«
»Wann ist Ihr Sohn nach Föhr gefahren?«, fragt die Beamtin, die ihre Hände jetzt nicht mehr in die Hüften stemmt.
Christine schüttelt den Kopf, als wollte sie einen Gedanken vertreiben. »Gestern«, antwortet sie. »Nein, am Tag davor«, korrigiert sie sich dann, »vorgestern. Was haben wir heute? Donnerstag? Am Dienstagvormittag hat mein Ex-Mann ihn abgeholt, mit dem Boot. Sie waren im Nassauhafen verabredet.«
»Ihr Sohn war also in der vergangenen Nacht nicht in Wilhelmshaven?«
»Er ist auf Föhr, bei seinem Vater …« Sie seufzt, löst sich vom Türrahmen und tritt einen Schritt zurück. »Kommen Sie doch herein, wenn Sie mir nicht glauben. Sehen Sie in seinem Zimmer nach. Sie kennen ja den Weg.« Sie deutet mit dem Kopf auf eine Tür, die von der Diele in ein Zimmer führt. Johnnys Zimmer.
Doch das ist gar nicht nötig. Die Tür wird geöffnet, und Johnny selbst erscheint, im grauen Jogginganzug, Telefon in der Hand, Ringe unter den Augen. Flaum auf der Oberlippe macht die Mundwinkel ein wenig dunkler.
»Wieso bist du hier?!«, bringt Christine mühsam hervor. »Du solltest doch bei deinem Vater sein!«
»Johnny, du kommst mit«, sagt der Polizeibeamte.
Johnny zuckt mit den Schultern. »Warum?«
»Du stehst im Verdacht, an dem Anschlag mit der Benzinbombe vergangene Nacht beteiligt gewesen zu sein.«
»Was für ’ne Benzinbombe?« Johnny starrt auf sein Telefon und tippt darauf herum. »Wer hat das gesagt?«, fragt er, ohne aufzublicken.
»Ich hab dich was gefragt!«, sagt Christine nun laut und energisch. »Wieso bist du hier?!«
»Bin zurückgefahren«, antwortet Johnny. »Hab die Schnauze voll von fucking Föhr.«
»Du kommst mit auf die Inspektion«, wiederholt der Beamte. Er betritt die Diele. Johnny blickt von seinem Smartphone auf. »Ich geh nirgendwo hin«, erklärt er. »Und schon gar nicht mit Ihnen. Wie kommen Sie dazu, mir hier zu Hause Stress zu machen? Lasst mich in Ruhe, ihr Loser.« Christine stellt sich zwischen den Polizisten und ihren Sohn.
»Sei nicht so unhöflich und geh in dein Zimmer«, sagt sie über die Schulter, schiebt Johnny rückwärts ins Zimmer und zieht die Tür zu.
»Es gibt Videoaufnahmen von dem Anschlag, Frau Matz«, sagt der Beamte, der jetzt mitten in der Diele steht. Auch seine Kollegin kommt herein.
»Was genau ist denn nun wieder passiert?«, fragt Christine.
»Vergangene Nacht ist vor dem Haus der Familie Mauer ein Molotowcocktail explodiert. Unter dem Auto der Familie. Das hat gebrannt und konnte gerade noch rechtzeitig gelöscht werden, sonst wäre noch viel Schlimmeres passiert. Auf den Aufnahmen ist ein Motorroller mit zwei jungen Männern zu sehen. Der hintere hat die Benzinbombe geworfen, und den Fahrer hat der Sohn der Mauers als Ihren Sohn identifiziert.«
»Der Sohn der Mauers? Der ist doch im Rehazentrum!?«
»Nein, nicht der Sohn, den Johannes zusammengeschlagen hat, sondern sein älterer Bruder.«
Die Zimmertür wird geöffnet, und Johnny erscheint.
»Hat Peter das gesagt, der Flachwichser?«
»Bleib in deinem Zimmer!«, schreit Christine. Sie schiebt ihn zurück und schließt die Tür mit einem Knall.
»Mein Sohn war auf Föhr«, sagt sie mit Nachdruck. »Er hat ausnahmsweise einmal nichts angestellt.« Sie dreht sich um und brüllt in Richtung Tür: »Ausnahmsweise!« Nach kurzem Nachdenken wendet sie sich wieder langsam den Beamten zu und sagt: »Mein Mann kann das bestätigen.«
»Ihr Ex-Mann.«
»Mein Ex-Mann, ja.«
Sie schaut dem Beamten einen Moment in die Augen, sucht dann Blickkontakt mit seiner Kollegin hinter ihm, doch Anzeichen von Verständnis findet sie auch bei ihr nicht. »Ich rufe ihn jetzt an«, sagt sie und öffnet Johnnys Tür. Ihr Sohn steht mitten im Zimmer, das Smartphone in der Hand. Es ist dunkel, die Vorhänge sind zugezogen.
»Gib mir dein Telefon«, sagt Christine.
»Warum«, erwidert er, »was willst du damit?«
»Ich rufe deinen Vater an.« Sie nimmt das Telefon, probiert irgendetwas aus, das nicht klappt, gibt es zurück. »Ruf du ihn an«, sagt sie, »schalte den Lautsprecher ein, gib es dann mir. Das heißt, wenn der Mistkerl sein Telefon eingeschaltet hat.«
Johnny tippt etwas ein, das Telefon bleibt erst einmal stumm.
»Er ist oft mit dem Boot auf See und taucht«, sagt Christine, während sie das Smartphone anstarrt. »Es ist übrigens mein Boot.« Dann ertönt doch das Freizeichen. »Gib her.« Sie reißt Johnny das Smartphone aus der Hand. Zu viert horchen sie auf den Freiton. Viermal … fünfmal … Als sich die Mobilbox einschaltet, nimmt Johnny ihr das Telefon ab und wählt erneut. Wieder ertönt das Freizeichen, doch niemand meldet sich. Johnny grinst die Polizisten an.
»Wir verfolgen das auf der Inspektion weiter«, erklärt der Beamte. »Entweder du kommst friedlich mit, oder die Sache wird unangenehm. Mitkommen wirst du so oder so.«
»Ihr haltet euch für schlau, was«, sagt Johnny und macht einen Schritt rückwärts, aus dem Telefon erklingt weiterhin das Freizeichen. »Aber ich bin viel schlauer als ihr beide zusammen, ihr Nullchecker.«
Bevor der Beamte etwas erwidern kann, wird der Anruf entgegengenommen.
»Hallo …?«
Es ist eine Männerstimme. Im Hintergrund ist ein Rauschen zu hören, wie von einer Brandung.
»Jan?«, fragt Christine.
»Hvem taler jeg med? Hallo?«
»Wer ist da? Jan Matz?«
»Jeg ved ikke …«
»Ist das Friesisch?«, fragt der Polizeibeamte.
»… telefonen lå her på stranden … jeg tog den op …«
Der Beamte beugt sich zum Telefon hinunter und sagt: »Hello, sir, where are you? Are you on Föhr?«
Am anderen Ende werden ein paar Worte gewechselt, jemand anders übernimmt das Telefon.
»Hallo?«
»Wer sind Sie?«, fragt Christine.
»The phone was on the beach, in a plastic bag«, sagt eine Frauenstimme mit dänischem Akzent.
»Where are you?«, fragt der Polizeibeamte noch einmal.
»Bulbjerg«, antwortet die Frau nach kurzem Zögern. »Close to Hanstholm.«
»This is the Police of Wilhelmshaven. Please, bring the phone to the police of Hanstholm«, sagt der Beamte. »Thank you … äh … tak.«
Es wird aufgelegt. Christine schüttelt den Kopf und schaut Johnny an, der sie mit seinen siebzehn Jahren schon ein gutes Stück überragt. Doch er erwidert den Blick nicht. Er starrt aufs Smartphone, kehrt in sein Zimmer...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2023 |
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Übersetzer | Andreas Ecke |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Amrum • Band 2 • Borkum • Der Holländer • Ermittler • Grenzroman • Holland • Kommissar • Krimi • Liewe Cupido • Niederlande • Schiffswrack • Tauchen • Whodunit • Wrack |
ISBN-10 | 3-86648-821-1 / 3866488211 |
ISBN-13 | 978-3-86648-821-2 / 9783866488212 |
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