»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956 (eBook)

(Autor)

Noah Willumsen (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1., Originalausgabe
400 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76812-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»Unsere Hoffnung heute ist die Krise« Interviews 1926-1956 - Bertolt Brecht
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Bertolt Brecht besaß, wie ein Zeitgenosse einmal bemerkte, die »seltene Gabe, ein Gespra?ch mit pra?zisen, drastischen Formulierungen bei den Fragen festzuhalten, auf die es heute ankommt«: Wie bekämpft man die Dummheit? Was setzt man dem Faschismus entgegen? Wie sieht eine neue Welt aus? Egal welche Fragen man an Brecht hat: In diesem Buch findet man seine überraschenden Antworten.

In 91 hier erstmals versammelten, größtenteils unbekannten Interviews, die sich über 15 Länder und eine ganze Karriere erstrecken, zeigt sich der große Klassiker der Moderne als wortmächtiger Medienkünstler. Sie rücken sein Werk nicht nur in ein neues Licht ? sie bilden einen unkartierten Teil dieses Werkes selbst.



<p>Bertolt Brecht wurde am 10. Februar 1898 in Augsburg geboren und starb am 14. August 1956 in Berlin. Von 1917 bis 1918 studierte er an der Ludwig-Maximilians-Universität München Naturwissenschaften, Medizin und Literatur. Sein Studium musste er allerdings bereits im Jahr 1918 unterbrechen, da er in einem Augsburger Lazarett als Sanitätssoldat eingesetzt wurde. Bereits während seines Studiums begann Brecht Theaterstücke zu schreiben. Ab 1922 arbeitete er als Dramaturg an den Münchener Kammerspielen. Von 1924 bis 1926 war er Regisseur an Max Reinhardts Deutschem Theater in Berlin. 1933 verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete über Prag, Wien und Zürich nach Dänemark, später nach Schweden, Finnland und in die USA. Neben Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. 1948 kehrte er aus dem Exil nach Berlin zurück, wo er bis zu seinem Tod als Autor und Regisseur tätig war.</p>

Vorrede


Die erste Spur von Bertolt Brechts Interviews findet sich in einem Tagebucheintrag von Elisabeth Hauptmann am 13. Januar 1926: »Interview mit Brecht?« Aus den knappen Notizen von Brechts Mitarbeiterin ist ihre Verunsicherung noch herauszulesen: »Warschauer interviewt ihn f. ›Literarische Welt‹. Wie interviewt man. Fragen« (BBA 0151/004).1 Die Fragen betreffen weder die Zeitschrift Die literarische Welt, in deren neuester Ausgabe Brechts Großer Dankchoral erschienen war, noch den Journalisten Frank Warschauer, der zu Brechts ersten Berliner Bekanntschaften zählt. Was Brecht und Hauptmann in Aufregung versetzt, ist das Interview selbst: Neumodisch und rätselhaft bricht es als publizistische Zumutung in den Schriftstelleralltag hinein. Wie interviewt man? Die Frage setzt eine Reflexion über Medien und ihre Möglichkeiten in Gang, für die Brecht bis zu seinem Tod die geeignete Praxis suchen wird.

Obwohl es sich schon einen Platz auf der Zeitungsseite erobert hatte, befand sich das Interview noch in einer Phase seiner Entwicklung, in der Rollen nicht festgeschrieben, Erwartungen unklar und Grenzen kaum abgesteckt waren. Große Spielräume standen all jenen offen, die bereit waren, sich auf ein Experiment einzulassen, und genauso geht Brecht vor. Eine erste Versuchsanordnung hält Hauptmann einige Tage später, am 18. Januar fest:

 

Was soll im Theater gespielt werden?

Was wert ist, dass man sich 2 Stunden damit befasst.

Wir sind in den alten Theatern ebenso wenig am Platze wie Jack Dempsey bei einer Rauferei in einer Kneipe voll zur Geltung kommen kann. Da haut ihm einer einfach einen Stuhl über den Kopf + er ist k. ‌o.

Ebenso peinlich ist es, wenn sie, wenn sie ein Stück von uns in den Fingern haben, sich damit abplagen, es möglich. hellblau zu spielen, wo doch rosa gemeint war.2

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

Was haben Sie gegen den Vorwurf zu erwidern: Sie stammeln!

Kein Mensch kann doch klarer sein.

Mein[e] Sprache ist mehr als deutlich, grammatisch vollkommen intakt + übersichtlich. Was ich sage, ist ebenso intakt + übersichtlich. Ich sage nur das, was ich ganz klar im Kopfe habe, und ich schreibe nur das, was ich sage. Meine Sekretärin kann das bezeugen. Bei mir ist alles auf den Gestus gestellt, deshalb muss es deutlich sein, ganz einfach.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Wir passen nicht in diese Häuser! Wir haben einen anderen Geist. Wir halten unsere Zigarren anders als ihr. (BBA 0151/006-007)

 

In diesem ersten, hypothetischen Interview erprobt Brecht eine Gesprächstechnik, die auf ein unsichtbares, abwesendes Publikum einwirken soll. Der Dialog gerät zum komödiantischen Schlagabtausch, in dem die Fragen nur als Anlass für zitierfähige Pointen dienen, die am Interviewer vorbei an die breite Leserschaft gerichtet werden. In jeder Antwort versucht Brecht seine ganze Ablehnung des gegenwärtigen Theaters und der Gesellschaft, für die es steht, zu verdichten.

Am 26. Januar listet Hauptmann eine Reihe möglicher Fragen auf:

 

Was möchte[n] Sie gern beherrschen? Ausser Schriftstellern. Zu Ihrem Spaß u. Ihrer Erholung?

Was halten Sie vom Untergang des Abendlandes3 + von der Zukunft Amerikas –?

Was halten Sie für das Allernotwendigste, was die gegenwärtige Theaterkrise angeht.

Das Theaterelend in Ihrer Formulierung. (BBA 0151/009)

 

Was Brecht zu erwidern plante, wird nicht mitüberliefert, aber seine Bedenken und Hoffnungen gehen unmissverständlich aus den Fragen hervor. Er registriert die Gefahr einer Banalisierung durch ein Gesprächsformat, das in erster Linie Menschliches widerspiegeln will, findet jedoch schnell zu den großen Themen der 1920er Jahre, die ihn mit einer breiten Zeitungsöffentlichkeit verbinden: der Bruch mit der Vergangenheit, das Krisenbewusstsein der Gegenwart, die Zukunft von Kunst und Kultur.

*

Wie Brecht »[v]on der Spekulation zum Experiment« (BFA 21, S. 459) überging, davon erzählen die hier zum ersten Mal versammelten 91 Interviews.4 Zwischen 1926 und seinem Tod dreißig Jahre später entwickelte sich Brecht buchstäblich zu einem der gefragtesten Autoren seiner Zeit. Dass seiner herausragenden Medientätigkeit bisher nicht Rechnung getragen wurde, gehört zu den Rätseln seiner Rezeptionsgeschichte.

Sicherlich hat es Brecht, wie sich Hanns Otto Münsterer erinnerte, »seinen Interviewern nicht immer leicht gemacht«, sie »oft gründlich verulkt« (Münsterer 1966, S. 5). In späteren Jahren kultivierte er sogar den Ruf, »Interviews konsequent zu fliehen« (→ S. ), und mindestens ein gutgläubiger Journalist war überzeugt, Brecht würde alle, die ihn interviewen wollten, mit dem Ruf »Ich hasse Sie!« empfangen (→ S. ). Die Gesprächsbereitschaft, mit der er seinen Interviewer:innen begegnete, straft diese Gerüchte Lügen, aber nach seinem Tod galt seine Öffentlichkeitsscheu bald als verbürgte Tatsache.5 So kam es, dass während Brechts Bekannte die Legende von seiner privaten Gesprächskunst weiter pflegten (»lebhaft, klar, elektrisierend, daß man einfach mitgerissen wurde«6), die Dokumente seiner öffentlichen Äußerungen langsam aus dem Gedächtnis verschwanden.

Doch im Laufe der Zeit häuften sich vereinzelte Hinweise, hilfreiche Anhänge und schwer zuzuordnende Zitate; gleichwohl kam es zu keiner systematischen Bergungsarbeit, die das knappe Dutzend nachgedruckter Interviews in ihren eigentlichen Kontext gestellt hätte.7 Kontur und Größe des Gegenstands verwischten.

Die sprachliche und geografische Streuung seiner Gespräche hat ihre Wahrnehmung sicherlich gehindert. Die hier abgedruckten Interviews erschienen ursprünglich in elf Sprachen und wurden in 15 Ländern publiziert: Brasilien, Dänemark, Deutschland (Deutsches Reich, ABZ, BBZ bzw. BRD und SBZ bzw. DDR), England, Finnland, Frankreich, Italien, Österreich, Polen (2. Republik und Volksrepublik), Schweden, die Schweiz, die Tschechoslowakische Republik, die UdSSR und die USA. Weitere belegte, aber bisher nicht auffindbare amerikanische, tschechoslowakische und niederländische Interviews lassen vermuten, dass die tatsächliche Anzahl um die 100 liegt.

Mit Ausnahme seiner schriftstellerischen Anfänge in Augsburg und München gab Brecht in jeder Phase seiner Karriere Interviews. Während der Weimarer Republik kam es zu 15 Gesprächen (1926-1932), für die ein streitlustiger publizistischer Enthusiasmus und das Experimentieren mit dem neuen Medium Rundfunk (→ S. , , , , ) bezeichnend sind. Obwohl Brecht in diesen Jahren nur ein Interview außerhalb Deutschlands gab (in der UdSSR, → S. ), wurden zwei seiner frühsten Berliner Interviews für ausländische Zeitungen geführt (Italien und Polen, → S. , ).

Die nächste Phase, die mit seiner Flucht einsetzt und bis zur Rückkehr nach Europa andauert (1933-1947), umfasst 26 Pressegespräche, die alle Stationen von Brechts Exil nachzeichnen: die vielen Umzüge und Neuanfänge und die wenigen Inszenierungen und Literaturabende, zu denen er anreist; in den USA wurde er allerdings nur sporadisch um Kommentar gebeten.

In der Nachkriegszeit (1947-1949), die Brecht hauptsächlich in der Schweiz verbrachte, kehrt sich dieses Verhältnis um: Brechts Wohnstätten und Inszenierungen werden nun zu Wallfahrtsorten für Journalist:innen aus der Schweiz, aus Deutschland, Italien und Polen. Dadurch, sowie durch eine medienwirksame Reise nach Berlin, entstehen in kurzer Abfolge zwölf weitere Interviews.

Die letzte und ergiebigste Periode beginnt mit seiner Übersiedlung in die SBZ bzw. spätere DDR (1949-1956). Diese 38 Gespräche gehören zu einer neuen Epoche in der Geschichte der Form des Interviews, die umfassender und offener wird. Brecht beschäftigt sich wieder ...

Erscheint lt. Verlag 13.2.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Schlagworte aktuelles Buch • Bertolt Brecht • Brecht • bücher neuerscheinungen • Dramatiker • Episches Theater • Interviews mit Bertolt Brecht • Literaturwissenschaft • Neuerscheinungen • neues Buch • ST 5159 • ST5159 • suhrkamp taschenbuch 5159
ISBN-10 3-518-76812-3 / 3518768123
ISBN-13 978-3-518-76812-9 / 9783518768129
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