Verderben (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

Susann Rehlein (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
464 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30897-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verderben -  Karin Smirnoff
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Der Nr.-1-Bestseller aus Schweden: Salander und Blomkvist ermitteln wieder!
Mikael Blomkvist reist von Stockholm in den hohen Norden zur Hochzeit seiner Tochter. Im Zug erfährt er von Entwicklungen, die den Enthüllungsjournalisten neugierig machen: Abseits des medialen Rampenlichts tobt dort oben ein Kampf internationaler Firmen um natürliche Ressourcen und Billigstrom. Zur selben Zeit begibt sich Lisbeth Salander nach Nordschweden, um ihre Nichte kennenzulernen. Die junge Svala hat sich geschworen, ihre verschwundene Mutter, eine Sami, zu finden und sich endlich gegen ihren Stiefvater zu wehren. Denn wie ihre Tante ist Svala furchtloser und genialer, als sie aussieht. Nach Jahren treffen Salander und Blomkvist wieder aufeinander und befinden sich bald im Auge eines Sturms.

»Die Staffelübergabe von David Lagercrantz an Karin Smirnoff ist ein Geniestreich. Niemand hätte es besser machen können. Außer Stieg Larsson selbst.« Upsala Nya Tidning

Karin Smirnoff, geboren 1964 in Umeå, ist durch ihre Romane um die Figur Jana Kippo eine der bekanntesten Autorinnen Schwedens. Ihr Debüt 'Mein Bruder' war für den bedeutenden August-Preis nominiert. Zuvor hat sie u.a. als Journalistin, Altenpflegerin und Karatelehrerin gearbeitet. Bereits der Auftakt zur ihrer neuen Millennium-Trilogie, die die Erfolgsreihe von Stieg Larsson fortsetzt, war in Schweden ein Nr.-1-Bestseller. Allein in Deutschland haben sich die Romane um Blomkvist und Salander 10 Millionen Mal verkauft. Smirnoff und Larsson stammen aus derselben Region in Nordschweden.

1. Kapitel


Der Reiniger sieht auf die Uhr. Seit er die Fleischstücke auf dem Luderplatz verteilt hat, sind einundvierzig Sekunden vergangen, als der erste Adler, ein Weib, darauf herabstürzt.

Er weiß nie, woher genau das Tier kommt. Es mag in der Nähe in einem Baum sitzen oder kilometerhoch über ihm kreisen. Mit seiner Sehkraft – zweihundertmal besser als die des Menschen – erkennt es seine Beute aus Tausenden Metern Entfernung. Der Reiniger sitzt gut fünfzig Meter vom Luder weg in einem Unterstand und beobachtet die Atzung durchs Fernglas.

Der Adler in der Edda. Aar. Die Zuneigung, die er für die Vögel verspürt, hat absolut nichts Väterliches. Damit kennt er sich nicht aus. Trotzdem empfindet er sie eindeutig als seine Schützlinge.

Er denkt an sie, bevor er einschläft und kaum dass er wach wird. Bei all seinen Verrichtungen – beim Holzspalten, Kochen, Einheizen. Haben sie sich gepaart? Überleben die Jungen? Finden sie genug zu fressen? Ja. Mit seiner Hilfe und in einem anständigen Wühlmausjahr kommen sie durch den Winter.

Mit dem Fingerknöchel reibt er sich über die Augen. Die Sonne steht inzwischen höher und wärmt ihm den Rücken, vielleicht zum letzten Mal in diesem Herbst, aber das ist unerheblich. Sein Haus steht in einem vergessenen Winkel der Welt, und Haus ist vielleicht übertrieben: Es ist eine Blockhütte, die leer gestanden hat, seit die letzten Waldarbeiter Anfang der Sechziger abgezogen wurden und man die Gegend als Reservat deklariert hat.

Es ist unwegsam hier – nur dichter Wald, Weiher, sumpfige Abschnitte, Felsen, nirgends eine richtige Straße. Nur die Überreste eines alten Forstwegs, den die Natur sich nach und nach zurückerobert, und ein paar Wildwechsel. Hierher kommt man zu Fuß oder mit einem Quad, aber da muss man sich auskennen.

Die nächste Straße ist gut zehn Kilometer entfernt. Er selbst bewegt sich allenfalls ein, zwei Kilometer im Umkreis seiner Hütte und hat von Anfang an mit Zweigen Markierungen erstellt, um sich nicht zu verlaufen. Er hat hier alles für sich allein: einen Bach zum Angeln, umgestürzte Stämme als Holzvorrat und zur Vogel- und Niederwildpflege geeignete Lichtungen.

Die Hütte ist seine Zuflucht, modernisiert lediglich mit einem kleinen Dieselgenerator, damit er sein Handy aufladen kann. Hier ist er niemand, ein Mann ohne Namen, Her- oder Zukunft. Er lebt nur für den jeweiligen Tag. Geht früh ins Bett, wacht im Morgengrauen auf. Tut, was er tun muss, ohne zu überlegen, ob es richtig ist oder verkehrt. Existiert einfach.

In die Wände der Blockhütte sind Jahreszahlen eingeritzt. Und Namen. Nachrichten von anderen einsamen Männern an die Zukunft. Olof Persson 1881, Lars Persson 1890, Sven-Erik Eskola 1910 und noch ein paar andere. Aber Einsamkeit ist relativ. Monate können vergehen, ohne dass er mit jemand anderem als mit sich selbst, den Vögeln, Bäumen oder sogar mit den Felsbrocken spricht, trotzdem fühlt er sich weniger einsam denn je. Es ist, als hätte ihn die Kindheit eingeholt. Tag für Tag nähert er sich wieder dem Jungen an, der Zuflucht im Wald sucht, der lernt, wie die Welt funktioniert, indem er im Frühling wie erstarrt den Birkhühnern bei der Balz zusieht, der Fürsorge der Fuchsfähe für die heranwachsenden Welpen, dem Treiben der Ameisen oder dem Weg des Borkenkäfers durch den Fichtenstamm.

Der Junge hat einen Vater, einen groß gewachsenen Teufel mit Armen, die überall hinreichen. Der Junge hat eine Mutter, auf die keiner mehr zählt. Der Junge hat einen Bruder. Lauf, sagt der, wenn der Vater nach Hause kommt, und der Junge läuft in den Wald.

Er fängt eine Blindschleiche. Als sie den Schwanz abwirft, fängt er sie abermals ein, zieht sein Messer aus der Scheide, trennt den Kopf vom Körper ab, und alles wird still. Er ist die Stille.

Der Junge legt Kopf und Körper auf einen Stein. Lehnt sich an eine Fichte und wischt das Messer an der Hose ab. Kratzt sich damit über die Fingerkuppe. Die Klinge ist seine Freiheit. Die kann ihm keiner nehmen.

Ein zweiter Adler nähert sich, ein Jungvogel, der weder das weiße Bauchgefieder des endlich geschlechtsreifen Männchens noch dessen gelben Schnabel hat. Vermutlich im Vorjahr geschlüpft. Höchstens zwei, schreibt er in sein Notizbuch. Es ist zwar ungewöhnlich, kommt jedoch ab und zu vor, schreibt er darunter, dass Jungtiere an ihrer Geburtsstätte bleiben, statt weiter in Richtung Süden zu ziehen. Eventueller Defekt oder Krankheit – Fragezeichen. Beobachten – Ausrufezeichen.

Das Adlerweib ist derart beschäftigt, dass es nicht einmal ruft, als sich das Männchen, das erst nur gekreist ist, näher wagt. Es sind sowieso fast nur noch Knochen übrig. Sie lässt ihn gewähren. Sie ziehen und zerren an den letzten Stücken, bis sich das Gewebe löst und die Sehnen wie Spaghetti die Gurgel hinabgleiten.

Binnen weniger Minuten ist der Höhepunkt des Tages vorbei. Der Reiniger legt sein Notizbuch und die Thermosflasche in seinen Rucksack, schultert das Gewehr und robbt aus dem Unterstand. Wie immer will sein rechtes Bein nicht recht mitmachen, er muss es mit beiden Händen drehen, ehe er auf die Füße kommt. Er nimmt den Wildpfad. Dort haben Birke, Erle und Weide bereits ihr Laub abgeworfen. Er pflückt eine Handvoll bittersüßer Preiselbeeren und verzieht das Gesicht. Bittersüß ist auch der Geruch der übrig gebliebenen Fleischstücke, die er in einem Plastikfass mit Deckel aufbewahrt, unter einer Fichte gut versteckt, trotzdem – er hätte sie alle auf einmal auf dem Luderplatz verteilen sollen, aber das kann er nicht. Der Augenblick mit den Adlern bedeutet ihm alles. Nur dafür atmet, isst, schläft, scheißt er. Morgen will er wieder hin, nimmt er sich vor – als das Handy klingelt. Nur eine Person hat seine Nummer. Nur eine Person ruft er selbst jemals an.

»Ja«, sagt er. »Doch. Morgen Vormittag. In Ordnung.«

Der nächste Morgen ist kalt. Er legt ein paar zusätzliche Scheite nach und wärmt sich die Hände am Kaffeebecher. Wenn er es bis zur Landstraße schaffen will, muss er langsam los. Unterwegs kann so einiges passieren. Das Quad kann liegen bleiben, die Piste zu morastig sein.

Die paar Kilometer bis zum Versteck des Quads geht er zu Fuß. Zwar ist es unwahrscheinlich, aber falls doch jemand darüber stolpern sollte, gibt es so keinerlei Verbindung zur Hütte oder zu ihm selbst.

Unterwegs hält er Ausschau nach weiteren Seeadlern. Einer der Horste liegt in seiner Richtung, allerdings ist kein Vogel zu sehen. Schade, es hätte sich gut angefühlt. Nicht dass er sich Gedanken machen würde, trotzdem – ein Seeadler ist ein Zeichen. Ein gutes.

Als er das Quad erreicht, wischt er mit dem Ärmel die Nadelzweige runter, legt seinen Rucksack in die vordere Box und fährt los in Richtung Treffpunkt.

Das Gelände ist gut zu befahren, alles läuft glatt. Er ist zehn Minuten zu früh dran und wartet an einer von der Straße nicht einsehbaren Stelle, ehe er bis vor zum Schlagbaum fährt und wendet.

Der Wagen steht bereits da. Es ist immer derselbe Mann, der mit Nachschub kommt. Der Reiniger kennt ihn nur als den Kurier. Der Kurier kennt ihn nur als den Reiniger. Sie wechseln nur wenige Worte.

»Wer schickt dich?«, fragt er.

Die Antwort beruhigt ihn. Je kürzer die Kette, umso weniger Glieder.

Diesmal hat er um ein paar Sachen für seinen täglichen Bedarf gebeten, eine Flasche Whisky und frische Lebensmittel und wie üblich Tageszeitungen. Er legt alles in seine Box und kehrt zum Wagen zurück.

Der Kurier zerrt den Körper vom Rücksitz.

Eine Frau, das ist ungewöhnlich. Ihre Hände sind hinter dem Rücken gefesselt, und sie hat einen Sack über dem Kopf. Er weiß, dass unter dem Sack Panzertape auf ihrem Mund klebt. Gut, so quatscht sie ihm nicht die Ohren voll.

»Mach mit ihr, was du willst«, sagt der Kurier. »Du hast freie Hand.«

Was immer er will, solange er nur seinen Job macht.

Die Menschen, die seinen Weg kreuzen, haben ihr Schicksal verdient, insofern braucht er kein schlechtes Gewissen zu haben. Er ist kein Triebtäter oder Psychopath, auch wenn ihn andere vermutlich dafür halten würden.

Sie haben einen Deal. Wenn die anderen sich daran halten, tut er das auch.

»Was war es denn diesmal?«, fragt er ausnahmsweise, vielleicht weil es sich um eine Frau handelt. Vielleicht weil der Kurier der Erste seit Langem ist, mit dem er spricht.

»Das Übliche«, antwortet der Kurier. »Mehr weiß ich nicht.« Und der Reiniger glaubt ihm.

Er steigt auf, und der Kurier hilft ihm, den Körper vor sich auf dem Quad zu befestigen. Körper klingt besser als Frau.

»Zieh noch den Spanngurt drüber«, sagt der Kurier. »Oder, Süße? Wir wollen doch nicht, dass du runterfällst.«

Der Reiniger hebt die Hand und fährt los in Richtung Hütte.

Während er sein Gefährt versteckt, lehnt der Körper an einem Baum. Ganz still ist er nicht. Er stößt eine Art schwaches Wimmern aus, wie eine kranke Katze. Kranke Katzen bringt man um. Immer noch keine Seeadler in Sicht.

»Gehen wir.« Er schubst den Körper vor sich her. Der Körper hat keine so gute Kondition wie er selbst. Das letzte Stück tritt er ihm gegen die Fersen, damit die Füße sich vorwärts bewegen.

Er nimmt die Körper sonst nie mit in die Hütte. Dies hier ist eine Ausnahme. Er schubst ihn aufs Bett und holt sich einen Stuhl.

»Erst das Vergnügen, dann die Arbeit, ist das in Ordnung für dich? Und vielleicht ein bisschen einheizen, was meinst du? Ist es hier drinnen kalt?«

Die...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2023
Reihe/Serie Millennium
Millennium
Übersetzer Leena Flegler
Sprache deutsch
Original-Titel Havsörnens Skrik (Millennium 7)
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2023 • Bestseller • Bestseller aus Norwegen • Bestseller aus Schweden • Bestsellerliste • Bestsellerreihe • David Lagercrantz • eBooks • Erneuerbare Energien • Familiendrama • Gewalt gegen Frauen • Greenwashing • Indigene Kulturen Samen • Jana Kippo • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Lappland • lesemotiv nervenkitzeln • Lisbeth Salander & Mikael Blomkvist • Millenium • Millennium Trilogie • Neuerscheinung • Nordschweden • Nr.-1-Bestseller aus Schweden • scandi crime • Schweden • Skandinavische Krimis • spiegel bestseller • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • Stieg Larsson • Thriller • Verfilmung
ISBN-10 3-641-30897-6 / 3641308976
ISBN-13 978-3-641-30897-1 / 9783641308971
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