Das Haus Zamis 58 (eBook)

Schirille
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Aufl. 2023
64 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-4634-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Haus Zamis 58 - Michael M. Thurner
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Das Geschöpf riss verächtlich das Maul auf und präsentierte seine dünne, gespaltene Zunge, die zwischen dunkelgelben Zahnstümpfen umherpeitschte. Ich trat automatisch einen Schritt zurück. Das Wesen, das im Beschwörungskeller unserer Villa erschienen war, wirkte, als wäre es von einem verrückten Chirurgen aus Körperteilen verschiedenster Tiere zusammengesetzt worden. Es besaß einen ziegenähnlichen Kopf mit verdrehten Hörnern und außerdem drei Beine. Der Rumpf jedoch glich dem eines Vogels, und so wie es mit den gerupften Flügeln schlug, war es - zumindest mithilfe seiner magischen Kräfte - vielleicht tatsächlich imstande zu fliegen.
»Coco«, wandte sich mein Vater an mich. »Das ist Schirille. Sie ist eine Habergeiß. Ich werde euch beide mental aneinanderketten. Von jetzt an lässt Schirille dich nicht mehr aus den Augen ...«


1. Kapitel


Sie suchten sich kleinste Lücken, setzten ihre Larven und Eier in verfaulendem Gewebe ab, vermehrten sich und zersetzten seinen Leib.

Irgendwann würden seine Selbstheilungsfähigkeiten an Grenzen stoßen. Dann würde der Körper sterben, das Gehirn vertrocknen und lediglich ein geistiges, heimatloses Irgendwas übrig bleiben. So, wie es sein Bezwinger vorgesehen hatte.

Doch es bestand Hoffnung.

Einen Teil seines Selbst hatte er ... auslagern und in einen fremden Körper transferieren können. Von dort aus betrieb er die Wiedergeburt, die Wiederherstellung.

Der Plan war kompliziert, und es standen ihm viele Widrigkeiten im Weg. Doch er war zuversichtlich, dass alles so funktionieren würde, wie er es sich vorstellte. Schließlich war er einmal einer der mächtigsten Dämonen gewesen, die über die Erde gewandelt waren.

Er musste Geduld haben, und er musste das Ende der Schlacht um seinen Leib so weit wie möglich hinauszögern.

»Ich werde das nicht tun!«

Das Geschöpf riss verächtlich das Maul auf und präsentierte seine dünne, gespaltene Zunge, die zwischen dunkelgelben Zahnstümpfen umherpeitschte. Ich trat automatisch einen Schritt zurück. Das Wesen, das auf Befehl meines Vaters im Beschwörungskeller unserer Villa erschienen war, wirkte, als wäre es von einem verrückten Chirurgen aus Körperteilen verschiedenster Tiere zusammengesetzt worden. Es besaß einen ziegenähnlichen Kopf mit verdrehten Hörnern und außerdem drei Beine. Der Rumpf jedoch glich dem eines Vogels, und so wie es mit den gerupften Flügeln schlug, war es – zumindest mithilfe seiner magischen Kräfte – vielleicht tatsächlich imstande zu fliegen.

»Ich werde das nicht tun«, wiederholte es geifernd und spuckte einen Brocken weißlichen Schleims auf den Boden. Gleichzeitig glitt es so weit zur Wand hin zurück, wie es die Kettenbänder erlaubten, die um seine Füße geschlungen waren. Die Fesseln, aus vertrockneten und magisch ineinander verknoteten Nabelschnüren Neugeborener geformt, raschelten. »Völlig ausgeschlossen. Niemals.«

Mein Vater, der die Angewohnheit besaß, in solchen Situationen leicht die Fassung zu verlieren, sah sich das Gebaren des Vogelwesens mit erstaunlicher Ruhe an. In seinem Blick lag ein beinahe wissenschaftliches Interesse. Jetzt lächelte er schmal. Ich kannte dieses Lächeln. Es war grundsätzlich ein schlechtes Zeichen.

»Und ob du das wirst!«, stellte er leise fest.

Das Vogelwesen duckte sich förmlich, und seine aufgesetzte Protestlaune verflog so schnell, wie sie gekommen war.

»Coco«, wandte sich mein Vater an mich. »Das ist Schirille. Sie ist eine Habergeiß. Bestimmt hast du schon von diesen Wesen gehört.«

Ich musste nicht lange überlegen. Eine Habergeiß war ein gespenstisches, vogelartiges Geschöpf, das nachts in den Wipfeln hoher Bäume schaukelte und Menschen mit schriller Stimme verspottete. Habergeißen gelten als unverwundbar. Ehrlich gesagt hatte ich mir diese Wesen immer etwas imposanter und unheimlicher vorgestellt, aber die Sache mit der schrillen Stimme stimmte schon mal.

»Schirille, du wirst Coco auf ihrer Reise nach Klagenfurt begleiten.«

Das seltsame Wesen mit dem Namen Schirille duckte sich abermals und kratzte sich mit einem seiner drei Beine am Hinterteil. »Wie du wünschst, Herr. Ich füge mich, wenn auch widerwillig! Aber erwarte nicht, dass ich deinem Balg besondere Sympathie entgegenbringe.«

Michael Zamis zuckte mit den Achseln. »Das habe ich nicht verlangt. Du sollst auf Coco achtgeben und mir berichten, wenn sie Unsinn anstellt. Aber du wirst auch ihre Wünsche erfüllen. Zu diesem Zweck werde ich euch mental aneinanderketten.«

Langsam verlor ich die Geduld. Bisher hatte ich nämlich keinen blassen Schimmer, was dieser Auftritt zu bedeuten hatte. Mein Vater hatte mich ohne besonderen Grund in den Beschwörungskeller zitiert, und nun sollte ich plötzlich eine Reise nach Klagenfurt antreten?

»Dürfte ich bitteschön wissen, um was es hier eigentlich geht?«, fragte ich lauter, als es mir im Angesicht meines Vaters zustand. »Und was habe ich mit dieser hässlichen Kreatur zu schaffen?«

»Du wirst nach Klagenfurt reisen, Coco, und Schirille wird dich begleiten. Du hast dort eine Kleinigkeit für mich zu erledigen. Alles, was du wissen musst, erfährst du von ihr.«

Noch bevor ich etwas erwidern konnte, intonierte mein Vater einen Zauberspruch. Ich fühlte, wie etwas zwischen dem Wesen und mir entstand. Eine Verbindung, ein unzertrennliches Band. Von jetzt an würde ich immer wissen, wo sich Schirille befand und ob sie in Schwierigkeiten steckte. Umgekehrt galt natürlich dasselbe.

»Ich erwarte, dass du dich heute noch auf den Weg machst«, sagte mein Vater, nachdem er den Zauber abgeschlossen hatte. »Pack deine Siebensachen und beeil dich. Schirille wird bei eurem Gefährt auf dich warten.«

Er klatschte in die Hände, die Fesselung der Habergeiß löste sich auf. Das Wesen flatterte mit trägen Flügelschlägen an mir vorbei. Es hinterließ einen stechenden, tranigen Geruch.

»Schirille besitzt vielerlei Begabungen«, erklärte mein Vater. »Mit ihren Fähigkeiten kann sie dir in größter Not eine Hilfe sein.« Mit diesen Worten nickte er mir zu und verließ den Arbeitsraum.

Ich folgte ihm seufzend. Ich kannte die Launen meines Vaters und wusste, wann es sich lohnte, ihm zu widersprechen, und wann nicht. Es lohnte sich nie. Seine Stimmung schwankte meist zwischen düster und ganz düster. Heute war wohl einer seiner schlechteren Tage. Ich tat gut daran, nicht weiter in ihn zu dringen, sondern stattdessen zu gehorchen. Hastig eilte ich nach oben, in mein Zimmer, und raffte die notwendigsten Habseligkeiten zusammen.

Klagenfurt?

Was hatte die Schwarze Familie in der Kärntner Landeshauptstadt zu schaffen, und worin bestand das besondere Interesse meines Vaters? – Nun, ich würde meine Antworten von Schirille erhalten.

Ich verabschiedete mich in aller Eile von meinem Bruder Georg und von Mutter. Mein Vater ließ sich nicht mehr blicken. Doch als ich vom Vorhof unserer Hietzinger Villa nach oben sah, hoch zu den verdunkelten Mansardenfenstern des ersten Stocks der Gründerbau-Villa, konnte ich seine Präsenz spüren.

Er ließ mich wissen, dass er sich unbedingt einen Erfolg von meiner Mission erwartete. Seine Forderung drückte mir aufs Gemüt. Nur allzu deutlich schwang ein »Sonst-kannst-du-was-erleben« in seiner gedanklichen Botschaft mit.

Ein khakifarbener Jeep glitt aus der Garage, die Fahrertür öffnete sich wie durch Geisterhand. Ich war nicht überrascht, einen leeren Fahrersitz vorzufinden. Der Motor lief bereits. Es war, als könnte mein Vater es gar nicht abwarten, mich endlich los zu sein.

»Das wird aber auch Zeit!«, klagte Schirille prompt. »Ich dachte schon, wir würden diese schreckliche Gegend überhaupt nicht mehr verlassen.« Die Habergeiß ließ sich auf dem Beifahrersitz nieder und schnalzte wieder mit der Zunge. Ich sah, dass sie gerade auf einem undefinierbaren Brocken aus Fleisch und Sehnen herumkaute, offenbar so eine Art Kaugummi für Habergeißen.

Ich löste die Handbremse und bewegte den Jeep ruckelnd hinein in die Ratmannsdorfgasse.

»Dächer und Mauern«, erklärte Schirille und blickte sich angewidert um. »Häuser. Straßen. Ringsum Dinge, von Menschenhand gefertigt. Kein natürliches Felswerk, keine Feuchtigkeit ...« Schirille furzte. Rotgelber Ausfluss drang unter ihrem struppigen Stummelschwanz hervor und verteilte sich über Sitz und Fell. Ich wandte einen geruchsreinigenden Zauber an, bevor der Würgereiz zu intensiv wurde, und versuchte zu ignorieren, wie sie ihre Ausscheidungen aufzulecken begann. »Ihr Zweibeiner verbergt euch schamhaft hinter Mauern, anstatt die Offenbarungen des Lebens und des Sterbens in vollen Zügen zu genießen«, meckerte sie weiter.

Na, das konnte ja eine schöne Reise werden.

»So? Und was verstehst du unter den Offenbarungen des Lebens und des Sterbens?«, fragte ich wenig interessiert.

»Das Odeur vergehenden Lebens auf Friedhöfen. Das Japsen und Jammern Sterbender. Letzte, röchelnde Atemzüge. Der Schmerz des Todes. Die Erkenntnis in den Augen der Menschen, wenn sie wissen, dass es zu Ende geht.« Schirille wälzte sich auf den Rücken. Ich erblickte drei längliche Euter und eine mit groben Stichen zugenähte Vagina.

Was bezweckte mein Vater, indem er mich mit diesem abscheulichen Wesen zusammenspannte? Hatte er eine weitere neue Form der Demütigung für mich entdeckt, oder steckte ein tieferer Sinn hinter ihrer Begleitung?

Nun – ich würde mir die Antworten später holen. Vorerst konzentrierte ich mich darauf, den Jeep unter Kontrolle zu bekommen. Er war groß, breit, schwerfällig und mindestens 20 Jahre alt. Er besaß keine Servolenkung; das Lenkrad zitterte in meinen Händen. In den schmalen Gässchen Hietzings, in denen man bei Gegenverkehr auf das Gutdünken anderer Autofahrer angewiesen war, musste ich mehr als...

Erscheint lt. Verlag 3.1.2023
Reihe/Serie Das Haus Zamis
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Horror
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2017 • 2018 • Abenteuer • alfred-bekker • Bastei • Bestseller • Coco Zamis • Dämon • Dämonenjäger • dan-shocker • Deutsch • Dorian Hunter • eBook • E-Book • eBooks • Extrem • Fortsetzungsroman • Frauen • Geisterjäger • grusel-geschichten • Gruselkabinett • Grusel-Krimi • Grusel-Roman • Horror • Horror-Roman • horrorserie • Horror-Thriller • john Sinclair • Julia-meyer • Kindle • Krimi • Kurzgeschichten • larry-brent • Lovecraft • Macabros • Männer • morland • neue-fälle • Paranomal • professor-zamorra • Professor Zamorra • Psycho • Roman-Heft • Serie • Slasher • sonder-edition • spannend • Spin-Off • Splatter • Stephen-King • Terror • Thriller • Tony-Ballard • Top • Zaubermond
ISBN-10 3-7517-4634-X / 375174634X
ISBN-13 978-3-7517-4634-2 / 9783751746342
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