Jerry Cotton 3422 (eBook)
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-7517-4481-2 (ISBN)
Bevor sich der Unterweltboss Dennis Chaney aus gesundheitlichen Gründen aus dem aktiven Geschäftsleben zurückzog, rechnete er mit einigen Konkurrenten ab. Das rief Phil und mich auf den Plan. Jedoch nicht nur uns, denn die Angehörigen der Ermordeten wollten Vergeltung. Während wir hinter dem untergetauchten Chaney her waren, wurde der Wagen, in dem er saß, von einer Autobombe zerrissen. Niemand bekannte sich zu dem Anschlag. Vierundzwanzig Stunden nach diesem hinterhältigen Attentat rekrutierte Chaneys Tochter Carlitta eine Killerarmee. Carlittas Ratten zogen nun gegen alle ins Feld, die als Mörder ihres Vaters infrage kamen. Und wir gerieten nicht nur einmal in die Schusslinie!
Carlittas Ratten
Die Tür hätte mir beinahe die Nase gebrochen. Sie flog mit bedrohlichem Schwung auf mein Gesicht zu. Wenn ich nicht blitzschnell einen Fuß vorgestellt hätte, hätte das katastrophale und höchstwahrscheinlich auch bleibende Auswirkungen auf mein Profil gehabt.
»Hey! Hey! Hey!«, machte ich meinem Ärger Luft. »Was sind denn das für Manieren?«
»Ich hab gesagt, ich will niemanden sehen«, maulte Skip Skelton. »Was war daran nicht zu verstehen, Mann?« Er war mal wieder blau. Das war er oft. Er liebte harte Getränke, und sie liebten offensichtlich ihn. »Nie-man-den!«, erklärte er mit schwerer Zunge und betonte dabei jede einzelne Silbe. »Das schließt alle ein, gilt also auch und vor allem für FBI Agents!«
Ich setzte mich über seine brüskierende Ablehnung ungerührt hinweg, drückte die Tür zur Seite und knurrte: »Wir müssen mit dir reden, Skip!«
Es war eine typische Messiewohnung, die wir betraten. Skip Skelton hatte den starken Drang, Gegenstände jeder Art anzuhäufen und aufzubewahren.
Leute wie ihn quält es, sich von irgendwas zu trennen. Sie wollen nicht einmal darüber nachdenken, haben eine veränderte Informationswahrnehmung.
Das ist krank und gehört psychotherapeutisch behandelt. Aber das war nicht der Grund für unseren Besuch.
Phil zeigte ernst auf den Alkoholisierten. »Du weißt schon, dass es als schwere Körperverletzung geahndet wird, wenn man jemandem das Nasenbein bricht, oder?«
Der rothaarige Skip Skelton senkte schuldbewusst das Haupt.
»Tut mir leid«, sagte er. »Das wollte ich nicht.«
Mein Partner wackelte vorwurfsvoll mit dem Kopf. »Tätlicher Angriff auf einen FBI-Beamten ...«
Skelton verdrehte die glasigen Augen. »Meine Güte, ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut. Mir ist die Tür ausgerutscht. Das kann vorkommen. Daraus muss man nicht gleich ein Drama machen. Es ist ja schließlich nichts passiert.«
»Es hätte allerdings etwas passieren können«, ließ Phil nicht locker. Offenbar wollte er Skeltons schlechtes Gewissen wach halten.
Der Gewohnheitstrinker breitete defätistisch die Arme aus. »Und? Wollt ihr mich nun kreuzigen, oder was?«
»Wir suchen Dennis Chaney«, sagte ich.
»Hier?«, fragte Skip Skelton. »Bei mir?«
»Du bist immerhin sein Sohn«, gab Phil trocken zurück.
»Sein Adoptivsohn«, stellte Skelton richtig.
»Okay«, sagte mein Partner. »Sein Adoptivsohn.«
»Ich wohne hier seit vielen Jahren«, nuschelte Skip Skelton.
Das sieht man an dem Müll, der sich in dieser Zeit angesammelt hat, dachte ich.
»Dennis Chaney war noch kein einziges Mal hier«, behauptete der Messie.
Kann ich verstehen, ging es mir durch den Kopf.
»Aber du weißt, wo er ist«, sagte Phil.
Skip Skelton zog die Mundwinkel nach unten. »Wir hatten in letzter Zeit immer weniger Kontakt. Ab und zu telefonieren wir. Das ist alles. Seit ich von zu Hause ausgezogen bin, heiße ich auch nicht mehr Chaney, sondern habe den Mädchennamen meiner Mutter angenommen.«
»Wann hast du zum letzten Mal mit Dennis Chaney gesprochen?«, wollte ich wissen.
Skelton zuckte mit den Schultern. »Ist schon eine Weile her.«
»Hat er dir gesagt, dass er aus gesundheitlichen Gründen aus dem aktiven Geschäftsleben aussteigen und sich ins Privatleben zurückziehen möchte?«, fragte mein Partner.
Skelton sah ihn erstaunt an. »Dennis Chaney ist krank?«
»Man hat bei ihm angeblich während einer Routineuntersuchung einen bedrohlichen Schatten auf der Lunge entdeckt«, sagte Phil.
Skelton schüttelte den Kopf. »Davon weiß ich nichts.«
»Es wird befürchtet, dass er noch mit einigen ungeliebten Konkurrenten abrechnen möchte, ehe er sich in Florida oder Kalifornien zur Ruhe setzt«, sagte ich.
Der rothaarige Adoptivsohn des gesundheitlich angeschlagenen Gangsterbosses nickte. »Er kann bisweilen sehr nachtragend sein.«
»Wir möchten ihm ins Gewissen reden«, sagte ich.
»Wir würden es nämlich nicht gutheißen, wenn er in New York vor seinem Abgang noch für eine erhöhte Sterblichkeitsrate sorgt«, fügte Phil hinzu.
»Das kann ich verstehen«, lallte Skip Skelton. »Aber ich kann euch nicht helfen. Ich habe keinen blassen Schimmer, wo er sich zurzeit aufhält.« Er sah uns mit trübem Blick an. »Würdet ihr mich jetzt bitte allein lassen? Ich fühle mich gerade nicht so besonders.«
»Könntest du ihn telefonisch erreichen?«, fragte ich.
»Wenn, dann ruft er mich an«, lautete Skeltons Antwort. »Umgekehrt ist das nicht möglich. Wart ihr schon bei Carlitta? Sie ist schließlich seine leibliche Tochter. Vielleicht weiß sie, wo ihr Vater steckt. Ich habe keinen besonders guten Draht zu ihr. Sie konnte mich von Anfang an nicht leiden, hat nie verstanden, dass Dennis der Meinung war, ihr unbedingt einen Bruder aufdrängen zu müssen, damit sie nicht allein aufwachsen muss. Sie hat mir ganz offen und unverblümt ins Gesicht gesagt, dass sie sich als Einzelkind wesentlich wohler gefühlt hätte. Zwischen uns herrscht schon lange Funkstille.«
Wir traten den Rückzug an.
Phil ließ den Blick durch die katastrophale Messiebehausung schweifen. »Schon mal daran gedacht, hier ein bisschen aufzuräumen?«
»Es ist aufgeräumt«, behauptete Skip Skelton.
Ich wollte mir nicht vorstellen, wie es davor ausgesehen hatte.
Er war Kettenraucher gewesen, und seine unmäßige Nikotingenusssucht war nicht ohne Folgen geblieben. Jetzt konnte Dennis Chaney nur hoffen, dass die Angelegenheit für ihn kein viel zu frühes Ende nahm.
Er war schließlich erst achtundfünfzig, fühlte sich abgesehen von den scheußlichen morgendlichen Hustenanfällen relativ gut und hätte noch gerne ein bisschen mehr vom Leben und von seinem vielen jenseits aller Gesetze erworbenen Geld gehabt. Seit die Ärzte ihm gesagt hatten, dass es für ihn nicht fünf Minuten, sondern fünf Sekunden vor zwölf war, hatte er schlagartig zu rauchen aufgehört und seitdem keine Zigarette mehr angerührt. Das schaffte nicht jeder.
Darauf war er stolz. Jetzt »rauchte« er Palitos de Coimbra – Zahnstocher aus dem Holz portugiesischer Orangenbäume. Man sah ihn niemals ohne.
Er knabberte auch in diesem Moment wieder an einem herum, während er in seinem Wagen saß. Jetzt warf er einen Blick auf seine Smartwatch.
Brian Frazer, ein ehrloser, hinterhältiger, dreckiger Halunke, mit dem er noch ein dickes Hühnchen zu rupfen hatte, befand sich seit einer geschlagenen Stunde bei Sona Wilson, seiner fülligen Geliebten.
Frazer hatte ihn vor zwei Monaten skrupellos gelinkt und um eine Dreiviertelmillion gebracht. Das konnte, wollte und würde er ihm nicht verzeihen.
Er war zwar reich, aber wenn man so wie er Geld über alle Maßen liebt, kann man davon nie genug haben. Sona Wilson wohnte in einem schönen großen Haus, das Brian Frazer gehörte, mit viel Glas ringsherum.
Frazers Frau Ethel hatte davon selbstredend keine Ahnung. Weder vom Haus noch von Sona. Sie schwebte auf einer Wolke völliger Ahnungslosigkeit.
Dennis Chaney zog geschmeidige schwarze Lederhandschuhe an, öffnete die Wagentür und stieg aus.
»Du hast genug Spaß mit der Dicken gehabt, Fettverehrer«, murmelte er. »Das war das letzte Mal, dass du dich auf ihrer großen erotischen Nutzfläche voll austoben durftest. Jetzt wird gestorben.«
Wir drehten nach unserem Besuch bei Skip Skelton an ein paar unergiebigen Schrauben. Niemand konnte oder wollte uns helfen.
Die Mauer der Ahnungslosigkeit, des Schweigens, der Zurückweisung, bisweilen sogar der totalen Ablehnung, auf die wir allerorts stießen, war unüberwindbar hoch. Man wollte nicht mit G-men reden und mit ihnen nach Möglichkeit auch nicht gesehen werden, weil das zwangsläufig das Misstrauen der anderen weckte und somit zu unnötigem Ärger führen konnte. Man hätte meinen können, Dennis Chaney wäre lediglich ein Geist. Jemand, den es in Wirklichkeit gar nicht gab. Ein Name – nichts weiter. Frei erfunden.
Wie sollte man so jemanden finden?
Wir stärkten uns in Times-Square-Nähe in der 46th Street East in einem Chophouse mit saftigen Steaks, grünen Bohnen und herrlich krustigen Bratkartoffeln.
Das freundliche Lächeln, das die hübsche blonde, raffiniert geschminkte Kellnerin, deren Dienstkleidungsdekolletée extrem offenherzig war, meinem Partner schenkte, war mehr als nur professionell.
Es sah nach ehrlichem Interesse aus. Phil biss nicht an. Offene Türen einzurennen, war nicht sein Ding.
Gut gesättigt fuhren wir zu Carlitta Chaney, wie es uns Skip Skelton empfohlen hatte. Die Tochter des Unterweltbosses wohnte zwei Straßen von SoHo entfernt in einem weitläufigen Loft. Sie war Künstlerin, malte...
Erscheint lt. Verlag | 17.1.2023 |
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Reihe/Serie | Jerry Cotton |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Schlagworte | 2017 • 2018 • Abenteuer • Action Abenteuer • action romane • action thriller • action thriller deutsch • alfred-bekker • Bastei • bastei hefte • bastei heftromane • bastei romane • bastei romane hefte • Bestseller • Deutsch • eBook • E-Book • eBooks • erste fälle • Fall • gman • G-Man • Hamburg • Heft • Heftchen • Heftroman • heftromane bastei • Kindle • Krimi • Krimiautoren • Krimi deutsch • krimi ebook • Krimi kindle • Kriminalfälle • Kriminalgeschichte • Kriminalgeschichten • Kriminalroman • Kriminalromane • kriminalromane 2018 • kriminalromane deutsch • Krimi Reihe • Krimireihen • krimi romane • Krimis • krimis&thriller • krimis und thriller kindle • Krimi Urlaub • letzte fälle • martin-barkawitz • Polizeiroman • Romanheft • Roman-Heft • schwerste fälle • Serie • Soko-Hamburg • spannend • spannende Krimis • spannende Thriller • Spannungsroman • Stefan Wollschläger • Tatort • Terror • thomas-herzberg • Thriller • Wegner |
ISBN-10 | 3-7517-4481-9 / 3751744819 |
ISBN-13 | 978-3-7517-4481-2 / 9783751744812 |
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