Die Insel der Seelen (eBook)

Sardiniens dunkle Seite
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
544 Seiten
Kampa Verlag
978-3-311-70400-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Insel der Seelen -  Piergiorgio Pulixi
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Die Kommissarinnen Mara Rais und Eva Croce sind nicht begeistert, als sie in die Abteilung für ungeklärte Verbrechen des Polizeipräsidiums von Cagliari im Süden Sardiniens zwangsversetzt werden. Die eine ist gebürtige Sardin, nicht auf den Mund gefallen und damit schon manches Mal angeeckt. Die andere, eine Mailänder Spezialistin für Ritualmorde, steht privat vor einigen Herausforderungen und wurde suspendiert. Das Büro der neu gegründeten Abteilung Cold Cases: ein staubiger Keller voller alter Akten. An der Seite der beiden Ermittlerinnen: der todkranke Moreno Barrali, seinerseits Ispettore capo der Polizia di Stato. Er will in den wenigen Monaten, die ihm noch bleiben, einen alten Fall lösen: Vor Jahrzehnten wurden zwei Frauen am Tag der Toten in der Nähe von nuraghischen Brunnentempeln brutal ermordet. Ritualmorde, denkt Moreno Barrali. Doch seine Vorgesetzten glauben nicht an seine Theorie. Das Team begibt sich auf die Spur eines uralten Kults - und auf einmal wird der Cold Case brandheiß: Eine zweiundzwanzigjährige Frau ist seit einigen Tagen spurlos verschwunden. Ein drittes Opfer?

Piergiorgio Pulixi, 1982 in Cagliari, Sardinien, geboren, arbeitete als Buchhändler, ehe ihn Stephen Kings Memoiren Das Leben und das Schreiben dazu ermutigten, selbst Schriftsteller zu werden. Pulixi war Schüler des italienischen Krimiautors Massimo Carlotto und Mitglied des von Carlotto gegründeten Schriftstellerkollektivs Mama Sabot, das die Geschichte des militärischen Sperrgebiets in der sardischen Region Salto di Quirra recherchierte und in vier Romanen erzählte. Pulixi veröffentlichte mehrere Kriminalromane, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Für Die Insel der Seelen erhielt Pulixi 2019 den Premio Giorgio Scerbanenco, den renommiertesten Preis für Kriminalromane Italiens. Pulixi lebt in Mailand.

Piergiorgio Pulixi, 1982 in Cagliari, Sardinien, geboren, arbeitete als Buchhändler, ehe ihn Stephen Kings Memoiren Das Leben und das Schreiben dazu ermutigten, selbst Schriftsteller zu werden. Pulixi war Schüler des italienischen Krimiautors Massimo Carlotto und Mitglied des von Carlotto gegründeten Schriftstellerkollektivs Mama Sabot, das die Geschichte des militärischen Sperrgebiets in der sardischen Region Salto di Quirra recherchierte und in vier Romanen erzählte. Pulixi veröffentlichte mehrere Kriminalromane, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Für Die Insel der Seelen erhielt Pulixi 2019 den Premio Giorgio Scerbanenco, den renommiertesten Preis für Kriminalromane Italiens. Pulixi lebt in Mailand.

1


Aratu-Tal, in den Bergen der Barbagia, Sardinien, 1961

Der Hund witterte das Blut auf Hunderte Meter Ent- fernung. Die Feuchtigkeit der Nacht intensivierte die Gerüche der mediterranen Macchia und entfachte ein wahres Duftfeuerwerk: Myrte, Zistrose, Erdbeerbaum, Ginster, wilder Thymian … Und doch nahm das Tier hinter den typischen Aromen dieser Berge, die der Wind durch einen Spalt im geborstenen Fensterrahmen ins Zimmer trieb, eine unverwechselbare säuerliche Eisennote wahr: menschliches Blut. Es spitzte die Ohren und erhob sich dumpf bellend von seinem Platz dicht neben dem Bett des Kindes.

Der Junge erwachte und sagte dem Hund, er solle weiterschlafen. Das Tier schien ihn jedoch nicht einmal zu hören. Wie einem seltsamen Lockruf gehorchend, rannte es aus dem Zimmer und dann aus dem Haus. Es raste zu dem hinter dem Haus gelegenen Wäldchen und verfolgte die deutliche Spur, die ihm aus den erdigen Gerüchen des Unterholzes und aus den feuchteren des taugetränkten Grases in die Nase drang. Seine Riechzellen leiteten den Hund wie ein Radar. Er durchquerte ein Waldstück mit riesigen jahrhundertealten Eichen, wo er sich im Labyrinth der wild wuchernden Brombeerbüsche die Haut zerkratzte. Doch der Schmerz hielt ihn nicht auf. Immer strenger und heftiger wurde der Geruch, als hätte das Blut sich aus einem Hintergrundrauschen zu einem schrillen Schrei gesteigert. Der Hund verlangsamte seinen Lauf, als er unterhalb eines felsigen Abhangs eine Lichtung erreichte, die nur von wenigen Bäumen bewachsen und fast vollkommen frei von Macchia war. Rund um diesen freien Platz standen Erdbeerbäume, uralte Steineichen und Wacholderbüsche so alt wie die Berge selbst. Die Baumkronen rauschten auf einmal nicht mehr. Auch das Summen der Insekten war allmählich leiser geworden, bis es von einer übernatürlichen Stille erstickt wurde, die wie mit einem Zauber diesen zwischen den Hügeln verborgenen freien Raum einhüllte. Ein zunehmender Mond tränkte die Lichtung in ein silbernes Licht und hob die Umrisse einer am Boden zusammengesunkenen Gestalt hervor. Sie war mit Schafsfellen bedeckt, und über ihr kreiste eine Fliegenwolke.

Der Hund sah sich furchtsam um. Eingefasst von hohen Quadern aus Naturfels, die mit Moos und Flechten bedeckt waren, und geschützt von den dicht belaubten Ästen der Bäume, die zu seiner Verteidigung Spalier zu stehen schienen, erhob sich dort ein frühzeitlicher Steinbau, halb verschlungen von einer Mauer aus wild ineinander verwachsenen Pflanzen: eine Art Vagina aus Trachyt in den Spalten der Felswand. Bläulicher Dunst waberte aus dem Inneren des Tempels, und der Hund nahm leises Plätschern von Wasser wahr: Es kam von einer Quelle, von der er sich immer ferngehalten hatte, selbst in den heißesten Stunden im Sommer, wenn der Durst ihn quälte. Von diesem Ort, der in eine düstere Totenstille gehüllt war, als würde jedes Geräusch aufgesaugt von der gierigen Vegetation, gingen unheilvolle Schwingungen aus. All seine Sinne schrien ihm zu, er solle verschwinden, und doch konnte er keinen Muskel bewegen. Er beschloss, diese unsichtbare Grenze zu überschreiten, wagte ein paar Schritte und näherte sich dem Menschen. Es war eine Frau, nackt unter den Schafsfellen. Blut tropfte aus einer klaffenden Wunde am Hals und tränkte das feuchte Erdreich. Die Hände waren hinter dem Rücken gefesselt. Die Frau kniete nach vorne gebeugt genau im Zentrum eines Runds aus Megalithen, die in einer Spirale zur Mitte führten, vor dem Tempel, der die heilige Quelle schützte. Das Wassergeräusch im Inneren des Gebäudes war nun lauter. Über der noch warmen Leiche schwebte der Tod, der Hund konnte zwischen den gigantischen Felsbrocken beinahe dessen Nachhall wahrnehmen. Eine zwischen den anderen herausragende Stele, auf der sich plastisch die Mondsichel abzeichnete, schimmerte in einem feenhaften Licht. Der hohe Steinpfeiler schien den leblosen Körper mit eisigem Blick zu betrachten.

Die Pfoten des Hundes zitterten wie zarte Zweige im Wind. Der scharfe Geschmack von Gefahr breitete sich auf seiner Zunge aus. Er wusste, dass er nicht an diesen Ort gehörte, dass er durch seine Anwesenheit ein uraltes Gesetz brach. Nun spürte er die brennenden Schmerzen in der Seite, wo die Dornen der Brombeerbüsche ihm bei seinem wilden Lauf durch die Macchia tiefe Kratzer zugefügt hatten. Doch dieser körperliche Schmerz war nichts im Vergleich zu der lähmenden Angst, die ihn ergriffen hatte. Jedes Geräusch wurde von dem heftigen Klopfen seines Herzens übertönt.

»Angheleddu!« Der Hund hörte die Stimme des Kindes in seiner unmittelbaren Nähe.

Ruckartig drehte er sich um und sah, wie sein junger Besitzer zu ihm kam und wenige Schritte von der vornübergebeugt am Boden knienden Gestalt stehen blieb. Der beißende Gestank der Felle, die sie einhüllten, war so stark, dass er den Geruch nach feuchter Erde und Blut überlagerte. So intensiv, dass er auch die säuerlichen Ausdünstungen aus dem von Adrenalin und Angst gefluteten Körper des Kindes überdeckt hatte.

Angheleddu stieß ein dumpfes Knurren aus, als wollte er den Kleinen davon abbringen, sich dem Opfer und dem Heiligtum zu nähern.

Es war eine dieser eisigen Nächte, in denen einem vor Kälte die Lippen aufplatzen und die Haut an den Fingerknöcheln einreißt. Das Kind erschauerte, aber nicht vor Kälte: Der Anblick der Leiche hatte jede körperliche Empfindung verdrängt. Abgesehen von dem Blut, das von den Steinrinnen aufgefangen zu werden schien, die sich auf die Quelle zuschlängelten, gab es ein anderes Detail, das ihm Angst einjagte: Das Gesicht der Leiche war von einer Tiermaske aus Holz mit langen, spitzen Hörnern bedeckt; sie erinnerte ihn an die Masken vom dörflichen Karneval, zu dem ihn sein Vater einmal mitgenommen hatte. Diese hatten ihn noch Wochen danach in seinen Träumen verfolgt. Er hätte all seine kindlichen Schätze darauf verwettet, dass das Gesicht der Frau von der carazza ’e boe, der traditionellen Stiermaske, bedeckt war.

Er seufzte, hin- und hergerissen zwischen Überraschung und Furcht, und betrachtete die langen dunklen Haare, die sich über die durchscheinende Haut der Frau und den Mantel aus Schafsfellen ergossen.

Der Hund stellte sich ihm in den Weg, als wollte er ihn vor diesem Anblick schützen, und versuchte, ihn wegzuschieben.

Ein Geräusch ließ sie beide zusammenfahren. Es kam aus dem Inneren des Tempels, den ein Nebelschleier umgab, sodass man fast nichts erkennen konnte.

Die flackernden Lichter der Sterne am trüben Novemberhimmel brachten kaum Licht ins Tal, sodass die Umrisse des Heiligtums nur schwer zu erkennen waren. Obwohl er erst vor Kurzem wegen der Köhlerei seines Vaters hierhergezogen war, hatte der Junge diese Berge bereits gründlich erkundet, aber auf diesen urzeitlichen Ort war er zuvor nie gestoßen, als hätte die Vegetation ihn absichtlich verschluckt, um seine Existenz geheim zu halten.

Der Junge wollte zur Quelle gehen, aber der Hund hinderte ihn daran, indem er ihm den Weg verstellte.

Sie hörten schwere Schritte, als ob jemand eine Treppe hinaufginge. Jeder Schritt war von lautem metallenem Scheppern und Schellen begleitet.

Der Hund und das Kind verharrten reglos, als hätte ein Zauber sie gelähmt. Mit klopfenden Herzen sahen sie, wie der Nebelvorhang von einer riesigen Gestalt geteilt wurde, die aus den Eingeweiden der Erde an die Oberfläche kam wie eine urzeitliche Gottheit der Wälder, die sich nach einem sehr langen Schlaf wieder zeigte. Eine Tiergottheit. Ein Wesen von menschlicher Anmutung, wenn auch groß wie ein Riese, das Gesicht ebenfalls von einer Furcht einflößenden Maske mit langen spitzen Hörnern bedeckt, die im Schein der Fackel in seiner Hand gespenstisch aufleuchtete. Der Hüne war mit einem schweren Umhang aus den zotteligen Fellen dunkler Schafböcke bekleidet, der mit einem breiten Gürtel zusammengehalten wurde. Über den kräftigen Schultern lag ein Strang mit eisernen Kuhglocken, und die linke Hand, zweifellos menschlich, hielt ein Messer mit gebogener Klinge, die noch feucht von Blut und Wasser glänzte. Ein muccadore, ein schwarzes Kopftuch, wie es die Großmutter des Jungen trug, bedeckte die Haare. Die Beine, dick und lang wie Steineichenstämme, steckten in Lederbeinlingen, und er trug hohe schwarze Stiefel, die wie die cusinzos aussahen, die sein Vater für seine Arbeit in den Wäldern anzog.

Der Riese bemerkte die beiden, aber es schien ihn nicht zu kümmern.

Angheleddu und das Kind waren wie versteinert. Sie beobachteten, wie der Hüne sich der Frau näherte, ihr mit einer entschiedenen Geste den Umhang aus Schafsfellen wegzog, sodass nun ihr blutverschmierter Rücken frei lag. Das Wesen ließ die Fackel auf den Steinboden fallen, zog aus seinem Gurt ein Widderhorn und schüttete daraus Wasser auf die Leiche, wodurch ein frischer, kreisrunder Einschnitt auf der Haut sichtbar wurde, ähnlich wie von der pintadera, mit der die Mutter des Jungen den rohen Brotlaib vor dem Backen stempelte. Dann, wie in Erwartung eines Zeichens, hob der Riese sein hinter der Maske verborgenes Gesicht zum Sternenzelt. Und der Himmel schien ihm zu antworten, denn wenige Sekunden später erhob sich wieder der Wind und fauchte durch die Wälder wie eine große tollwütige Bestie.

Der Junge spürte, wie seine Seele von diesem eisigen Atem fortgerissen wurde, er hatte das Gefühl, als ob dort in den Wäldern etwas aus einem langen Schlaf erwacht wäre.

Unter der schweren Holzmaske deklamierte der Riese mit hohler Stimme eine Art Gebet an die Sterne: »A una bida nche l’ant ispèrdida in sa nurra de su notte. Custa morte est creschende li lugore a sa luna. Abba non naschet si...

Erscheint lt. Verlag 23.3.2023
Übersetzer Barbara Engelmann, Barbara Neeb, Katharina Schmidt
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Cagliari • Cold Case • Opfer • Ritualmord • ungeklärte Verbrechen • Verschwinden
ISBN-10 3-311-70400-2 / 3311704002
ISBN-13 978-3-311-70400-3 / 9783311704003
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