Strix (eBook)

Die Geschichte eines Uhus
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
192 Seiten
Diederichs Verlag
978-3-641-30913-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Strix -  Svend Fleuron
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Der Klassiker aus den 1920er-Jahren - berührend und aktueller den je
Strix ist eine der letzten ihrer Art und kämpft ums Überleben. Sie findet immer wieder neue Lösungen und passt sich ihrer Lebenswirklichkeit an. Doch wird sie ihren Platz finden?

Die dramatische Geschichte der großen Horneule Strix Bubo überzeugt durch eine verblüffende Sachlichkeit und berührt in ihrer literarischen Erzählweise zutiefst.

Mit seinen einzigartigen Tierromanen hat der dänische Autor Svend Fleuron tausende Leser*innen gefesselt und begeistert. Dieser Klassiker aus den 1920er-Jahren ist in Bezug auf das große Thema Mensch und Natur aktueller denn je.

Svend Fleuron (1874-1966) war ein dänischer Schriftsteller. Er wirkte als Natur- und vor allem als Tierschriftsteller. Er schrieb besonders über in Freiheit lebende Tiere, die er mit großer sprachlicher Kunstfertigkeit in ihrem trieb- und instinktgeleiteten Wesen darzustellen verstand. Ohne die Tiere zu vermenschlichen, gelang ihm die Abfassung moderner Tierromane. Zu den Werken Fleurons zählen: Die Rote Koppel, Meister Lampe, Schnipp, Fidelius Adelzahn u.v.a.m.

DAS OHR DES WALDES

In der fernen Tiefe der großen Fördenwälder, wo sich Licht- und Schattenbäume hoffnungslos verfilzen, ragt ein hoher Hügelzug steil empor.

Er umschließt ein kleines Waldmoor, so daß die Morgensonne seine Westseite und die Abendsonne die Ostseite bescheint, während die Strahlen der Mittagssonne nur seinen Gipfel streifen.

An der Nordseite des Hügels, dicht unterhalb des Kammes, steht zwischen Dornen und Gestrüpp eine alte, eingegangene Eiche. Sie war einstmals riesenhaft gewesen, ein Ungetüm von einem Baum; jetzt ist sie hohl – der Kern ist vermodert und ganz zusammengesunken, so daß gleichsam ein Haus in dem zundrigen Stamm entstanden ist.

Es riecht säuerlich da drinnen und seifig wie nach Zecken … Die Zeit wohnt hier und zeugt jede Sekunde, wetzt ihren Zahn und frißt, was die Zeit vor ihr übriggelassen hat. Die Zeit hat einen Bettgenoß!

Ungefähr halbwegs am Stamme hoch, auf der Seite, die dem Moore zugekehrt ist, gähnt ein großes Loch aus dem Bauche des alten Eichbaums hervor. Eine flockige Daune zittert in einem Spinngewebe an dem oberen Rande der Öffnung.

Tief unten in dem Loch, dem es mit dem Sonnenlicht ebenso ergeht wie dem Hügel selbst –: die westliche Wand bekommt Morgensonne, die östliche Abendsonne, während die hintere Wand nie den Schimmer eines Strahles erhascht –, sitzt ein riesengroßer Vogel, und jeweils wie die Sonne ihren Weg über den Himmel nimmt, rückt er aus dem einen Schatten in den andern.

Es ist ein Nachtraubvogel, einer der letzten seiner Art: ein großer, braungefiederter Uhu!

Diese alte Eiche hier im Revier hat er mit gutem Bedacht erwählt: hier sitzt er gleichsam im Ohr des Waldes; jeder Laut, der von draußen her über das Moor hereindringt, fliegt zwischen den Hügelhängen hin und her und bis zu ihm in das Loch hinein. Der Uhu ist ein feistes, kräftiges Weibchen …

Sein Kopf ist größer als der einer Wildkatze, vorn flach abgeschnitten, so daß er das schönste Gesicht bildet.

Der Schnabel ist stark und gekrümmt, und die Schneiden sind so scharf wie eine Rosenschere: Sie behandeln einen Braten meisterhaft, zerlegen ein Stück Wild im Handumdrehen. Ritsch, ratsch – und sie haben selbst die Schenkelknochen eines zähen alten Rammlers durchgeschnitten.

Er fängt das Tier nicht, dieser große Uhu, er schlachtet es! Von den gelben Schnabelrändern steht ein Kranz von Federn in einem bärtigen Gekrause ab. Er trägt sein Teil dazu bei, auf sanfte und rücksichtsvolle Weise das arme gefangene Opfer irrezuführen, wenn es im Kampf um sein Leben versucht, den großen Schlund seines Gegners abzuschätzen.

Der Schlund ist abgrundtief – aber erst wenn der Uhu ihn öffnet, kann man es sehen.

Die Mundwinkel reichen bis ganz hinter die Augen und enden fast bei den Ohren; sie erschließen einen feuerroten, dampfenden Rachen, der den verhältnismäßig engen Trichter zu einem riesigen Sack bildet, darin eine ganze Stallratte verschwinden kann.

Oben auf dem Kopf, rings um die Gehöröffnungen, die ungeheuer sind im Verhältnis zu denen anderer Vögel, sind die Federn sinnvoll geordnet, so daß sie gleichsam einen Schirm bilden, gegen den die Schallwellen anschlagen können.

Das Gehör der großen Eule ist denn auch so fein, daß sie vernehmen kann, wie die Maus kaut und das Gras trinkt, ja selbst jedes Rascheln, jeden Flügelschlag der Nachtmotten hört sie!

Von dem oberen Rand der Schirme starren wild und drohend, wie die Lauscherpinsel eines Luchses, zwei wehende Federbüsche empor.

Die Augen aber sind es, die dem Gesicht das furchteinflößende Aussehen verleihen! Sie sind prächtig gelb mit rötlichem Außenrand; die Eule kann sie gleichsam mit Feuer und Blut füllen, sie glühen und sprühen lassen, so daß das Opfer gelähmt ist, wenn es plötzlich von ihrem Blick eingefangen wird.

Sie ist so groß, daß sie im Morgen- und Abendlicht, wenn sie über die Waldeswipfel herangleitet, einer kleinen Wolke gleicht – einer schwarzen und an den Rändern sonderbar zerfransten Wolke. Ihr Körper ist wie der einer Gans, und ihre Stärke gibt einem Königsadler nichts nach. Sie hat Flügel wie Schaufeln und so muskulöse Schenkel wie ein Fuchsrüde; die können ihren nächtlichen Wanderungen über den Waldboden Schnelligkeit und ihrem Griff bei der Jagd Härte verleihen.

Ihre Waffen, die selbst tief durch Eichenrinde schneiden, sind fingerdick, und wenn sie sie ganz auseinanderspreizt, haben sie fast die Spannweite einer Männerhand: die Wülste unter ihnen gleichen schwellenden Kissen, und aus einem jeden ragt ein langer, runder, sichelförmiger Nagel wie ein kleiner türkischer Krummsäbel hervor. Sie sitzt förmlich in einem Bett von Federn …

Die Dämmerung hat sie mit ihrem Pfeffer und Salz überstreut, und die Nacht hat ihr mit schwarzem Pinsel über Flügel und Rücken gestrichen. Über die Mitte der dicken, breiten Brust läuft ein weißlicher Strich, der sich oben unter dem Halse zu einem Fleck erweitert. Das ist das einzige, was wirklich hell ist an ihr, so etwas wie eine Erinnerung an den Glanz des Tages, an das Licht der Sonne – ganz will sie sie doch nicht lassen.

Es ist um die Tagesmitte und sommerwarm …

Die Eule sitzt satt und tagesschlaff zusammengesunken über ihrem Stand, die langen Brustfedern gleich einem wärmenden Unterrock über die Fänge breitend.

Der große runde Kopf mit den mächtigen Federbüscheln ist ganz auf den Rumpf herabgezogen – wodurch das Gesicht mürrisch und unzugänglich erscheint.

Wie ein großer zundriger Stumpf ragt sie in dem hohlen Stamm auf.

Die Finken können piepsen, der Specht kann klopfen und der Hirsch unter ihrem Baume röhren – sie hört es nicht! Kläfft aber ein Hund in weiter Ferne, ertönt das Rollen eines Wagens oder der Klang einer Axt – gleich zittert es in den Federbüscheln, sie sträuben sich auf ihrem Kopfe drohend wie Bockshörner, hängen nach und nach hernieder wie die Ohren bei einem melancholischen Schwein, um sich schließlich hintenüber zu legen, ganz am Halse zurück, wie bei einem wilden, bissigen Pferd.

Über dem Waldmoor flimmert die Luft von Licht; es ist da draußen weiß von Sonne, voll von Tag und Leben. Funkelnde Stechfliegen kommen plötzlich zum Vorschein, stehen einen Augenblick still und glühen – und tauchen dann wie Sternschnuppen in die Schlagschatten ein. Große, schimmernde Libellen schwirren schaukelnd über den Wasserspiegel, schrauben sich in Spiralen empor und fahren mit jähen Wendungen und unvorhergesehenen Bewegungen in Schwärme von Mücken hinein, so daß bei dem schnellen Flug ihre steifen, durchsichtigen Flügeldecken knistern. Dann schwingt sich ein Schwarm roter Falter von einem Wasserrosenblatt auf. Gleich Blättern in einer Wolke von welkem Laub, das plötzlich vom Wind erfaßt wird, schwirren sie über die Bülten … der Staub auf ihren unberührten Flügeln glitzert und leuchtet, während sie in lautlosem Sonnentanz, einander umgaukelnd, sich vom Winde treiben lassen, bis sie schließlich zu Paaren auseinanderstieben.

Da mischt sich eine Schar weißer Schmetterlinge mit den roten und bringt Verwirrung in das so glücklich beendete Hochzeitsspiel. Sie schweben alle hernieder und setzen sich mit gebreiteten Flügeln ein jeder auf seine Irisknospe. Es sieht aus, als seien alle Knospen zugleich erblüht!

Und himmelblaue Holztauben huschen hin und her von den Schöpfstellen, und nachtschwarze Bleßhühner flattern polternd über die Wassertümpel, während taugraue junge Reiher sich im schwankenden Röhrichtsaum in der Geduld und dem Handwerk des Fischers üben.

Es ist Tag draußen … Leben herrscht über dem Waldmoor. Drinnen aber im Baumstamm ist es düster und kalt. Die gefurchten Wände, die dieselbe glanzlose Farbe haben wie gebleichtes Gebein, sind holperig von Zunderknoten und morschen Vorsprüngen und wimmeln von Larvengängen und Wurmlöchern. Reisig und abgewehtes Laub hat sich angesammelt – und dickes, wollstrumpfähnliches Spinngewebe, das sich in der Zugluft bauscht, verkleidet die Wände des Kernholzes wie geheimnisvolle Vorhänge. Hin und wieder verirrt sich ein Sonnenstreif durch einen Spalt und zeichnet einen phantastischen Lichtfleck auf die entgegengesetzte Wand. Dann kommt Leben in ein paar zottige Spinnen, eine schildgepanzerte Kellerassel rollt sich schleunigst zusammen, während ein Bündel schwefelgelber Stinkpilze, denen hier drinnen auch ein Lebensplatz angewiesen wurde, aus Ritzen in der Finsternis den Hals recken. Der Wind plaudert ununterbrochen mit der alten, eingegangenen Eiche; er gönnt ihr den Frieden nicht, sondern fährt fort, sie zu quälen. Wenn der Baum dann klagend ächzt, reckt die Eule den Leib und schüttelt sich im Schlaf – dies Knarren im Altholz tut ihr so herzlich wohl.

Auf einmal dringt ein sonderbares, anhaltendes Kratzen durch das Loch zu ihr herein.

Das Geräusch wird stärker – – –

Dröhnende Pfotentritte, kratzende Krallen, die sich in Rinde bohren, dumpfes Aufschlagen von losgerissenen Moosbrocken, die unter dem Baum ins Laub fallen, jagen pochend gegen ihr Trommelfell.

Es ist jemand auf dem Weg zu ihr herauf!

Die Eule ist im selben Augenblick wach.

Es kommt schnell näher im runden Korkziehergang, ganz so, wie wenn der Specht vormittags ihrem Wohnbaum einen Besuch abstattet. Jetzt ist das Geräusch dicht hinter ihrem Rücken; sie hört das trockene Kernholz ächzen, und es dröhnt in dem hohlen Baum wie in einer leeren Tonne. Die Eule richtet sich auf und wird zweimal so groß! Sie...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2023
Übersetzer Mathilde Mann
Sprache deutsch
Original-Titel Det Tudern om Natten
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • Aussterben • eBooks • Lebensraum • Mensch und Natur • Mensch und Tier • Nachhaltigkeit • Natur • Naturkunden • Naturkunden Matthes und Seitz • Neuausgabe • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Roman 2023 • Selbstversorger • Selbstversorgung • Strix Bubo • Tierroman • Überlebenskampf • Umwelt • Umweltschutz • Wald • Wälder
ISBN-10 3-641-30913-1 / 3641309131
ISBN-13 978-3-641-30913-8 / 9783641309138
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