Bretonisch mit Sturm (eBook)
272 Seiten
Emons Verlag
978-3-98707-061-7 (ISBN)
Gabriela Kasperski war als Moderatorin im Radio- und TV-Bereich und als Theaterschauspielerin tätig. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie in Zürich und ist Dozentin für Synchronisation, Figurenentwicklung und Kreatives Schreiben. Den Sommer verbringt sie seit vielen Jahren in der Bretagne. 2024 erhielt sie den »Zürcher Krimipreis« für ihren Roman »Zürcher Verstrickungen«. www.gabrielakasperski.com
Gabriela Kasperski war als Moderatorin im Radio- und TV-Bereich und als Theaterschauspielerin tätig. Heute lebt sie als Autorin mit ihrer Familie in Zürich und ist Dozentin für Synchronisation, Figurenentwicklung und Kreatives Schreiben. Den Sommer verbringt sie seit vielen Jahren in der Bretagne. 2024 erhielt sie den »Zürcher Krimipreis« für ihren Roman »Zürcher Verstrickungen«. www.gabrielakasperski.com
1
»Gabriel Mahon lässt mich sitzen, ich hätte es wissen müssen.« Suchend sah ich durch die Frontscheibe des Elektromobils. Von Mahons Royal Enfield Bullet, einem Motorrad von nostalgischem Charme mit lautem Motor, war weder etwas zu sehen noch zu hören. »Er wollte um sechs hier sein. Irgendwas unglaublich Wichtiges wird ihm dazwischengekommen sein. Einmal mehr.«
Schon vor einem knappen Jahr hatte mich Gabriel Mahon, der örtliche Commissaire, mit dem ich einige Abenteuer erlebt hatte, eingeladen, ihn auf die Insel Ouessant zu begleiten, die westlichste und stürmischste Insel Frankreichs. Der Sohn eines Freundes sollte heiraten. Das Fest und damit der Ausflug waren immer wieder verschoben worden, aber nun sollte es wunderbarerweise endlich so weit sein.
Wir hatten uns direkt am Quai von Camaret-sur-Mer verabredet, wo die Fähre am äußersten Pier des Fischerhafens zur Abfahrt bereitstand. Obwohl es unanständig früh war, hatte sich schon eine Schlange gebildet, plaudernde Menschen, voller Erwartung auf die Überfahrt, die eine gute Stunde dauern sollte.
»Wer zu spät kommt, kriegt nur noch die miesen Plätze, hat Gabriel gedroht«, sagte ich zu Isidore Breonnec, der den Fahrersitz neben mir verlassen hatte, um sich an der Ladefläche des Elektromobils zu schaffen zu machen.
Isidore war mein Mann fürs Grobe, ein Handwerker, der buchstäblich alle Probleme löste, selbst die unlösbaren. Seit meiner Ankunft auf der Halbinsel vor zwei Jahren war er mir bei der Renovierung der »Villa Wunderblau« behilflich gewesen.
»Pech für ihn, würde ich sagen.«
Isidore sah mich an. »Wieso seid ihr denn nicht zusammen gekommen?«
»Ich bin nicht mit ihm liiert, wie du weißt.«
Sein Grinsen war unmissverständlich. Mit einem ächzenden Laut hievte er den Koffer auf den Boden. »Mensch, Tereza, was hast du denn alles mitgenommen? Ist doch nur für vier Tage.« Er rückte sein blaues Käppi zurecht und holte die E-Zigarette hervor.
»Eine Frau muss vorbereitet sein«, sagte ich, packte die legendäre Boule-rouge-Tasche, die ebenfalls aus allen Nähten platzte, und stieg aus. Als Merguez, der Hund, eine liebenswürdige Trottoir-Mischung, mir folgen wollte, hielt ich ihn zurück. »Stopp, mein Lieber. Du bleibst bei Isidore.«
In meiner Abwesenheit würde er den Hund hüten, während meine Mitarbeiterin Sylvie – eine Deutsche aus Heidelberg, hier gestrandet wie ich – den Rest übernahm. Dabei handelte es sich um das »DEJALU«, die erste deutsch-englische Buchhandlung der Bretagne.
»Genieß es, Tereza«, hatte Sylvie gesagt. »Seit unserem Shakespeare-Festival klebst du hier fest.«
Die dramatischen Umstände um »Un goût de Shakespeare – Salon littéraire de Camaret-sur-Mer« hatten unserem Laden letzten Sommer ganz ordentliche Aufmerksamkeit verschafft. Von überallher kamen seither die Touristinnen und Touristen, um Bücher zu kaufen, Kaffee zu trinken und zu plaudern. Das Geschäft mit antiquarischen Trouvaillen war gewachsen, kein Tag verging, ohne dass nicht jemand anrief und mich um eine Einschätzung bat. Die vielen Originale, die auf bretonischen Dachböden und in Kellern auftauchten, entpuppten sich zwar meist als Kopien oder Fälschungen, aber eine Schrift vom Ortspoeten Saint-Pol-Roux hatten wir so erfolgreich veräußern können, dass sich unsere finanzielle Lage verbessert hatte – anstatt schief lag sie nur noch halb schief. Was es mir erlaubt hatte, im Winter nicht wie sonst für Aushilfsarbeiten nach Zürich zu fahren, sondern hierzubleiben. Mit dem Resultat, dass ich im Garten der »Villa Wunderblau« zu Beginn der Hauptsaison in einer Woche das Gästehaus eröffnen würde, mit hauseigener Quelle und inmitten von Lavendel, Thymian und Brombeerbüschen.
Ein Schiffshorn tönte über den Platz, der sich vom ehrwürdigen, etwas baufällig wirkenden Hafengebäude bis zu den Landungsplätzen erstreckte. An einem kleinen Kiosk gab es ein Gedränge, und der Duft nach Kaffee und frischen Croissants erinnerte mich daran, dass mein Frühstück ausgefallen war.
»Die Fähre fährt in einer Viertelstunde.« Isidore blickte zum Pier, wo die Leute dabei waren, über einen steilen Steg ins zweistöckige Fährschiff einzusteigen.
»Das sind sicher mehr als zweihundert«, stellte ich fest.
Er nickte. »In der Hauptsaison ist das jeden Morgen so. Ouessant ist beliebt, obwohl man es sich erkämpfen muss. Und heute herrscht noch mehr Seegang als üblich. Bist du wellentauglich, Tereza?«
»Hallo? Ich bin am Zürichsee aufgewachsen. Schwimmen ist mein zweites Naturell. Außerdem übertreibst du. Das Meer sieht friedlich aus, eine flache Scheibe, kaum aufgewühlt.«
Mit der Expertise konnte ich Isidore nicht überzeugen. »Die Überfahrt hat es in sich, am schlimmsten ist die Passage zwischen Ouessant und dem Archipel von Molène. Das ist die vorgelagerte Inselgruppe, die aus einer bewohnten Insel und vielen kleinen Inselchen besteht. Auch gestandenen Seefahrern wird da schlecht.«
Mal sehen, wie Gabriel sich schlägt, dachte ich.
Isidores Handy klingelte. Seine Freundin wollte wissen, wo er blieb. »En route, chérie.«
Er machte Anstalten, meinen Koffer zur Anlegestelle zu schleppen.
»Lass mal, dafür gibt’s die praktischen Rollen. Merci mille fois und gibt acht auf Merguez.«
»Aber sicher, Tereza, bring mir dafür Fotos von den Leuchttürmen mit. Von jedem eines.« Ouessants Leuchttürme waren weitherum bekannt. »Sean ist der Helikopterpilot der Insel. Er zeigt euch bestimmt die Umgebung von oben. Wenn du Glück hast, lädt er dich auf einen café au lait im Laternenraum ein, dreihundertsechzig Grad Wasser und Windstärke fünf.«
»Bewahre, ich mag Boden unter den Füßen. Und Sean hat vermutlich anderes zu tun, er will heiraten. Es soll ja eine typisch bretonische Hochzeit geben.«
»Die Hochzeit, die hätte ich doch glatt vergessen.« Isidore verzog das Gesicht, als hätte er in eine Pariser Gurke gebissen. »Am 16. Juni, ausgerechnet, ein besseres Datum hätte ihnen nicht einfallen können. Ich hoffe, dass dann auch alles wie geplant über die Bühne geht.«
»Warum nicht? Was meinst du damit?«
Isidore ließ die Frage in der Luft hängen, indem er mir die obligaten drei Küsschen gab. »Vergiss, was ich gesagt habe, Tereza. War blöd von mir.« Er machte sich ans Einsteigen.
»Grüß mir meinen Cousin, den schlimmen Auguste Breonnec.«
»Den schlimmen Auguste? Wie erkenne ich ihn?«
»Auf Ouessant kennt jeder jeden.«
Damit war Isidore weg, das Letzte, das ich sah, war Merguez’ wedelnder Schwanz.
Was er wohl mit dem Hinweis auf das Hochzeitsdatum gemeint hatte?
Ich wusste über die Brautleute nur das, was Gabriel mir erzählt hatte. Also fast nichts. Sean war der Sohn seines Freundes Patrick, den Gabriel bei seinem ersten Besuch auf Ouessant vor vielen Jahren kennengelernt hatte. Er war sofort von der Insel fasziniert gewesen und immer wieder hingefahren, seine Ex-Frau hatte die Begeisterung geteilt. An dem Punkt hatte ich mich freiwillig aus dem zähen Gespräch ausgeklinkt, wie immer, wenn sie erwähnt wurde.
Ich musste Isidore missverstanden haben, entschied ich. Auch wenn ich die Sprache mittlerweile sehr gut beherrschte, die verschiedenen Bedeutungen der Wörter und vor allem die Zwischentöne, der Text unter dem Text, waren mir oft noch fremd. Außerdem hatte ich keine Lust, mir meine Laune verderben zu lassen.
Im Westen leuchtete der letzte Abendstern, während der Himmel im Osten von lichtem Blau war, darauf verstreut feine Schäfchenwolken, bald würde die Sonne aufgehen.
»Bonjour, Tereza.« Ayala stoppte ihr Rad neben mir.
Ich machte große Augen. »Du hier? Ich dachte, du kommst erst nächste Woche.«
Ayala und mein Sohn Kai waren ein Paar, er lebte in Berlin, sie lebte hier, die beiden pendelten, und wenn sie weg war, hütete ich mit Begeisterung ihre Tochter Mathilde. Die Kleine nannte mich Omi Tereza und beriet mich in Sachen Kinderbuchliteratur. Ich liebte sie so abgöttisch wie meine anderen beiden Enkel, die Kinder meiner Tochter Lovis. Sie hatten sich in Australien niedergelassen, aber schon in einer Woche würden sie herkommen, zum traditionellen Sommerurlaub und zur Eröffnung des Gästehauses.
»Ab dem Wochenende ist herrlichstes Surfwetter angesagt.« Ayala hatte eine Surfschule in der Nähe von Camaret-sur-Mer, den Sommer über war sie sehr gefragt. »Ich habe den Saisonstart aufgrund der Wetterlage vorverlegt, und die Workshops sind voll.«
Sie war wie immer eine Augenweide, die gelben Turnschuhe, die sie zur bunt gemusterten Latzhose trug, bildeten einen Kontrast zu ihrer dunklen Haut, ihr Haar war kunstvoll zu dichten kleinen Zöpfen geflochten. »Aber ein Platz lässt sich immer frei machen, falls du Lust hast.«
Schwungvoll zog ich den Haltegriff aus dem Rückteil des Koffers. »Schade, so ein Pech, aber ich bin nicht hier.« Dass ich mich mit dem Surfen schwertat, war ein Dauerthema zwischen uns.
»Wanderst du aus?«, fragte Ayala mit Blick auf mein Gepäck.
»Wir fahren zu einer Hochzeit.«
»Mit ›wir‹ meinst du …«
»Gabriel und mich.«
Ihr Zwinkern wirkte spöttisch. »Und wo ist der Ring?«
»Der Sohn seines besten Freundes heiratet. Gabriel ist mit der Familie sehr verbunden. Patrick, der Vater, fährt auch eine Royal Enfield Bullet. Und Sohn Sean ist als Helikopterpilot manchmal für die Police nationale in Brest im Einsatz.«
»Ich weiß«, sagte Ayala. »Ich kenne die Braut, Nathalie Dumoulins.«
Mir blieb der Mund offen stehen. »Hättest du mir gleich sagen können, bevor...
Erscheint lt. Verlag | 18.5.2023 |
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Reihe/Serie | Tereza Berger | Tereza Berger |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Atlantik • Bretagne • Cozy Krimi • Detektivinnen-Roman • Eifersucht • Ferien-Lektüre • Frankreich • Frauenkrimi • Inselkrimi • Klimaschutz • Krimi • Kulinarik • Meer • Ouessant • Sommerkrimi • Spannung • Tereza Berger • Urlaubskrimi |
ISBN-10 | 3-98707-061-7 / 3987070617 |
ISBN-13 | 978-3-98707-061-7 / 9783987070617 |
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