Taupunkt (eBook)
272 Seiten
Europa Verlag GmbH & Co. KG
978-3-95890-471-2 (ISBN)
Thore D. Hansen, Politikwissenschaftler und Soziologe, arbeitete erfolgreich als Journalist und ist Experte für internationale Politik sowie Autor futuristischer Politthriller wie Quantum Dawn und China Dawn. 2017 wurde seine kommentierte Biografie der Sekretärin von Joseph Goebbels, Ein Deutsches Leben, als Warnung vor dem neuen Rechtspopulismus weltweit in 20 Sprachen übersetzt. Seine Bücher extrapolieren die Folgen gegenwärtiger Trends für die nächste Zukunft.
Thore D. Hansen, Politikwissenschaftler und Soziologe, arbeitete erfolgreich als Journalist und ist Experte für internationale Politik sowie Autor futuristischer Politthriller wie Quantum Dawn und China Dawn. 2017 wurde seine kommentierte Biografie der Sekretärin von Joseph Goebbels, Ein Deutsches Leben, als Warnung vor dem neuen Rechtspopulismus weltweit in 20 Sprachen übersetzt. Seine Bücher extrapolieren die Folgen gegenwärtiger Trends für die nächste Zukunft.
Kapitel 1
LENTZKE, SÜDLICH VON POTSDAM – 38 GRAD
In der Küche steckte Robert Beyer seinen Kopf unter den Hahn, das kalte Wasser beruhigte, aber nur kurz. Er formte beide Hände zu einer Schale, zögerte, trank einen Schluck und ließ den Rest langsam durch die Finger gleiten. Wenn die Gerüchte stimmten, könnte Wasser bald rationiert werden. Der Konflikt zwischen der Bevölkerung und der Landwirtschaft würde weiter angeheizt werden.
In all den Jahren war Robert der Versuchung aufzugeben nie so nahe gewesen. Die Arbeit auf dem elterlichen Hof in Nordfriesland, dazu die Arbeit auf dem zweiten Hof mit der kleinen Fischzucht in Brandenburg, das alles brachte ihn an seine Grenzen. Wie viel Wasser war noch in den Brunnen? Wie lange reichten die Vorräte für das Vieh? Wann musste er mit der Notschlachtung beginnen? Wie viel würde der Staat für den Ernteausfall in diesem Jahr noch übernehmen?
Nach einem sehr langen Tag hatte Robert erst am späten Abend seinen Hof in Lentzke, nicht weit von Fehrbellin, erreicht. Ein kleines Dorf, ohne Zentrum, nur von einer Durchgangsstraße durchzogen. Trotz seiner großen Erschöpfung fand er erst spät in den Schlaf. Die Nächte wurden zunehmend tropisch, immer heißer und schwüler. Darauf war sein Körper, der gewohnt war, im kühlen Norden zu bestehen, nicht eingerichtet. Die Nächte, die einst Erholung brachten, wurden zur Mühsal.
Um 6 Uhr morgens heulten die Sirenen. Feuer fraß sich durch das Getreidefeld seines Nachbarn. In letzter Minute konnte die Feuerwehr verhindern, dass die Flammen auf seinen alten Vierkanthof überschlugen. Nicht alle hatten so viel Glück. Die Dürre und die Brände hatten die Landwirte im Osten Deutschlands schon viel härter erwischt. Sehr bald aber würde es auch das einstmals so feuchte Norddeutschland treffen. Alle paar Jahrhunderte seit Bestehen der Zivilisation, ob im hohen Norden oder bis ins Nildelta, war das schon immer eine tragische Realität gewesen, wusste Robert. Hunger und Mangel hatten schon ganze Reiche und Dynastien hinweggefegt.
Kurz vor zwölf kam eine Nachricht des Bürgermeisters. Die Landwirtschaftsministerin war für 14 Uhr angekündigt. Robert trocknete sein Gesicht mit einem nicht mehr ganz frischen Geschirrtuch und ging durch den Flur. Der alte Holzboden knarrte unter seinen schweren Arbeitsschuhen. Als er die Tür öffnete, wurde ihm klar, dass er nicht in den Spiegel geschaut hatte. Die Hitze, der Schweiß, das Unterhemd, die Frisur. Auch die Linde, an die er sich lehnte, um Halt zu finden, hatte ihre besten Tage hinter sich.
Von den etwa dreihundert Bewohnern des Dorfes trauten sich bei dieser glühenden Hitze nur ein paar Dutzend hinaus auf die Durchgangsstraße. Seiner Nachbarin, deren Feld nun verbrannt war, schwappte der Bauchspeck aus dem dünnen und viel zu engen Hemd. Die Haare fettig, die unreine Haut von der Hitze aufgedunsen, trat sie von einem Fuß auf den anderen. Der Trunkenbold von gegenüber hatte vergessen, seinen Hosenstall zu schließen, und konnte gerade noch die Bierdose halten. Die anderen Umstehenden, bekleidet mit Jogginghosen und verschlissenen T-Shirts, kannte Robert nicht so gut. Nur der Grundschullehrer von nebenan trug wie immer weiße Turnschuhe, gut sitzende Jeans und ein sauberes helles Hemd. Die Arme verschränkt, lehnte er an der gegenüberliegenden Straßenseite an seinem alten, gepflegten Mercedes.
Aus dem Augenwinkel sah Robert seine Tochter Janne ins Haus stürmen, laut knallte eine Tür, während eine vertraute Stimme hinter ihm kommentierte:
»Man kann sich seine Kinder nicht aussuchen, nicht wahr?«
Robert drehte sich um und erblickte Svenja, die einige Kilometer weiter eine kleine Wäscherei betrieb. Sie zwinkerte ihm mit ihren dunklen Augen zu.
»Na ja, sie hat es halt auch nicht immer leicht.« Besseres fiel Robert grad nicht ein.
»Ach komm, du hast dich genug um sie gekümmert.«
Selbst wenn es stimmte. Was konnte man darauf antworten? Svenja blitzte ihn wieder mit diesem schelmischen Lächeln an, das ihm gleichzeitig gefiel und ihn einschüchterte.
»Du solltest dir mal mehr Zeit für dich nehmen. Vorträge über den Klimawandel brauchen wir doch beide nicht mehr, oder?«
Robert spürte Svenjas Hand sanft auf seiner Schulter ruhen, bevor sie weiterlief.
»Ja, ja, vielleicht hast du recht.«
Er schaute ihr nach, bis ihn das Dröhnen einer nahenden Wagenkolone von dem Gedanken ablenkte, dass Svenja seiner verstorbenen Frau immer ähnlicher wurde.
Was mochte wohl die Ministerin dazu veranlasst haben, dieses kleine Dorf für ihren staatstragenden Auftritt zu wählen? Hier war kein Tumult zu erwarten, dachte Robert. Hier gab es keine bekennenden Nazis, keine Verschwörer, nicht mal Klimaaktivisten. Seine fünfundzwanzigjährige Tochter Janne war da eine große Ausnahme. Robert verstand nicht so recht, was gerade sie veranlasst hatte, sich schon früh so glühend für all diese in seinen Augen kruden Theorien von der Erderwärmung zu engagieren. Ansonsten aber lebten hier nur einfache und vom kargen Leben erschöpfte Menschen.
Die ministeriale Limousine mit Polizeieskorte fuhr vor. Sicherheitsleute schützten die Ministerin mit einem Regenschirm gegen die Sonne. Im hellen Kostüm und auf cremefarbenen hochhackigen Schuhen balancierend musterte sie die kleine, schwitzende Menschenmenge.
Robert wurde es schwarz vor Augen, sein Kopf dröhnte, und sein Herz stolperte. Diese Aussetzer, während derer er vergaß zu atmen, quälten ihn in letzter Zeit häufiger. Ob es der Alkohol war? Oder Panik? Oder beides? Die Angst, das Bewusstsein zu verlieren, wurde zunehmend größer. Nur eine Flasche Wein oder mehr ließ die Symptome verschwinden – wenigstens bis zum nächsten Morgengrauen. Zeit für einen Arzttermin nahm Robert sich nicht. Die Sicherung der wackeligen Existenz hatte Vorrang. Den beruhigenden Rausch ertrug er allerdings nur noch spätnachts, wenn sich die Luft endlich auf 25 oder 28 Grad abgekühlt hatte.
Der Anblick der Journalisten, die sich im Halbkreis vor der staatsfraulich dreinblickenden Politikerin postierten, erinnerte Robert an die Fernsehbilder von vergangener Woche mit seinem Bruder Tom als Sprecher des Weltklimarates. Ein Moment der Verwirrung, dann spürte er diese alte, sehr alte Wut in sich hochkriechen.
Notgedrungen hatte Robert seinen Bruder auf dem Bildschirm verfolgt, denn Janne hatte darauf bestanden, ihren Onkel Tom in den Nachrichten zu sehen. Obwohl sie ihn nur einmal als Kind persönlich getroffen hatte. Wieder mal eine dieser oberschlauen Reden über den Klimawandel. Als wäre Roberts Tag nicht schon zermürbend genug gewesen. Nein, er hasste seinen Bruder nicht. Der war längst in New York zu einem wichtigen Mann im Weltklimarat aufgestiegen. Aber wenigstens zur Beerdigung der Mutter hätte Tom doch kommen können. Seine Karriere hatte immer Vorrang. Gut, die Mutter hatte beiden Söhnen immer gepredigt, der Beruf ginge vor. Aber gleichzeitig träumte sie davon, endlich in Rente zu sein und mehr Zeit für die Söhne zu haben. Das hatte sie, schwer krebskrank und bereits spürbar entkräftet, dem fernen Bruder zu Weihnachten am Telefon gesagt, während Robert im Nebenzimmer den Weihnachtsbaum für seine Mutter dekorierte. Zum letzten Mal. Ein paar Tage später war sie dank gnadenvoll hoher Dosen Morphiums eingeschlafen.
Dem Vater hatte das das Herz gebrochen. Nach zweiundvierzig Jahren Ehe stand er plötzlich alleine da. Nur ein Jahr später starb auch er, mit 67 Jahren, praktisch für das marode Rentensystem. Auch diesmal war Tom auf einer wichtigen Klimakonferenz. Zu wichtig für das Begräbnis seines Vaters. Schon wieder war Robert mit Janne allein vor dem Grab gestanden.
Danach gab es keine Anrufe mehr vom kleinen Bruder. Wäre Robert der Zweitgeborene gewesen, dann hätte Tom den Hof übernehmen müssen. Das letzte Mal gesehen hatten sie sich vor fünfzehn Jahren. Toms Kurzbesuch endete mit einem kurzen, aber erbitterten Kampf im Garten. Den Anlass dafür hatte Robert vergessen. Ein Wunder, dass bei der Klopperei keiner ernsthaft verletzt wurde. Vielleicht auch kein Wunder. Tom war der kleine Bruder. Und er war zu einem Sesselfurzer geworden. Körperliche Arbeit kannte der schon lange nicht mehr. Hasste Robert seinen Bruder? Nein, das nicht, aber sie waren sich zutiefst fremd geworden.
Wie lästig das Hirn sein kann, wenn es einem immer wieder Streiche spielt. Irgendwo hatte er gelesen, dass das Gehirn Erinnerungen fälschen kann und quasi seine eigenen Fake News produziert. Geschehnisse können sowohl komplett neu erfunden oder auch einfach aus dem Bewusstsein gestrichen werden. Aber das funktionierte offensichtlich nicht mit Mitgliedern der eigenen Familie, seien sie einem noch so gleichgültig, fremd oder widerwärtig. Nein, das geht nicht, dachte Robert, obwohl er schon seit Jahren den Fernseher abschaltete, wenn Toms Gesicht auf dem Bildschirm erschien. Ebenso mied er alle Zeitungen, wenn...
Erscheint lt. Verlag | 19.1.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Aufforstungen • Buch Klimakrise • Climate-Engineering • Dürre • Folgen der Klimakrise Roman • Geburtenkontrolle • Globalisierung • Hitzetod • Hitzewelle • Katastrophenschutz • Klimaaktivisten • Klimakatastrophe • Klimakatastrophe Europa • Klimakatastrophe Hitzewelle • klimakatastrophe verhindern • Klimakatastrophe wird wahr • Klimakonferenz • Klimakrise • Klimaleugnern • Klimarat der Vereinten Nationen • Klimawandel • mediale Hetzjagd • Phoenix-Programm • Rettung des Klimas • Robert • Sicherung der Polarkappen • Thriller Klimakatastrophe • Tom Bayer • Umstellung der Landwirtschaft • Verschwörungstheorien • Welthandel • Weltklimarat • Wissenschaftler Tom Bayer |
ISBN-10 | 3-95890-471-8 / 3958904718 |
ISBN-13 | 978-3-95890-471-2 / 9783958904712 |
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