Die Gerber Marie und der Einarmige -  Alfred Kreusel

Die Gerber Marie und der Einarmige (eBook)

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2022 | 1. Auflage
464 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-7750-8 (ISBN)
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Als die Gerber Marie im Sommer Anno 1605 von einem Besuch bei ihrer Schwester Gertrud aus Augsburg zurückkommt, erfährt sie, dass es in der Markstadt Tölz, die zugleich ihre Heimat ist, ein schreckliches Verbrechen gegeben hat, bei dem auch etwas sehr wertvolles gestohlen wurde. Während Vater Gerber glaubt, ein Geheimbund stecke hinter der Tat, denkt seine Tochter Marie in eine ganz andere Richtung. Sie hat auch schon sehr bald jemanden in Verdacht. Doch ist diese Person auch wirklich ein gemeiner Dieb und eiskalter Mörder?

Der Autor Alfred Kreusel lebt seit Geburt in der Weltstadt mit Herz - in München. Dort schreibt er mit viel Hingabe seine spannenden Mittelalterromane, packenden Krimis und heiteren Erzählungen.

Kapitel 1


Bim, bim, bim!

Sebastian hatte die sanften Töne als erster gehört. Zwar ganz leise nur, aber doch war er zu Tode erschrocken. Kein Wunder, denn das kaum wahrnehmbare Gebimmel war von der Totenglocke gekommen, der kleinsten Glocke der Tölzer Kirche Maria Himmelfahrt. Und das auch noch mitten in der Nacht! Zwei Uhr und ein paar Zerquetschte hatte Sebastian im hellen Mondlicht von der Kirchturmuhr ablesen können. Dass die Feuerglocke hin und wieder einmal in der Nacht vom Küster Thaddäus sturmgeläutet wurde und aufgeregte Bürger laut Feurio! riefen, weil wieder einmal ein Haus, ein Kuhstall oder gar gleich ein ganzer Bauernhof in Brand geraten war, war nicht ungewöhnlich. Dies hatte Sebastian in den vielen Dienstjahren als Tölzer Nachtwächter schon oft erlebt. Doch dass die Totenglocke jetzt mitten in der Nacht ertönte, war bislang noch nie dagewesen. Sollte vielleicht ein Brand ausgebrochen sein und der Mesner hat in der Aufregung am falschen Glockenseil gezogen? Aber warum so sanft, dass die Glocke kaum zu hören gewesen war? Wenn, dann würde er sich mit dem ganzen Gewicht in das Seil hängen und so laut läuten, dass man die Glocke selbst drüben im Nachbarort Thal noch klar und deutlich gehört hätte.

Bevor sich der Nachtwächter Sebastian auf den Weg zur Kirche machte, um dort nach dem Rechten zu sehen, trank er erst noch in aller Ruhe sein Bier aus, dann stellte seinen Krug auf den Brunnenrand, auf dem bereits sein Helm lag. Die Hellebarde lehnte am Brunnen, und er grübelte. Würde jetzt ein starker Sturm durch den Glockenturm blasen, wäre dies die Erklärung für das Gebimmel, das nach drei sanften Tönen schon wieder geendet hatte. Doch heute Nacht war es windstill – und unwahrscheinlich drückend und schwül. Jetzt, um kurz nach zwei Uhr nachts, es war Mitte Juli, war es wärmer als bei Sonnenschein an einem Mai- oder Junitag. Wenn nicht der Wind an der Totenglocke gespielt hat, so könnte es nur eine streunende Katze auf der Jagd nach einer leckeren Maus gewesen sein, so Sebastians Gedanke. Sie wird sich wohl bei dem Angriff auf die Maus mit ihren scharfen Krallen im Glockenseil verheddert haben. Oder lag es am Bier? Es war schon das zweite heute Nacht. Nein, zwei Humpen Bier, die trank er mit links, sie hätten ihm die Sinne nicht gleich derart vernebeln, dass er sich das Läuten der Totenglocke einbilden würde. Oder doch? Oder war das Läuten etwa der Anfang vom Ende? War er jetzt, wie schon manch andere vor ihm, dem Alkoholwahn verfallen? Bader Wolfgang Demel hatte ihn doch bei seiner letzten Untersuchung mit erhobenem Finger gewarnt. Würde er, Sebastian, weitersaufen, würde er erst den Verstand, dann sein Leben verlieren. Und das mit nur siebenunddreißig Jahren! Beim Gedanken, schon bald neben den vielen anderen Toten, die jedoch oft siebzig Jahre und älter geworden waren, hier auf dem Tölzer Friedhof zu liegen, wo Würmer sich an seinem vom Alkohol zerfressenen Körper erfreuen. Der Gedanke daran schüttelte ihn.

Igitt, wie gruselig!

Doch als Sebastian in den Sinn kam, dass ja der Gerber Schorsch und seine zwei Saufkumpane, der Lederer Viktor und der Kistler Andreas, schon über fünfzig Lenze auf dem Buckel hatten, und diese auch noch wesentlich mehr Bier und Schnaps in sich reinschütteten als er, sah er die Sache plötzlich nicht mehr ganz so eng. Er klopfte sich auf seinen Brustpanzer, dann setzte er sich langsam in Bewegung und schritt die Marktstraße in Richtung der Kirche hoch.

Sollte ich vielleicht nicht lieber zwei, drei Büttel aus dem Schlaf schmeißen, damit sie mit mir die Kirche … Und dann war doch eine Maus schuld an dem harmlosen Gebimmel und ich blamiere mich bis auf die Knochen. O nein, Sebastian, machte er sich selbst Mut, da musst du jetzt ganz allein durch. Aber Pfarrer Antonius, den könnte ich doch … Ach, der steht sicher schon im Glockenturm und jagt hinter der Maus her. Haha! Pfarrer Antonius, der Tölzer Mäusejäger. Na, auf das Bild bin ich mal gespannt.

In der Sakristei, konnte Sebastian im Vorbeigehen sehen, brannte kein Licht. Als er die Kirche durch das Hauptportal betrat und Richtung Glockenturm ging, war auch dort alles totenstill. Die Laterne, die er fest in der linken Hand hielt, leuchtete ihm den Weg aus. Jetzt fiel ihm ein, er hatte die Hellebarde am Brunnen stehenlassen. Doch wer sollte ihn schon angreifen? Damit hätte er vorhin auf der Marktstraße rechnen müssen, aber doch nicht hier in der Kirche!

Nur noch wenige Schritte trennten ihn jetzt von jener Tür, die er öffnen musste, um in den Glockenturm zu kommen. Irgendwie hatte er das beklemmende Gefühl nicht allein zu sein.

»Pfarrer Antonius?«

Keine Antwort.

»Hallo, Antonius, bist du da?«

Wieder nichts.

»Jaja, so schön wie du, möchte ich es auch gerne haben, Antonius. Irgendetwas spukt in deiner Kirche herum, doch was machts du? Schläfst einfach selenruhig weiter, weil du genau weißt, dass der Dummkopf von Nachtwächter nach dem Rechten sieht. Aber da denkst du genauso wie alle Tölzer. Zu was haben wir den Sebastian, der passt schon auf, dass nichts Unrechtes passiert. Und wer passt auf mich auf, Antonius, hä?«

Mit zittriger Hand drückt Sebastian die Klinke runter und öffnet die Tür, die leise knarzt. Er tritt in den Glockenturm ein und hebt dabei seine Laterne mit der flackernden Kerze etwas an. Als sein Blick dabei zu den sechs Glockenseilen wandert, lässt er beinahe die Laterne fallen.

»Herr, um Himmels willen, das gibts doch nicht! Pfarrer Antonius!« Sebastians Herz blieb stehen.

»Aaaah!!!«

»Himmel, Arsch und Zwirn, was ist das denn?«

»Ein Toter, du blöde Kuh!«

Der erste laute Schrei war von Sebastian gekommen. Der zweite von der Metzger Theres, der dritte von der Buchbinder Franziska. Der Kommentar mit der blöden Kuh von der Alma, der Witwe Schneider. Die drei Frauen hatten, da sie alle drei an Schlafstörung litten, das leise Bimmeln der Totenglocke vernommen und hatten sich, als Sebastian schon auf dem Weg zur Kirche war, am Stadtbrunnen getroffen. Die drei Damen waren wegen der schlaflosen Nächte auch schon bei Bader Demel gewesen, und der hatte den Grund für ihre Schlafstörungen rasch herausgefunden: Chronische Neugier – unheilbar! Und so waren sie dem Nachtwächter heimlich zur Kirche gefolgt. Nun standen sie, die Gesichter leichenblass, direkt hinter ihm.

»Na, was ist, Sebastian?«, fragte die furchtlose Schneider Alma den Nachtwächter. »Willst nicht nachschauen, ob er noch lebt?«

»Haha, von wegen, ich wäre eine blöde Kuh!«, plusterte die Buchbinderin sich künstlich auf. »Bei dem vielen Blut, das da am Boden klebt, Alma, wie soll er da noch am Leben sein können? Selber blöde Kuh!«

»Genau!«, mischte sich die Theres mit ein. »Der Ammersee ist eine Pfütze, gegen das viele Blut, in dem sein Körper schwimmt. So schauts bei uns in der Schlachterei aus, wenn der Franz einen Ochsen mit all seinen vier Füßen nach oben aufhängt und ihm die Kehle durchschneidet!«

»Seid ihr von allen guten Geistern verlassen?!« Sebastian langte sich ans Herz, das vom Harnisch gut geschützt jetzt pochte wie wild. »Wollt ihr mich genauso ins Grab bringen, wie der Mörder diesen armen Teufel am Glockenseil? Ich hatte gespürt, dass ich nicht alleine war in der Kirche, aber ich hab gemeint, es wäre nur Pfarrer Antonius. Und soll ich euch drei Schreckschrauben noch was sagen?«

»Was denn, Sebastian? Los, trau dich«, giftete die Witwe Schneider den Nachtwächter an, da er nicht weitersprach.

»Ihr drei seid im Kerzenschein meiner Laterne noch viel, viel hässlicher als bei Tageslicht!«

»Bah! Hast du das gehört, Theres …«

»Na, na, na, wer wird denn gleich?«

Pfarrer Antonius stand in der Tür des Glockenturms. Im weißen Schlafrock und mit schwarzer Schlafhaube auf dem Kopf. In beides war je ein goldenes Kreuz eingestickt.

»Hab ich nur geträumt oder hatte vorhin die Totenglocke geläutet? Mir war … Himmel, was ist das denn?« Erst jetzt sah er den Toten am Glockenseil.

»Was das ist, Antonius?«, fragte der Nachtwächter. »Ein Toter, das siehst du doch. Frag lieber, wer er ist und wie er hier herkommt. Ein Hiesinger ist er nämlich nicht. Und was hatte er um diese Zeit in deiner Kirche verloren? Ich glaube nämlich nicht, dass er mitten in der Nacht beichten wollte. Und er war auch sicher nicht allein hier, oder denkst du, er hat seinen Fuß erst selber in das Seil gehängt und sich dann die Kehle durchgeschnitten? Und noch etwas, Herr Pfarrer. Du willst von alldem hier nichts mitbekommen haben? Das kommt mir aber arg verdächtig vor, oder Theres?«

Diese nickte sofort, und heftig. Ja, sehr verdächtig. Sonst würde Antonius einen jeden Floh husten hören, aber kaum geschehe in seiner Kirche ein Mord, da wäre er auf einmal taub wie ein Stein. Die Sache stinke zum Himmel. Es wäre besser, man...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
ISBN-10 3-7568-7750-7 / 3756877507
ISBN-13 978-3-7568-7750-8 / 9783756877508
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