Northern Spy – Die Jagd (eBook)
362 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3201-4 (ISBN)
»Ich habe den Nervenkitzel geliebt - ein hochspannendes Buch.« Reese Witherspoon.
Tessa arbeitet im Büro der BBC in Belfast, als sie plötzlich ihre Schwester im TV sieht - als Täterin bei einem Raubüberfall. Marian sei bei der IRA, erklärt die Polizei und leitet eine Großfahndung ein. Aber wie kann das sein? Tessa und Marian haben sich immer gegen die Gewalt in Nordirland eingesetzt. Als Tessa die Wahrheit über ihre Schwester erfährt, muss sie sich entscheiden: zwischen ihren Idealen und ihrer Familie, zwischen Unbeteiligtheit und Handeln. Und darüber, was sie tun muss, um die einzige Person zu schützen, die sie noch mehr liebt als ihre Schwester: ihren kleinen Sohn ...
»Flynn Berry schreibt mitreißend über Frauen, die gegen eine Welt wüten, die grausame und rücksichtslose Männer schützt.« New York Times.
Flynn Berry ist eine amerikanische Autorin, die bisher bereits mit dem Edgar Award ausgezeichnet wurde. »Northern Spy« wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt und von der Washington Post als einer der besten Thriller des Jahres ausgezeichnet. Wolfgang Thon, geboren 1954 in Mönchengladbach, studierte Sprachwissenschaft, Germanistik und Philosophie in Berlin und Hamburg. Thon arbeitet als Übersetzer und seit 2014 auch als Autor in Hamburg, tanzt leidenschaftlich gern Argentinischen Tango und hat bereits etliche Thriller von u. a. Brad Meltzer, Joseph Finder, Robin Hobb, Steve Barry und Paul Grossman ins Deutsche übertragen.
2
Während der Busfahrt in die Stadt schaue ich durch meine Reflexion in der Scheibe auf den See. Auf seiner riesigen Oberfläche spiegeln sich schwach die Formen der fernen Mourne-Berge.
Ich schicke Marian eine Nachricht und scrolle dann nach oben zu dem Bild, das sie mir gestern geschickt hat. Sie steht auf der Seilbrücke von Carrick‑a-Rede. Früher warteten die Touristen stundenlang, um die Brücke überqueren zu können, aber jetzt ist sie die meiste Zeit des Jahres verlassen, und nur die Wellen brechen sich hundert Meter darunter am Ufer. Auf dem Bild ist Marian allein, hält sich an den Seilen fest und lacht.
Marian trägt ihr welliges braunes Haar offen oder steckt es mit einer goldenen Spange auf dem Kopf zusammen. Wir sehen uns ähnlich, wir haben die gleichen Augen, Wangenknochen und die gleiche dunkle Mähne. Allerdings sind Marians Haare einen Zentimeter kürzer als meine und weicher. Wenn sie nicht spricht, wirkt ihre Miene offen und amüsiert, als warte sie darauf, das Ende eines Witzes zu hören, während ich eher ernst bin. Beides hat seine Schattenseiten. Ich muss den Leuten oft versichern, dass ich mir keine Sorgen mache, wenn ich in Wirklichkeit nur nachdenke, und Marian, die seit sechs Jahren Rettungssanitäterin ist, wird immer noch bei jeder Schicht gefragt, ob sie neu in diesem Job sei. Sie sagt zum Beispiel: »Ich lege jetzt einen Infusionsschlauch.« Dann sieht der Patient sie erschrocken an und fragt: »Haben Sie das denn schon mal gemacht?«
Keine von uns sieht aus wie unsere Mutter. Die ist blond und untersetzt und strahlt eine lebhafte Herzlichkeit aus. Wir schlagen nach unserem Vater und seiner Seite der Familie, seinen Schwestern und Eltern. Das ist irgendwie ungerecht, da wir weder ihn noch einen aus seiner Sippe jemals zu Gesicht bekommen.
Ich träume vor mich hin, bis die Straße wieder vom See wegführt, dann aktiviere ich mein Smartphone und lese die Nachrichten. Ich produziere ein wöchentliches politisches Radioprogramm bei der BBC. Manchmal enden die Sendungen damit, dass sich Lokalpolitiker gegenseitig anschreien, andere dagegen sind sehr spannend, besonders zurzeit. Man kann heutzutage nicht in Nordirland leben und sich nicht für Politik interessieren.
Als wir Belfast erreichen, hole ich mir kurz bei Deanes einen Flat White. Das Café und die anderen Kunden wirken vollkommen normal. Man sieht es der Stadt nicht an, aber die IRA hat sie unter ihrer Fuchtel. Sie betreiben Schutzgelderpressung im großen Stil. Jede Baustelle muss ihnen Schutzgeld zahlen, und alle Restaurants in West-Belfast haben Türsteher. Ein IRA-Repräsentant sagt zu dem Besitzer: »Du brauchst zwei Türsteher, am Donnerstag- und Freitagabend.«
»Sei kein Idiot«, erwidert der Besitzer. »Ich brauche keine Türsteher, das hier ist doch nur ein Restaurant.«
Dann schicken sie ihm zwanzig Schläger, die den Laden demolieren, kommen am nächsten Tag zurück und sagen: »Siehst du, wir haben dir doch gesagt, du brauchst Türsteher.«
Es ist einfacher, sie zu bezahlen, als sich zu beschweren. In Anbetracht der Alternativen ist es bei vielen Dingen einfacher, zu tun, was sie verlangen.
Der Sohn unserer ehemaligen Nachbarin wurde von der IRA beim Drogenverkauf erwischt. Sie beschuldigten ihn – ohne jeden Funken Humor –, das Wohl der Allgemeinheit zu gefährden. Man befahl ihr, ihn zur Bestrafung hinter die Riverview-Läden zu bringen. Es endete damit, dass sie ihm die Kniescheiben zerschossen.
»Du hast ihn dorthin gebracht, damit sie ihn zusammenschlagen konnten?«, fragte ich sie.
»Ja, aber ich habe ihnen nicht erlaubt, auf ihn zu schießen. Sie hatten keinen verfickten Grund, ihm die Knie zu zerschießen.«
Ich verlasse das Café und biege in die Dublin Road ein. Das Broadcasting House liegt vor mir, ein Kalksteinbau mit riesigen Satellitenschüsseln auf dem Dach. Ich bin erst seit ein paar Wochen wieder bei der Arbeit. Die sechs Monate Mutterschaftsurlaub waren sehr intensiv und wichtig. Als ich zur Arbeit zurückkehrte, fühlte ich mich wie Rip Van Winkle, als wäre ich nach Jahrzehnten wieder aufgewacht, nur dass niemand sonst gealtert war. Im Büro hat sich nichts verändert, und ich muss so tun, als hätte auch ich mich nicht verändert. Wirke ich abgelenkt oder müde oder arbeite langsamer als früher, könnten meine Chefs auf die Idee kommen, dass jemand ohne Baby oder zumindest eine nicht alleinerziehende Mutter die Arbeit besser bewältigen könnte. Also tue ich so, als wäre ich ausgeruht und konzentriert, obwohl ich nachts in Vier-Stunden-Schichten schlafe und Finn mehrmals am Tag so sehr vermisse, dass mir jeder Atemzug wehtut.
Im Funkhaus halte ich meinen Ausweis an den Scanner und lege mir dann das Schlüsselband um den Hals. Unsere morgendliche Mitarbeiterbesprechung beginnt gleich. Ich laufe die Treppe hinauf, einen Korridor hinunter und betrete einen Besprechungsraum, in dem sich Redakteure und Korrespondenten drängen.
»Morgen«, sagt Simon, als ich einen Platz gefunden habe. »Heute ist ganz schön was los. Es geht offensichtlich um die Schießerei auf dem Milltown-Friedhof. Was ist da passiert?«
»Es war ein Selbstmordversuch«, informiert ihn Clodagh.
»Und wie ist der Zustand des Opfers?«
»Die Irish News schreibt, sein Zustand sei kritisch, und der Belfast Telegraph schreibt, er sei tot.«
»Na klar. Wir warten ab, bevor wir etwas veröffentlichen.«
»Wen haben wir letztes Jahr noch mal vorzeitig für tot erklärt?«, fragt James.
»Lord Stanhope«, antwortet Simon. »Ich habe einen sehr lebhaften Anruf von ihm bekommen.«
»Und wer ist jetzt dieser Kerl?«
»Sein Name ist Andrew Wheeler«, informiert ihn Clodagh. »Er ist Projektentwickler.«
»Warum sollte sich ein Projektentwickler auf dem Friedhof von Milltown erschießen wollen?«, werfe ich ein.
Clodagh zuckt mit den Schultern. »Wir wissen nur, dass er auf dem Friedhof gefunden wurde.«
»Wir sollten abwarten«, sagt Esther. Ihr Ton ist neutral, aber alle fühlen sich trotzdem getadelt. Wir berichten nicht über Selbstmorde, um nicht unbeabsichtigt andere Menschen ebenfalls dazu zu ermutigen.
»Liegt es überhaupt im Interesse der Öffentlichkeit, sie über den Fall zu informieren?«, fragt Simon. »Hat er irgendeine paramilitärische Verbindung?«
»Keine Gruppe hat ihn für sich beansprucht.«
»Okay«, entscheidet er. »Esther hat recht, halten wir uns erst einmal bedeckt. Gibt es heute noch andere interessante Themen?«
»Ein weiterer Spesenskandal«, sagt Nicholas. »Roger Colefax war heute Morgen in Today.«
»Er war alles andere als brillant, das muss man schon sagen. Die ganze Sache war sehr dubios.«
»Hat er sich entschuldigt?«
»Das nicht, aber es sieht so aus, als würde er zurücktreten.«
»Das bringen wir heute nicht, es sei denn, er tritt tatsächlich zurück. Priya?«
»Wir berichten über den Prozess gegen Cillian Burke. Er dürfte jeden Moment platzen.«
»Hat man sein Geständnis nicht schon aufgezeichnet?«, will Nicholas wissen.
»Es war eine verdeckte Überwachung«, antwortet Priya. »Und der MI5 weigert sich, seine Methoden offenzulegen. Ihr Zeuge behauptet immer wieder, er könnte aus Gründen der nationalen Sicherheit nicht aussagen.«
Nicholas stößt einen Pfiff aus. Cillian Burke steht vor Gericht, weil er den Anschlag auf einen Markt in Castlerock befohlen hat, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Er ist seit dem Ausbruch des Konflikts ein Anführer der IRA und verantwortlich für mehrere Autobomben und Schießereien. Nun wird er entweder zu lebenslanger Haft verurteilt oder freigesprochen und weitermachen.
»Es wird nicht zu einer Verurteilung kommen«, spekuliert Priya. »Nicht, wenn der MI5 die Aufnahme nicht herausrückt.«
Ich bezweifle, dass der...
Erscheint lt. Verlag | 14.2.2023 |
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Übersetzer | Wolfgang Thon |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Northern Spy |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Schlagworte | Agententhriller • BBC • Belfast • Buchklub • geschenk für frau • Geschenk für Mann • IRA • Irland • Krimi • Nordirland • Nordirlandkonflikt • Politthriller • Reese Witherspoon • Schwestern • Spionagethriller • Starke Frauen • Thriller |
ISBN-10 | 3-8412-3201-9 / 3841232019 |
ISBN-13 | 978-3-8412-3201-4 / 9783841232014 |
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