Die unerhörte Reise der Familie Lawson (eBook)

Spiegel-Bestseller
Roman

(Autor)

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2023 | 1. Auflage
480 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-27543-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die unerhörte Reise der Familie Lawson -  T. J. Klune
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In einem Baumhaus hoch oben in den Wipfeln eines idyllischen Hains lebt Familie Lawson: Vater Giovanni Lawson ist ein Roboter, sein Sohn Victor Lawson ist ein Mensch. Mit ihnen wohnen dort noch ein Pflegeroboter mit einem leichten Hang zum Sadismus und ein schüchterner kleiner Staubsauger. Eines Tages entdeckt Vic einen beschädigten Androiden namens Tom im Wald und repariert ihn. Dann wird Giovanni von seiner Vergangenheit eingeholt und in die Stadt der elektrischen Träume verschleppt, wo er neu programmiert werden soll. Gemeinsam mit seiner Patchworkfamilie begibt sich Victor auf die gefährliche Reise, um Giovanni zu retten. Und inmitten widersprüchlicher Gefühle von Verrat und Zuneigung zu Tom muss Victor für sich selbst entscheiden: Kann er eine Liebe mit Bedingungen akzeptieren?

Im Alter von sechs Jahren griff T. J. Klune zu Stift und Papier und schrieb eine mitreißende Fanfiction zum Videospiel »Super Metroid«. Zu seinem Verdruss meldete sich die Videospiel-Company nie zu seiner verbesserten Variante der Handlung zurück. Doch die Begeisterung für Geschichten hat T. J. Klune auch über dreißig Jahre nach seinem ersten Versuch nicht verlassen. Nachdem er einige Zeit als Schadensregulierer bei einer Versicherung gearbeitet hat, widmet er sich inzwischen ganz dem Schreiben. Für die herausragende Darstellung queerer Figuren in seinen Romanen wurde er mit dem Lambda Literary Award ausgezeichnet. Mit seinem Roman »Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte« gelang T. J. Klune der Durchbruch als international gefeierter Bestsellerautor.

EINS


Ein kleiner Staubsaugerroboter fuhr schreiend im Kreis herum, wieder und wieder. »Oh mein Gott, oh mein Gott, wir werden alle sterben!«, kreischte er und fuchtelte wild mit seinen Ärmchen, an denen kleine Greifzangen befestigt waren. »Ich werde aufhören zu existieren, und dann gibt es nur noch Dunkelheit!«

Neben dem Staubsauger stand ein weitaus größerer Roboter und sah zu, wie der Kleine zum millionsten Mal einen Nervenzusammenbruch hatte. Dabei handelte es sich um einen schlichten Blechkasten, eineinhalb Meter hoch und einen halben Meter breit, der weder Arme und Beine noch Füße hatte. Es handelte sich um die ehemalige Krankenschwester, Modell 6-10-JQN, Serie Alpha. Ihre abgenutzten Reifen waren durch gezahnte Metallräder mit einer Kette darum herum ersetzt worden, ganz ähnlich wie bei einem Panzer. Hinter den Klappen auf beiden Seiten ihres Chassis verbargen sich ein Dutzend Metalltentakel mit verschiedenen medizinischen Werkzeugen daran, falls eine Operation nötig werden sollte. Auf dem Display an der Vorderseite erschien ein grünes Gesicht mit gerunzelter Stirn, ansonsten blieb die robotische Krankenschwester, Gerät für Reha, Operationen und Bohren (kurz: Schwester Grob), unbeeindruckt. Mit tonloser Stimme sagte sie: »Wenn du stirbst, spiele ich mit deiner Leiche. Ich würde so lange Löcher in dich bohren, bis nichts mehr übrig ist. Dabei könnte ich viel lernen.«

Der Saugroboter wurde nur noch panischer, was Schwester Grob zweifellos beabsichtigt hatte. »Oh nein«, wimmerte er. »Nein, nein, nein, das darfst du nicht. Victor! Victor! Komm zurück, bevor ich sterbe und Schwester Grob mit meiner Leiche spielt! Sie will Löcher in mich bohren, und du weißt genau, wie sehr ich das hasse.«

Hoch über ihnen, auf halber Höhe eines mindestens sechs Meter hohen Haufens Metallschrott, ertönte leises Gelächter. »Das werde ich verhindern, Rambo«, sagte Victor Lawson und schaute zu ihnen hinunter. Er hing an einer selbst gebastelten Seilkonstruktion mit Klettergurt, die alles andere als unfallsicher war, doch er machte das schon seit Jahren so und war noch nie abgestürzt. Nun ja, einmal, aber je weniger über diesen Vorfall gesagt wurde, desto besser. Der Schrei, den er damals ausgestoßen hatte, als er den Knochen sah, der rot aus seinem Arm ragte, war das lauteste Geräusch gewesen, das er je von sich gegeben hatte. Sein Vater war nicht besonders glücklich gewesen und hatte ihm gesagt, dass es keinen Grund für einen Zwölfjährigen gab, sich auf dem Schrottplatz herumzutreiben. Victor hatte versprochen, es nie wieder zu tun. Eine Woche später war er wieder dort gewesen. Und jetzt, mit einundzwanzig Jahren, kannte er sich auf dem Schrottplatz so gut aus wie in seiner Westentasche.

Rambo glaubte ihm nicht. Seine Greifer öffneten und schlossen sich ununterbrochen, während er weiter zitternd seine Kreise drehte. Auf der Oberseite seines runden Gehäuses stand in verblasster, nie eindeutig zu entziffern gewesener Schrift ein R, dahinter ein Kreis, der ein O oder ein kleines a darstellen mochte, gefolgt von einem M (möglicherweise), einem B und schließlich einem weiteren O oder a am Ende. Victor hatte das kleine Ding vor Jahren gefunden und es mit Liebe und Metall repariert, bis es wieder zum Leben erwacht war und sofort verlangt hatte, sauber machen zu dürfen. Es musste sauber machen, denn wenn es das nicht tat, gab es keinen Sinn in seinem Leben, dann gab es gar nichts. Vic hatte lange gebraucht, um die Maschine zu beruhigen, während er weiter an den Schaltkreisen herumfummelte, bis der Saugroboter schließlich einen erleichterten Seufzer von sich gegeben hatte. Doch die Lösung war nur vorübergehend gewesen. Rambo machte sich Sorgen wegen fast allem: dem Schmutz auf dem Boden, dem Schmutz an Vics Händen und dem Tod im Allgemeinen.

Damals hatte Schwester Grob gefragt – sie war Vics erster Roboter gewesen–, ob sie Rambo töten dürfe.

Vic hatte verneint.

Schwester Grob hatte gefragt, weshalb nicht.

Vic hatte gesagt, weil man neue Freunde nicht tötete.

»Ich schon«, hatte Schwester Grob mit ihrer tonlosen Stimme entgegnet. »Es wäre ganz leicht. Sterbehilfe muss nicht unbedingt schmerzhaft sein. Kann sie aber, wenn man möchte.« Dann war sie mit ausgefahrenem Bohrer auf Rambo zugefahren.

Rambo hatte gebrüllt.

Fünf Jahre später hatte sich nicht viel verändert. Rambo war immer noch übernervös, und Schwester Grob drohte immer noch, mit seiner Leiche zu spielen. Vic hatte sich inzwischen daran gewöhnt.

Er band sich die schulterlangen dunklen Haare mit einer Lederschnur zu einem Pferdeschwanz, kniff die Augen zusammen, legte den Kopf in den Nacken und spähte zur Spitze des Metallhaufens hinauf. Vorsichtig zog er an dem Seil. Er wog nicht sonderlich viel, trotzdem musste er aufpassen und hörte ständig die mahnende Stimme seines Vaters im Kopf, auch wenn Giovanni sich wirklich zu viele Sorgen machte. Victor war zaundürr, und Giovanni sagte Tag für Tag: »Du bist zu dünn, Victor, du musst mehr essen und kauen, kauen, kauen

Der Magnethaken zwei Meter über ihm schien zu halten. Victor wischte sich mit dem Handschuh den Schweiß von der Stirn. Der Sommer neigte sich dem Ende zu, dennoch war es die letzten Tage heiß gewesen.

»Okay«, sagte er leise. »Nur noch ein Stückchen höher. Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen. Und du brauchst das Teil.« Er blickte nach unten und überprüfte seinen Stand.

»Wenn du abstürzt und stirbst, nehme ich eine Obduktion vor«, rief Schwester Grob zu ihm hinauf. »Der abschließende Bericht müsste innerhalb von drei bis fünf Werktagen fertig sein, je nachdem, ob die Leiche bereits zerstückelt ist oder nicht. Aber weil wir Freunde sind, kann ich dir verraten, dass du höchstwahrscheinlich an einem Aufpralltrauma sterben wirst.«

»Oh nein«, stöhnte Rambo mit rot blinkenden Sensoren. »Vic. Vic. Lass dich nicht zerstückeln. Du weißt, wie schwierig es für mich ist, Blutflecken wegzumachen. Es kommt in mein Getriebe und verklebt alles!«

»Aktiviere Empathieprotokoll«, sagte Schwester Grob. Auf ihrem Display erschien ein gelber Smiley. Die Luke rechts unten an ihrem Gehäuse ging auf, ein Metalltentakel kam heraus und tätschelte Rambo. »Ei-ei, alles wird gut. Ich werde das Blut wegmachen, und was sonst noch so an Flüssigkeiten aus seinem schwachen und zerbrechlichen Körper kommen mag. Sehr wahrscheinlich wird er nämlich auch seinen Darm entleeren.«

»Wirklich?«, flüsterte Rambo.

»Aber ja. Der menschliche Schließmuskel entspannt sich bei Eintritt des Todes, was es allen Ausscheidungen ermöglicht, den Körper auf spektakuläre Weise zu verlassen – vor allem bei einem Aufpralltrauma.«

Vic schüttelte den Kopf. Die beiden waren seine allerbesten Freunde, und er war nicht sicher, was das über ihn aussagte. Wahrscheinlich nichts Gutes. Aber sie waren wie er, mehr oder weniger, auch wenn Vic aus Fleisch und Blut bestand und diese beiden aus Drähten und Metall. Ganz unabhängig davon drückten sie ihm bestimmt ganz fest die Daumen an ihren Greifern. Glaubte er zumindest.

Er schaute noch mal nach oben. Kurz unterhalb der Spitze ragte etwas aus dem Müllhaufen, das wie eine gut erhaltene mehrschichtige Platine aussah. Diese Dinger waren selten geworden. Vic hatte sie schon haben wollen, als er sie vor ein paar Wochen entdeckt hatte, hatte sich aber nicht getraut, denn dieser Haufen gehörte zu den wackligsten auf dem gesamten Schrottplatz und schwankte bereits bedrohlich. Er würde sich Zeit lassen und zuerst all den anderen Müll rund um die Platine aus dem Haufen ziehen müssen, und dazu musste er geduldig sein. Entweder das oder sterben.

»Vic!«, kreischte Rambo. »Nicht weiterklettern. Ich liebe dich. Ich will keine Waise sein!«

»Ich werde nicht sterben.« Vic atmete einmal tief durch und kletterte langsam weiter. Stück für Stück zog er sich höher und hängte den Karabiner am nächsten Sicherungshaken ein. Seine dünnen Arme brannten vor Anstrengung.

Je höher er kam, desto stärker schwankte der Haufen. Schrottteile fielen heraus, segelten glitzernd durch die Luft und landeten mit einem Krachen auf dem Boden. Endlich wurde Rambo von seiner Panik abgelenkt, denn jetzt hatte er etwas zum Aufräumen. Vic sah, wie er die heruntergefallenen Schrottteile aufhob und sie an den Fuß des Haufens legte. Dabei piepte er fröhlich vor sich hin, was beinahe so klang, als würde er ein Liedchen summen.

»Deine Existenz ist sinnlos«, kommentierte Schwester Grob.

»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, erwiderte Rambo gut gelaunt, während seine Sensoren blau und grün blinkten. Er platzierte ein weiteres Schrottteil am Fuß des Haufens und drehte eine Pirouette.

Vic war nun fast an der Spitze angelangt. Er hielt inne und ließ den Blick über den Schrottplatz schweifen. Der Wald erstreckte sich, so weit das Auge reichte, und er brauchte einen Moment, um die Bäume zu finden, wo ihr Zuhause war – die große Tanne, die alle anderen überragte.

Er lehnte sich so weit zurück, wie er sich traute, und spähte seitlich an seinem Haufen vorbei. In der Ferne stieg Rauch aus dem Schornstein einer großen, schwerfälligen Maschine. Sie war mindestens zwölf Meter hoch, ihr Kran hob unentwegt Schrottteile aus dem Container auf ihrem Rücken und warf sie nach unten. Vic merkte sich die Position und überlegte, ob es dort vielleicht etwas Neues gab, das es wert war, geborgen zu werden.

Die anderen Alten waren weit weg.

Er war in Sicherheit.

Er sah wieder zu der Platine hinauf und sagte: »Gleich hab ich...

Erscheint lt. Verlag 11.5.2023
Übersetzer Michael Pfingstl
Sprache deutsch
Original-Titel In the Life of Puppets
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2023 • "Das unglaubliche Leben des Wallace Price" • eBooks • Familie • Fantasy • gay romance • Humor • lustig • lustige • "Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte" • Neuerscheinung • Queere Fantasy • Roboter • SPIEGEL-Bestsellerautor • Urban Fantasy
ISBN-10 3-641-27543-1 / 3641275431
ISBN-13 978-3-641-27543-3 / 9783641275433
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