Rachefrühling (eBook)

Spiegel-Bestseller
Thriller
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
608 Seiten
Goldmann (Verlag)
978-3-641-26129-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rachefrühling -  Andreas Gruber
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Martin Kilian betreibt einen erfolgreichen True-Crime-Podcast. Dank seiner Recherchen wurden schon mehrere unschuldig Verurteilte wieder aus dem Gefängnis entlassen. Bis Kilian plötzlich selbst zum Verdächtigen wird: Bei dem grausamen Mord an der Wiener Chirurgin Dr. Rashid spricht alles gegen ihn. Verzweifelt wendet er sich an die renommierte Anwältin Evelyn Meyers, doch deren Nachforschungen gestalten sich komplizierter und gefährlicher, als anfangs gedacht. Und so bittet Evelyn den Leipziger Kommissar Walter Pulaski, der gerade in Wien Urlaub macht, um Hilfe. Anders als sie kann er inkognito ermitteln und stößt dabei auf ein unglaubliches Geheimnis ...

Andreas Gruber, 1968 in Wien geboren, lebt als freier Autor mit seiner Familie in Grillenberg in Niederösterreich. Mit seinen bereits mehrfach preisgekrönten und teilweise verfilmten Romanen steht er regelmäßig auf der Bestsellerliste.

PROLOG


Donnerstag, 9. Mai


Es ist kurz vor einundzwanzig Uhr, als die siebte Gondel des Wiener Riesenrads ihren höchsten Punkt erreicht. Während sich das Rad langsam weiterdreht, stellt sich der Fahrgast ans Fenster und öffnet sich an beiden Handgelenken die Pulsadern. Langsam gleitet die Gondel weiter nach unten. Als die ersten Menschen unten am Boden schließlich erkennen, was dort oben passiert, kreischen sie entsetzt durcheinander. Hilflos warten sie darauf, dass die Gondel unten ankommt. Nun weiß jeder, der schon einmal mit dem Riesenrad gefahren ist, wie langsam es sich dreht …

»So beginnt die erste Folge des True Crime-Podcasts von Martin Kilian«, unterbrach die Moderatorin die sonore männliche Stimme vom Band. »Und er ist heute bei uns zu Gast im Studio«, säuselte sie weiter.

Künstlicher Applaus wurde eingespielt.

»Falls Sie ihn noch nicht kennen: Martin Kilian gehört zur Crème de la Crème der österreichischen Podcast-Szene und ist tatsächlich der Spezialist, wenn es um True Crime-Podcasts geht. Zu diesem Thema wird er nun eine Stunde lang Fragen von Hörerinnen und Hörern beantworten.«

Dreyer stand im Korridor und blickte durch die Glaswand ins Tonstudio. Bin neugierig, was du zu sagen hast, dachte sie und beobachtete Kilian, dessen Räuspern über die Lautsprecher auch außerhalb der Tonkabine zu hören war.

Martin Kilian beugte sich lächelnd zum Mikrofon. »Hallo, einen wunderschönen guten Morgen.« Er griff nach seiner Kaffeetasse und nahm einen Schluck.

Der gut aussehende Kerl war gerade mal neunundzwanzig Jahre alt und wirkte durch seine authentische Ausstrahlung extrem sympathisch. Er war groß und schlank, hatte gewellte blonde Haare, Sommersprossen, eine Nerd-Brille und ein verschmitztes Lächeln, das Dreyer überhaupt nicht gefiel. Es wirkte viel zu echt, und gerade das ging ihr furchtbar gegen den Strich. Auf die Masche falle ich nicht rein. Nicht nach dreißig Dienstjahren.

»Martin, du betreust eine Internet-Plattform für Nachwuchs-Talente, die selbst eigene Podcasts auf die Beine stellen wollen, gibst Workshops, schreibst monatlich eine große Reportage für ein österreichisches Magazin und betreibst nebenbei auch noch deinen eigenen True Crime-Podcast mit gigantischen Downloadzahlen. Du bist seit Jahren ein Experte zum Thema Wahre Kriminalfälle und bekommst sensationelle Kritiken. Mittlerweile hast du sogar ein eigenes Tonstudio im Keller deines Reihenhauses und …«

»Ein kleines Tonstudio«, ergänzte er und nestelte an seinem altmodischen grauen Sakko mit den schillernden Perlmuttknöpfen. Darunter trug er ein schwarzes T-Shirt.

»Wie bist du ausgerechnet aufs Podcasten gekommen?«, fragte die Moderatorin.

Kilian lächelte sie wieder an und schob sich die Brille zurecht. »Ich habe schon früher neben dem Publizistikstudium an der Uni Wien als selbstständiger investigativer Journalist gearbeitet. Auf das Medium Podcast bin ich zunächst als Hörer aufmerksam geworden. Nachdem ich es entdeckt hatte, wollte ich es unbedingt selbst ausprobieren, um damit experimentieren zu können, um neue Möglichkeiten zu erschließen und ein größeres Publikum zu erreichen … und zwar mit einem Thema, das mich interessiert. Ich habe im Lauf der Jahre sozusagen mein Interesse zum Beruf gemacht.«

»Kriminalistik«, fügte die Moderatorin erklärend hinzu. »Aber warum gerade einen Podcast? Warum kein Sachbuch oder weitere Artikel für Zeitschriften?«

Kilian rückte die Kopfhörer zurecht und wischte sich die blonden Locken aus der Stirn. O Mann, dieses Lächeln, dachte Dreyer. Gut, dass die Hörer das nicht sehen konnten. Jede potenzielle Schwiegermutter wäre dahingeschmolzen. Aber schon Kilians sympathische Stimme genügte wohl, um einen Großteil der Zuhörerinnen für ihn einzunehmen.

Kilian rutschte auf dem Sitz herum. »Jeder hat ein Smartphone in der Tasche und ist permanent online. Zuhören kann man sogar während des Autofahrens oder des Kochens. So erreiche ich mehr Menschen – aber der eigentliche Grund ist einfach der: Es macht mir richtig Spaß.«

»Dass das Medium dir liegt, merken wir auch hier im Studio. Und auch deine Hörerinnen und Hörer lassen sich mitreißen, denn pro Podcast zu einem neuen Kriminalfall gibt es mehrere Tausend Kommentare von deinen Abonnentinnen und Abonnenten.«

»Herrgott, muss das sein?«, knurrte Fichtinger.

Dreyer warf ihrem Kollegen, der neben ihr direkt unter dem leuchtenden On Air-Display stand und mit den Augen rollte, einen Blick zu. Sie wusste, dass Fichtinger übertriebenes Gendern genauso nervte wie sie.

»Kommen wir zur ersten Frage«, sagte die Moderatorin und betätigte einen Knopf. Es folgte kurzer Small Talk mit einer jungen Frau, dann stellte diese ihre Frage. »Warum hast du dich auf mysteriöse Kriminalfälle spezialisiert?«

»Ungelöste und österreichische mysteriöse Kriminalfälle«, ergänzte Kilian. »Ich denke, das sind beides wichtige Aspekte. Mein Podcast soll einen Mehrwert bieten. Dinge, die man sonst nicht erfahren würde – und die eher regionalen Fälle werden ja oft vernachlässigt –, kombiniert mit einem plausiblen Lösungsvorschlag.«

»Und tatsächlich bekommt man dadurch einen anderen Blickwinkel auf so manche Kriminalfälle«, ergänzte die Moderatorin, drückte auf einen weiteren Knopf und begrüßte die nächste Anruferin, die etwas älter klang.

»Wie wählst du deine Fälle aus? Woher bekommst du deine Gäste? Wie kommst du an die Unterlagen ran? Immerhin sind es ja noch laufende Ermittlungen«, lauteten die Fragen.

»Das sind tatsächlich interessante Fragen«, säuselte die Moderatorin.

Dreyer verdrehte die Augen. Sag noch einmal tatsächlich, und ich muss mich übergeben.

»Anfangs war es schwierig, Gäste für meinen Podcast zu finden, aber mittlerweile ist das dank der großen Reichweite kein Problem mehr. Ich hatte schon ehemalige Gerichtsmedizinerinnen, Detektive, Ärztinnen oder Computerspezialisten vor dem Mikrofon. Da ich auch Kontakt zu Zeugen, Anwälten und den Hinterbliebenen der Opfer habe, ist es mir möglich, relativ einfach an die Unterlagen zu kommen. Und als Journalist darf man Fragen stellen und spekulieren. Das ist sogar unsere Aufgabe.«

»Und so hast du mit deinem Podcast tatsächlich schon einige Verdächtige vor einer vorschnellen Verurteilung bewahren können«, ergänzte die Moderatorin lächelnd.

Tatsächlich! Dreyer sah zu Fichtinger und streckte sich den Finger in den Mund, als wollte sie sich übergeben. Zum Glück gab es jetzt eine kurze Pause mit drei Songs direkt hintereinander, gefolgt von Nachrichten, Wetter und den morgendlichen Staumeldungen um halb acht.

Anschließend ging es gleich mit der Frage eines Hörers weiter, der offenbar selbst Podcaster war, weil er sich hauptsächlich für technische Fragen interessierte, die Kilian alle souverän beantwortete. »… und zuletzt die Frage: Warum läuft dein Podcast so gut? Was ist dein Geheimnis?«

Kilian lächelte, fühlte sich anscheinend geschmeichelt. »Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass es so klingt, als wäre es spontan entstanden und nicht perfekt auschoreografiert. Die Aufnahme sollte handgemacht wirken.«

»Allzu Perfektes klingt tatsächlich langweilig«, ergänzte die Moderatorin.

»Richtig.« Kilian nickte. »Stattdessen konzentriere ich mich aufs Wesentliche, ohne viele Gimmicks und so wenig geschnitten wie möglich mit allen Hängern, Patzern und Versprechern. Das wirkt automatisch sympathischer.«

»Offenbar ist das dein Erfolgsrezept«, sagte die Moderatorin. »Spielen wir noch ein paar Songs, die zum Thema passen – I shot the Sheriff von Bob Marley, Jailhouse Rock von Elvis und Smooth Criminal von Michael Jackson. Danach kommen wir zu unserem letzten Anrufer oder zu unserer letzten Anruferin.«

Es folgte erneut Musik, und Dreyer nickte ihrem Kollegen zu, der sein Handy aus der Tasche holte und sich in eine Nische verkrümelte.

Die Volontärin des Radiosenders nutzte die Unterbrechung im Interview, schlich zu Dreyer und senkte die Stimme: »Möchten Sie vielleicht jetzt eine Tasse Kaffee?«

Dreyer winkte ab, ohne den Blick von Kilian zu nehmen. Es war nicht zu verstehen, worüber er sich in der Pause mit der Moderatorin unterhielt, aber Dreyer schätzte, dass es sich dabei um belanglosen Small Talk handelte, da beide sich gut zu amüsieren schienen.

Nach dem dritten Song zog die Moderatorin das Mikrofon wieder näher zu sich heran. »Kommen wir nun zu unserem letzten Anrufer.« Nach einem kurzen Einführungsgeplänkel hörte Dreyer eine tiefe Männerstimme.

»Wie haben Sie den Tod Ihrer Tochter verarbeitet?«

Augenblicklich gefror Kilians breites Lächeln, sein Blick glitt starr ins Leere. Die Moderatorin grätschte sofort dazwischen. »Tut mir leid, dass ich mich da jetzt einmische, aber wir hatten zuvor vereinbart, dass wir dieses Thema nicht ansprechen.«

»Nein, ist schon okay«, sagte Kilian, woraufhin die Moderatorin verwirrt die Stirn runzelte. Der Podcaster nickte, dann rückte er näher zum Mikro. »Die meisten Hörerinnen werden das nicht wissen, aber mit neunzehn bin ich mit Jana, meiner Jugendliebe zusammengezogen, in das ehemalige Reihenhaus meiner Eltern. Im Jahr darauf bekamen wir eine Tochter. Viktoria wurde nur drei. Sie starb nach einer Operation.« Er...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2023
Reihe/Serie Walter Pulaski
Walter Pulaski
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte 2023 • Bestseller • Bestsellerliste • crime podcast • eBooks • Evelyn Meyers • Heimatkrimi • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • Österreich • Peter Hogart • Polizeiarbeit • Rachequartett • spiegel bestseller • Spiegelbestseller • SPIEGEL-Bestseller • Spiegel Bestseller Autor • Spiegel Bestsellerliste aktuell • Thriller • True Crime • unter Verdacht • Walter Pulaski • Wien
ISBN-10 3-641-26129-5 / 3641261295
ISBN-13 978-3-641-26129-0 / 9783641261290
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