Kernschatten (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12028-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kernschatten -  Nils Westerboer
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»...fantastisch, beklemmend ... Kernschatten nimmt dem Leser den Atem.« Lydia Herms, rbb radioeins Im Kernforschungszentrum CERN entsteht eine fremde Substanz. Die Entdeckung ist bahnbrechend, denn so winzig die Probe des unbekannten Materials auch ist - viele der uns bekannten Naturgesetze scheinen darin nicht zu gelten. Die Forscher stellen fest: Es breitet sich aus. Langsam, aber unaufhaltsam. Wohin mit der gefährlichsten Entdeckung aller Zeiten? Militärische Sperrzonen, schweigsame Menschen und eine Nacht, die 23 Stunden dauert. Murmansk, 270 Kilometer nördlich des Polarkreises, könnte der perfekte Ort sein, um ungestört an einer gefährlichen Substanz zu forschen. Doch als der frisch beförderte Kommissar Kolja Blok mit dem Fall eines seltsam entstellten Toten in einem Murmansker Park betraut wird und feststellt, dass es sich um einen verschwundenen CERN-Wissenschaftler handelt, kommt er dem Geheimnis auf die Spur - ohne seine Tragweite ahnen zu können. Gleichzeitig stößt der junge Hochzeitsfotograf Mika Mikkelsen auf ein Schwarzweißbild des vermissten Forschers, auf dem dieser noch lebend zu sehen ist. Wie Kolja Blok beginnt auch er, Nachforschungen anzustellen. Ohne voneinander zu wissen, legen sich die beiden mit einem unbekannten Feind an - und lösen eine Kettenreaktion von Ereignissen aus, an deren Ende nicht weniger auf dem Spiel steht als die Welt... »Wissenschaftsthriller gibt's viele. Dunkler und rasanter als Kernschatten ist kaum einer.« - Michael Schleicher, Münchner Merkur

Nils Westerboer, geboren 1978, war nach der Schule in Israel tätig, unter anderem als Betreuer für Menschen mit Behinderung, Hausmeister und Trainer für Sprengstoffsuchhunde. Anschließend studierte er Germanistik, Theologie und Medienwissenschaften in München und Jena. Als Naturfilm-Kameraassistent ging er für ZDF, NDR und arte auf Tuchfühlung mit Hornissen, Wölfen und Vampiren. Seit 2012 unterrichtet er an einer Gemeinschaftsschule. Sein Debüt »Kernschatten« wurde für den Deutschen Science-Fiction-Preis 2015 nominiert. Zuletzt erschien in der Hobbit-Presse sein Buch »Athos 2643«.

Nils Westerboer, geboren 1978, war nach der Schule in Israel tätig, unter anderem als Betreuer für Menschen mit Behinderung, Hausmeister und Trainer für Sprengstoffsuchhunde. Anschließend studierte er Germanistik, Theologie und Medienwissenschaften in München und Jena. Als Naturfilm-Kameraassistent ging er für ZDF, NDR und arte auf Tuchfühlung mit Hornissen, Wölfen und Vampiren. Seit 2012 unterrichtet er an einer Gemeinschaftsschule. Sein Debüt »Kernschatten« wurde für den Deutschen Science-Fiction-Preis 2015 nominiert. Zuletzt erschien in der Hobbit-Presse sein Buch »Athos 2643«.

BELICHTUNGSZEIT


1


Die Frau, die Mika aus der schwappenden Tunke des Fixierbades heraus ansah, war keine Braut.

Das Wenige, das sie trug, bestand aus einem Bündel glitzernder Armreifen und einem langen, fast ärmellosen Pullover, dessen Ausschnitt über ihren rechten Oberarm gespannt war und so den Blick auf eine makellose Schulter freigab. Aus dieser ging ein gerader und schlanker Hals hervor, dessen andere Seite von schwarzem Haar begrenzt war. Sie trug es offen, dennoch war es wie ein einziger glatt gestrichener Bund hingelegt und endete in wenigen, penibel geschnittenen Spitzen auf ihrem Schlüsselbein.

Ihr Mund war schön. Über ihm lagen kräftige Wangenknochen, die durch ihre gekonnte Ausleuchtung sanfte Schatten auf die Wangen warfen. Mika fischte das Bild mit einer Zange aus der Flüssigkeit und ließ es in das danebenstehende Wasserbad gleiten.

Jetzt schien sie ihn direkt anzusehen.

Der Pigmentierung nach waren ihre Augen grün, vielleicht aber auch blau. In jedem Fall waren sie hell und standen in einem schönen Kontrast zum schmal, aber kräftig gezogenen Lidstrich, der alles, was er umzeichnete, wie geschliffenes Glas aufblitzen ließ.

Mika nahm das Bild aus dem Wasser und hängte es mit einer Klammer an die Trockenleine. Als das zweite Bild im Entwickler Konturen annahm, beschleunigte sich Mikas Puls. Schon beim Entwickeln des Filmstreifens hatte er festgestellt, dass er nichts anderes als Portraitaufnahmen derselben Frau zu enthalten schien. Doch nun konnte er auf Details achten.

Irina, wie Mika sie der Kritzelei auf der Filmdose nach getauft hatte, stand nun im Profil und blickte lächelnd über ihre freie rechte Schulter, die sie mit gespielter Arroganz hochhielt. Dazu stemmte sie ihre Hände in die Hüften und zog die Ellenbogen zurück.

Als das Bild den richtigen Kontrast erreicht hatte, zog Mika es aus der Flüssigkeit und versenkte es vorsichtig in der Wanne daneben, die den Entwicklungsprozess stoppte.

Mit diesem Moment stand und fiel das endgültige Ergebnis. Die Tatsache, dass er, im Unterschied zur Arbeit am Computer, keinen weiteren Einfluss auf die Bilder hatte, also weder Falten glätten, Leberflecken entfernen oder Farbe auftragen konnte, berührte ihn auf eigenartige Weise. Dazu kam, dass diese Bilder ohnehin nicht den geringsten Anlass boten, irgendetwas an ihnen zu ändern. Mika blieb also nur die Aufgabe, ihre Makellosigkeit nicht zu trüben.

Als zwei Fotos nebeneinander an der Leine hingen, seufzte er. So etwas wie Freude bei der Arbeit zu haben, war ein seltener Ausnahmezustand geworden. Und sosehr er dem Zufall dankte, der ihm diese Bilder zugespielt hatte, so sehr war es eine Kränkung, nur so wenig Zeit für sie zu haben.

Ein Blick auf die Digitaluhr, die neben der Wanne mit dem Entwickler stand, bedeutete ihm, dass er sich beeilen musste, wollte er bis sieben Uhr fertig werden.

Auf dem dritten Bild war Irinas Lächeln verschwunden, dennoch lag ein unbestimmtes Vergnügen in ihrem Gesicht, das Mika für einige Sekunden den Atem raubte. Sie hielt ihren Kopf schief und spitzte die Lippen, wodurch ihre Wangenknochen entschieden hervortraten. Im Vergleich zum vorherigen Bild hatte sie ihre Augenlider um wenige Millimeter gesenkt. Der Effekt war einschneidend und man sah ihr an, dass sie um ihn wusste.

Mika vergaß beinahe, das Bild rechtzeitig in die Stopperwanne zu legen, bevor es schwarz wurde.

Während er nach Fotopapieren suchte, malte er sich den Fluch und den Segen aus, den eine solche Frau bedeuten mochte, und er war sich nicht sicher, ob er den Fotografen beneiden oder bedauern sollte. Im Schutz der Dunkelkammer tendierte er aber zu Ersterem. Schmerzlich drang ihm ins Bewusstsein, dass gerade eine Dunkelkammer der letzte Ort war, an dem er sich Hoffnungen auf eine vergleichbare Bekanntschaft zu machen brauchte.

Hier traf man, wenn es hochkam, auf Praktikanten.

2


Der Arzt roch nach Ethanol und Anis. Zu jedem Handgriff schnaufte er wie ein alter Hund und sah unentwegt auf seine Armbanduhr, die den Diebstahl an seinem Feierabend sekundengenau bemaß. Neben dem Obduktionstisch lagen bereits drei volle Kleidersäcke. Blok und Jakowlew halfen dem Mediziner, die letzte Unterhose von den Hüften der Leiche zu zerren. Ihr grinsendes Gesicht wippte dabei hin und her, als hätte sie Spaß dabei. Blok konnte kaum hinsehen.

»Erfroren«, maulte der Arzt, nachdem er die Unterhose in die Plastiktüte gesteckt hatte.

»So einfach?«, fragte Blok.

Der Arzt sah ihn böse an und lief den Tisch entlang zum Kopfende des Toten, der nun nackt vor ihnen lag.

»Gewalteinwirkung? Nein. Druckstellen und Blutergüsse? Nein. Nichts ist aufgeplatzt, nichts geschürft. Ich denk mal, der Fundort sah auch nicht nach einer Prügelei aus?«

Blok musste verneinen.

»Erfroren«, wiederholte der Arzt und sah auf seine Uhr.

»Das ist schon mindestens Grad zwei, oder?«, erkundigte sich Jakowlew eifrig und zeigte auf die entsprechenden Stellen an den Händen und Füßen des Toten. Der Arzt musterte ihn verwundert.

»Wenn Sie so wollen, ja.«

Blok ging das Ganze zu schnell.

»Und was ist mit seiner Hand?«, fragte er.

Ein Stück des rechten kleinen Fingers fehlte. Blok hatte es beim Ausziehen der Leiche nicht bemerkt, aber Jakowlew war es sofort aufgefallen und er hatte ihn leise darauf hingewiesen. Der Stumpf war etwa zwei Zentimeter lang, ab dem ersten Fingergelenk fehlte der Rest.

»Ist alt.«

Blok seufzte.

»Und wie erklären Sie sich diesen Gesichtsausdruck?«, fragte er.

Der Arzt zuckte mit dem Schultern.

»Vielleicht hat er sich was Schönes ausgedacht.« Er zog sich die Gummihandschuhe aus und warf sie in die Mülltonne. »Oder ein paar Spaßvögel haben ihn bearbeitet.«

Schnaufend lief er zur Tür und griff nach seiner Jacke, die er über die Klinke gehängt hatte. »Obdachlos war er nicht, dazu riecht er zu sehr nach Tod und zu wenig nach Sekret. Sie entschuldigen mich. Noch habe ich eine Familie.«

»Und was soll jetzt mit ihm passieren?«, schob Blok hastig nach. Er hätte sich am liebsten auf die Glatze gehauen, als ihm klar wurde, wie überflüssig diese Frage war, und er glaubte, den Rothaarigen hinter sich glucksen zu hören.

Der Arzt schlüpfte in seine Jacke. Dann ließ er seinen Blick über die metallisch schimmernde Wand mit den Kühlkammern schweifen, die sich auf der gegenüberliegenden Seite des hellgrün gefliesten Raums befand.

»Packen Sie den Glückskeks doch einfach in den Adventskalender hier.« Er zeigte auf eine der Schubladen in der untersten Reihe. »Türchen 24 ist noch frei.«

Damit ließ er Blok und die anderen im Obduktionsraum zurück. Aus dem Treppenhaus war noch eine ganze Weile sein Atmen zu hören, bis es im dröhnenden Hallen der schweren Eingangstür unterging.

»Wolltest du mich ärgern?«, fragte Blok und sah Jakowlew düster an.

»Die Vermittlung lief über deine Dienststelle, ich habe ihn nicht rausgesucht«, sagte Jakowlew unschuldig. »Aber er hat Recht, wir sollten ihn langsam kalt stellen.«

Blok befahl den anderen, sich Schürzen und Handschuhe anzuziehen. Dann hoben sie den Körper auf einen Rolltisch und schoben ihn zur Schublade 24. Mit den Füßen voran versenkten sie ihn schließlich in der kühlen Dunkelheit. Nachdem die Schublade eingerastet war, atmete Blok auf.

»Gentlemen, wir sehen uns Montag, danke«, sagte er freundlich.

Die Männer ließen sich das nicht zweimal sagen. Wenig später türmte sich Schutzkleidung auf dem Rollwagen, der Rothaarige stand als Letzter in der Tür.

»Wenn ich noch etwas tun kann, Sir …«, fragte er, etwas mühsam gegen den Lärm im Treppenhaus ankämpfend. Da es ehrlich geklungen hatte, nahm Blok an, dass ihm das letzte »Sir« aus Gewohnheit herausgerutscht war, und blieb ruhig.

»Wie heißen Sie?«, fragte er.

»Marat, Dinijar.«

Blok warf ihm einen netten Blick zu.

»Ich melde mich, wenn ich Sie brauche«, sagte er. Marat nickte und verschwand nach draußen.

Blok half dem Nachtwächter, die Kittel und Schürzen in den Sack zur Desinfektion zu stecken. Während sie sich aus ihrer eigenen Schutzkleidung schälten, schlug Jakowlew vor, in seinem Büro noch einen Kaffee zu trinken. Sie gingen in den dritten Stock. Das Treppenhaus war spärlich beleuchtet.

»Kannst du kurz warten?«, bat Jakowlew, als sie vor der Tür seines Büros...

Erscheint lt. Verlag 18.2.2023
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Bedrohung • CERN • Kettenreaktion • Krimi • Kriminalroman • Naturwissenschaften • Physik • Polizei • Russland • Schweiz • Sciene Fiction • Sci-fi • Thriller • Unfall • Wissenschaft • Wissenschaftler • Wissenschaftsthriller
ISBN-10 3-608-12028-9 / 3608120289
ISBN-13 978-3-608-12028-8 / 9783608120288
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