Das Erbe der Toten (eBook)
496 Seiten
Goldmann Verlag
978-3-641-30459-1 (ISBN)
John Rebus ist angeklagt - für ein Verbrechen, das ihn für den Rest seines Lebens hinter Gitter bringen könnte. Es ist nicht das erste Mal, dass der legendäre Ermittler das Gesetz in die eigene Hand nimmt, aber es könnte das letzte Mal gewesen sein. Während Rebus vor Gericht steht, ermittelt seine alte Freundin Detective Inspector Siobhan Clarke in Edinburghs brisantestem Fall seit Jahren: Ein korrupter Polizist wird vermisst. Er hatte damit gedroht, Informationen zu offenbaren, die den gesamten Polizeiapparat der Stadt in den Abgrund reißen könnten. Und auch in dieser Sache scheinen alle Wege zu Rebus zu führen ...
Ian Rankin, geboren 1960, ist Großbritanniens führender Krimiautor, seine Romane sind aus den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Ian Rankin wurde unter anderem mit dem Gold Dagger für »Das Souvenir des Mörders«, dem Edgar Allan Poe Award für »Tore der Finsternis« und dem Deutschen Krimipreis für »Die Kinder des Todes ausgezeichnet. »So soll er sterben« und »Im Namen der Toten« erhielten jeweils als bester Spannungsroman des Jahres den renommierten British Book Award. Für seine Verdienste um die Literatur wurde Ian Rankin mit dem »Order of the British Empire« ausgezeichnet.Mit »Ein Rest von Schuld« hatte Ian Rankin seinen Ermittler John Rebus nach 17 Fällen in den Ruhestand geschickt und ließ Inspector Malcolm Fox die Bühne betreten. Doch mit »Mädchengrab« kehrte Rebus wieder zurück.Ian Rankin lebt mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in Edinburgh.
1
Die Pubs hatten wieder geöffnet. Man musste sich nicht mal mehr anmelden und konnte auch nicht mehr nur ausschließlich am Tisch bestellen. Am Tresen stehen kam einem jetzt vor wie etwas ganz Neues, auch wenn an der Tür noch Desinfektionsmittel zum Desinfizieren der Hände bereitstand, ein QR-Code aushing oder man seinen Namen, irgendeinen, und eine Telefonnummer, auch irgendeine, in ein Formular auf einem altmodischen Klemmbrett eintrug. Rebus hatte immer noch keine Ahnung, wie das mit dem QR-Code eigentlich funktionierte. Hin und wieder hatte es ihm ein fachkundiger Gast oder einer der Barleute zeigen wollen, aber die Information war von der Oberfläche seines Gehirns abgeprallt wie ein flacher Stein auf Wasser und in unergründlichen Tiefen versunken.
Heute saß er in einem Pub am Brougham Place. Er war im Licht der untergehenden Wintersonne mit Brillo über die Bruntsfield Links spaziert, wo Hund und Herrchen lange Schatten geworfen hatten. Wie üblich hatte im Melville Drive reger Verkehr geherrscht, und jede Menge Studenten waren unterwegs gewesen. Vermutlich hatten auch die Universitäten wieder ihren gewohnten Betrieb aufgenommen. Eine Zeitlang war es wirklich sehr ruhig gewesen, Rebus hatte wegen seiner COPD bis zum Start des Impfprogramms Ausgangsverbot gehabt und zu Hause gesessen. Aber jetzt war er ein freier Mensch und sogar geboostert. Bei Treffen mit seiner Tochter und seiner Enkelin musste er nicht mehr auf Abstand achten, die beiden nicht mehr auf einer Seite des Gartentors und er auf der anderen stehen, und sie stellten ihm auch keine Einkaufstüten mehr vor die Tür. Endlich konnte man wieder sein Leben leben. Er konnte Samantha und Carrie in die Arme schließen, auch wenn er bei seiner Enkelin eine gewisse Zurückhaltung spürte, da sie noch ungeimpft war. Normalisierte sich gerade alles wieder, oder gab es gar keine Normalität mehr, in die es zurückzukehren galt? Die Gäste im Pub setzten immer noch ihre Masken auf, wenn sie aufstanden und herumgingen. Und zuckten nach wie vor zusammen, wenn plötzlich jemand laut hustete. Der Lockdown hatte Rebus den perfekten Vorwand geliefert, trotz seiner Schwindelanfälle und Brustschmerzen nicht zum Arzt zu gehen. Vielleicht würde er ja jetzt doch endlich was unternehmen.
Vielleicht aber auch nicht.
Erst mal begnügte er sich mit der Abendzeitung. Darin war ein Artikel über die Geschäfte auf der Royal Mile, deren Inhaber sich von Ladendieben und Süchtigen bedroht fühlten, die sich offenbar ungestraft an den Waren bedienten. In West Lothian war ein Wagen mit Säure mutwillig beschädigt worden und unweit davon entfernt eine Brandbombe auf ein Haus geflogen. Wahrscheinlich handelte es sich um einen Bandenkrieg, das wusste Rebus. Wobei ihn das gar nichts anging, jedenfalls nicht mehr. Als sein Handy piepte, zuckte ein Säufer am Nachbartisch sichtlich zusammen. Rebus schüttelte langsam den Kopf, um den Mann zu beruhigen und ihm zu signalisieren, dass es sich um eine ganz normale Nachricht handelte und keine Corona-Warnung. Als er aufs Display schaute, erkannte er jedoch, dass die Mitteilung alles andere als normal war, denn sie stammte von Cafferty. Morris Gerald Cafferty, auch Big Ger genannt.
Bist du gar nicht mit dem Hund draußen?
Rebus überlegte, ob er die Frage ignorieren sollte, fürchtete aber, dass Cafferty sowieso nicht lockerließ.
Doch, lautete seine einsilbige Antwort. Cafferty reagierte sofort.
Wieso sehe ich dich dann nicht?
Pub.
Welches?
Wieso?
Hast du so einen beschissenen Handyvertrag, dass du keine längeren Nachrichten schreiben darfst?
Kann sein.
Rebus wartete, nahm einen Schluck Bier und wartete. Brillo hatte sich neben seinen Füßen zusammengerollt, schlief nicht, tat aber recht überzeugend so, als ob. Rebus legte sein Handy auf den Tisch und schwenkte sein Bier im Glas, frischte die Schaumkrone auf. Irgendjemand hatte ihm mal erklärt, dass man das nicht machte, aber er hatte vergessen, warum.
Ping. Ich muss dich sprechen.
Ping. Komm zu mir in die Wohnung.
Ping. Keine Eile. Innerhalb der nächsten Stunde reicht. Trink aus und bring den Hund nach Hause.
Er überlegte, was er antworten sollte. Musste er antworten? Nein, er würde sowieso hingehen, und Cafferty wusste das. Er würde hingehen, weil er neugierig war – neugierig auf alles. Er würde hingehen, weil Cafferty und er eine gemeinsame Geschichte hatten.
Andererseits wollte er aber auch nicht allzu versessen wirken. Er zog seine Maske auf, ging zum Tresen und bestellte erst mal noch ein Bier.
Cafferty wohnte im dreistöckigen Penthouse eines vollständig verglasten Hochhauses in Quartermile, einer Neubausiedlung. Früher war hier das alte Krankenhaus von Edinburgh gewesen, und die inzwischen sanierten ehemaligen Gebäude standen jetzt eingezwängt zwischen den neuen Konstruktionen aus Stahl und Glas. Rebus dagegen wohnte nur zehn Minuten zu Fuß entfernt in einer Erdgeschosswohnung in einer ruhigen Wohnstraße in Marchmont. Der Melville Drive lag dazwischen. Auf Rebus’ Seite befanden sich die Bruntsfield Links, wo in den Sommermonaten Pitch-and-Putt gespielt wurde. The Meadows, ein weitläufiges grasbewachsenes Gelände, lag auf Caffertys Seite. Meist begegnete man hier unzähligen Joggern, Radfahrern und Leuten mit Hunden. Auf dem Weg nach Quartermile musste Rebus einigen ausweichen. Er fragte sich, ob Cafferty ihn bereits beobachtete. Für alle Fälle grüßte er schon mal mit erhobenem Mittelfinger in Richtung des entsprechenden Wohnblocks und erntete verdutzte Blicke seitens eines jungen Paars auf einer Bank.
Vor Caffertys Haustür hielt er noch einmal kurz inne. Er wünschte, er würde noch rauchen. Eine Zigarette hätte ihm einen vernünftigen Vorwand geliefert, den Besuch noch ein bisschen hinauszuschieben. Stattdessen drückte er jetzt auf die Klingel. Die Tür öffnete sich mit einem Klicken, der Fahrstuhl transportierte ihn acht Stockwerke bis nach oben. Hier gab es nur eine Tür. Sie stand bereits offen. Ein gutgebauter junger Mann sammelte die Post ein, die offenbar zu einem früheren Zeitpunkt durch den Briefschlitz geworfen worden war. Der junge Mann hatte blonde Haare, und man sah ihm seine regelmäßigen Besuche im Fitnessstudio an. Am linken Handgelenk trug er so was wie einen Schrittzähler, dafür aber keine Uhr und keine Ringe.
»Und wer sind Sie?«, wollte Rebus wissen.
»Mr Caffertys persönlicher Assistent.«
»Muss ein toller Job sein, dem alten Sack den Arsch wischen zu dürfen. Danke, ich kenne den Weg.« Rebus schnappte seinem Gegenüber die Post aus der Hand. Er war noch keine zwei Schritte durch den Flur weitergegangen, als ihn eine starke Pranke an der Schulter aufhielt.
»Ich muss Sie abtasten.«
»Das ist ein Witz, oder?« Der Gesichtsausdruck des jungen Mannes verriet über jeden Zweifel erhaben, dass es keiner war. Seufzend zog Rebus den Reißverschluss seiner Daunenjacke auf. »Sie wissen, dass ich eingeladen wurde? Das heißt, ich bin so was wie ein Gast und kein beschissener Ninja.«
Der Mann strich mit den Händen um Rebus’ Rippen, fuhr ihm unter die Achseln und tastete seinen Rücken ab. Als er in die Hocke ging, um auch Rebus’ Hosenbeine zu prüfen, hätte dieser ihm am liebsten ein Knie ins Gesicht gerammt, ließ es aus Angst vor möglichen Konsequenzen aber doch bleiben.
»Ich hoffe, Ihnen hat das genauso viel Spaß gemacht wie mir«, sagte er, als sich der Mann wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete. Statt zu antworten, nahm der Assistent die von Rebus’ einkassierte Post wieder an sich und führte ihn in den geräumigen und offenen Wohnbereich.
Rebus fiel auf, dass ein Treppenlift eingebaut worden war, ansonsten sah aber alles noch genauso aus, wie er es in Erinnerung hatte. Cafferty saß vor den bodentiefen Fenstern in seinem elektrischen Rollstuhl. Auf einem niedrig eingestellten Stativ, gerade in der richtigen Höhe für eine sitzende Person, war ein Fernrohr befestigt.
»Wahrscheinlich hast du’s nötig, um auf deine Kosten zu kommen«, meinte Rebus.
Cafferty drehte den Kopf halb zu ihm um und lächelte gequält. Er hatte abgenommen, wirkte ungesund blass. Sein Blick war noch immer stahlhart, und seine großen, geballten Fäuste erinnerten an vergangene schmerzhafte Begegnungen.
»Keine Blumen, keine Pralinen?«, fragte er und musterte Rebus von oben bis unten.
»Ich hab ein Dutzend weiße Lilien vorbestellt, wenn’s so weit ist.« Rebus tat, als interessierte ihn der Ausblick über The Meadows bis zu den Schornsteinen von Marchmont. »Die haben ihn immer noch nicht gefunden, oder?«, sinnierte er. »Den Kerl, der auf dich geschossen hat? Ich denke, das wird auch nicht passieren.«
»Andrew, sei so gut, hol John was zu trinken. Vielleicht einen Kaffee gegen den Alkohol?«
»Alkohol ist sinnlos, wenn man hinterher was dagegen trinkt.«
»Dann einen Whisky? Bier hab ich nicht.«
»Ich brauche nichts, ich will nur wissen, warum ich hier bin.«
Cafferty starrte ihn an. »Ich freue mich auch, dich zu sehen.« Er wendete den Rollstuhl und steuerte quer durch den Raum auf den langen gläsernen Wohnzimmertisch zu, gab Andrew dabei Zeichen, er möge sich verziehen.
»Was ist der? Dein Pfleger oder dein Leibwächter?«, fragte Rebus und folgte dem Rollstuhl.
Cafferty zeigte auf das cremefarbene Ledersofa, und Rebus ließ sich darauf nieder, schob ein großes Kissen mit Andreaskreuz beiseite. Auf dem Tisch lag die Post, die Andrew dort hingelegt hatte,...
Erscheint lt. Verlag | 12.4.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Inspector-Rebus-Roman | Ein Inspector-Rebus-Roman |
Übersetzer | Conny Lösch |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | A Heart Full of Headstones |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • A Heart Full of Headstones • eBooks • Edinburgh • Ermittler unter Verdacht • interne Ermittlungen • John Rebus • Korruption • Krimi • Kriminalromane • Krimis • Neuerscheinung • Neuerscheinung 2023 • Polizeiarbeit • Schottland • Spiegel-Bestseller-Autor • Thriller |
ISBN-10 | 3-641-30459-8 / 3641304598 |
ISBN-13 | 978-3-641-30459-1 / 9783641304591 |
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