Wattenmeergrab (eBook)
352 Seiten
Blanvalet Taschenbuch Verlag
978-3-641-29840-1 (ISBN)
Pellworm, Nordsee. Im Watt vor der Insel stößt Tamme Hansen, der selbsternannte Assistent des Inselpolizisten Jan Benden, auf ein altes Bronzeschwert. Er ist sicher: Es muss ein sagenhaftes, antikes Artefakt sein! Einige Wochen später wird auch Jan ins Watt gerufen, da eine weibliche Leiche gefunden wurde. In ihrer Hosentasche entdeckt er ein durchweichtes Foto - und das zeigt ausgerechnet das von Tamme gefundene Schwert! Die Ermittlungen erweisen sich als besonders harte Nuss, doch gemeinsam mit seinem skurrilen Team wird der findige Jan diese wohl knacken - oder?
Spannende Fälle, atmosphärisches Inselsetting und charmante Charaktere: Die »Der Inselpolizist«-Reihe begeistert alle Leser*innen! Lesen Sie auch:
»Wattenmeermord« und »Wattenmeerfeuer«.
Katja Lund hat Markus Stephan kennengelernt, als sie auf Pellworm Urlaub vom Schreiben machen wollte und seitdem verfassen die beiden gemeinsam humorvolle Krimis, die auf der nordfriesischen Insel spielen. Unter ihrem Klarnamen Kathrin Lange hat sie bereits mehrere Thriller veröffentlicht. Sie lebt in Niedersachsen, träumt aber schon lange von einem Haus »achter'n Diek«.
Mittwoch (fünf Jahre später)
»Heute bin ich über Rungholt gefahren …« Leise vor sich hinsummend marschierte Tamme Hansen durch das Watt nördlich der Hallig Südfall. Der Wind wehte viel zu mild dafür, dass es gerade mal Mai war. In der Luft lag der Geruch des Schlicks, und wenn Tamme die Augen schloss und tief einatmete, dann glaubte er, auch den Torfrauch zu riechen, der sich hier noch vor hundert Jahren aus den Schornsteinen der Häuser gekräuselt hatte.
Er lachte leise. Unsinn! Niemand konnte in die Vergangenheit blicken. Und die Menschen, die bei den beiden verheerenden Überschwemmungen – den Groten Mandränken – im 14. und 17. Jahrhundert ihr Leben verloren hatten, waren längst vergessen. Ebenso wie all jene, die nach ihnen gelebt und ihr Andenken bewahrt hatten. So war nun mal der Lauf der Zeit. Man wurde geboren. Lebte. Starb. Das Hier und Jetzt zu genießen war alles, was man tun konnte.
Tamme grinste.
Dann warf er einen Blick in den dramatischen Himmel über dem Watt. Die Wolken hatten eine ungewöhnlich gelbliche Farbe und trieben schnell von West nach Ost. Wenn das man nicht demnächst ein Gewitter gab! Ein Austernfischer, der Tamme schon eine Weile begleitet hatte, landete nur wenige Meter vor ihm im Schlick und beäugte ihn, als wollte er sagen: Was hast du denn hier zu suchen?
»Solltest du nicht beim Brüten helfen?«, fragte Tamme ihn. Der Vogel reagierte nicht darauf, sondern begann, im Schlick herumzustochern. Vielleicht war er von seiner besseren Hälfte abkommandiert worden, etwas zu essen zu holen, dachte Tamme. Und dann dachte er an Inka, seine Freundin, die ihn hierher ins Watt geschickt hatte.
Allerdings wollte Inka nicht, dass er etwas fürs Abendessen besorgte. Das war bei Niedrigwasser ja auch eher schwierig, wollte man nicht gerade ein paar Wattwürmer ausbuddeln oder einen Muscheleintopf machen, was sich natürlich schon deswegen verbot, weil der nächste Monat, der den Buchstaben R im Namen trug, erst in einem Vierteljahr anstand. Nein, Tamme war im Watt unterwegs, weil Inka neuen Stoff brauchte. Für ihre Kunst. Inka war nämlich Bildhauerin, die aus den ausgefallensten Dingen Skulpturen baute. Die meisten davon fand Tamme völlig rätselhaft, einige auch seltsam. Nur neulich, da hatte Inka aus dem Treibholz, das er ihr gebracht hatte, eine Art Schiffchen gezimmert, das er eigentlich ganz hübsch gefunden hatte. Warum sie es danach allerdings lila angemalt und mit lauter kleinen Schrauben beklebt hatte, war ihm wiederum schleierhaft gewesen. Aber was verstand er schon von Kunst?
Sollte Inka doch machen. Solange sie zufrieden war, war er es auch.
Er ließ seinen Blick über die endlose Weite schweifen. Rechts von ihm konnte man schwach das Festland erkennen, linkerhand voraus lag irgendwo Pellworm. Es ging allerdings im Glitzern der Sonne auf den Schlickflächen unter.
Normalerweise war Inka natürlich selbst im Watt unterwegs, um Treibgut und Material zu sammeln. Aber sie hatte sich im Winter den Fuß gebrochen und konnte immer noch keine langen Wattwanderungen unternehmen. Darum war Tamme jetzt hier draußen.
»Ein einziger Schrei, die Stadt ist versunken und Hunderttausende Menschen ertrunken«, summte er weiter. Er dachte an die Rungholt-Feiern vor einiger Zeit, die man zum Gedenken an die Sturmflut vor exakt 660 Jahren begangen hatte. Irgendeinen Grund zum Feiern brauchte es ja, oder? So lockte man schließlich Leute auf die Insel …
Tamme schüttelte den Kopf. Wohin seine Gedanken nur schon wieder trieben. Die waren ja genauso rastlos wie die Wolken am Himmel. Der Austernfischer hatte einen Wattwurm entdeckt und zog ihn aus dem Schlick. Er musste sich dabei ziemlich anstrengen, denn sein Essen war beinahe so lang wie sein ganzer Körper. Es sah lustig aus, wie der schwarz-weiße Vogel rückwärts trippelte, bis er den Wurm endlich ganz aus dem Boden gezerrt hatte. Mit seiner Beute im Schnabel erhob er sich in die Luft und drehte nach Nordwesten ab. Vermutlich hatte er sein Nest auf den Steinen am Tiefseeanleger, wo es eine ziemlich große Population dieser Vögel gab.
Tamme schaute ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war. Dann richtete er den Blick wieder auf den Boden vor seinen Füßen. Das Austernfischerweibchen bekam sein Fressen. Wurde dann wohl mal Zeit, dass auch er etwas fand, mit dem seine Inka was anfangen konnte.
Ungefähr eine halbe Stunde war vergangen, da erschien im Watt vor ihm etwas. Zuerst war es nur eine Störung im gleichmäßig Rippelmuster auf dem Boden, aber Tamme war zeit seines Lebens im Watt unterwegs gewesen. Er wusste: Irgendwas Größeres lag dort. Genauso hatte er damals auch diese Seehundknochen gefunden, die in seinem ersten Mordfall auf der beschaulichen Insel eine Rolle gespielt hatten. Ihn schauderte es noch heute wohlig, wenn er daran dachte.
Vielleicht war das, was da voraus von dem langsam ablaufenden Wasser umspült wurde, ja endlich wieder mal eine Leiche? Immerhin hatten sie ihren letzten vernünftigen Fall schon im Februar gehabt, und das war Tamme definitiv zu lang her. Er fing ja schon an, sich ’n büschen zu langweilen. Zwar war der Krimi, den er gerade las, recht spannend, zumal es darin um einen geschickten Auftragskiller ging, der reihenweise und ziemlich blutig Menschen umbrachte. Aber für die echten Fälle, die er und Jan Benden, Pellworms einziger Polizist, mittlerweile gemeinsam gelöst hatten, gab es eben keinen Ersatz. Das echte Leben als Kriminaler war schließlich immer noch am spannendsten.
Er lächelte und marschierte auf den Gegenstand zu. Schon von Weitem sah er, dass es diesmal keine Knochen waren. Dazu war das Ding zu gerade und gleichmäßig. Nee, das war irgendwas Künstliches, ein Wrackteil von einem Segelschiff vielleicht, oder irgendwas, das von einem Frachter gefallen und angespült worden war. Jetzt sah Tamme auch, dass es schräg im Schlick steckte. Und kreuzförmig war es, fast wie ein Schwert, das jemand dort hineingesteckt hatte.
Er beschleunigte seine Schritte.
Und dann staunte er. Das Ding war tatsächlich ein Schwert, das war deutlich zu erkennen, auch wenn es über und über mit Seepocken und Muscheln verkrustet war.
Verwundert beugte Tamme sich zu dem Schwert hinunter. Die Gegend hier war Rungholt-Land. Da fand man manchmal Gegenstände, die aus jener Zeit stammten, hauptsächlich Tonscherben, aber ab und zu auch mal einen Kessel oder gar ein Skelett. Ein Schwert allerdings war nicht allzu oft darunter, es war also eine Sensation. Tamme konnte sich nicht daran erinnern, wann sie so etwas zum letzten Mal gehabt hatten.
Er nahm seine Mütze ab, während er das Schwert von allen Seiten betrachtete. Es war mindestens einen halben Meter lang, das schloss er aus der Form des Griffstücks und der Parierstange. Die Waffe eines reichen Mannes vermutlich, auch wenn die Seepocken, die es über und über bedeckten, keinen Rückschluss zuließen, ob es aus Bronze oder Eisen war. Wie auch immer: Seine Oberfläche sah aus wie vernarbt. Das hier war also wirklich alt. Tamme bekam eine Gänsehaut. Für so einen Fund würde Inka ihm glatt um den Hals fallen! Doch schon während er das dachte, wurde ihm klar, dass er das Schwert nicht seiner Freundin geben konnte. Er musste es zu Jan bringen, denn es gehörte nicht ihm, sondern dem Land Schleswig-Holstein. Er würde es Jan übergeben müssen, und vermutlich würde der es an irgendeine dieser Behörden weiterleiten.
Blöd. Aber nicht zu ändern.
Enttäuscht streckte Tamme die Hand nach der Waffe aus.
Nachdem Tamme das Schwert aus dem Schlick gezogen hatte, marschierte er zurück auf die Insel. Bei seinem liebevoll restaurierten VW-Bulli namens Fiete angekommen, wickelte er die Waffe in einen alten Lumpen, den er im Kofferraum fand, und fuhr mit dem Ding schnurstracks nach Tammensiel, wo sich das Amt Pellworm und in demselben Gebäude auch die Polizeistation von Pellworm befand.
Jan saß an seinem Computer, als Tamme sein Büro betrat, schaute von seinem Bildschirm auf und runzelte die Stirn. »Sag jetzt nicht, du hast schon wieder Knochen im Watt gefunden?«, fragte er mit dieser Mischung aus Belustigung und leichter Verzweiflung, die Tamme sich nie so recht erklären konnte.
»Nö«, sagte Tamme. »Moin erst mal!« Er trat an den kleinen Besprechungstisch, der an Jans Schreibtisch angeflanscht war, und legte seinen Fund darauf ab.
Jan, der noch immer die Finger auf der Tastatur hatte, lehnte sich zurück. Er hatte als Inselpolizist ziemlich viel zu tun, und er war für die Pellwormer Ansprechpartner in vielen Fragen, das wusste Tamme. In seinen Augen erklärte das den etwas erschöpften Ausdruck in Jans Gesicht. Gerade jetzt, zu Anfang der Feriensaison, war es oft etwas wuselig auf der Insel.
Jan deutete auf den Lappen. »Was ist das?«
Tamme grinste nur.
Jan beugte sich vor und schlug einen Zipfel des Lumpens so vorsichtig zurück, als habe er Angst, darunter würde ihn etwas anspringen. »Ein Schwert!«, entfuhr es ihm.
»Jo.«
Jans Blick hob sich, und wie immer, wenn er Tamme auf diese Weise ansah, fühlte der sich ein kleines bisschen unbehaglich. Dann war er jedes Mal froh, dass er ein unbescholtener Bürger war und keiner von diesen Leuten, mit denen Jan früher in Essen zu tun gehabt hatte. Damals war Jan bei der Kriminalpolizei gewesen und hatte sich unter anderem auch mit Bandenkriminalität beschäftigt. »Und?«, fragte er jetzt.
Tamme wusste nicht genau, was er meinte.
»Wo hast du das Ding gefunden?«, präzisierte Jan seufzend. Er seufzte häufiger, wenn er mit Tamme sprach. Noch so eine Sache, die in Tammes Augen völlig unverständlich...
Erscheint lt. Verlag | 20.4.2023 |
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Reihe/Serie | Der Inselpolizist | Der Inselpolizist |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 2023 • Anette Hinrichs • Cosy Crime • dritter Fall • eBooks • Gisa Pauly • Heimatkrimi • humorvoll • Insel • Inselpolizist • Krimi • Krimi humorvoll • Kriminalromane • Krimi Neuerscheinungen 2023 • Krimi-Reihe • Krimis • lustig • lustige • Meer • Neuerscheinung • Nordfriesland • Nordsee • Pellworm • Rungholt • Watt • Wattenmeerfeuer • Wattenmeermord |
ISBN-10 | 3-641-29840-7 / 3641298407 |
ISBN-13 | 978-3-641-29840-1 / 9783641298401 |
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