Trotze der Nacht (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
512 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-30427-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Trotze der Nacht -  Brigid Kemmerer
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Das Königreich Kandala wird von einer mysteriösen Krankheit heimgesucht. Der einzige Schutz ist ein Elixier aus Mondflor. Doch die seltene Pflanze ist so teuer, dass sich nur die Reichsten die Medizin leisten können. Deshalb schleicht sich die junge Apothekergehilfin Tessa nachts aus dem Haus und schmuggelt das kostbare Elixier in die Armenviertel - auch wenn es gegen das Gesetz ist. Prinz Corrick ist der Bruder des Königs und der heimliche Herrscher Kandalas. Gnadenlos verfolgt er jeden, der die Privilegien des Adels bedroht. Vor allem die Person, die heimlich die Armen mit Mondflor-Elixier versorgt. Als sich die Rebellin und der Prinz eines Tages begegnen, sprühen sofort die Funken und die einstigen Todfeinde müssen eine Entscheidung treffen: Wollen sie weiter gegeneinander kämpfen oder miteinander für Kandala - und ihre Liebe?

Brigid Kemmerer ist eine New-York-Times-Bestsellerautorin. Sie hat bereits mehrere Jugendbücher veröffentlicht. »Ein Fluch so ewig und kalt« ist der Auftakt zu ihrer neuen Bestseller-Trilogie aus der magischen Welt von Emberfall. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihren vier Jungen in der Nähe von Baltimore.

1  
Tessa


Das Schwerste an meiner Aufgabe ist nicht das Stehlen – sondern das Entkommen. Im besten Falle kostet es mich zwei Minuten, über die Mauer zu klettern und aus dem königlichen Sektor zu verschwinden, aber die Nacht ist kalt und meine Finger werden langsam taub. Die Lichtkegel von Suchscheinwerfern gleiten in unregelmäßigen Abständen über die Wände, das erste Sonnenlicht wird den Himmel erst in einer Stunde erhellen. Ich halte die alte Apothekertasche meines Vaters fest unter dem Arm, verberge mich in der Dunkelheit, warte auf eine Gelegenheit.

In mehreren Sektoren sind die wohlhabenderen Viertel mit Elektrizität ausgestattet – zumindest habe ich das gehört –, aber die Scheinwerfer hier leuchten heller als jede Kerze. Sogar heller als die großen Scheiterhaufen, auf denen die Städte ihre Fiebertoten verbrennen. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, habe ich sie angestarrt wie eine Närrin … bis mir klar wurde, dass diese Lichter gefährlich sind. Ich habe Tage damit verbracht, ein Muster zu erkennen. Irgendwann habe ich es Weston gegenüber einmal erwähnt. Er hat nur geschnaubt und gemeint, es gäbe kein Muster, sondern nur gelangweilte Männer, die eine Lampe an einem Pfahl drehen.

In der letzten Stunde haben sie die Lichter recht ausdauernd geschwenkt.

Ich bewege nervös die Finger und veranschlage für das Klettern über die Mauer zur Sicherheit drei Minuten – dann kaue ich nachdenklich auf der Unterlippe. Diesen Mauerabschnitt trifft der Lichtstrahl spätestens alle zwei Minuten.

Wes wartet wahrscheinlich bereits in der Werkstatt auf mich. Er kann die hohe Steinmauer in einer halben Minute überwinden. Dank seiner Körpergröße kann er hochspringen, mit seinem Enterhaken die hohen Spieße darauf erreichen und dann quasi an der Wand nach oben laufen, um auf die andere Seite zu springen. Ich wäre eifersüchtig, wäre es nicht so faszinierend zu beobachten.

Nicht, dass ich ihm das jemals erzählen würde. Das würde er mich nie vergessen lassen.

Faszinierend, Tessa? Es ist nur eine Mauer. So was hier ist viel anstrengender. Und dann würde er auf einen Baum klettern oder in einem Salto vom Werkstattdach springen oder auf den Händen laufen.

Und dann müsste ich ihn schlagen, weil das immer noch besser wäre, als zuzulassen, dass er die Röte bemerkt, die unter meiner Maske aufsteigt. Denn all das fasziniert mich ebenfalls.

Ich muss aufhören, an Wes zu denken. Die Suchscheinwerfer müssen aufhören, sich zu bewegen. Ich muss meine Runden drehen, oder wir werden wertvolle Zeit verlieren. Manchen Leuten bleiben keine Tage mehr. Ein paar von ihnen bleiben wahrscheinlich nicht mal mehr Stunden.

Aber zuerst muss ich hier verschwinden. Wenn ich mit einer Tasche voller Mondflorblüten erwischt werde, werden mich König Harristan und sein Bruder, Prinz Corrick, auf dem Rasen der Palastgärten festbinden lassen, damit die Vögel meinen Körper zerpicken.

Plötzlich stoppt der Lichtkegel an der Ecke, an der die Mauer wegen eines Abhangs im Schatten liegt. Der beliebteste Fluchtpunkt für Amateure.

Diese Gelegenheit darf ich mir nicht entgehen lassen. Ich springe aus meinem Versteck wie ein aufgeschrecktes Kaninchen und schwinge gleichzeitig meinen Enterhaken. Ich kann ihn nicht zu den Zacken hochwerfen, wie Wes es kann, aber ich kann die Vorsprünge in der Mitte erreichen. Der Haken schießt an der Wand nach oben und ich springe schon, bevor sich das Seil spannt. Meine Stiefel kratzen beim Klettern über das Gestein und gleiten kurz ab. Ich erreiche den winzigen Vorsprung. Er ist gerade breit genug, um mich darauf zu halten, während ich den Haken löse und weiter nach oben werfe. Er trifft einen der Spieße, und schon klettere ich weiter.

Das Licht setzt sich wieder in Bewegung.

Ich schnappe nach Luft und treibe mich zu Höchstleistungen an. Die Tasche schlägt gegen meine Rippen, als meine Füße für einen Moment den Halt verlieren. Meine Hände am Seil brennen. Das Licht kommt näher, wird immer heller.

Dann habe ich den höchsten Punkt erreicht, lasse mich auf der anderen Seite fallen, benutze das Seil nur zum Bremsen. Schwer wie ein Hafersack lande ich auf dem Boden. Ich schüttle das Seil und der Haken landet mit einem leisen Klirren neben mir. Erde und Zweige hängen im groben Wollstoff meines Rocks, aber ich wage nicht, mich zu bewegen. Das Blut rauscht mir in den Ohren, als ich mit angehaltenem Atem darauf warte, dass die Wachposten Alarm schlagen.

Aber nein. Das Licht gleitet an mir vorüber und folgt seinem Pfad.

Ich schlucke schwer und wickle das Seil am Haken auf. Der Halbmond steht noch hoch am Himmel, doch am Horizont ist der erste Streifen Rot erkennbar, um mich daran zu erinnern, dass ich zu lange gezögert habe; dass die Zeit knapp wird. Ich gleite mit routinierter Leichtigkeit durch den Wald, meine Schritte lautlos auf dem Bett aus Kiefernnadeln. Gewöhnlich rieche ich jetzt bereits den Rauch des Holzofens, weil Wes immer schneller ist als ich. Wir haben ein System: Er setzt den Kessel auf und zerstößt die Blütenblätter, damit wir das Elixier anfertigen können, während ich das Pulver abwiege und dosiere. Dann füllt er die fertige Flüssigkeit in Phiolen, ich packe sie in unsere Taschen, und gemeinsam drehen wir unsere Runde.

Aber heute gibt es keinen Rauch.

Ich erreiche die Werkstatt, aber Weston ist nirgendwo zu entdecken.

Ich denke zurück an den verweilenden Lichtstrahl an der Mauer. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Wes ist nicht dumm. Er hätte es nicht an dieser Ecke versucht. Und außerdem habe ich keine Alarmglocken gehört.

Aber er ist immer noch nicht da … und ich bin schon spät dran.

Ich entzünde das Feuer und versuche, mir keine Sorgen zu machen. Ich höre seine Stimme, die mich ermahnt, ruhig zu bleiben. Tief durchatmen, Tessa. Das waren die ersten Worte, die er mir gesagt hat … in der Nacht, in der er mein Leben gerettet hat. Seitdem hat er sie mindestens ein Dutzend Mal wiederholt.

Es geht ihm gut. Es muss ihm gut gehen. Manchmal können wir uns gar nicht treffen. Wir warten eine Viertelstunde in der Werkstatt, bevor wir allein losziehen. Manchmal behält Mistress Solomon mich länger im Laden, um die Mischungen aus Kräutern abzumessen und zu brauen, die sie ihren Kunden als wirksame Heilmittel verkauft – auch wenn sie diese Erwartung selten erfüllen. Manchmal braucht Westons Meister ihn früher in der Schmiede, weil irgendein anspruchsvoller Mann aus der Elite ein neues Schwert braucht oder weil ein Pferd ein Hufeisen verloren hat. Das ist schon öfter vorgekommen.

Aber Wes war vorhin bereits hier. Und er kehrt immer als Erster zurück.

Die Werkstatt ist winzig, sodass sich die Wärme des Feuers schnell ausbreitet. Hier draußen gibt es keinen Strom, daher liegt der Innenraum im Halbdunkel. Aber ich brauche kein Licht für das, was ich tue. Ich beschäftige mich, um mich von meinen Sorgen abzulenken – zerstoße die Blütenblätter zu Pulver und achte darauf, noch den letzten Krümel auf meine Waagschale zu kratzen. Selbst getrocknet verströmen die Blütenblätter ihren Duft. Die Elite zahlt gut für jeden Bruchteil einer Unze, aber dann verschwenden sie Ressourcen, indem sie das Elixier dreimal täglich trinken – selbst diejenigen, die keine Symptome der Krankheit zeigen. Vorbeugende Maßnahmen, so nennt es der König. Einmal am Tag reicht gewöhnlich vollkommen aus, das kann ich mit meinen Notizen beweisen. Selbst Wes hat zu Beginn zu viel verwendet, bis ich ihm gezeigt habe, dass wir mit weniger viel mehr Leuten helfen können. Mein Vater hätte es Verschwendung genannt. Eine Verschwendung von wertvoller Medizin, während diejenigen sterben, die es sich nicht leisten können.

Andererseits wurde mein Vater wegen Verrats und Schmuggelei getötet, also spare ich es mir, die Dinge beim Wort zu nennen. Ich tue einfach nur, was ich kann.

Ich werfe einen Blick aus dem Fenster. Das Rot am Horizont geht langsam in Rosa über.

Ich schaue zur Tür, als könnte ich Wes damit beschwören.

Doch er taucht nicht auf. Der Kessel pfeift. Ich fülle das Wasser in die winzigen Messbecher und füge jedem eine halbe Unze zerstoßene Blütenblätter hinzu, anschließend zwei Tropfen Rosensamenöl gegen den Husten. Ich messe das Öl fast genauso sorgfältig ab wie die Mondflorblätter selbst. Ich versuche, nicht zu stehlen, was ich auch auf ehrlichem Wege erwerben kann – aber Rosensamen kosten mich fast einen Wochenlohn, also erlaube ich nicht einmal Wes, das Öl abzumessen.

Sobald sich die Blütenblätter und das Öl aufgelöst haben, wiege ich ein wenig Gelbwurz ab. Mit diesem Zusatz gelingt es oft, das Fieber ausreichend zu senken, sodass das Heilmittel besser wirkt, aber ich muss zusätzlich einen Zweig Minze und ein wenig Zucker hinzufügen. Erwachsene schlucken die Tinktur normalerweise fraglos, aber wir können nicht riskieren, dass Kinder sie ausspucken.

Im königlichen Sektor erklingen Glocken und Rufe. Ich zucke so heftig zusammen, dass ich einen Messbecher umstoße. Sie haben jemanden erwischt.

Wes.

Ich sollte loslaufen und schauen. Nein, ich sollte wegrennen und mich verstecken.

Meine Muskeln verweigern mir den Dienst.

Immer mit der Ruhe, Tessa.

Ich muss mich bewegen. Ich muss das Elixier fertigstellen. Wenn Mondflor mit den anderen Zutaten vermischt ist, wirkt das Elixier besser – aber nur für ein paar Stunden. Ich muss unsere Runde drehen, notfalls allein.

Ich...

Erscheint lt. Verlag 16.8.2023
Reihe/Serie Mondflor-Saga
Übersetzer Vanessa Lamatsch
Sprache deutsch
Original-Titel Defy the Night
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
Schlagworte 2023 • eBooks • enemies to lovers • fantasische Welten • Fantasy • Fantasy-Abenteuer • High Fantasy • Liebe und Romantik • Neuerscheinung • New-York-Times-Bestsellerautorin • Romantasy • TikTok-Hype
ISBN-10 3-641-30427-X / 364130427X
ISBN-13 978-3-641-30427-0 / 9783641304270
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