Sprechende Götter -  Tony Hillerman

Sprechende Götter (eBook)

Kriminalroman. Ein Fall für die Navajo-Police (8)
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
288 Seiten
Unionsverlag
978-3-293-31166-4 (ISBN)
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Officer Jim Chee hat einen eigenartigen Haftbefehl auf dem Tisch: Ein Restaurator namens Henry Highhawk protestiert in Washington mit radikalen Methoden für die Rückgabe von Navajo-Gebeinen aus dem Smithsonian Museum. Auf einer Nachtgesang-Zeremonie im Reservat soll Chee den Mann stellen. Lieutenant Joe Leaphorn versucht unterdessen, die Identität einer seltsam zugerichteten Leiche aufzudecken, die ermordet im Wüstengesträuch neben Bahngleisen liegt. Während sich unerwartete Verbindungen zwischen den beiden Fällen ergeben, kocht der Streit um die Rückgabe von Kulturgütern immer höher, und Chee und Leaphorn finden sich im Kern eines brisanten Konflikts wieder.

Tony Hillerman (1925-2008) besuchte acht Jahre lang ein Mädchen-Internat für Native Americans, kämpfte im Zweiten Weltkrieg, studierte danach Journalismus und war anschließend als Journalist und Dozent an der University of New Mexico tätig. Für seine Romane um die Navajo-Cops Joe Leaphorn und Jim Chee wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Edgar Allan Poe Award, dem Grandmaster Award, dem Grand Prix de Littérature Policière, dem Special Friend of the Diné Award und dem Agatha Award. Hillermans Romane wurden in siebzehn Sprachen übersetzt.

Tony Hillerman (1925-2008) besuchte acht Jahre lang ein Mädchen-Internat für Native Americans, kämpfte im Zweiten Weltkrieg, studierte danach Journalismus und war anschließend als Journalist und Dozent an der University of New Mexico tätig. Für seine Romane um die Navajo-Cops Joe Leaphorn und Jim Chee wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Edgar Allan Poe Award, dem Grandmaster Award, dem Grand Prix de Littérature Policière, dem Special Friend of the Diné Award und dem Agatha Award. Hillermans Romane wurden in siebzehn Sprachen übersetzt.

3


Wie ich hörte, hast du dich entschieden, doch nicht zu kündigen«, sagte Jay Kennedy. »Stimmt’s?«

»So ungefähr«, antwortete Lieutenant Joe Leaphorn.

»Freut mich zu hören. Hast du gerade viel zu tun?«

Leaphorn zögerte. Seine Augen glitten über den Stapel Papierkram auf seinem Schreibtisch, während er im Geiste den Tonfall von Kennedys Stimme am Telefon analysierte.

»Nicht mehr als gewöhnlich«, sagte er.

»Hast du von der Leiche draußen vor Gallup gehört?«

»Hab was läuten hören«, sagte Leaphorn – das hieß, es gab einen Bericht aus zweiter Hand von dem, was der Funk-Dispatcher unten mitgehört hatte. Gerade genug, um zu wissen, dass es kein alltäglicher Leichenfund war.

»Es dürfte zwar kaum ein Fall für das FBI sein«, meinte Kennedy. »Aber er ist interessant.«

Es war Kennedys Art zu sagen, dass etwas seiner Meinung nach sehr bald sein Fall sein würde. Kennedy leitete das FBI-Büro von Gallup und war lange genug mit Leaphorn befreundet, dass solche Dinge nicht mehr ausdrücklich erklärt werden mussten.

»Soweit ich gehört habe, fanden sie ihn neben der Eisenbahnlinie«, sagte Leaphorn. »Also außerhalb des Reservats. Folglich auch kein Fall für uns.«

»Nein, könnte aber einer werden«, meinte Kennedy.

Leaphorn wartete auf eine Erklärung. Es kam keine.

»Wie das denn?«, fragte er. »Und war es Mord?«

»Wir kennen die Todesursache noch nicht«, sagte Kennedy. »Und wir haben auch die Identität noch nicht festgestellt. Aber es sieht so aus, als ob irgendeine Verbindung zwischen dem Burschen und einem Navajo besteht.« Er machte eine Pause. »Es gab eine Notiz. Nun, keine richtige Notiz.«

»Ist das Interessante daran?«

»Nun, es ist schon eigenartig. Aber was mich interessiert, ist die Frage, wie die Leiche dorthin gekommen ist.«

Leaphorns Gesicht entspannte sich allmählich zu einer Art Lächeln. Er schaute über die Arbeit auf seinem Schreibtisch. Durch das Fenster seines Büros im zweiten Stock des Navajo-Police-Building, Sitz der Polizei des Reservats, sah er wattige weiße Herbstwolken über der Sandsteinformation, die dem Ort Window Rock, Arizona, seinen Namen gab. Es war ein herrlicher Morgen. Hinter dem Schreibtisch, jenseits der Fensterscheibe, war die Welt kühl, klar und freundlich.

»Leaphorn. Bist du noch dran?«

»Willst du, dass ich nach Spuren suche? Ist es das?«

»Ihr sollt angeblich gut darin sein«, meinte Kennedy. »Das erzählt ihr uns doch immer.«

»Okay«, sagte Leaphorn. »Sag mir, wo es ist.«

Die Leiche lag beschützt von einem Dickicht aus Wüstengesträuch, abgeschirmt von der schräg einfallenden Morgensonne durch einen angrenzenden Busch. Von der Stelle aus, wo er auf dem mit Schotter befestigten Straßendamm stand, konnte Leaphorn die Sohlen zweier Schuhe sehen, deren eng zulaufende Spitzen nach oben zeigten, zwei dunkelgraue Hosenbeine, ein weißes Hemd, einen Schlips, ein noch zugeknöpftes Anzugjackett und darüber ein blasses schmales Gesicht mit seltsam eingefallenen Wangen. In Anbetracht der Umstände wirkte die Leiche bemerkenswert ordentlich.

»Adrett und gepflegt«, sagte Leaphorn.

Vize-Sheriff Delbert Baca nahm an, er meine den Schauplatz des Verbrechens, und nickte. »Pures Glück«, sagte er. »Ein Bursche, der mit seinem Güterzug unterwegs war, hat ihn zufällig gesehen. Der Zug war in Fahrt, deshalb konnte er nicht abspringen und hier auf allem herumtrampeln. Jackson da« – Baca deutete mit dem Kinn auf einen dicklichen jungen Mann in der Uniform eines Deputy Sheriffs von McKinley County, der auf den Schienen stand – »fuhr hier auf der Autobahn vorbei.« Er zeigte in Richtung des Highways, der Interstate 40, die eine Viertelmeile weiter westlich das gedämpfte Brummen von Lastwagenverkehr hören ließ. »Er stieg hier aus, bevor die Staatspolizei alles durcheinanderbringen konnte.«

»Dann hat also keiner die Leiche angerührt?«, fragte Leaphorn. »Was ist mit der Notiz, von der du gesprochen hast? Wie habt ihr sie gefunden?«

»Baca hat ihn nach Ausweispapieren durchsucht«, sagte Kennedy. »Dabei hat er unter ihn gegriffen, um an die Gesäßtaschen zu kommen. Er hat zwar keine Brieftasche oder so was gefunden, dafür aber das da in der äußeren Brusttasche seines Jacketts.« Kennedy hielt ihm einen kleinen, zusammengefalteten Zettel aus gelbem Papier hin. Leaphorn nahm ihn.

»Ihr wisst also nicht, wer er ist?«

»Keine Ahnung«, sagte Kennedy. »Die Brieftasche fehlt. In seinen Taschen war nichts, außer einem bisschen Kleingeld, einem Kugelschreiber, ein paar Schlüsseln und einem Taschentuch. Und dann eben diese Notiz.«

Leaphorn faltete den Zettel auseinander.

»Man denkt nicht daran, in der Taschentuchtasche eines Jacketts nachzuschauen, wenn man jemandem die Papiere wegnimmt«, meinte Baca. »Nun, so ist es wenigstens meiner Meinung nach gewesen.«

Die Notiz sah aus, als sei sie mit einem Kugelschreiber mit sehr feiner Mine geschrieben worden. Sie lautete: »Yeabechay? Yeibeshay? Agnes Tsosie (korrekt). Angeblich in der Nähe von Window Rock, Arizona.«

Leaphorn drehte den Zettel um. Stic Up war oben darauf gedruckt, der Markenname eines Herstellers von Notizblöcken, die an Pinnwänden haften blieben.

»Kennst du die?«, fragte Kennedy. »Agnes Tsosie. Kommt mir irgendwie bekannt vor.«

»Tsosies gibt’s hier wie Kennedys in Boston«, meinte Leaphorn. Er runzelte die Stirn. Ja, er kannte eine Agnes Tsosie. Nur ein wenig und schon lange her. Eine alte Frau, die vor langer Zeit zum Stammesrat gehört hatte. Als Abgeordnete des Bezirks Lower Greasewood, wenn er sich richtig erinnerte. Eine gute Frau, aber inzwischen wahrscheinlich tot. Und es musste andere Agnes Tsosies geben, in und außerhalb des Reservats. Agnes war ein gebräuchlicher Name, und Tsosies kamen zu Tausenden vor. »Vielleicht können wir sie trotzdem finden. Und sogar ziemlich leicht, wenn sie etwas mit einem yeibichai zu tun hat. Davon werden nicht mehr viele abgehalten.«

»Das ist doch die Zeremonie, die auch Night Chant heißt, stimmt’s?«, wollte Kennedy wissen.

»Oder Night Way«, sagte Leaphorn.

»Die neun Tage lang dauert?«, meinte Kennedy. »Und wo diese maskierten Tänzer auftreten?«

»Genau«, sagte Leaphorn. Aber wer war der Mann mit den spitzen Schuhen, der allem Anschein nach eine Agnes Tsosie kannte? Leaphorn ging hinter das Dickicht aus Wüstengesträuch und setzte dabei seine Füße vorsichtig auf, um nicht zu zerstören, was Baca noch nicht beschädigt hatte, während er die Taschen des Opfers durchsucht hatte. Er hockte sich hin, die Absätze am Gesäß, und stöhnte über den Schmerz in seinen Knien. Er sollte sich mehr bewegen, dachte er. Diese Gewohnheit hatte er seit Emmas Tod vernachlässigt. Sie waren früher immer zusammen spazieren gegangen – fast jeden Abend, wenn er vom Büro nach Hause kam. Gehen und reden. Doch jetzt …

Das Opfer hatte keine Zähne. Sein ohnehin schmales Gesicht hatte das eingefallene, spitze Aussehen zahnloser Greise. Dabei war der Mann gar nicht besonders alt. Sechzig vielleicht. Und keiner von der Sorte, die zahnlos herumläuft. Sein Anzug, nachtblau mit mikroskopisch feinen, grauen Nadelstreifen, wirkte zwar altmodisch, aber teuer, die Kleidung jener sozialen Schicht, die über ausreichend Zeit und Geld verfügt, um ihre Zähne fest zwischen den Kiefern zu behalten. Bei diesem nahen Abstand bemerkte Leaphorn, dass die Anzugjacke einen kleinen Flicken in der Nähe des mittleren Knopfes hatte und das Revers abgetragen aussah. Auch das Hemd sah abgetragen aus. Aber teuer. Wie der schlichte, breite Goldring am Mittelfinger seiner linken Hand. Sogar das Gesicht selbst machte einen edlen Eindruck. Leaphorn hatte seit fast vierzig Jahren mit Weißen zu tun, und Leaphorn studierte Gesichter. Der Mann hatte zwar einen dunklen Teint – trotz der Totenblässe –, doch es war ein aristokratisches Gesicht. Eine schmale, leicht hochmütig wirkende Nase, feine Knochen, hohe Stirn.

Leaphorn wechselte seine Position und untersuchte die Schuhe des Opfers. Das Leder war teuer, und unter dem dünnen Staubfilm des Tages glänzte es von tausendmaligem Polieren. Handgemachte Schuhe, glaubte Leaphorn. Aber vor langer Zeit gefertigt. Und jetzt waren die Absätze abgelaufen, und eine Sohle war vom Schuhmacher erneuert worden.

»Sind dir die Zähne aufgefallen?«, fragte Kennedy.

»Ihr Fehlen ist mir aufgefallen«, sagte Leaphorn. »Hat jemand ein Gebiss gefunden?«

»Nein«, meinte Baca. »Aber es hat auch keiner richtig nachgeschaut. Noch nicht. Ich dachte, als Erstes müsste die Frage untersucht werden, wie der Kerl hierhergekommen ist.«

Leaphorn fragte sich, warum das Büro des Sheriffs wohl das FBI verständigt hatte. War Baca am Tod dieses ordentlichen Mannes irgendetwas aufgefallen, das auf einen Fall für die Bundespolizei schließen ließ? Er blickte sich um. Die Gleise liefen endlos nach Osten, endlos nach Westen – die Santa-Fe-Hauptlinie vom Mittleren Westen nach Kalifornien. Im Norden die roten Sandsteinwälle der Iyanbito Mesa, im Süden die Piñon-Hügel, die zum...

Erscheint lt. Verlag 1.3.2024
Übersetzer Peter Prange
Verlagsort Zürich
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Indigene Völker • Kriminalroman • Navajo • Nordamerika • Spannung • USA
ISBN-10 3-293-31166-0 / 3293311660
ISBN-13 978-3-293-31166-4 / 9783293311664
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