Die Vampirin (eBook)
375 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-8597-8 (ISBN)
Der französische Schriftsteller Paul Féval schrieb mehr als 70 populäre Romane, die als Fortsetzungsromane herausgegeben wurden, und fast 70 Kurzgeschichten sowie mindestens dreißig Theaterstücke, historische Studien, christliche Broschüren und Pamphlete. Seine Werke waren zu seinen Lebzeiten ein großer Erfolg und standen den Werken von Honoré de Balzac und Alexandre Dumas in nichts nach.
I. DIE WUNDERSAME FISCHEREI
Der Beginn des Jahrhunderts, in dem wir uns befinden, war viel legendärer, als man gemeinhin annimmt. Und ich spreche hier nicht von dieser riesigen Legende unserer militärischen Herrlichkeiten, deren erste Seiten das republikanische Blut mit dem triumphierenden Lärm der Marseillaise-Fanfare schrieb, die ihre Gesänge durch die Blendung des Kaiserreichs entrollte und ihre letzte Strophe - einen herrlichen Schrei - in der großen Trauer von Waterloo ertränkte.
Ich spreche von der Legende der Geschichtenerzähler, von den Erzählungen, die die Nachtwache einlullen oder begeistern, von den poetischen, bizarren und übernatürlichen Dingen, die der Skeptizismus des achtzehnten Jahrhunderts zu bereinigen versucht hatte.
Wir erinnern uns, dass Kaiser Napoleon I. die träumerischen Nebel Ossians, die von Herrn Baour durch das akademische Sieb gejagt wurden, bis zum Wahnsinn liebte. Das ist die gestelzte Legende, die durch das Gift versteift wurde, aber es ist immer noch die Legende.
Und wir sollten uns auch daran erinnern, dass der rechtmäßige König der legendären Länder,
Walter Scott war dreißig Jahre alt, als das Jahrhundert geboren wurde.
Anne Radcliffe, die dunkle Mutter so vieler Geheimnisse und so vieler Schrecken, stand damals im vollen Glanz dieser Mode, die Europa das Fürchten lehrte. Man jagte der Angst nach, man suchte das Dunkle. Ein Buch, das weder Sinn noch Verstand hatte, wurde allein durch die Beschreibung eines Verlieses mit Sprungfeder, eines von Geistern bevölkerten Friedhofs zur Stunde, "wenn das Erz zwölfmal schlägt", oder eines Beichtstuhls mit doppeltem Boden, der mit schrecklichen und lüsternen Unmöglichkeiten vollgestopft war, zu einem frenetischen Erfolg.
Das war die Mode; man machte aus diesem Unsinn eine Toilette aus großen Worten, die besonders zu dieser feierlichen Zeit gehörten; man legte das Ganze wie ein Püree unter den Helden, der ein "tugendhaftes Herz" und eine "empfindsame Seele" war, die sich herabließ, an den "souveränen Herrscher des Universums" zu glauben, und es liebte, die Morgenröte aufgehen zu sehen.
Der Kontrast zwischen diesen philosophischen Marmeladen und den sepulkralen Abscheulichkeiten bildete ein hybrides Gericht, das kaum genießbar war, aber einen seltsamen Geschmack hatte, der den hübschen Damen gefiel, die so komisch gekleidet waren, mit Ringen an den Zehen, einem Gürtel über der Brust, der Hüfte in einer Regenschirmhülle und dem Kopf unter einem riesigen Chicoréeblatt.
Paris hat übrigens schon immer Schlafmärchen geliebt, weil sie ihm das herrliche Gefühl von Gänsehaut verschaffen. Schon als Paris noch ganz klein war, hatte es viele Schauergeschichten auf Lager, von der sündigen Verbindung zwischen dem Barbier und dem Konditor in der Rue des Marmousets, die die Windbeutel der Gentlemen verkauften, bis hin zur galanten Metzgerei in dem Haus in der Sackgasse Saint-Benoît, dessen abgerissene Mauern mehr menschliche Knochen als Steine enthielten.
Und seit so langer Zeit hat sich Paris in dieser Hinsicht kaum verändert. In den ersten Monaten des Jahres 1804 gab es in Paris ein unbestimmtes und düsteres Gerücht, das aus der Tatsache entstand, dass seit einiger Zeit an der Ostspitze der Ile Saint-Louis, die sich ein wenig nach Südosten wendet, nicht weit von dem Ort entfernt, an dem die Bäder Petit heute in den Sommermonaten die Elite der Pariser Molche versammeln, wundersame Fänge stattfinden.
Ein Fischschwarm in Paris ist eine Seltenheit. Zwischen Bercy und Grenelle sind so viele Haken, Reusen und Geräte unter Wasser versteckt, dass sich normalerweise nur Goujons und unvorsichtige Barben auf diesen gefährlichen Weg wagen. Hier findet man weder Karpfen, Schleie noch Barsch, und wenn sich manchmal ein Hecht in die Fluten wagt, dann ist dieser Süßwasserhai besonders abenteuerlustig.
Die Anglerschaft machte daher viel Aufhebens um den Glücksfall, den die Vorsehung für die Bürger, die gerne angeln, Sperber oder Karree fischen, geschickt hatte. Auf einer Strecke von hundert Schritten von der Bretonvilliers-Kanalisation bis zum Quai de la Tournelle, entlang des Quai de Béthune, hätte man tagsüber eine Reihe von wahren Gläubigen sehen können, die still und stumm die Angelschnur hielten und mit besorgtem Blick den Korken verfolgten, der im Wasser trieb.
Zu sagen, dass jeder seinen Korb füllte, wäre ein Schwindel. Die Fischschwärme in Paris ähneln nicht denen an unseren Küsten, aber es ist sicher, dass hier und da ein glücklicher Mann einen großen Hecht oder eine Barbe von ungewöhnlicher Größe an Land zog. Es gab viele Goujons, Döbel schwirrten im Wasser herum und man sah in den trüben Wellen den purpurnen Schimmer, der die Anwesenheit von Rotaugen ankündigt.
Und das mitten im Winter, während die Pariser Fische normalerweise frieren wie Murmeltiere und die Seine verlassen, um sich irgendwo zu wärmen.
Auf den ersten Blick ist es ein weiter Weg von dieser Freude der Fischer und diesem Fischwahn zu dem düsteren Gerücht, dessen Entstehung wir angekündigt haben. Aber Paris ist ein erstklassiger Raisonneur; er geht gerne von der Wirkung auf die Ursache zurück, und Gott weiß, dass er manchmal sehr seltsame Ursachen für die vulgärsten Wirkungen erfindet.
Außerdem haben wir noch nicht alles gesagt. Es war nicht nur zum Fischfang, dass so viele Angeln am Quai de Béthune ihren Köder aufhängten. Unter den Anglern, die von Beruf oder aus Gewohnheit jeden Tag hierher kamen, befanden sich auch viele Laien, Abenteuerlustige und Phantasiemenschen, die auf eine ganz andere Beute aus waren.
Peru war aus der Mode gekommen und Kalifornien war noch nicht erfunden. Die armen Teufel, die dem Glück nachjagten, wussten nicht so recht, wohin mit ihrem Glück und suchten ihr Leben auf gut Glück.
Das undankbare Europa weiß nicht, welchen Dienst ihm diese märchenhaften Bläschen erweisen, die sich auf der Weltkarte San-Francisco, Monterey, Sydney oder Melbourne nennen.
Damals herrschte zwar Krieg, aber im Krieg gewinnt man mehr Horionen als Ecu, und die vorbildlichen Abenteurer, die "wahren Goldgräber", sind selten gute Soldaten in der Schlacht.
Dort, unter dem Quai de Béthune, befanden sich deklassierte Dichter, besiegte Erfinder, ehemalige Don Juans, Bankrotteure der Liebesindustrie, die sich Arme und Beine gebrochen hatten, als sie die Leiter der Frauen hinaufklettern wollten, Politiker, deren Ehrgeiz im Bach wurzelte, Künstler, die vom Ruhm ausgeblasen wurden,-diese Grausamkeit! -geschmähte Schauspieler, ungeschickte Philanthropen, verfolgte Genies und ein Notar, der überall, sogar im Zuchthaus, zu finden ist, weil er sein Priesteramt mit zu viel Eifer ausgeübt hat.
Wir wiederholen: Heutzutage wären all diese mutigen Menschen in der Sonore oder in Australien, die sehr nützliche Länder sind, gewesen. Wenn sie im Jahr 1804 mit den Füßen im Wasser zitterten und mit Wehmut den unruhigen Lauf der Seine erforschten, dann deshalb, weil die Legende auf dem Grund der Seine ein fantastisches Eldorado vermutete.
An der Ecke der Rue de Bretonvilliers und des Quais befand sich ein kleines, neu gegründetes Kabarett, das als Aushängeschild ein Gemälde trug, das von einem Maler, der nicht der Kunstakademie angehörte, naiv gemalt worden war.
Das Bild zeigte zwei Themen, die im selben Rahmen brüderlich nebeneinander gestellt wurden.
Das erste Motiv: Hesekiel in der Tracht eines Verwüsters, der mit der einen Hand seinen Beutel drehte, auf dessen Boden man Goldmünzen glänzen sah, und mit der anderen eine Angel hochhob, deren Ständer, in der Mitte gebogen, ein Seeungeheuer trug, das der Natur aus der Erzählung des Theramenes abgeschaut worden war.
Ezechiel war der Name des Kneipenwirts.
Zweites Thema: Hesekiel in Hauskleidung, der in der Stille des Kabinetts das oben erwähnte Monster ausweidet und einen Siegelring mit einem Brillanten, der wie die Sonne glänzt, aus seinem Bauch zieht.
Man muss fairerweise hinzufügen, dass der Ring an einem Finger steckte und dass der Finger zu einer Hand gehörte. Das Ganze war von dem Monster aus Theramenes' Erzählung ohne vorheriges Kauen und mit einer offensichtlichen Lust verschlungen worden, von der es noch zeugte:
Sein Hinterteil war in gewundene Falten gebogen.
Die beiden Zwillingssubjekte hatten nur eine einzige Legende, die in schlecht geformten Buchstaben lautete:
An den wunderbaren Fischfang.
Der Leser beginnt vielleicht zu verstehen, dass es eine Verbindung zwischen der berühmten Fischbank auf der Île Saint-Louis und jenem Todesgerücht gibt, das vage in Paris kursierte.
Wir wollen ihm das Kapitel mit den Erklärungen nicht vorenthalten.
Für den Moment müssen wir jedoch sagen, dass ganz Paris das auf dem Gemälde dargestellte Abenteuer Hesekiels kannte, ein authentisches, akzeptiertes und populäres Abenteuer, dessen erwiesene Richtigkeit niemand in Frage gestellt hätte.
Mit dem Erlös aus dem Verkauf des Schmuckstücks, das im Magen des Monsters gefunden worden war, hatte Hesekiel vor aller Augen seine eigene Kneipe aufgebaut.
Und da er als Erster dieses Miniatur-Peru, diese unterseeische Reichtumsquelle, entdeckt hatte, konnte die Fantasie der Schaulustigen eine ganze Reihe von goldenen Hypothesen über ihn aufstellen. Sein Name deutete auf eine israelitische Herkunft hin, und man weiß, welchen guten Ruf das ehemalige Volk Gottes in der Arbeiterklasse genießt. Man sprach bereits von einer Gruft, in der Hesekiel Schätze aufgehäuft hatte.
Die anderen waren gekommen, als die Goldader bereits abgeschöpft war; die anderen, naive Fischer oder Abenteuersünder, die Dichter, die Erfinder, die geschlagenen Don Juans, die...
Erscheint lt. Verlag | 9.11.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
ISBN-10 | 3-7568-8597-6 / 3756885976 |
ISBN-13 | 978-3-7568-8597-8 / 9783756885978 |
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