Ingenium (eBook)
432 Seiten
Hoffmann und Campe (Verlag)
978-3-455-01567-6 (ISBN)
Danielle Anne Trussoni, geboren 1973, ist eine US-amerikanischeSchriftstellerin und Journalistin. Sie hat Geschichte und englische Literatur studiert und schreibt unter anderem für die New York Times Book Review, das New York Times Magazine und das Telegraph Magazine. Ihr Roman Falling Through the Earth: A Memoirstand 2006 auf der Liste der zehn besten Bücher der New York Times. Sie lebt in New York.
Danielle Anne Trussoni, geboren 1973, ist eine US-amerikanischeSchriftstellerin und Journalistin. Sie hat Geschichte und englische Literatur studiert und schreibt unter anderem für die New York Times Book Review, das New York Times Magazine und das Telegraph Magazine. Ihr Roman Falling Through the Earth: A Memoirstand 2006 auf der Liste der zehn besten Bücher der New York Times. Sie lebt in New York.
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Anmerkung für den Leser
Danksagungen
Biographien
Impressum
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9. Juni 2022
Ray Brook, New York
Mike Brink bog auf eine Landstraße ein, fuhr durch einen dichten Nadelwald und hielt vor dem hohen Metalltor des Gefängnisses. Seine Hündin, eine einjährige Dackeldame namens Conundrum, kurz Connie, schlief auf dem Boden des Pick-up, im Schatten gut getarnt. Sie lag so still da, dass der Wachmann sie gar nicht sah, als er auf Mikes Wagen zutrat und hineinlinste. Er glich lediglich Mikes Führerschein mit einer Liste ab und winkte ihn dann zu einem imposanten Backsteingebäude hinüber, das besser zu einem Horrorfilm zu passen schien als zu diesem strahlenden Sommertag.
Mike hatte eine Verabredung mit Dr. Thessaly Moses, der leitenden Psychologin der New York State Correctional Facility, einem reinen Frauengefängnis mit geringer Sicherheitsstufe, das am Rande der kleinen Ortschaft Ray Brook gelegen war, im Bundesstaat New York. Sie hatte ihn letzte Woche angerufen und ihn um einen Besuch im Gefängnis gebeten. Eine der Gefangenen habe ein verwirrendes Bilderrätsel gezeichnet, das sie nicht zu deuten vermochte. Vielleicht könne er ihr dabei behilflich sein? Mike kannte solche Anfragen. Seit das Time Magazine ihn zum talentiertesten Enträtsler der Welt erkoren hatte, wurde der Zweiunddreißigjährige regelmäßig mit Rätseln bombardiert. Die meisten löste er innerhalb weniger Minuten. Doch der Beschreibung von Dr. Moses nach zu urteilen, war dieses Rätsel tatsächlich außergewöhnlich, anders als alle, die er je zuvor gesehen hatte. Als er sie bat, ihm per Mail ein Foto davon zu schicken, sagte sie, das könne sie nicht riskieren. Die Akten der Gefangenen seien vertraulich. »Ich sollte das eigentlich gar nicht mit Ihnen besprechen«, sagte sie. »Doch es handelt sich um eine sehr spezielle Patientin, die mir auf gewisse Weise ans Herz gewachsen ist.« Und so willigte Mike trotz Deadlines und knapp dreihundert Meilen Fahrtweg ein, es sich anzusehen. Rätsel waren seine Leidenschaft, durch sie ergab die Welt für ihn einen Sinn, und dies war eines, dem er nicht widerstehen konnte.
Das Gefängnis hatte etwas Unheilvolles mit seinen hohen Türmchen und schmalen dunklen Fenstern. Während seiner Recherchen hatte Mike erfahren, dass es 1903 als Sanatorium zur Behandlung von Tuberkulose erbaut worden war. Die saubere Luft, die erhöhte Lage und die endlosen Wälder waren ein wesentlicher Bestandteil der Kur. Wenn das Institut zu so etwas wie Ruhm gelangt war, dann aufgrund seiner Erwähnung in Sylvia Plaths Die Glasglocke. Plath hatte ihren Freund besucht, als der sich dort von einer Tuberkulose erholte, und es dann für ihren Roman genutzt. Inzwischen beherbergte das Sanatorium Hunderte weibliche Häftlinge. Vom Parkplatz aus sah Mike einen Hof, der von Maschendrahtzaun umgeben war, gekrönt von NATO-Draht, und dahinter einen modernen Anbau aus Betonstein, dessen Strenge in einem überraschenden Kontrast zu den gotischen Ausschweifungen des ursprünglichen Gebäudes stand. All das war umgeben von einem schier endlosen Meer an dichten Nadelwäldern, die eine natürliche Barriere zwischen den Häftlingen und dem Rest der Welt bildeten. Selbst wenn eine Gefangene es über den Zaun schaffen sollte, selbst wenn sie sich aus den Schlingen des Stacheldrahts befreien könnte, befände sie sich doch im Nirgendwo.
Mike parkte im Schatten, goss für Connie Wasser in eine Schale, kraulte sie hinter ihren langen, weichen Ohren, steckte einen tragbaren Ventilator in den Zigarettenanzünder und ließ das Fenster einen Spalt weit offen, damit sie es gut hatte. Normalerweise ließ er sie nicht allein, doch er würde nicht lange weg sein, und die Bergluft war kühl, ganz anders als die schwüle Hitze Manhattans. »Bin gleich zurück«, sagte er und ging zum Gefängnis hinüber.
Am Haupteingang blieb er an der Sicherheitsschleuse stehen, ließ seine Schultertasche in eine Kunststoffwanne gleiten, zeigte dem Wärter seinen Führerschein und den Covid-Impfausweis und trat durch einen Metalldetektor. Er hatte vorher die Genehmigung erhalten, seine Tasche mitzubringen, in der sich sein Laptop, sein Handy, ein Notizbuch und ein Stift befanden, und war sehr erleichtert, dass die Wachen nicht versuchten, sie ihm abzunehmen. Auf der anderen Seite stand wartend eine Frau in einem lockeren marineblauen Kleid. Sie war groß, dünn, hatte dunkelbraune Augen, dunkle Haut und das Haar zu einem Bob geschnitten. Sie stellte sich als Dr. Thessaly Moses vor, die leitende Psychologin.
Er selbst brauchte sich nicht vorzustellen. Sie hatte ihn mit Sicherheit gegoogelt. Dennoch starrte sie ihn einen Tick zu lange an, und er wusste, dass sein Aussehen sie überraschte. Er war eins fünfundachtzig, athletisch, schlank, aber auch muskulös und (wie ihm gesagt wurde) gut aussehend, entsprach also überhaupt nicht der Vorstellung, die sich Leute von einem »Rätselfreak« (wie seine Mutter ihn manchmal witzelnd nannte) machten. Er trug seine geliebten roten Converse-All-Stars, eine schwarze Levi’s und ein Sportsakko über einem T-Shirt, auf dem »Somebody Do Something« stand.
Abgesehen von Fotos hätte eine Google-Suche nach Mike Brink auch einen Videoclip-Treffer von seinem Auftritt in der Late Show with Stephen Colbert ergeben, der 2020 während des Lockdowns per Zoom-Zuschaltung stattgefunden hatte. Mike hatte Colbert auf eine Tour durch seine Rätselbibliothek mitgenommen und einen seiner japanischen Geheimniskästen geöffnet, was die Inspiration zu einem Witz über Sushi lieferte. Zudem gab es eine Wikipedia-Seite mit einem Link zur New York Times, für die er regelmäßig Rätsel entwickelte, einer Liste von Rätselwettbewerben, die er gewonnen hatte, und einem Link zu einem Vanity Fair-Artikel, in dem seine Lebensgeschichte nachgezeichnet wurde: eine gewöhnliche Kindheit im Mittleren Westen, der tragische Unfall, der sein Gehirn verändert hatte, und die wundersame Gabe, die im Anschluss daran zutage getreten war.
»Danke, dass Sie es so schnell möglich gemacht haben«, sagte Dr. Moses. »Ich wäre gerne in die Stadt gekommen, aber ich kann meine Patientinnen nicht allein lassen.«
»Sie haben meine Neugierde eindeutig geweckt«, erwiderte er. »Ihrer Beschreibung nach scheint das Rätsel recht ungewöhnlich zu sein.«
»Um ehrlich zu sein, finde ich absolut keinen Zugang dazu«, sagte sie. »Aber wenn irgendwer Licht ins Dunkel bringen kann, dann Sie.«
Ihr Vertrauen in seine Fähigkeiten beunruhigte ihn. Bei seinem wachsenden Ruhm als Rätsellöser nahmen die Menschen oft an, er würde übernatürliche Kräfte besitzen. Nicht nur die Fähigkeit, Pi bis auf fünfzehntausend Nachkommastellen aufzusagen, oder das Talent, ein äußerst schwieriges Kreuzworträtsel zu erschaffen, sondern das Vermögen, die Zukunft vorherzusagen. Doch er besaß weder übernatürliche Kräfte, noch konnte er Unmögliches bewirken. Er war ein ganz normaler Typ mit einer singulären Gabe, einer »Insel der Genialität«, wie sein Arzt es nannte. Er konnte es lediglich versuchen, mehr nicht.
»Haben Sie es bei sich?«, fragte er, als er die Mappe unter ihrem Arm bemerkte.
»Wenn Sie mir bitte folgen würden, dann können wir uns ungestört unterhalten«, sagte Dr. Moses.
Obwohl er wusste, dass das Gefängnis nach einem anderen Plan gebaut worden war als moderne Einrichtungen, hatte er unbewusst doch erwartet, Betonzellen und vergitterte Fenster zu sehen, so wie er es aus Filmen kannte. Stattdessen führte ihn Dr. Moses einen ruhigen, beinahe anheimelnden Flur entlang, der zwar den Notwendigkeiten einer Anstalt entsprach – die Fenster waren verstärkt –, aber dennoch menschlich wirkte. Neben den Metalldetektoren standen Topfpflanzen, an den Wänden hingen Bilder, und der Boden war mit Teppich ausgelegt. Auf der Basis des Tuberkulose-Sanatoriums war hier eine moderne Haftanstalt entstanden, so wie man aus einer alten Kirche vielleicht ein Zen-Meditationszentrum machen würde: Die Symbole und das Dekor hatten sich verändert, doch die grundlegende Struktur war die gleiche geblieben.
Thessaly Moses führte ihn in ihr helles, schickes Büro und schloss die Tür hinter ihm. Mike sah sich um: ein makelloser Schreibtisch, nach Farben sortierte Heftmappen in einem Regal, ein Desktop-Computer von Apple, alles vollkommen uninteressant – bis sein Blick auf einen Zauberwürfel fiel, der auf der Fensterbank lag. Es war ein neueres Modell, die einzelnen Würfelchen waren aus Plastik anstatt mit Aufklebern versehen, eine Mischung aus Blau, Grün, Gelb, Orange, Rot und Weiß. Die Würfelchen waren auf eine Art durcheinander, der Mike die regelmäßigen Lösungsversuche sofort ansah; die Wochen, vielleicht auch Monate des Drehens und Wendens, die jemand – vermutlich Thessaly Moses – damit gekämpft hatte, die sechs Farben in die richtige Ordnung zu bekommen. Er trommelte mit den Fingern gegen seinen Oberschenkel, eine nervöse Energie erfasste ihn. Allein den Würfel in diesem Zustand der Unordnung zu sehen erfüllte ihn mit dem überwältigenden Verlangen, ihn zu richten.
Dr. Moses bemerkte sein Interesse und wog den Würfel in ihrer Hand. »Den habe ich letztes Jahr auf einer Party gewonnen«, sagte sie. »Ich hatte auf den Magic 8 Ball gehofft. Ich versuche immer wieder, diesen Würfel zu lösen, aber es ist aussichtslos. Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, warum ich es mache. Was bringt es, seine Zeit mit nutzlosen Aufgaben zu vergeuden?«
Während Dr. Moses den Würfel vor sich hin- und herdrehte, wertete Mike jede Seite aus. Drei Schritte nach vorn im Uhrzeigersinn, zwei...
Erscheint lt. Verlag | 4.9.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Mike-Brink-Thriller |
Übersetzer | Jürgen Bürger, Kathrin Bielfeldt |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Alex Michaelides • Booktok • BookTok Germany • Dan Brown • Da Vinci Code • Detektiv • Die stumme Patientin • Ermittler • Gefängnis • Geheimnis • Gemälde • Kabbala • Krimi • Kriminalroman • Kunst • Malerei • Mathematik • Mord • Mysterium • New York Times Magazine • Puzzle • Rätsel • Sakrileg • Spannungsroman • Stephen King • Sudoku • Thriller • TikTok • TikTokBooks • TikTok Germany • Verbrechen • Verfolgung • Verschwörungsthriller |
ISBN-10 | 3-455-01567-0 / 3455015670 |
ISBN-13 | 978-3-455-01567-6 / 9783455015676 |
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