Abschied auf Italienisch (eBook)
300 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46716-9 (ISBN)
Andrea Bonetto ist ein Pseudonym. Der Autor lebt in der nördlichsten Stadt Italiens und hat die Küste zwischen Sestri Levante und La Spezia erstmals Ende des letzten Jahrhunderts entdeckt, als er sich während einer ausgedehnten Motorradtour auf den verwinkelten Sträßchen verirrte. Landschaft, Kultur, gutes Essen und gute Freundschaften ziehen ihn seither immer wieder nach Ligurien zurück. Sein erster Kriminalroman Abschied auf Italienisch eroberte auf Anhieb die Spiegel-Bestsellerliste. Azzurro mortale ist der zweite Band dieser atmosphärischen Urlaubskrimireihe mit Commissario Vito Grassi.
Andrea Bonetto ist ein Pseudonym. Der Autor lebt in der nördlichsten Stadt Italiens und hat die Küste zwischen Sestri Levante und La Spezia erstmals Ende des letzten Jahrhunderts entdeckt, als er sich während einer ausgedehnten Motorradtour auf den verwinkelten Sträßchen verirrte. Landschaft, Kultur, gutes Essen und gute Freundschaften ziehen ihn seither immer wieder nach Ligurien zurück. Sein erster Kriminalroman Abschied auf Italienisch eroberte auf Anhieb die Spiegel-Bestsellerliste. Azzurro mortale ist der zweite Band dieser atmosphärischen Urlaubskrimireihe mit Commissario Vito Grassi.
Toni
Den Entschluss, aus Rom in die Provinz zu ziehen, hatte Vito Grassi kaum zwei Monate zuvor sehr überraschend für seine Familie und für sich getroffen. An einem grauen Tag Mitte Januar hatte er vom Tod seines Vaters erfahren. Der Kontakt zu ihm war schon seit Jahren eher sporadisch, wenn auch nicht lieblos gewesen. Die Todesnachricht hatte Grassi mit einer ungeahnten Wucht getroffen. Zweiundsiebzig war noch kein Alter, das würde er in zwanzig Jahren auch geschafft haben.
Seit seine Frau Giulia, Vitos Mutter, an Krebs gestorben war, hatte Emilio alleine gelebt. Und nachdem sich für den Geschichtslehrer an einer Scuola Secondaria die Gelegenheit ergeben hatte, sich früher pensionieren zu lassen, war er auf die Idee gekommen, ein Haus in Ligurien, der Region seiner Kindheit, zu kaufen. Das heißt: Ein Haus war es eigentlich erst gegen Ende von Emilios Leben gewesen, davor eher ein Projekt. Eine Ruine, die Emilio weitestgehend allein und mit etwas Hilfe von ein paar alten Freunden aus Jugendtagen über fünf Jahre etappenweise erst zu einem Haus und dann zu seinem Heim gemacht hatte. Vito hatte seinen Vater ein einziges Mal in Levanto besucht. Chiara hatte vorgeschlagen, Vito solle seinem Vater zu Beginn ein paar Tage zur Hand gehen. Er hatte es versucht, war jedoch während seines einwöchigen Besuchs das Gefühl nie losgeworden, im Weg zu stehen. Das Vorgehen seines Vaters war ihm ein Rätsel. Er schien einem Bauplan zu folgen, der nur in seinem Kopf existierte und bei dem das Bauen selbst das Ziel war. Lediglich Emilios Schlafzimmer war damals halbwegs bewohnbar gewesen, weshalb Vito ein Zelt auf der Wiese vor dem Haus aufschlagen musste.
Emilio Grassi hatte sich Zeit gelassen. Mit scheinbar unendlicher Geduld sammelte er Natursteine von den fast zwanzigtausend Quadratmetern Land, die das Haus umgaben, rührte seinen eigenen Mörtel an und formte so auf den Resten des verfallenen Rustico nach und nach sein Haus. Gesprochen hatte Vito ihn in dieser Zeit selten. Erst im letzten Lebensjahr seines Vaters konnten sie öfter telefonieren, weil Emilio sich endlich ein Smartphone angeschafft hatte. Dieser kleine Schritt in die Moderne war für ihn wohl oder übel notwendig geworden, weil er für die Wasserversorgung einen neuen Brunnen bohren lassen musste. Das konnte er beim besten Willen nicht mehr selbst bewerkstelligen, für diese Bauarbeiten musste er erreichbar sein.
Wie überrascht Vito gewesen war, als er plötzlich Textnachrichten von Emilio erhielt. Und noch überraschter, als Bilder des bescheidenen Hauses in Levanto folgten. Es war schön geworden: fünf Zimmer, eine große, zum Wohnzimmer hin offene Küche, ein einfaches, aber modernes Bad, eine Terrasse, von der aus man zwischen zwei Berghängen ein Stückchen Meer sehen konnte. Sogar ein separates Pizzahäuschen hatte Emilio noch hinter dem Haus gemauert. Es war seine letzte Tat gewesen.
In Gedanken sah Vito seinen Vater am Hang oberhalb des Hauses stehen und sein Werk betrachten. Er hatte es noch vollbracht. Und das konnte den chronisch sarkastischen römischen Polizisten immerhin ein wenig trösten. Insgeheim hatte er gehofft, dass Emilio und er noch Zeit miteinander würden verbringen können. Nachdem er die Bilder des Hauses gesehen hatte, hätte er sich sogar vorstellen können, mit ihm auf der Terrasse zu sitzen und im letzten Licht eines warmen Sommertages eine Flasche Wein zu leeren. Vito galt manchen als launisch, aber eigentlich neigte er zur Gefühligkeit. Ganz anders als sein Vater. Emilio hätte vermutlich nur zehn Minuten stillsitzen können.
So gründlich und beharrlich Emilio beim Bau seines Hauses gewesen war, so wenig Sinn hatte er für das Ordnen persönlicher Dinge und Papiere gehabt. Und so kam es, dass die Behörden in Levanto einige Tage lang nichts vom einzigen Familienangehörigen in Rom wussten, nachdem Emilio Ende Januar mit einem schweren Schlaganfall in das Ospedale San Nicolò eingeliefert worden und dort kurz darauf gestorben war.
Die Mail, die Vito schließlich Tage nach Emilios Einäscherung und Beisetzung über den Tod seines Vaters informierte, war mit »Toni« unterschrieben. Den wenigen Zeilen entnahm Vito, dass Toni offenbar als eine Art Gärtner für Emilio gearbeitet hatte und nach dessen Tod im Haus lebte und darauf aufpasste. Vito war sehr recht, dass sich jemand kümmerte, bis er eine Entscheidung darüber getroffen hatte, was geschehen sollte.
In der ersten Nacht nach dieser Nachricht hatte er lange wach gelegen, über verpasste Momente nachgedacht und über Gespräche mit seinem Vater, die nie stattgefunden hatten. Als er nach kurzem, unruhigem Schlaf allein in der Dämmerung erwacht war – Chiara war wegen seiner Schnarcherei auf das Sofa gezogen, wie so oft in letzter Zeit –, hatte er eine Entscheidung getroffen: Er würde Emilios Haus nicht einfach verkaufen oder vermieten.
Also beantragte er bei seiner Dienststelle die Versetzung nach La Spezia und versuchte, seiner Familie zu erklären, was sie ihm ohnehin nicht abnahm: dass der eingefleischte Römer einen Tapetenwechsel brauchte. Chiara erwiderte, dass sie ihre gut gehende Landschaftsgärtnerei natürlich nicht aufgeben würde für eine solche Schnapsidee, und die Kinder waren mit sich selbst beschäftigt. Sein Sohn Alessandro studierte Politik in Pavia, seine Tochter Lucy Kunst in Berlin. Es wurden zwar keine Wetten abgeschlossen, aber übereinstimmend war die Familie der Ansicht, dass Vito es nicht lange in der ligurischen Idylle aushalten und bald reumütig nach Rom und ins Leben zurückkehren würde.
Dann ging alles sehr schnell. Sein Kollege im Kommissariat von La Spezia schied mit Burn-out aus dem Dienst aus, und schon Mitte März packte Vito eine Tasche mit seiner üblichen Kleidung: Jeans und Jacketts, eine Kollektion groß gemusterter Hemden und schwarze Halbschuhe. Er brauchte ein ganzes Wochenende, um sich für die hundert Lieblingsplatten aus seiner umfangreichen Sammlung zu entscheiden. Am Ende machte er es wie Noah: ein Paar von jeglicher Art. Billie Holiday und Miles Davis; Kendrick Lamar und Beastie Boys; Gregory Porter und Aretha Franklin; Talking Heads und St. Vincent; Stones und Beatles. Wobei Vito es sich bei den Beatles leicht machte und einfach die ganze Vinyl-Mono-Box in den Fußraum vor dem Beifahrersitz lud. Plattenspieler und Verstärker mussten ja auch noch in den kleinen Sportwagen. Er hoffe inständig, dass die 300-Watt-Endstufe seiner Anlage die Sicherungen im Haus nicht überforderte.
Auf dem Weg von Rom nach Ligurien machte er in Grosseto eine längere Mittagspause an einem der wenigen Supercharger auf der Strecke. Zu Hause hatte er den Roadster einfach jeden Abend an die Garagensteckdose gehängt und höchstens bei Wochenendausflügen mit Chiara ans Meer auf die Reichweite geachtet. Bei zügiger Fahrt auf der Autostrada und so vollgepackt ließ der Akku schnell nach. Der Roadster war ein Elektroauto der ersten Generation, im Grunde ein schicker englischer Sportwagen, vollgestopft mit amerikanischer Technik und Laptop-Akkus, noch keiner dieser modernen rollenden Tabletcomputer, die alberne Namen mit i oder q davor trugen.
Nach einem Caffè und einem Cornetto bremste Grassi sich und rollte mit Dauertempo neunzig weiter durch die braune Maremma.
Die dreizehn Prozent Akkuladung waren nicht das einzige Problem für seinen Wagen auf der letzten kurzen Etappe. Vito hatte das gut ein Kilometer lange Privatsträßchen, das zu Emilios Haus führte, völlig vergessen. Gegen diesen schlecht asphaltierten Trampelpfad war die Via Appia Antica eine deutsche Autobahn. Das Sträßchen war kaum breit genug für ein Auto. Vito musste erschrocken in die seitlichen Büsche ausweichen, um nicht frontal mit einem rasant entgegenkommenden Mountainbiker zusammenzustoßen. Die Spurrillen waren so tief und der Mittelstreifen so steinig, dass es einem normalen Auto den Tank aufgeschlitzt oder den Auspuff abgerissen hätte. Die Spitzkehren waren so eng und steil, dass Vito bei jedem Stoß der beinharten Federung dachte, er würde gerade seinen eigenen zerfetzten Frontspoiler überfahren. Auf den letzten steilen Metern zählte er auf dem kleinen grauen Display in der Mittelkonsole bang die Restkilometer herunter. Als er endlich durch das schmale rostige Tor den Hausplatz erreichte, schien der Roadster sofort in einen erschöpften Schlaf zu fallen. Punktlandung. Grassi atmete auf.
Am Haus wartete die nächste Überraschung: »Toni« war kein Gärtner, sondern eine Gärtnerin. Sie hatte ihren dunklen dichten Haarschopf zu einem losen Dutt zusammengesteckt und musterte Vito Kaugummi kauend und ein wenig misstrauisch aus zusammengekniffenen braunen Augen über den hohen Wangenknochen. Grassi schätzte sie auf Mitte vierzig.
»Buongiorno, ich bin Vito«, stellte er sich vor. »Freut mich, dich endlich kennenzulernen.«
»Hallo, Vito.« Sie putzte die rissige rechte Hand notdürftig an der Latzhose ab, in der ihr drahtiger Körper steckte, und streckte sie ihm hin. »Oder muss ich ›Commissario‹ zu dir sagen?«
Er lachte auf, erleichtert darüber, dass ihre Stimme freundlicher klang, als es ihre Miene ausdrückte. »Nicht nötig, Vito reicht.«
Nach dem Händedruck standen sie einander unschlüssig gegenüber. Sie schien nicht die geringste Lust zu haben, mit weiterem Small Talk das Eis zu brechen.
»Ich dachte wegen des Namens, du wärst … na ja, ein Mann.«
»Und jetzt bist du enttäuscht?« Sie biss fester auf ihren Kaugummi.
Grassi schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht, nur überrascht. Wofür ist ›Toni‹ die Abkürzung?«
»Egal, bleib einfach bei Toni.«
Nicht viele Menschen schafften es, Grassi in Verlegenheit zu bringen. Er fragte sich, ob sie ihn nur necken wollte oder ob sie ihn bewusst bei ihrer...
Erscheint lt. Verlag | 1.3.2023 |
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Reihe/Serie | Ein Fall für Commissario Grassi | Ein Fall für Commissario Grassi |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Andrea Bonetto • Antonella Solinas • Bücher für den Urlaub • Cinque Terre • Commissario Grassi • Gärtnerin • Italienischer Krimi • Italien Krimi • Italien-Reise • italien roman • Jean-Luc Bannalec • Kommissar Grassi • Krimi Ermittler • Krimi Italien • Krimi mit Humor • Krimi Mittelmeer • Kriminalromane Serien • krimi reihen • Krimi Urlaub Italien • Krimi Verleger • Küstenkrimi • Levanto • Ligurien • Ligurien Krimi • Ligurien Roman • Marta Ricci • Mord in Ligurien • München • Pierre Martin • Polizei Krimis/Thriller • Regionalkrimi • Rom • Romane Italien • Romane spannend • Roman Verleger • Rustico • schöne romane für urlaub • spannungsromane • Tote im Tunnel • Urlaubskrimi • Urlaubskrimi Italien • Urlaubslektüre • Urlaubslektüre für Männer • Urlaubslektüre Italien • Urlaubslektüre Krimi • Urlaubslektüre Männer • Urlaubsromane • Urlaubsroman Italien • Vito Grassi |
ISBN-10 | 3-426-46716-X / 342646716X |
ISBN-13 | 978-3-426-46716-9 / 9783426467169 |
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