Schwarzbuch Putin (eBook)
512 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60339-3 (ISBN)
Stéphane Courtois ist Forschungsleiter am Centre National de la Recherche Scientifique und Experte für die Geschichte des Kommunismus. 1998 erschien von ihm »Das Schwarzbuch des Kommunismus«, das ein großer Bestseller war und eine große Debatte angestoßen hat. Galia Ackerman ist als Historikerin auf die Geschichte der UdSSR, des postsowjetischen Russlands und der Ukraine spezialisiert.
Stéphane Courtois ist Forschungsleiter am Centre National de la Recherche Scientifique und Experte für die Geschichte des Kommunismus. 1998 erschien von ihm »Das Schwarzbuch des Kommunismus«, das ein großer Bestseller war und eine große Debatte angestoßen hat. Galia Ackerman ist als Historikerin auf die Geschichte der UdSSR, des postsowjetischen Russlands und der Ukraine spezialisiert.
Einleitung
Galia Ackerman und Stéphane Courtois
Den Namen Wladimir Putin kennt man selbst in den abgelegensten Gegenden der Welt. Dabei ist das heutige Russland doch ein kleineres und vor allem wesentlich schwächeres Land als die UdSSR. Diese bestand aus 15 inzwischen unabhängigen Teilrepubliken, sie war Matrix und Motor eines weltweiten kommunistischen Systems, das seit 1919 alle kommunistischen Parteien in der Dritten Internationale zusammenfasste. Ab 1945 reihte sie diejenigen, die die Macht an sich gerissen hatten, in das sogenannte sozialistische Lager ein; es stand unter ihrer engmaschigen Kontrolle und umfasste vor allem Mittel- und Osteuropa, aber auch Vietnam, Kuba, lange Zeit China sowie weitere Länder. Und schließlich wurde die UdSSR von zahlreichen Entwicklungsländern unterstützt, die sich zu »blockfreien Staaten« erklärten, daneben aber auch von unzähligen Sympathisanten auf der ganzen Welt. Über die 90 kommunistischen Parteien auf allen Kontinenten hinaus verfügte sie über zusätzliche ausgedehnte Einflusskanäle: das Netzwerk der Friedensbewegung, den Weltgewerkschaftsbund und besonders die antikolonialistischen Bewegungen. Diese Faktoren und natürlich auch der Sieg über Nazideutschland 1945 sowie der Besitz der Wasserstoffbombe seit 1949 machten die UdSSR zur zweiten globalen Supermacht nach den Vereinigten Staaten.
Davon ist heute nichts mehr übrig. Mit seinem für 2022 hochgerechneten Bruttoinlandsprodukt ist Russland auf Platz 11 hinter Indien und Brasilien abgerutscht, und wegen der nach dem Angriff auf die Ukraine verhängten Sanktionen wird es nicht einmal diesen Platz halten können. Russland hat nur wenige Freunde, die meisten davon Pariastaaten wie Syrien unter Baschar al-Assad, Venezuela unter Nicolás Maduro, Nordkorea unter Kim Jong-un, der Iran der Ajatollahs und last but not least China unter Xi Jinping. Anders als die international einflussreichen kommunistischen Ideen kann es der Welt nichts Ansprechendes bieten, sondern beschränkt sich auf die Ablehnung des Westens und besonders der USA. Damit kann es in den Entwicklungsländern noch Punkte machen, was diese aber nicht daran hindert, ihre eigenen Interessen zu verfolgen und mit dem Westen Handel zu treiben. Und es steht außer Zweifel, dass die Länder, die früher zur »sowjetischen Interessensphäre« gehörten, niemals dahin zurückwollen.
Warum also nimmt Wladimir Putin nun schon seit gut zehn Jahren eine internationale Spitzenposition ein? Sicherlich, weil sein Regime abscheuliche Taktiken benutzt, denen die Demokratien manchmal ohnmächtig gegenüberstehen. In nur 22 Jahren hat sich das sogenannte postkommunistische Russland unter Putin in eine destruktive Macht verwandelt, deren wichtigster Exportartikel die Angst ist. Mit der Androhung von Atomschlägen versucht Russland, größere westliche Hilfe für die Ukraine zu verhindern, um so seinen imperialistischen Krieg zu gewinnen. Mit der Androhung von Nahrungsmittel- und Energieknappheit will es uns in die Knie zwingen, damit wir die Sanktionen aufheben, die seine Wirtschaft abstürzen lassen. Es setzt weltweit und besonders bei uns Propaganda- und Desinformationsnetzwerke ein, um die Einigkeit des Westens auszuhöhlen und sogar Bürgerkriege auszulösen.
Diese zersetzende Politik wurde im Komitee für Staatssicherheit (KGB) ausgebrütet, dem sowjetischen Inland- und Auslandsgeheimdienst, Putins Alma Mater, seiner Universität, an der er seine eigentliche theoretische und praktische Ausbildung erhielt. In Russland sagt man, es gebe keine Geheimdienstmitarbeiter im Ruhestand, keine Tschekisten a. D., und in Bezug auf Putin würde das heißen: »Einmal Tschekist, immer Tschekist.« Vielleicht sollte man sich jetzt einmal eine ganz einfache Frage stellen: Wie ist es möglich, dass jemand, der passenderweise am 20. August 1991 aus dem KGB ausschied – während des gescheiterten Putsches gegen Michail Gorbatschow also, und das, obwohl sein Chef, der Sankt Petersburger Bürgermeister Anatoli Sobtschak, sich gegen die Putschisten ausgesprochen hatte –, wie ist es möglich, dass so jemand 1998, nur wenige Jahre später, Direktor des in Föderaler Dienst für die Sicherheit der Russischen Föderation (FSB) umbenannten KGB wurde? Es ist undenkbar, dass einer, der den KGB in einer Krise »verlassen« hatte und nicht etwa General, sondern nur Oberstleutnant war, den höchsten Posten der Organisation bekommen konnte – es sei denn, er gehörte in Wirklichkeit zur »aktiven Reserve« aus ehemaligen KGB-Genossen, die jetzt für den FSB arbeiteten und den aus der Implosion der UdSSR 1991 hervorgegangenen Staatsapparat unterwandern sollten. So erklärt sich auch Putins berühmter »Scherz« bei einem Treffen von FSB-Leuten im Dezember 1999, am Tag des Tschekisten: »Ich möchte darauf hinweisen, dass die Gruppe der FSB-Offiziere, die zur Infiltration der Regierung entsandt wurde, zunächst ihre Aufgaben erfüllt.« Da war er bereits Regierungschef, und seine nächste Aufgabe war es, die Präsidentschaft zu erlangen, derer er sich im Jahr 2000 bemächtigte und die er seit 22 Jahren innehat, mit einem kurzen Zwischenspiel des Scheinpräsidenten Dmitri Medwedew.
Wir erforschen hier Putins Werdegang, den Weg eines vom Geheimagenten zum Zaren aufgestiegenen Mannes, der seinen Wurzeln als Homo sovieticus und seiner im Schoß des KGB gebildeten Weltsicht die Treue bewahrt hat, außerdem aber auch seinen unbekannten wahren Mentoren. Wie der Dissident Wladimir Bukowski sinngemäß sagte: Putin ist Oberstleutnant, aber über ihm gibt es Generäle.
Die besten französischen und ausländischen Experten für Russland und den Kommunismus – mehrere stammen aus der früheren UdSSR – haben zu diesem Werk beigetragen, um Putins Weg nachzuzeichnen und seine Regierungsführung zu beleuchten. Dabei vertreten wir einen einzigartigen Ansatz mit der These, seine Methoden und seine Taktik seien von den Werten des KGB geprägt. Weiter oben haben wir das sogenannte postkommunistische Russland benannt. Allerdings widersprechen wir der These vom Postkommunismus, denn wir beobachten mit Bitterkeit, dass der Kommunismus zwar eine Ideologie, dabei aber sehr anpassungsfähig ist; so erklärt es sich, dass Stalin einen Pakt mit dem Naziregime schließen konnte. Wie schon Lenin gezeigt hat, bestand die Praxis des Kommunismus vor allem darin, einer Gruppe von Berufsrevolutionären mit den geeigneten Methoden an die Macht zu verhelfen. Durch eine Klassenideologie – egal, ob es sich um eine soziale oder ethnische Pseudogruppe handelte –, legitimierte er eine grundsätzliche Ungleichheit zugunsten der Partei, die die Bevölkerungsmehrheit unterjochte. Und er diente als Grundlage, auf der alle, auch ökonomische Maßnahmen erdacht wurden, die in seiner Scheinideologie darauf abzielten, die erreichte Macht für alle Zeiten zu festigen, wobei der Unterdrückungs- und Terrorapparat, die Tscheka – das »Schwert der Revolution« –, die zentrale und entscheidende Rolle spielte. Dieses Modell eines totalitären Regimes galt und gilt für alle kommunistischen Herrschaftssysteme auf der ganzen Welt.
Putin ging weiter. Zwar wurde die kommunistische Idee abgeschafft, und die Partei verlor ihre Macht, doch konservierte er das kommunistische System der Staatsführung mit ihren wichtigsten Elementen, der vertikalen Ausrichtung und der Absage an einen Machtwechsel. Garantiert werden sie durch die Geheimdienste, in erster Linie den Inlandsgeheimdienst FSB, eine privilegierte Gesellschaftsschicht und die Kontrolle der Wirtschaft. Man könnte also vom »Sowjetsystem ohne kommunistisches Gedankengut« sprechen. Neu an Putins Variante ist zum einen die Fusion der Regierung mit mafiösen Gruppen und folglich auch die Übernahme von deren grausamer Praxis, zum anderen die endemische Korruption besonders an den Schaltstellen der Macht. So sieht das Regime aus, das global für Chaos sorgt und dessen imperialistische Absichten weit über die Ukraine hinauszielen.
Im Jahr 1997 veröffentlichten die Éditions Robert Laffont und der verstorbene Charles Ronsac das Schwarzbuch des Kommunismus, das nach der Öffnung der Moskauer Archive den Umfang und den intrinsischen Charakter der von Lenin begründeten und von Stalin systematisierten Verbrechen des kommunistischen Regimes dokumentiert. Die Verbreitung des Buches in mehr als 25 Ländern schien damals dazu beizutragen, das moralische Prestige ...
Erscheint lt. Verlag | 26.1.2023 |
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Übersetzer | Jörn Pinnow, Ulla Held, Jens Hagestedt, Elisabeth Thielicke, Thomas Stauder, Nadine Püschel, Barbara Sauser |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft | |
Schlagworte | Alexei Nawalny • Angriffskrieg • Destabilisierung des Westens • Donbass • Energiekrise • Erdgas • Erdöl • EU-Sanktionen • Georgien • Georgien-Krieg • Kalter Krieg • Katja Gloger • KGB • Kiew • Kreml • Krim • Maidan • Memorial • Minsker Abkommen • Moskau • NATO • Nawalny • Okkupation • Ostpolitik • Putin • Russland • Schwarzbuch Putin • Selenski • Selenskyj • Sowjetunion • Stéphane Courtois • Tschetschenien • UdSSR • Ukraine • Ukraine-Konflikt • Ukraine-Krieg • Wagner-Gruppe • Wladimir Putin |
ISBN-10 | 3-492-60339-4 / 3492603394 |
ISBN-13 | 978-3-492-60339-3 / 9783492603393 |
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