Sherlock ist ausgeflogen (eBook)
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60379-9 (ISBN)
Jürgen Seibold, geboren 1960 in Stuttgart, arbeitete als Redakteur und freier Journalist. 1989 veröffentlichte der SPIEGEL-Bestsellerautor seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher, Theaterstücke, Thriller, Komödien und Kriminalromane. Mit seiner Familie lebt Jürgen Seibold im Rems-Murr-Kreis.
Jürgen Seibold, geboren 1960 in Stuttgart, arbeitete als Redakteur und freier Journalist. 1989 veröffentlichte der SPIEGEL-Bestsellerautor seine erste Musikerbiografie. Es folgten weitere Sachbücher, Theaterstücke, Thriller, Komödien und Kriminalromane. Mit seiner Familie lebt Jürgen Seibold im Rems-Murr-Kreis.
Kapitel 1
Gustaf Kruse, der Puppenspieler, ging mit weit ausgreifenden Schritten auf die Buchhandlung zu. Er beeilte sich nicht nur, um dem anstehenden nächsten Regenguss zu entgehen. In der Bäckerei gegenüber hatte er zwei besonders schön geratene Vanilleschnecken ergattert und freute sich nun auf einen entspannt verplauderten Kaffee mit Robert Mondrian, in dessen Buchhandlung um diese Zeit oft nicht viel los war. Zwei-, dreimal die Woche trafen sich die beiden inzwischen in Mondrians Leseecke. Der Puppenspieler steuerte die süßen Stückle bei, der Buchhändler spendierte den Kaffee, und was sich so in der Stadt tat, bot den Anlass für ihre Gespräche.
Die neugierige Frau Heberle, die in Remslingen an jeder Ecke ihre Ohren spitzte, hätte über die Themen der beiden Männer nur milde gelächelt. Keine Skandale, keine Aufreger, eigentlich nicht einmal richtiger Tratsch – Robert und sein Nachbar waren nicht auf die dunklen Geheimnisse der Stadtbewohner aus. Sie erzählten sich vom neuen Spanier, der sehr leckere Tapas anbot, oder von Lino Fontanas Versuchen, einem Teil seiner Speisekarte einen veganen Anstrich zu geben, was er dann meistens mit leckerer Sahnesoße wieder selbst torpedierte.
Frau Heberle wäre dazu noch eingefallen, dass das sicher an Linos neuer Freundin lag, die sich nicht nur vegan ernährte, sondern auch eine der treibenden Kräfte hinter dem veganen Frühstücksbrunch im nahen Winnenden war. Die Heberle hatte sogar herausgefunden, dass Linos Liebste das Gleiche für Remslingen plante, und ihre korpulente Freundin Marianne Pfuderer hatte dazu verständnislos den Kopf geschüttelt und schnell noch ein Stück Torte zwischen ihre Lippen gestopft.
Robert Mondrian und Gustaf Kruse dagegen interessierte nur, dass Lino Fontana seit einigen Monaten sehr glücklich war und dass seine Freundin einen sehr sympathischen Eindruck hinterließ, solange sie nicht über vegane Ernährung sprach und dabei ihren missionarischen Eifer offenbarte.
Gustaf Kruse zog die Tür der Buchhandlung auf und betrat das Geschäft, während über ihm die altmodische Ladenglocke schellte. Die beiden Gelbhaubenkakadus Sherlock und Watson, die wie immer in ihrem Käfig neben dem Regal mit den englischen Originalausgaben standen, imitierten die Glocke täuschend echt, wenn auch deutlich lauter. Dann wurde es still im Raum, und Kruse stutzte. Sonst machten er und die Vögel sich immer noch einen Spaß daraus, sich ein wenig zu necken. Heute hockten Sherlock und Watson nebeneinander auf der Stange und schauten abwechselnd zum Puppenspieler und zur Leseecke. Sie wirkten bedrückt, und als Kruse ihrem Blick folgte, sah er dort Robert Mondrian sitzen. Der Buchhändler war in einen Roman vertieft und sah aus, als habe er die halbe Nacht wach gelegen und gelesen.
»Na, müde?«
Gustaf Kruse ließ sich schwer auf einen der Sessel fallen und legte die Bäckertüte auf den Tisch. Robert blätterte um, bevor er aufsah und mit den Schultern zuckte.
»Ziemlich, ja.«
Und als der Buchhändler auch jetzt noch keine Anstalten machte, zur Teeküche zu gehen, nickte Kruse zu dem kleinen Raum hinter der Verkaufstheke hinüber.
»Dann würde uns beiden doch ein Kaffee jetzt sehr guttun, nicht wahr?«
Über Roberts blasses Gesicht huschte nun ein schwaches Grinsen. Er nickte, stand auf und hantierte wenig später an der Kaffeemaschine. Es zischte, mahlte und pumpte, und dann stellte der Buchhändler zwei Tassen mit dampfendem Cappuccino und zwei Teller auf den Tisch. Kruse holte die Schnecken aus der Tüte, verteilte sie und schob seinem Gastgeber einen der Teller hin.
»Sieht sehr lecker aus«, murmelte Robert und nippte an seiner Tasse.
»Das will ich meinen!«, schwärmte Kruse übertrieben euphorisch und lachte. »Und in was für einen Schmöker warst du vorhin so vertieft?«
Roberts Freundin Selina Brand war inzwischen eine Art freie Mitarbeiterin in Kruses Puppentheater, sie schrieb bereits am zweiten Stück mit ihm, und darüber hatten sich die beiden angefreundet und waren irgendwann zum Du übergegangen. Da blieb es nicht aus, dass sich wenig später auch die Männer duzten.
Robert drehte das Buch so, dass sein Gast den Titel lesen konnte. The Memoirs of Sherlock Holmes stand auf dem Einband.
»Sherlock Holmes?« Kruse war überrascht. »Ich dachte, du bist kein Krimifreund.«
»Die Klassiker mag ich schon. Holmes, auch Edgar Allan Poes Geschichten um Detektiv Dupin und George Simenons Maigret-Romane. Nur mit neueren Krimis habe ich so meine Schwierigkeiten. Ganz im Gegensatz zu meinem Mitarbeiter Alfons, wie du weißt.«
Er lachte.
»Apropos Alfons, wo ist er eigentlich?«, fragte Kruse. »Hat er es gestern mit dem Wandern übertrieben und liegt heute mit Muskelkater im Bett?«
»Das würde ich gern sehen: Alfons Weber am ersten Mai in Wanderstiefeln, und dann womöglich noch einen Handkarren mit Bier hinter sich herziehend …«
Robert grinste und biss ein Stück von der Vanilleschnecke ab.
»Nein, Alfons ermittelt«, fuhr er in leicht spöttischem Ton fort, als er den Mund wieder leer hatte.
»Wegen der verschwundenen Tiere, um die er sich sorgt?«
»Ja. Und das ist genau seine Kragenweite, wenn du mich fragst. Ein Hund ist weg, eine Rassekatze auch – und Alfons ist natürlich davon überzeugt, dass die beiden Vierbeiner entführt wurden. Und weil er sofort Feuer und Flamme war für seinen neuesten Fall, habe ich ihm angeboten, ihm jedes Mal freizugeben, wenn er einer Spur nachgehen will. Und so fehlt er in der Buchhandlung mal für einen ganzen Tag, mal nur für ein oder zwei Stunden.«
»Und ist er schon auf eine vielversprechende Spur gestoßen?«
»Ich glaube nicht, aber er ist ziemlich hartnäckig. Vielleicht sollte er eine Detektei eröffnen, das Nachforschen scheint ihm zu liegen.«
»Und jetzt bereitest du dich darauf vor, ihm zu helfen?«
»Ich werde mich hüten! Wie kommst du denn auf diese Idee?«
Kruse nickte zu dem Sherlock-Holmes-Buch hin.
»Ach so, das. Ich hatte heute Nacht einen sehr seltsamen Traum, der mich an eine Kurzgeschichte von Arthur Conan Doyle erinnerte. Da wollte ich ein paar Details nachlesen.«
»Im englischen Original? Das wäre mir zu anstrengend.«
»Das solltest du ruhig auch mal machen. Englische Klassiker in der Originalsprache – da reichen nur wenige Übersetzungen heran.«
»Und hilft dir die Geschichte dabei, deinen Traum zu deuten?«
»Na ja, deuten … Ich wollte überprüfen, worin der Traum mit der Geschichte übereinstimmt und worin nicht.«
»Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen?«
»Diese Anthologie enthält die Geschichte The Last Problem, und darin lässt Doyle seinen legendären Ermittler sterben. Er hatte wohl keine große Freude mehr daran, sich immer neue Geschichten um Sherlock Holmes auszudenken. Also ließ er ihn in einer Schlucht in der Schweiz auf seinen Erzfeind treffen, den genialen Verbrecher James Moriarty, genannt Professor. Die beiden kämpfen miteinander, und am Ende stürzen sie gemeinsam in die Tiefe.«
»Und wie lief das in deinem Traum ab?«
»Da war ich …«
Robert unterbrach sich und überspielte die Pause, indem er einen Schluck Cappuccino trank. Er setzte die Tasse ab, biss vom Plunderstück ab und schaute zur Tür. Draußen fielen die ersten Tropfen, die ein böiger Wind vor sich hertrieb. Ihr leises Klatschen gegen die Fenster war für eine Weile das einzige Geräusch in der Buchhandlung.
»Hast du häufiger solche Träume?«, fragte Kruse, als ihm die Pause zu lang wurde.
»Ab und zu. Aber Kurzgeschichten träume ich selten, eher gingen mir in den ersten Jahren hier in Remslingen Erinnerungen nach.«
»Erinnerungen aus deinem früheren Leben?«
Robert kniff die Augen zusammen und versuchte, in Kruses Miene zu lesen.
»Früheres Leben … wie das klingt.«
Kruse bemerkte, dass sein Gegenüber plötzlich angespannt wirkte. Trotzdem wollte er noch nicht lockerlassen. Die Vorgeschichte des Buchhändlers interessierte ihn sehr. Er witterte eine spannende Geschichte.
»Na, du warst ja nicht immer Buchhändler, nicht wahr?«
Robert forschte noch intensiver im Gesichtsausdruck des Puppenspielers.
»Ich meine, du warst...
Erscheint lt. Verlag | 27.4.2023 |
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Reihe/Serie | Lesen auf eigene Gefahr |
Lesen auf eigene Gefahr | Lesen auf eigene Gefahr |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Bestseller • Buchhändler • Buchhandlung • Cosy Crime • Das Revier der schrägen Vögel • Ermittlung • Gisa Pauly • Haustiere • Humor • humorvoller Krimi • Jürgen Seibold • Kakadu • Kommando Abstellgleis • Kriminalroman • Lachen • Mord • Mord nach Strich und Faden • schräg • Sherlock Holmes • Sophie Hénaff • Stuttgart • Watson • witzig |
ISBN-10 | 3-492-60379-3 / 3492603793 |
ISBN-13 | 978-3-492-60379-9 / 9783492603799 |
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