Keeskoken -  Paul Ontje

Keeskoken (eBook)

Eine ostfriesische Tragikomödie

(Autor)

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2022 | 1. Auflage
308 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-6551-2 (ISBN)
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Durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse, an denen ein Mops nicht ganz unbeteiligt ist, gerät das Leben in dem ostfriesischen Dörfchen Depsholt aus den Fugen. Das Schicksal scheint es mit den Bewohnern nicht gut zu meinen. Das Chaos ist komplett, als plötzlich ein Fremder auftaucht. Und so kommt ein bisher wohlgehütetes Geheimnis ans Licht. Nicht nur die Depsholter müssen erfahren, dass es im Leben oft anders läuft als gedacht. Daran kann selbst ihr Lieblingsgebäck nichts ändern. Und erst recht nicht ein mysteriöser Pastor, der mit seinem unkonventionellen Handeln reichlich für Verwirrung sorgt. Keeskoken Eine ostfriesische Tragikomödie über das Leben. Der zweite Roman von Paul Ontje.

Paul Ontje lebt mit seiner Familie und Hund mitten in Ostfriesland. Er ist freischaffender Autor, züchtet in seiner Freizeit Ponys und versucht sich an Holzarbeiten. Man munkelt, das sein Name nur ein Pseudonym ist, um seine wahre Identität zu verschleiern. Soviel sei verraten: Sie würden nie darauf kommen.

Seepferdchen


An und wieder aus. Dreimal. In einem gleichbleibenden und wiederkehrenden Rhythmus. Ein frisch manikürter, grün lackierter Fingernagel fuhr über den Lichtschalter. Ebenfalls dreimal. Ein zufriedenes Seufzen folgte. Danach ein prüfender Blick in den Wandspiegel. Der gewohnte Strich einer Hand über das enganliegende Sommerkleid, das sich über einem teigigen Körper spannte. Rote Rosen auf strahlend gelbem Grund.

Die Füße schlüpften in ein Paar hochhackige Schuhe. Dreimaliges Stampfen auf den Parkettboden. Alles okay. Es folgte ein letzter Blick in die Küche. Der Herd ausgeschaltet. Kein Tropfen des Wasserhahns über der Spüle. Perfekt. Der finale Blick in den Spiegel: Lidschatten, falsche Wimpern, schwarzer Kajal unter den Augen ... so wie es sein sollte.

»Heinz, ich komme gleich wieder«, rief Swantje. Sie schloss die Haustür, nachdem sie diese dreimal auf und zu gemacht hatte, und drehte den Schlüssel herum. Dann wieder zurück und in die andere Richtung. Drückte die Klinke herunter. Nun fünfmal. Weil es so sein musste. »Alles zu. Sehr gut«, bestätigte sie sich selbst. Wandte sich um und kehrte nach ein paar Sekunden des Innehaltens zurück. Die Tür wurde wieder aufgeschlossen. Mit einem langen Schritt betrat sie den Flur. Blieb stehen, drehte sich einmal im Kreis und säuselte: »Heinz, ich bin gleich soweit.«

Dann wieder ein Blick in den Spiegel. Weiterhin fand Swantje, dass sie perfekt aussah. Die Stöckelschuhe wurden ausgezogen und auf Maß nebeneinandergestellt. Gezielten Schrittes ging sie ins Wohnzimmer. Kontrollierte die Terrassentür. Dann zog sie die roten Gardinen auf und wieder zu.

Nun schien sie endlich zufrieden.

Ein Gang in das Obergeschoss. Jede Tür wurde viermal geöffnet. Ein kurzer Blick in die Zimmer.

»Wunderbar«, trällerte sie zufrieden.

Sie tapste zurück nach unten. Zog ihre Schuhe wieder über die Füße. Dann dieselbe Prozedur wie vorhin.

Für Außenstehende mochte es verstörend wirken, wie Swantje in einer akribischen Reihenfolge das tägliche Ritual wiederholte. Doch da sie allein lebte, gab es niemanden, der sich daran störte. Ihre Eltern waren vor etlichen Jahren kurz nacheinander verstorben. Irgendwann, Swantje wusste es selbst nicht mehr so genau, überkam sie diese merkwürdige Angewohnheit, bestimmte Dinge mehrmals tun zu müssen. Ihre Mutter hatte ähnliche Anwandlungen. Nun, vielleicht lag das einfach in den Genen. Sie machte daraus kein großes Geheimnis. In dem kleinen Ort, in dem sie wohnte, waren Geheimnisse nahezu unmöglich. Außer einem ... das Swantje mit ins Grab nehmen würde.

Aber das ist eine andere Geschichte.

»Was ein herrlicher Morgen«, sagte sie und blickte nach draußen. Obwohl es so früh war, dass selbst die Hähne zu müde zum Krähen waren, strahlte die Sonne durch die blitzblanken Fenster. Swantjes Haus war geschmackvoll eingerichtet. Jedoch wirkte es nahezu steril. Die Möbel alle in Weiß gehalten. Damit jeder Schmutz sofort eliminiert werden konnte. Der Staub war schon lange beseitigt. Um drei Uhr morgens klingelte Swantjes Wecker. In Nachthemd und Puschen wuselte sie durch das Haus. Natürlich mit einer strengen Abfolge. So war, bevor der Tag begann, schon alles vorbereitet für ... ja für wen eigentlich? Wer sollte denn schon kommen außer ihren Nachbarn, die sich jedoch äußerst selten blicken ließen.

Nun denn. Es war Zeit für ihr Frühstück. Eine Tomate, zwei Scheiben Toastbrot mit Butter. Dann wurde eine neue Tischdecke aufgelegt, die Küche nochmals geputzt, das Licht kontrolliert und so weiter.

»Sehr schön«, sagte sie. »Komm, Heinz. Wir gehen spazieren.«

Keine Antwort. Nur das monotone Ticken der Wanduhr.

»Nun komm schon. Sonst wird es zu warm draußen.«

Ein leises Knurren kam aus dem Wohnzimmer.

So ging das nicht weiter, dachte sie. Ihre Schuhe waren schon an den Füßen, der Kontrollblick in den Spiegel erledigt. Wenn sie jetzt in das Wohnzimmer müsste ... alle ihre Bemühungen wären dahin. Und auf eine erneute Prozedur hatte sie wahrhaftig keine Lust mehr.

Ein grimmiges: »Nun komm her. Sofort!«, polterte aus ihren dick geschminkten Lippen. Als ihr Mitbewohner um die Ecke geschlichen kam, lächelte sie zufrieden und öffnete die Haustür.

Dreimal.

Schaumkronen tanzten vereinzelt über das sonst spiegelglatte Wasser des Ems-Jade-Kanals. Bienen summten über Wildblumen, Grillen zirpten in den Gräsern um die Wette. Eine drückende Schwüle begleitete den Sommerabend.

Mechthild saß auf ihrer Bank, atmete tief ein und schloss die Augen. An diesem Ort war sie ihrem verstorbenen Mann am nächsten. Hermann hatte ihr die Bank zum zwanzigsten Hochzeitstag geschenkt. Lackiert in einem warmen Schwedenrot. »Unkaputtbar«, hatte er damals gesagt. Zehn Jahre war es nun her, seit Hermann verstorben war. An einem warmen Julimorgen, so wie heute. Herzinfarkt. Einfach so. Eine Stunde vorher hatte er noch mit ihr auf der Bank gesessen, ihr tief in die Augen geschaut und ihr einen sanften Kuss auf die Wange gehaucht. Und dann war Hermann von ihr gegangen. Ohne tschüss zu sagen. An dem Nachmittag vor ihrem Hochzeitstag wurde er beerdigt. Auf einem Friedhof, knapp zwei Kilometer von Depsholt entfernt.

Der winzige Ort entstand in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg. Direkt auf der Grenzlinie zwischen Emden und Aurich. Mit genau vier Häusern. Zwei auf der Auricher Seite, die anderen beiden im Emder Hoheitsgebiet. Seit Jahrzehnten stritten sich die Städte um Zuständigkeiten. Den wenigen Depsholtern war das herzlich egal. Man lebte miteinander, und man wurde miteinander alt.

Hilbert, Mechthilds Nachbar, saß jeden Abend bei ihr im Garten, schlürfte an seinem Bier und sagte: »Du musst nicht in das Paradies gelangen, solange du einen Garten hast.« Dann blickte er verheißungsvoll über das Grün und ergänzte: »Und solange wir einen schönen Garten haben, wird uns der liebe Gott schon nicht holen. Wer soll denn dann das Unkraut jäten?«

Hilbert und seine Sicht über die Dinge, die sich nicht aufhalten ließen.

Mechthild war glücklich. Ihre Lebenszeit neigte sich langsam dem Ende zu. Na und? Sie lebte am schönsten Fleck der Erde, hatte eine glückliche Zeit mit ihrem Mann verbracht. Kinder hätte sie sich gewünscht. Aber irgendwie war es ihr nicht vergönnt gewesen. Trotzdem gab es keinen Grund zur Klage. Für ihre achtundsiebzig Jahre war sie noch gut in Schuss. Machte am Tag zwanzig Kniebeugen und Hüftschwünge. Ihr schmales Gesicht gänzlich ohne Falten. Eine leicht geschwungene Nase, schmale Lippen. Die schlohweißen Haare zum Zopf gebunden. Am Körper kein Gramm Fett zu viel.

Mechthild war mit Leib und Seele Frisöse gewesen. Mit ihrem Fahrrad klapperte sie die benachbarten Dörfer ab und verpasste sowohl Damen als auch Herren einen feschen Haarschnitt. Doch kurz nachdem ihr Mann verstorben war, begann dass Zittern in ihren Händen. Psychische Ursachen, hatte ein Arzt in Aurich gesagt. Mechthild war damit nicht viel geholfen. War doch das Haareschneiden für sie eine willkommene Abwechslung, aus Depsholt herauszukommen. Selbst einfachste Frisuren gelangen nicht mehr. Ihre Kunden suchten das Weite. Hatten keine Lust auf schiefe Haarschnitte oder misslungene Dauerwellen. Nur die Damen in Depsholt, und davon gab es nicht mehr viele, hielten ihr die Treue. Aber mehr als Spitzen schneiden ließen auch sie nicht zu.

Mechthild sog die laue Morgenluft in die Nase. Ein Gemisch aus frischem Heu und Wildblumen. So duftete der Sommer. Unvergleichlich. So wie damals, als Hermann noch lebte. Gerüche waren wie eine Zeitreise. Frisch gebackenes Brot im Winter erinnerte an ihre Kindheit. Morgentau an die Jugendzeit. Als sie zu Fuß von Depsholt nach Westerende zur Schule lief. Und festgestellt hatte, dass Morgentau einen ganz besonderen Duft besaß. Er roch nach einem neuen Tag. Leicht salzig. Frisch und belebend. Selbst der nahende Herbst hatte eine eigene Duftnote. Nach der Ernte das leicht holzige Aroma von Weizen, aufgewirbelter Erde und Regen auf Kopfsteinpflaster. Aber nichts roch besser als der Sommer. Besonders hier, am Deich des Ems-Jade-Kanals.

Sie schloss für einen Moment die Augen und lächelte. »Bis morgen, mein Schatz«, flüsterte sie und stand auf.

Ein schrilles »Huhu, Mechthild« durchbrach die Stille.

Mit gekrauster Stirn warf sie einen Blick zurück.

Swantje Groen. Na prima. War auch immer da, wo man sie gerade nicht gebrauchen konnte. In Depsholt keine sonderliche Kunst. Mechthild verdrehte die Augen und legte einen Schritt zu. Nicht, dass sie ihre Nachbarin nicht mochte. Es war vielmehr so eine Art Hassliebe. Swantje war zehn Jahre jünger als sie. Und plapperte meistens wie ein Wasserfall. Swantje kam in hochhackigen Schuhen auf sie zugestolpert und fuhr sich durch die roten Haare. »Na, auch den schönen Morgen genießen?«, trällerte sie grienend.

Mechthild entdeckte Lippenstift an ihren Zähnen.

Swantje spitzte die Lippen....

Erscheint lt. Verlag 11.10.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
ISBN-10 3-7568-6551-7 / 3756865517
ISBN-13 978-3-7568-6551-2 / 9783756865512
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