Der Apparat (eBook)
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01369-8 (ISBN)
J. O. Morgan, geboren 1978, wurde für seine Lyrik mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Costa Poetry Award. Der Apparat ist sein zweiter Roman, der für den Orwell Prize for Political Fiction nominiert ist. J. O. Morgan lebt in Edinburgh, Schottland.
J. O. Morgan, geboren 1978, wurde für seine Lyrik mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. mit dem Costa Poetry Award. Der Apparat ist sein zweiter Roman, der für den Orwell Prize for Political Fiction nominiert ist. J. O. Morgan lebt in Edinburgh, Schottland. Jan Schönherr lebt in München und hat Autoren wie Charles Bukowski, Roald Dahl und Francis Spufford übersetzt. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bayerischen Kunstförderpreis in der Sparte Literatur und dem Förderpreis zum Übersetzerpreis der Kunststiftung NRW 2019.
1. Bringen Sie’s rein
Der Apparat sah fast exakt so aus wie ein großer grauer Kühlschrank, so ein imposantes ausländisches Modell mit einer großen Tür unten und einer kleineren darüber, beide wie ein Autodach gewölbt und mit je einem langen Chromgriff ausgestattet; bloß war der untere Griff mit einem schweren Schloss gesichert, und an den oberen durfte man nur greifen, wenn das grüne Licht aufleuchtete. Im Unterschied zu einem Kühlschrank saßen nämlich auf der glänzenden Oberseite des Apparats drei kleine verschiedenfarbige Glühlampen; und die wuchtige, an der Seite angeschraubte Steuerungseinheit mit Kaltkathodendisplay und gummiertem Tastenfeld war auch kein Thermostat.
Eines Freitagabends kamen vier gut gekleidete Männer vom Institut vorbei, um dieses Gerät kippelnd, schiebend und stützend aus einem alten blauen Lieferwagen zu wuchten, auf einem Transportroller über den Gartenweg zu schieben und dann durch Mr Pearsons Haustür zu bugsieren.
Diese diffizile Aufgabe erfüllten sie mit größter Sorgfalt und in aller Ruhe. Mehrfach maßen sie das gusseiserne Gartentor aus und banden es schließlich mit einer Schnur zurück. Sie suchten den groben Asphalt des Gartenwegs nach Rissen und Dellen ab. Legten lange Bretter über die Stufen vor der Haustür. Wischten sich den Schweiß mit Stofftaschentüchern von den Händen. Dann packten sie den großen grauen Kasten ganz fest zu viert, um ihn ins Haus zu rollen, als wäre ein Sturz, bei dem er auch nur die kleinste Macke abbekäme, eine Katastrophe von apokalyptischem Ausmaß.
Mr Pearson hielt sich aus alldem heraus, räumte bloß einige potenzielle Hindernisse aus dem Flur, während er seiner Frau erklärte, dass man ihn sehr wohl um seine Erlaubnis gebeten habe, er sehr wohl wisse, was auf sie beide zukomme, und er ihr die Einzelheiten noch in Ruhe auseinandersetzen würde, sobald das Gerät ordnungsgemäß angeschlossen sei.
Mr Pearson arbeitete nicht in derselben Abteilung wie die vier Männer. Mr Pearson war eigens auserkoren worden. Mr Pearson und seiner Frau wurde die Maschine, dieser Prototyp, für ein paar Tage anvertraut, um damit eine Reihe basaler Tests durchzuführen. Mr Pearson hatte detaillierte Anweisungen erhalten. Außerdem wohnte Mr Pearson, im Unterschied zu vielen seiner Kollegen, einigermaßen nah am Institut, und das hatte wohl den letzten Ausschlag gegeben.
Das Gerät wurde in der Küche abgestellt. Ein selbstverständlicher Platz dafür drängte sich nicht auf, weshalb es nun sperrig mitten im Raum aufragte. Wandbündig konnte man es nicht platzieren, einerseits wegen des steifen Kabels an der Rückseite, andererseits weil man es – zumindest in der Testphase – für geboten hielt, es allseitig zugänglich zu halten. Das eigenartige Kabel war dick wie ein Babyarm und ummantelt mit weichem braunem Gummi. Am Gerät war es mit einem starren Kunststoffkragen befestigt, von dem aus es sich durch die Küche, den Flur und den Briefschlitz an der Haustür schlängelte.
Nachdem sie sich vom stabilen Stand der Maschine überzeugt und das dünne Stromkabel in die nächstliegende Dose gesteckt hatten, zogen die vier Männer ab und ließen Mr und Mrs Pearson mit dem Neuzugang im Küchenmobiliar allein zurück.
Oben auf dem Apparat glomm ein bernsteinfarbenes Licht. Mr Pearson wusste zwar nicht recht, was das bedeutete, stand aber trotzdem mit den Händen in den Hosentaschen da und strahlte die Maschine an. Mrs Pearson stand mit verschränkten Armen hinter ihm und strahlte nicht.
Nach einer Weile ergriff sie das Wort. «Und was, wenn wir mal aus dem Haus müssen?»
«Hmm?» Mr Pearson ließ den Apparat nicht aus den Augen.
«Und ziehen wird es auch wie Hechtsuppe, wenn der Briefschlitz die ganze Nacht aufsteht.»
Langsam und noch immer strahlend trat Mr Pearson einen Schritt zurück und setzte sich.
«Wenn dieses Ding tut, was es soll –» Er ermahnte das klobige Gerät mit erhobenem Zeigefinger. «Huiuiui … Meine Herren … Das wird was. Das wird wirklich was.»
Mrs Pearson seufzte und nahm neben ihrem Mann Platz.
«Du hast gar nicht erzählt, dass die an so was tüfteln.»
«Ich wusste es ja selber nicht. Niemand wusste das. Jedenfalls nicht wir in der Personalabteilung. Ist aber ganz normal. Wirklich genau wissen wir immer nur, dass wir nie genau wissen, woran die arbeiten. Und wenn wir es zufällig doch mal mitkriegen, müssen wir schwören, mit niemandem darüber zu sprechen. Ich musste extra ein Formular unterschreiben, um das zu versprechen.»
«So, so.» Mrs Pearson blickte Richtung Küchenfenster. «Aber ich hab denen nichts dergleichen versprochen. Und was soll ich jetzt sagen, wenn die Leute nach dem hässlichen Kabel fragen, das aus unserer Haustür ragt? Die fragen nämlich garantiert! Das Ding läuft ja direkt am Gartenweg entlang. Und danach, wie weit noch? Wahrscheinlich ja wohl bis zum Institut. Locker vier-, fünfhundert Meter. Die Leute werden sich ganz schön das Maul zerreißen, wenn sie das Kabel sehen. Und ich bin keine Lügnerin. Dafür hab ich keine Zeit. Wenn also einer fragt –»
Mr Pearson kam wieder auf die Füße, erneut die Hände in den Taschen. Gemächlich ging er rings um die Maschine, inspizierte sie aus jeder Perspektive.
«Das haben die bestimmt bedacht. Alles geregelt.» Er ging in die Hocke und beäugte den Anschluss. Schon streckte er die Hand aus, um sich zu überzeugen, dass alles fest verkoppelt war, besann sich aber doch noch rechtzeitig und zuckte zurück. «Die haben das sicher irgendwo angemeldet. Mit allen nötigen Stellen gesprochen.» Mit der freien Hand winkte er ab, dann schob er sie wieder in die Tasche. «Warnschilder werden sie aufgestellt haben. Berühren verboten! Lebensgefahr! Empfindliche Bußgelder! Mach dir mal keine Sorgen. Ich wette, es fragt nicht mal jemand.»
Nach abgeschlossenem Rundgang setzte Mr Pearson sich wieder zu seiner Frau. Gerade wollte er mit den Beteuerungen fortfahren, als sich etwas veränderte. Das bernsteinfarbene Licht ging aus. Und einen Augenblick später ging ein rotes Licht an.
Mr Pearson sprang auf, die Knöchel seiner Faust vor den geschürzten Lippen. Langsam erhob sich auch seine Frau und trat neben ihn.
Eine Weile rührten sie sich beide nicht, und nichts weiter geschah mit der Maschine. Kein Geräusch, kein Warnsignal, nur der träge Übergang von einem Leuchtsignal zum anderen, dessen sanftes rotes Licht nun auf ihren gespannten Mienen schimmerte.
Nach einer Weile ließ Mrs Pearson die Schultern sinken.
«Meinst du, das war schon alles?»
«Sssch!» Ihr Gatte machte eine brüske Geste.
Mrs Pearson senkte die Stimme zum Flüstern. «Ich meinte, ob du glaubst, dass was angekommen ist. Glaubst du, was immer da drin ist, muss erst noch … verarbeitet werden oder so?»
«Was? Nein. Es, ähm … Ich weiß nicht.» Aus der Innentasche seines Sakkos zog Mr Pearson ein paar gefaltete graue Unterlagen hervor, die man am Nachmittag für ihn getippt hatte, unter Verwendung sowohl schwarzen als auch roten Farbbands. Mit dem Zeigefinger strich er nun über diese Instruktionen. «Ah.» Er tippte auf die Seiten. «Es ist verriegelt.» Noch einmal las er die betreffende Zeile. «Genau. Das rote Licht heißt, es ist verriegelt. Das ist alles.» Er las weiter. Nickte. «Genau. Vollautomatisch geht das. Vermutlich machen die irgendwas am anderen Ende der Leitung. Wir tun einfach … gar nichts. Genau. Fürs Erste … warten wir nur ab.» Er blickte wieder auf und lächelte.
Mrs Pearson ließ ein müdes kleines Ächzen fahren und zog sich ans Spülbecken zurück. «Also ich verschwende damit sicher nicht noch mehr kostbare Zeit. Schließlich ist das deine Arbeit. Gut, vielleicht nicht deine Arbeit, aber deine Verantwortung. Also wirst wohl du –» Sie nahm einen großen Topf aus dem Regal und füllte ihn mit Wasser. «Kriegst du dafür eigentlich eine Zulage? Das will ich aber doch schwer hoffen! Für uns beide, meine ich. Für unsere Unannehmlichkeiten. Das ganze Wochenende, haben die gesagt! Und wenn wir jetzt Gäste hätten? Interessiert die wohl gar nicht, hm? Und erzähl mir jetzt nichts von wegen Privileg. Wenn das zum Job gehört, gehört es auch bezahlt. Und was kann dabei überhaupt alles passieren? Versuchskaninchen sind wir, weiter nichts! Haben die denn wenigstens versucht, dir zu versichern, das sei alles völlig –»
Mrs Pearson ließ den schweren Topf fallen. Dumpf krachte er ins Spülbecken. Das Wasser schwappte ihr über die Schürze und platschte auf den Fußboden.
Reflexartig hatte sie die Hände hochgerissen, um sich die Ohren zuzuhalten. Doch das Geräusch, das sie dazu veranlasst hatte, war schon wieder verstummt. Nur das kalte Sprudeln aus dem Wasserhahn war noch zu hören.
Mrs Pearsons Mund stand sperrangelweit auf, bereit zu einem Schrei. Ihre Augen waren winzig klein gekniffen, in Erwartung dessen, was da kommen mochte.
Aber es kam gar nichts.
Als sie sich umdrehte, sah sie, dass auch ihr Mann sich beide Ohren zuhielt und sich krümmte, als wolle er sich an sich selbst festklammern.
Das Geräusch hielt nicht lang an, kaum mehr als einen Augenblick, und verstummte so schlagartig, wie es erschallt war. Trotz der Lautstärke tat es nicht direkt weh in den Ohren, war aber doch höchst unerfreulich. Als zerkratzte und zerfetzte irgendwer mit Stahlklauen die Luft – als risse sie mit orkangleicher Gewalt auf und schnappte gleich darauf genauso...
Erscheint lt. Verlag | 13.6.2023 |
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Übersetzer | Jan Schönherr |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Alternate History • Alternative Geschichte • Alternativweltgeschichte • dystopische Literatur • Gefahren der Technik • Generationsroman • George Orwell • Gesellschafsroman • Gesellschaftspolitischer Roman • Internetzeitalter • Kommunikation • literarischer Roman • Menschliche Beziehungen • Orwell Price for political fiction • Paralleluniversum • Philosophie • Retro-Science Fiction • Roman • schottischer roman • Science Fiction • Sci-fi • Technikeinfluss • Technologie • Teleportation • Uchronie • Utopie • Was wäre wenn Buch |
ISBN-10 | 3-644-01369-1 / 3644013691 |
ISBN-13 | 978-3-644-01369-8 / 9783644013698 |
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