Vier Schafe und ein Todesfall (eBook)
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01496-1 (ISBN)
Thomas Chatwin, geboren 1949, ist promovierter Literaturwissenschaftler und ein profunder England-Kenner. Er liebt Cornwall und verbringt jede freie Minute dort. Seiner langjährigen Freundschaft mit der englischen Bestsellerautorin Rosamunde Pilcher und vielen gemeinsamen Reisen verdankt er ungewöhnlich detailreiche Einblicke in Cornwalls Alltag.
Thomas Chatwin, geboren 1949, ist promovierter Literaturwissenschaftler und ein profunder England-Kenner. Er liebt Cornwall und verbringt jede freie Minute dort. Seiner langjährigen Freundschaft mit der englischen Bestsellerautorin Rosamunde Pilcher und vielen gemeinsamen Reisen verdankt er ungewöhnlich detailreiche Einblicke in Cornwalls Alltag.
1.
An diesem vierten Juni sollte nichts schiefgehen, hatte Kate sich geschworen. Für Grandmas fünfundachtzigsten Geburtstag würde wieder das alte Doyle Cottage im Mittelpunkt stehen und Grandma so gefeiert werden, wie sie es verdiente. Ihr Achtzigster vor fünf Jahren war im frischen Schmerz um Grandpas Tod zweitrangig gewesen, zumal seine Richterkollegen am High Court ausgerechnet an diesem Tag ihre würdevolle akademische Trauerfeier für ihn veranstaltet hatten.
Ein letzter Blick aus dem Schlafzimmerfenster zu den Schafen. Dass Davids Farm auf einem grünen Hügel lag, machte sie für Kate besonders liebenswert. David witzelte manchmal darüber, in welcher Weise sie gerne Überblick, Einblick oder Durchblick behielt, aber sie fand, um den Rhythmus von Tieren begreifen zu können, konnte Wissbegier nicht das Schlechteste sein.
Heute graste die Herde anderthalb Meilen entfernt unten am Meer, eine harmonische Gruppe weißer Pünktchen hinter der Düne, nicht zu übersehen in der Weite der grünen kornischen Landschaft. David hatte die Schafe morgens notgedrungen auf die Weide von Ben Jenkins treiben müssen, weil oben die Gatter erneuert werden sollten. Hinter den Tieren glitzerte idyllisch das Meer, die Wellen geschoben vom Ostwind. Weil Jenkins’ alter Weidezaun nicht gerade der stabilste war, hatte David darauf bestanden, dass sein Farmnachbar während Grandmas Geburtstagsfeier mindestens zwei Mal nach der Herde schaute. Jenkins hatte es hoch und heilig versprochen. Leider wusste man nie, wann er Durst bekam und die Sache mit einem Besuch im Pub abkürzte. Heute musste David das leider riskieren.
Auch wenn Kate schon vor zwei Jahren zu David gezogen war, staunte sie selbst noch über ihren neuen Stallgeruch als Farmerin. Für ihre Stadtfreunde blieb sie zwar die Intellektuelle, die wegen ihrer großen Liebe aufs Land gezogen war. Aber das war ihr egal. Die große Liebe hieß David Pennymore, und sie hatte ihn vor dreieinhalb Jahren auf der Hochzeit einer Verlagskollegin kennengelernt, wo David als best man des Bräutigams fungiert hatte. Er war nur zwei Jahre älter als sie, und es hatte auf Anhieb zwischen ihnen gefunkt. Da David damals noch in Exeter als Polizei-Forensiker gearbeitet hatte, sie aber in London lebte, waren sie beide in den ersten Monaten eifrig und verliebt hin- und hergependelt. Dann hatte David vor drei Jahren völlig überraschend die Schaffarm seines verstorbenen Bruders geerbt. Er hatte nicht lange überlegen müssen, um zu beschließen, selbst Farmer zu werden. Nach vierzehn Jahren als Forensiker war ihm seine Arbeit nicht mehr wirklich befriedigend erschienen, und er sehnte sich nach neuen Herausforderungen. Kate bewunderte, mit welchem Mut und welchem Enthusiasmus David sich auf die neue Herausforderung als Schafzüchter einließ. Da ihr Herz sagte, dass sie mit ihm endlich den Richtigen gefunden hatte, war sie ein halbes Jahr später zu ihm auf die Farm gezogen.
David war den Umzug von London zurück nach Cornwall wert gewesen, zumal der größte Teil von Kates Familie dort lebte. Ihre Artikel für Literaturzeitschriften und Magazine flossen auch in Cornwall aus dem kleinen schwarzen Laptop und ihr True Crime-Podcast ließ sich auch auf der Trewistle Farm mit Ideen füttern. Dank ihrer Artikel und eines gut zahlenden Sponsors für ihren erfolgreichen Podcast brauchte sie sich wegen des Ortswechsels keine Sorgen zu machen.
Jetzt, mit zweiundvierzig Jahren, war Kate mitten im Leben angekommen. Besser ging’s gar nicht. Grandma hätte ihr auch den Marsch geblasen, wenn es anders gewesen wäre.
Grandma!
Der Tag ihres fünfundachtzigsten Geburtstags war als Highlight der Familie geplant. Entsprechend gut gelaunt trat Kate vor ihren durchschnittlich bestückten Kleiderschrank, klappte die Tür mit dem Spiegel auf und hielt abwechselnd zwei Blusen vor sich. Was sollte sie zum Fest anziehen?
So unkonventionell ihre verrückte Grandma auch war, als ehemalige Tänzerin besaß sie ein festes Credo: Jedes herausragende Ereignis braucht seine Garderobe. Hochzeiten, Geburten, Finanzamtsbesuche. Und ja, sogar Verbrechen. Grandpa persönlich hatte vor fünfundzwanzig Jahren den brutalen Smoking-Mörder von Mayfair als Vorsitzender Richter lebenslang ins Gefängnis gebracht. Früher hatte Kate die Kleidungsfrage für übertrieben abgetan, heute fand sie gelegentliche Häutungen gar nicht so dumm.
Draußen vor dem Schlafzimmer herrschte ein Höllenlärm. David rollte ohrenbetäubend laut mit dem Traktor vor und zurück, weil das alte Gatter der Koppel festhing.
Kate trat ans offene Fenster und pfiff schrill auf zwei Fingern. Würzig schlug ihr der Grasgeruch der Schafweide entgegen. Auf einer Farm, so hatte sie schnell kapiert, konnten archaische Kunststücke wie Pfeifen sehr nützlich sein. Schafehüten ohne laute Pfiffe wäre wie Autofahren ohne Lenkrad gewesen.
David hob die Hand und stellte den Motor aus. Tatsächlich waren sie spät dran. Um elf Uhr begann der Sektempfang und pünktlich um 12:30 Uhr das Mittagessen im Doyle Cottage. Und bei Grandma Emily bedeutete pünktlich sehr pünktlich bis überpünktlich.
Um das Geschenk der Enkel hatte sich letzte Woche Informatik-Nerd Morwenna gekümmert, mit zweiundzwanzig Jahren Kates jüngste Cousine und die Tochter von Onkel Brian. Von allen Doyles konnte Mo am unkonventionellsten denken. Verabredet war, dass das Geschenk etwas Ungewöhnliches werden sollte. Bücher, Sektkühler, Schals oder Bilder besaß Grandma mehr als genug. Also, was blieb noch?
Erst vor sieben Tagen hatte Morwenna ihren Einfall telefonisch bei Kate vorgestellt. Alle Doyles kannten Grandmas ausgereifte Krimi-Manie. Seit Jahren durchforstete und studierte sie fasziniert die Berge von echten Kriminalakten, die Grandpa Edward ihr als Richter hinterlassen hatte. Sie sah ihn als ihren Lehrmeister, was Verbrechen, Tod und Hinterlist betraf. Kein Anwalt hätte die Strategien überführter Mörder besser rekonstruieren können als Grandma. Auch die bedrohlich hohen Stapel von Kriminalliteratur in ihrem Cottage kamen nicht von ungefähr.
«Wir schenken ihr was Cooles», hatte Morwenna am Telefon verkündet. «Wir rüsten Grandma mit perfekter Kriminaltechnik aus.»
«Was heißt das?», hatte Kate überrascht gefragt.
«Alles, was Kriminalisten Spaß macht – Nachtsichtgerät, Fingerabdruckbox, Schmauchspurensicherung und einen weißen Schutzanzug für den Tatort. Ich wette, sie lacht sich schief darüber.»
Kate fand die Idee sofort perfekt, sie klang Grandma-gemäß. In Gedanken sahen sie beide, wie Grandma die Sachen stolz ihren Freundinnen vorführte.
«Großartig, Mo! Vergiss nicht, zwei Päckchen Spurengips mit einzupacken.»
«Was soll sie denn damit? Plätzchen backen?»
«Grandma findet Spurengips sinnlich. Wusstest du das nicht? Wenn am Tatort langsam der Schuhabdruck des Mörders ausgegossen wird … In Grandpas Kriminalakten kommt das ständig vor.»
«Na dann.» Morwenna musste kichern. «Lass mich loslegen.» Und so war Morwenna im Internet auf Shoppingtour gegangen.
Was musste man noch über Grandma wissen? Sie war das willensstarke Rückgrat der Doyles. Mit ihrem gesalzenen Humor hätte man kornische Sardinen einlegen können.
Seitdem Kate bewusst war, dass jede und jeder Doyle ein echtes Unikat darstellte, betrachtete sie alle wie eine Sammlung faszinierender Objekte – mit Liebe, wohlmeinendem Spott und Stolz. Allein schon Tante Anne, die behauptete, sich an den Tag ihrer eigenen Geburt erinnern zu können! Leider sei im Kreißsaal ein Fenster offen gewesen, und es hätte wie Hechtsuppe gezogen. Oder Großonkel Nathaniel Doyle, der früher als Fischereiaufseher von Schloss Windsor für die täglichen Regenwurmlieferungen an die Royals verantwortlich gewesen war.
Nach Grandma Emilys letzter Zählung existierten in Cornwall und Devon derzeit fünfundachtzig echte Doyles. Nicht eingerechnet die Angeheirateten. Dass alle so zusammenhielten, war ganz klar ihr Werk. Nach Grandpas Tod hatte sie sich komplett aus London in ihr ländliches Cottage in den kleinen Küstenort Looe zurückgezogen. In Cornwall war sie auch den Kindern und Enkeln wieder näher. Als erste Amtshandlung hatte sie den alten Weinkeller unter dem Cottage angemessen aufstocken lassen, dann die eingeschlafenen Familienfeste wiederbelebt (Punkt eins und zwei hingen für alle Doyles fest zusammen) und schließlich mit Herz und Weisheit das Familienkommando übernommen, so wie früher Grandpa. Jüngere in der Familie wie Morwenna, Oscar oder Poppy fanden Emily sowieso cool, die Älteren bewunderten vor allem ihren scharfen, kämpferischen Freigeist.
In der Pubertät und auch danach hatte Kate trickreich gegen ihre lebhafte Doyle-Herde rebelliert. Vor allem gegen ihren ruhigen Vater Gilbert. Aber irgendwann war diese Masche ausgereizt gewesen. Welcher Teenager will sich dauernd aus Protest in die falschen Männer verlieben, wenn sich keiner in der Familie darüber ärgert? Wenn Grandma nur zwinkert und sagt: «Haben sie dir schon erzählt, dass ich außer mit Elvis auch mal was mit David Niven hatte?»
Bei der Vorbereitung ihrer legendären Familientreffen legten sich die Doyles mächtig ins Zeug. Anlässe für Feste gab es viele. Wenn es ihr Spaß machte, lud Grandma auch schon mal am World Porridge Day zum Feiern. Ging es dann los, durfte sich die Party fröhlich und voller Doyle’scher Leidenschaft bis in die Morgenstunden entfalten. Als Kates Freund David Pennymore zum ersten Mal die Ehre hatte, von Kate zum Ostertreffen ins Cottage mitgeschleppt zu werden, kam er aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.
So ein...
Erscheint lt. Verlag | 1.6.2023 |
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Reihe/Serie | Cosy Crime aus Cornwall | Cosy Crime aus Cornwall |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Agatha Christie • Britischer Humor • Cornwall • Cosy Crime • cosy crime deutsch • Der Donnerstagsmordclub • Destinationskrimi • Devon • England • england krimi • ermittelnde Großfamilie • Familienleben • Familienroman • humorvoller Krimi • Krimineuerscheinungen 2023 • Krimi Neuerscheinungen 2023 • Miss Marple • only murders in the building • Richard Osman • Südengland • True Crime Podcast |
ISBN-10 | 3-644-01496-5 / 3644014965 |
ISBN-13 | 978-3-644-01496-1 / 9783644014961 |
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