Man kann auch ohne Kinder keine Karriere machen (eBook)
176 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01420-6 (ISBN)
Ella Carina Werner, geb. 1979, wuchs in Ostwestfalen als Tochter eines Psychologen und einer Bauchtänzerin auf. Bis 2021 war sie Redakteurin des Satiremagazins TITANIC, inzwischen ist sie dort Mitherausgeberin und schreibt die monatliche Kolumne «Rosen in Beton». Nebenher veröffentlicht sie Satiren u.a. in der taz, dem Missy Magazine oder der Frankfurter Rundschau. Außerdem ist sie Mitglied der Lesebühne «Dem Pöbel zur Freude» im Centralkomitee in Hamburg. 2020 erschien ihr gefeierter Geschichtenband «Der Untergang des Abendkleides», über den Spiegel Online schrieb: «Wie Kafka nach einem guten Joint».
Ella Carina Werner, geb. 1979, wuchs in Ostwestfalen als Tochter eines Psychologen und einer Bauchtänzerin auf. Bis 2021 war sie Redakteurin des Satiremagazins TITANIC, inzwischen ist sie dort Mitherausgeberin und schreibt die monatliche Kolumne «Rosen in Beton». Nebenher veröffentlicht sie Satiren u.a. in der taz, dem Missy Magazine oder der Frankfurter Rundschau. Außerdem ist sie Mitglied der Lesebühne «Dem Pöbel zur Freude» im Centralkomitee in Hamburg. 2020 erschien ihr gefeierter Geschichtenband «Der Untergang des Abendkleides», über den Spiegel Online schrieb: «Wie Kafka nach einem guten Joint».
Beim Therapeuten
Herrlich, diese weichen Kippsessel. Wie tief man darin versinkt. Ich hänge da, den Kopf an das schwarze Leder geschmiegt, und die Sätze schwallen nur so aus mir heraus. Im Schein der hypnotischen Salzkristalllampe referiere ich meine neuerliche Angst vor dem Älterwerden. Anschließend streife ich meine Schlafprobleme und benenne alle meine Ticks in alphabetischer Reihenfolge.
Mein vollbärtiges Gegenüber, im nachtblauen Seidenhemd, die Beine im gegenüberliegenden Kippsessel übereinandergeschlagen, nickt.
«Und dann immer dieser Druck, allen Anforderungen gerecht zu werden», offenbare ich. «Alles unter einen Hut zu kriegen. Familie, Körperpflege, Karriere … na, wenn es wenigstens eine richtige Karriere wäre! Und immer wollen alle irgendwas von mir, also außer mein Mann. Vor allem die Kinder. Gott, sind das inzwischen viele, ich mag gar nicht nachzählen. Und dann …»
Ich betrachte die abwesenden Augen meines Gesprächspartners. «Ähm, Papa?»
«Ja?», sagt mein Vater und blinzelt durch seine Brillengläser.
«Was spielst du denn da eigentlich mit den Puppen herum?», erkundige ich mich. «Langweile ich dich?»
Mein Vater zuckt zusammen, lässt die Therapiepuppen Lutz und Linda blitzschnell unter der Tischplatte verschwinden. Mein Vater arbeitet als Psychotherapeut, seit 42 Jahren. Das hier ist seine Praxis.
«Nein, nein», sagt er rasch, «erzähl mir ruhig alles. Alles ist wichtig. Alles muss raus, genau wie beim Restpostenmarkt. Obwohl du das mit dem Erwartungsdruck», erinnert er sich, «auch schon letzten Sonntag beim Kaffee erzählt hast. Und am vorletzten … Egal, red einfach weiter, ich bin ganz Ohr!»
«Na gut.»
Ich lasse mich zurück in den Therapiesessel sacken, so tief, dass ich niemals mehr hinauswill. Ich rede weiter, immer weiter. Minutenlang berichte ich von meiner Furcht vor literarischer Bedeutungslosigkeit und mache einen Exkurs zum Thema Nutella-Brote nach Mitternacht. Mein Vater nickt, in immer größer werdenden Intervallen.
«Und dann dieser Druck, immer neue Texte abliefern zu müssen», sage ich. «Immer frische, freche Texte über Kultur und Politik … Und dabei ist doch alles, was ich eigentlich im Leben will, ein Hund. So ein schnuffiger, flauschiger, weißt du? Einer, der mich vergöttert. Wo die Kinder ja mit dem Thema schon durch sind. Und … Papa?»
«Hmhmhm?»
«Sag mal, bist du gerade eingenickt?»
«Was, ich?», sagt mein Vater und reißt die Augen auf, jetzt sitzt er wieder senkrecht. «Das gehört doch zu meiner Methode dazu», verteidigt er sich. «Das ist der Job des Therapeuten: komplett abzuschalten, sich in die Gedankenwelt des Patienten zu versenken, ganz tief! Quatsch mit Soße», räumt er ein, «ja, ich war eingenickt! Zieh die letzten fünf Minuten von den Therapiekosten ab, die die Krankenkasse für Angehörige eh nicht zahlt.»
«Schon okay», sage ich und nehme wieder eine gemütliche Sitzposition ein. Wo war ich noch mal?
«Und dann habe ich seit Wochen ein schlechtes Gewissen, weil ich den Jüngsten so früh in die Krippe gegeben habe. Nur wegen meiner eigenen, na, nennen wir es doch mal so: Karriere. Und dabei will ich doch eine wunderbare Mutter sein. Und erfolgreich. Oder ist mir der Erfolg egal? Und Geld verdienen will ich auch. Oder ist mir Geld egal? Ich will nicht an Geld denken, ich bin doch Marxistin!»
«Ja, was denn nun», murmelt mein Vater und schiebt seine Sessellehne ungeduldig vor und zurück. «Hü oder hott? In deinem Alter habe ich schon meine zweite Praxis aufgemacht. Mädchen, du musst doch langsam mal wissen, was du im Leben willst!»
«Du könntest mich auch mal ausreden lassen, Papa.»
«Upsi», sagt mein Vater und hebt die Hände in die Luft. «Tut mir leid. Aber du musst auch mal Entscheidungen treffen, Mäuschen!»
«Mäuschen?», frage ich spitz zurück. «Sag mal, nennst du deine anderen Patientinnen auch so? Und redest du mit denen auch in diesem unterschwellig aggressiven Ton?»
«Meine anderen Patientinnen», antwortet mein Vater, «lamentieren nicht jahrelang über immer dieselben Lappalien. Und legen, by the way, nicht ihre stinkenden Socken auf meinen Therapietisch.»
«Papa?»
«Ja?»
«Wie wäre es mal mit bedingungsloser Empathie gegenüber deinen Patient*innen?», frage ich. «Das predigst du doch immer.»
«Ja», sagt mein Vater, «aber manchmal fällt es sehr, sehr schwer.»
Wir schweigen.
«Ich glaube», sage ich, «diesem Therapiegespräch fehlt es an professioneller Distanz. Du hast gesagt, das könnte zwischen uns klappen. Du hast gesagt, so könnte ich die monatelange Warteliste auf einen Therapieplatz umgehen und so würde ich nicht deinen Berufskollegen in die Hände fallen, diesen Laberheinis und Geldmachern.»
«Und Kolleginnen!», stoßseufzt mein Vater und greift nach seinem Anti-Stress-Ball. «Da kommt mir eine Idee», schiebt er nach, jetzt wieder im sonoren Therapeutensound. «Wir können uns siezen, dann könnte es klappen.»
Warum eigentlich nicht.
«Also, was ich Ihnen noch offenbaren wollte», hole ich aus, «dieser ewige Erwartungsdruck, dieses Es-immer-allen-recht-machen-Wollen, das geht vielleicht zurück auf meine Kindheit.»
«Moooment, Ihre Kindheit war tipptopp!»
«Ich will nur sagen: Immer, wenn ich an meine Mutter denke …»
«Lass deine Mutter aus dem Spiel!»
«Wie jetzt», sage ich, «du sagst doch immer, die Weichen würden in der frühen Kindheit gestellt. Und das geht nicht ohne Mutter. Und Vater.»
Mein Vater sagt, wenn ich auf Freud anspiele: Freud sei tot, die Psychoanalyse ein Irrweg des 20. Jahrhunderts und es gebe heute ganz wunderbare Therapieansätze, die mehr die «gesellschaftliche Sozialisation» in den Vordergrund stellten. Die «Peergroup» habe ja schließlich auch noch ein Wörtchen mitzureden, «darunter deine bekloppten Schulfreundinnen».
Ich versuche, meine Fingernägel nicht in den Hals meines Vaters zu rammen, sondern in den Anti-Stress-Ball.
Es klappt.
Wir entscheiden, neutraleres Terrain zu betreten und etwas Unverfängliches zu thematisieren. Etwas Nettes, Banales, ganz und gar Harmloses. Etwas, das die Gemüter wieder herunterkühlt.
Meine Ehe. Ich finde meine Ehe eigentlich recht gut, richtiggehend nett, kann man machen. Aber ob mein Mann das auch findet?
«Ich glaube», sage ich, «er findet mich manchmal sehr anstrengend. Ich glaube, er findet, ich rede zu viel.»
«Heiliger Strohsack, das kann ich verstehen», brummelt mein Vater, «also, ich meine: Dann müsst ihr beiden wohl eine andere Kommunikationsebene miteinander finden, eure Gesprächsführung optimieren.»
«Und manchmal, aber eher selten», gestehe ich, «nervt er mich auch.»
«Ihr Mann?», fällt mein Vater plötzlich wieder ins Sie, «Ihr Mann ist ein grundsolider Kerl! Seien Sie froh, dass Sie so einen gefunden haben. Und verbeamtet ist er auch.»
Auf den Pluspunkt können wir uns einigen.
Dann endlich nähern wir uns den ganz großen, existenziellen Fragen. Wer bin ich? Wo will ich hin? Was will ich vom Leben?
«Ich möchte endlich wieder mal etwas Abenteuerliches machen», wehklage ich. «Ich will auf einem Esel durch Kirgistan reisen. Nicht immer nur auf diesen einen Campingplatz nach Dänemark!»
Ich sacke zusammen. «Ja, manchmal frage ich mich schon», seufze ich und zupfe elegisch an meinem ersten weißen Haar am Kinn, «ob das jetzt im Leben wirklich alles war.»
«Herrgott, mein Mädchen, natürlich ist das alles!», ruft mein Vater aus. «Was soll denn da noch kommen? Das himmlische Paradies voller jugendlicher Liebhaber und deinem überzuckerten Lakritzschnaps? Sag mal, Mädel, hast du keine anderen Probleme? Mach Sport, geh spazieren, kauf dir die ‹Psychologie heute› oder bequatsch dein ach so aufreibendes Leben mit deinen immer noch bekloppten Freundinnen, aber nicht mit mir!»
Ich drohe mit Abbruch der Therapie und einem vernichtenden Urteil beim Ärztebewertungsportal jameda.de.
«Dann suche ich mir eben einen anderen Therapeuten», sage ich. «Einen, der mich versteht. Vielleicht diesen einen charismatischen Psychiater aus der Bahnhofstraße.»
«Nicht den durchgeknallten Petersen!», brüllt mein Vater, seine Wangen glühen jetzt mit der Salzkristalllampe um die Wette.
Um emotional wieder runterzukommen, schlägt mein Vater eine jahrhundertealte, gut erprobte Entspannungstechnik vor: eine rauchen. Gemeinsam, auf dem Praxisbalkon.
Und dann noch eine, um ganz sicherzugehen.
Es wirkt. Mein Vater empfiehlt, wir könnten es, als letzten Versuch, mit den Therapiepuppen probieren, das brächte vielleicht doch noch die gebotene Distanz rein.
Ich denke nach. Eigentlich sind diese esoterischen Laberpuppen nicht so ganz mein Ding. Eigentlich will ich richtige, professionelle Hilfe, mit Zehn-Punkte-Plänen und Tabletten. Richtig schönen, schockfarbenen Tabletten, groß wie Kronkorken. Aber na gut. Auch wenn mich der neue Gesprächsansatz ein wenig Überwindung kostet.
Ich schiebe die linke Hand in die weibliche Klappmaulpuppe mit den rötlichen Locken und Sommersprossen. Ich räuspere mich. Sammle mich. Oh Gott, ist das albern! Dann bewege ich Daumen und Finger beherzt aufeinander zu und wieder voneinander weg. Ich stecke meine ganze Persönlichkeit, mein Innerstes, mein Es, Ich und Über-Ich in diese eine flauschige, leicht schmuddelige Stofffigur. Es klappt.
«Hallo, mein Name ist Ella», sagt die Puppe, «ich habe ein paar Probleme, und niemand kann sie lösen.»
«Haha, du musst doch die Stimme nicht verstellen wie ein Mainzelmännchen», lacht mein Vater. «Lass diese alberne Quietschestimme sein. Red einfach wie du...
Erscheint lt. Verlag | 16.5.2023 |
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Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Comic / Humor / Manga ► Humor / Satire |
Schlagworte | Beziehung • Buch Comedy • Bücher lustig für Frauen • Buch Humor • buch lustig • Buch lustig für Frauen • Ehe • Familie • Feminismus • Frauen • Frauenbücher • Geschenke für Frauen • Geschenkideen für Frauen • Humor • humorvolle Bücher • Klimakterium • Körperbewusstsein • Lustige Bücher • menopause • Satire • Sex • Titanic (Zeitschrift) • Wechseljahre • wechseljahre buch • Weiblichkeit • witzige Bücher |
ISBN-10 | 3-644-01420-5 / 3644014205 |
ISBN-13 | 978-3-644-01420-6 / 9783644014206 |
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