Blitzlichter. Aus den Tagebüchern der Brüder Goncourt (eBook)

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2023 | 1. Auflage
352 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-31167-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Blitzlichter. Aus den Tagebüchern der Brüder Goncourt -  Edmond De Goncourt,  Jules De Goncourt
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Eine brillante Auswahl aus dem berühmt-berüchtigten Tagebuch der Brüder Goncourt, »Erste-Sahne-Klatsch« (Gerd Haffmans) vom Feinsten. »Ein Gehirn, das mit vier Händen schrieb«, nannte Alain Claude Sulzer einmal die beiden Brüder Goncourt - sie lebten ihr gesamtes Leben lang unter demselben Dach, sie trafen zusammen die Pariser Bohème, sie teilten selbst die Geliebte. Vor allem aber schrieben sie zusammen ihr gefürchtetes Tagebuch. Dort notierten sie alles, was sie sahen, was gesagt wurde, was geschah; auch jeden Fauxpas, jede Peinlichkeit, jedes Gerücht und jede Intimität. Denn: Sie wollten die ungeschminkte Wahrheit. Manche Zeitgenossen mieden die Brüder, weil sie nicht in diesem Tagebuch landen wollten. Daraus veröffentlichte Auszüge sorgten für Skandale. Und erst 1956 konnte es erstmals unzensiert erscheinen. Sicherheitshalber in Monaco, außerhalb der französischen Gesetzgebung. Die von Anita Albus großartig übersetzte und zusammengestellte Auswahl verspricht gehörigen Lesespaß. Wir begegnen allen (Geistes-)Größen des gesellschaftlichen Lebens Frankreichs: Baudelaire (»Der Kopf eines Verrückten, die Stimme wie eine Klinge«), Sarah Bernhardt (»die Wohnungseinrichtung in plump orientalischem Geschmack«), Flaubert (»von de Sade besessen. Glücklich, wenn er einen Kloakenfeger sieht, der Kot frisst ... im Grunde provinziell und ein Effekthascher«), Hugo (»von heftigem Priapismus befallen«), Napoleon III. (»automatenhaft, somnambul, mit dem Auge einer Echse, die zu schlafen scheint, aber nicht schläft«), George Sand (»ganz entschieden eine geniale Null«), Fürst Metternich (»dieser missratene Affe«) und und und. Ein eminent lesenswerter Blick auf die Pariser Szene!

Jules de Goncourt (1830-1870) und Edmond de Goncourt (1822-1896) lebten ein gemeinsames Leben in Paris, veröffentlichten mehrere Romane, vor allem aber schrieben sie gemeinsam seit dem 2. Dezember 1851 ihr berühmt-berüchtigtes Tagebuch. Als Jules stirbt, setzt Edmond es bis zu seinem Tode allein fort. 

Jules de Goncourt (1830–1870) und Edmond de Goncourt (1822–1896) lebten ein gemeinsames Leben in Paris, veröffentlichten mehrere Romane, vor allem aber schrieben sie gemeinsam seit dem 2. Dezember 1851 ihr berühmt-berüchtigtes Tagebuch. Als Jules stirbt, setzt Edmond es bis zu seinem Tode allein fort.  Jules de Goncourt (1830–1870) und Edmond de Goncourt (1822–1896) lebten ein gemeinsames Leben in Paris, veröffentlichten mehrere Romane, vor allem aber schrieben sie gemeinsam seit dem 2. Dezember 1851 ihr berühmt-berüchtigtes Tagebuch. Als Jules stirbt, setzt Edmond es bis zu seinem Tode allein fort.  Anita Albus hatte 1989 für Hans Magnus Enzensbergers ANDERE BIBLIOTHEK aus den 7000 Seiten der Tagebücher eine brillante Auswahl getroffen und die Texte übersetzt, dies ist ein unveränderter Nachdruck. Anita Albus lebt als vielfach preisgekrönte Malerin und Schriftstellerin in München. Zuletzt von ihr erschienen: Affentheater (2022). Anita Albus hatte 1989 für Hans Magnus Enzensbergers ANDERE BIBLIOTHEK aus den 7000 Seiten der Tagebücher eine brillante Auswahl getroffen und die Texte übersetzt, dies ist ein unveränderter Nachdruck. Anita Albus lebt als vielfach preisgekrönte Malerin und Schriftstellerin in München. Zuletzt von ihr erschienen: Affentheater (2022).

FLAUBERT, Gustave
1821–1880
November 1858

Flaubert: ein von de Sade besessener Kopf. Immer wieder kommt er auf ihn zurück wie auf ein verlockendes Geheimnis. Im Grunde ist es die Schändlichkeit, nach der es ihn gelüstet, die er sucht; er ist glücklich, wenn er einen Kloakenfeger sieht, der Kot frißt, und de Sade betreffend ruft er immer wieder aus: »Das ist der amüsanteste Blödsinn, dem ich je begegnet bin!« Im selben Atemzug richtet er seine groben pantagruelischen Ironien gegen die Gottesleugner. Jemand wird von seinem atheistischen Freund zum Angeln mitgenommen; sie fischen einen Stein, auf dem geschrieben steht: »Ich existiere nicht«, gezeichnet: Gott. »Siehst du wohl«, sagt der Freund.

Als Schauplatz für seinen Roman Karthago[8] hat er die verderbteste Zivilisation der Welt gewählt. In sechs Monaten hat er in zwei Kapiteln ein Knaben-Bordell und ein Söldnergelage beschrieben.

11. Mai 1859

Es läutet. Flaubert, dem Saint-Victor gesagt hat, daß wir irgendwo einen Streitkolben gesehen hätten, der ziemlich karthagisch sei, kommt, um uns nach der Adresse zu fragen. Verlegenheit seines Romans: es gibt nichts Karthagisches mehr; um es wiederherzustellen, muß er das Wahrscheinliche erfinden.

Er beginnt sich umzusehen, sich wie ein Kind am Anblick unserer Kartons, unserer Bücher, all unserer Sammlungen zu erfreuen. Er ähnelt ganz ungemein den Porträts des jungen, sehr großen, sehr fülligen Frédérick Lemaître, schwere vorspringende Augen, geschwollene Lider, volle Wangen, rauher hängender Schnurrbart, ein gehämmerter rotgeleckter Teint.

16. November 1859

Am Bahnhof begegnet mir Flaubert, der seine Mutter und seine Nichte begleitet, die den Winter in Paris verbringen werden. Sein karthagischer Roman ist halb fertig. Er spricht von den Schwierigkeiten, die er hat, die Arbeit, die es ihn allererst kostete, sich zu überzeugen, daß es so war, wie er sagt. Dann ist kein phönizisches Wörterbuch vorhanden, was ihn zwingt, bei allen Benennungen auf Umschreibungen zurückzugreifen. In dem Maße, in dem er weiterkommt, wachsen auch die Schwierigkeiten. Er sieht sich gezwungen, sein Lokalkolorit wie eine Sauce zu verlängern.

12. Januar 1860

Da wir nun unter uns sind, beginnen wir übers Theater zu plaudern und voilà, Flaubert hoch zu Ross, auf dieser schönen Schindmähre: »Das Theater ist keine Kunst, das Theater ist ein Geheimnis. Ich habe das Geheimnis denen, die Bescheid wissen, entlockt. Hier das ganze Geheimnis. Zunächst muß man im Café du Cirque einige Gläser Absinth trinken, dann von jedem Stück sagen: ›Nicht schlecht, aber … kürzen!‹ und wiederholen: ›Ja, es fehlt eben an Stücken!‹ Und vor allem ständig Pläne machen, aber niemals ein Stück … Wenn man je ein Stück geschrieben hat oder gar einen Artikel im Figaro, dann ist man erledigt! Ich habe das Geheimnis bei einem Dummkopf studiert, der sich jedoch damit auskennt, bei La Rounat … La Rounat ist es auch, von dem der famose Ausspruch stammt: ›Beaumarchais ist nur ein Vorurteil‹ … Beaumarchais!« ruft Flaubert aus. »Sapperlot und Luzifer! Und wäre es nur die Figur des Cherubin, die soll er ihm erst einmal nachmachen!«

Nie wollte er eine Theaterbearbeitung der Madame Bovary zulassen, denn er findet, daß eine Idee nur für eine einzige Form geschaffen ist, daß sie nie zwei Zwecken dienen kann, und so wollte er sie nicht einem Dennery ausliefern: »Wissen Sie, was es braucht, um am Boulevard Erfolg zu haben? Das Publikum muß im voraus die Handlung erraten können. Ich bin einmal zufällig neben zwei Frauen gesessen, die sich – von Szene zu Szene – die jeweils folgende Handlung erzählten: was sie machten, war das Stück nach Maß.«

Dann lassen wir die Frauen vom Theater vor uns Revue passieren, die Grillenhaftigkeit dieser merkwürdigen Geschöpfe. Flaubert verrät sein Rezept, wie sie zu haben sind: sentimental muß man sein, und ernst muß man sie nehmen.

Und von den Frauen vom Theater kommen wir auf die Frauen überhaupt: »Ich habe ein einfaches Mittel gefunden, ohne sie auszukommen«, sagt Flaubert, »ich schlafe auf dem Bauch und in der Nacht … ein unfehlbares Mittel.«

Dann sind wir allein, er und wir, in dem von Zigarrenrauch geschwängerten Salon; er geht mit großen Schritten auf dem Teppich hin und her, stößt mit dem Kopf an die Kugel des Lüsters, ausufernd mitteilsam wie unter Gleichgesinnten.

Er spricht von seinem zurückgezogenen, selbst in Paris ungeselligen, verschlossenen und verkrochenen Leben. Er haßt das Theater, kennt keine andere Zerstreuung als sonntags das Diner bei Madame Sabatier, der Präsidentin, wie man sie in Gautiers Kreisen nennt. Das Landleben findet er abscheulich. Zehn Stunden arbeitet er pro Tag, wobei er aber viel Zeit vergeudet, sich in Lektüre verliert und immer bereit ist, um die Arbeit an seinem Werk herumzuscharwenzeln. Wenn er sich mittags an die Arbeit macht, ist er erst gegen fünf Uhr abends richtig drin; auf das leere Blatt kann er nicht schreiben. Um es auszufüllen, muß er zunächst – wie ein Maler, der seine ersten Töne aufträgt – seine Gedanken darauf skizzieren.

Dann sprachen wir davon, wie wenig Leute sich dafür interessieren, ob eine Sache gut gemacht ist, für den Rhythmus eines Satzes, für etwas in sich Schönes: »Begreifen Sie den Schwachsinn dieser Arbeit, die darin besteht, die Assonanzen eines Satzes auszumerzen oder die Wiederholungen auf einer Seite? Für wen? … Zudem ist der Erfolg, der einem zuteil wird, selbst dann, wenn das Werk gelungen ist, niemals der, auf den man aus war. Es sind die possenhaften Seiten an Madame Bovary, denen sich ihr Erfolg verdankt. Der Erfolg trifft immer daneben … Ja, die Form, wer unter den Lesern findet Genuß und Erfüllung durch die Form? Nicht zu vergessen, daß es gerade die Form ist, die uns bei der Justiz, bei den Gerichten verdächtig macht, die knechtisch am Klassischen festhalten! Dabei gibt es keine acht Schriftsteller, die Voltaire gelesen haben, ich meine wirklich gelesen. Keine fünf, die auch nur die Titel der Stücke eines Thomas Corneille kennen … Die Klassiker aber strotzen nur so von Bildern! Die Tragödie besteht nur aus Bildern. Niemals hätte ein Petrus Borel dieses aberwitzige Bild gewagt:

›Von stärkerem Feuer gebrannt, als ich es je entfacht‹. L’art pour l’art? Wo ließe sich dafür eine bessere Bestätigung finden als in der Académie-Rede eines Klassikers, nämlich Buffons: ›Die Art und Weise, in der eine Wahrheit ausgedrückt wird, ist nützlicher als die Wahrheit selbst.‹ Wenn das kein l’art pour l’art ist! Und La Bruyère sagt: ›Die Kunst zu schreiben ist die Kunst der Definition und der Schilderung.‹«

Dann nennt er uns seine drei Leitfäden des Stils: La Bruyère, ein paar Seiten von Montesquieu, ein paar Kapitel von Chateaubriand; und so, mit hervorquellenden Augen, brennendem Gesicht, die Arme erhoben wie zu einer dramatischen Umarmung, vom Umfang eines Antäus, holt er aus Brust und Kehle Bruchstücke des Dialogs zwischen Sulla und Eucrates, die er uns hinschleudert mit einem ehernen Dröhnen, das wie Löwengebrüll klingt.

Flaubert zitiert uns auch die hehre Kritik von Limayrac über Madame Bovary, die mit dem Satz endet: »Wie kann man sich einen derart gemeinen Stil erlauben, wenn auf dem Thron der erste Schriftsteller der französischen Sprache, der Kaiser, sitzt?«

Wir sprechen über seinen karthagischen Roman, in dem er mittendrin steckt. Er erzählt uns von seinen Forschungen, seinen Mühen, seiner Lektüre, einem Berg von Notizen, der den Grundstock für die Karriere eines Beulé bilden könnte, von der Schwierigkeit der Wortwahl, die ihn zwingt, alle Ausdrücke zu umschreiben. »Wissen Sie, was mein ganzer Ehrgeiz ist? Ich wünschte, ein ehrlicher und intelligenter Mensch würde sich vier Stunden mit meinem Buch einschließen, und ich würde ihn in historischem Haschisch schwelgen lassen. Mehr will ich gar nicht … Schließlich ist die Arbeit immer noch das beste Mittel, das Leben zu eskamotieren!«

25. Januar 1860

Und da sind wir nun am Boulevard du Temple in Flauberts Schreibstube, deren Fenster auf den Boulevard hinausgehen und deren Kamin in der Mitte eine vergoldete indische Göttin schmückt. Auf dem Tisch liegen Seiten seines Romans, die fast nur aus Streichungen bestehen.

29. Januar 1860

Plauderei über de Sade, auf den Flaubert wie gebannt immer wieder zurückkommt: »Das ist das letzte Wort des Katholizismus«, behauptet er, »will sagen: das ist der Geist der Inquisition, der Geist der Folter, der Geist der Kirche des Mittelalters, das Grauen vor der Natur. Nicht ein Baum, nicht ein Tier im ganzen de Sade.«

20. Februar 1860

Vor dem Kaminfeuer erzählt uns Flaubert seine erste Liebe. Er fuhr nach Korsika, hatte lediglich seine Unschuld mit dem Zimmermädchen seiner Mutter verloren. Er gerät in ein kleines Hotel in Marseille, wo Frauen, die aus Lima zurückgekehrt waren, ihr Mobiliar aus dem 16. Jahrhundert mitgebracht hatten, Möbel aus Ebenholz mit eingelegtem Perlmutt, die das Entzücken der Hotelgäste bildeten. Drei Frauen in Morgengewändern aus schwerer, über den Rücken bis auf die Absätze fließender Seide; und ein kleiner Mohr in gelber Baumwolle und Pantoffeln: Für unseren jungen Normannen, der bisher nur von der...

Erscheint lt. Verlag 9.2.2023
Übersetzer Anita Albus
Zusatzinfo 1 s/w-Abb.
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 19. Jahrhundert • Alain Claude Sulzer • Anita Albus • Biografie • Brüder • Charles Baudelaire • Der Mann im roten Rock • Doppelleben • Edmond Goncourt • Erinnerungen • Frankreich • Französische Literatur • Fürst Metternich • George Sand • Gustave Flaubert • Jules Goncourt • Julian Barnes • Paris • Prix Goncourt • Sarah Bernard • Tagebücher • Tratsch • Victor Hugo
ISBN-10 3-462-31167-0 / 3462311670
ISBN-13 978-3-462-31167-9 / 9783462311679
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