Emily Wildes Enzyklopädie der Feen (eBook)
400 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491723-8 (ISBN)
Heather Fawcett hat bereits zahlreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben. »Emily Wilde« ist ihre erste Fantasyserie für Erwachsene. Sie hat einen Master in englischer Literatur und arbeitete als Archäologin, Fotografin, technische Redakteurin und Backstage-Assistentin für ein Shakespeare-Theaterfestival. Sie lebt auf Vancouver Island, Kanada.
Heather Fawcett hat bereits zahlreiche Kinder- und Jugendbücher geschrieben. »Emily Wilde« ist ihre erste Fantasyserie für Erwachsene. Sie hat einen Master in englischer Literatur und arbeitete als Archäologin, Fotografin, technische Redakteurin und Backstage-Assistentin für ein Shakespeare-Theaterfestival. Sie lebt auf Vancouver Island, Kanada. Eva Kemper, geboren 1972 in Bochum, studierte in Düsseldorf Literaturübersetzen. Neben Junot Díaz' ›Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao‹ übersetzte sie aus dem Englischen u. a. Werke von Peter Carey, Louis de Bernières, Tom Rob Smith, Martin Millar und Penny Hancock.
Eine packend erzählte Geschichte, der es aber nicht an Ironie fehlt, die auf hohem Niveau unterhält.
Heather Fawcett debütiert mit einem zauberhaften Fantasy-Roman über die Welt der Feen!
Insgesamt eine absolute Wohlfühlgeschichte und große Empfehlung.
Heather Fawcett hat einen unglaublich amüsanten, ironischen Fantasyroman geschrieben [...].
20. Oktober 1909
Hrafnsvik, Ljosland
Shadow ist sichtlich unzufrieden mit mir. Er liegt vor dem Kaminofen, während der kalte Wind an der Tür rüttelt, und starrt mich – ohne das leiseste Schwanzwedeln – unter seinen zotteligen Haaren hervor so vorwurfsvoll resigniert an, wie es nur Hunde können. Als wollte er sagen: Du hast mich schon auf viele dumme Abenteuer mitgeschleppt, aber dieses wird uns mit Sicherheit ins Grab bringen. Ich fürchte, ich muss ihm zustimmen, trotzdem brenne ich darauf, mit meiner Arbeit zu beginnen.
Hier soll der wahre Bericht meiner täglichen Feldforschung entstehen, die Dokumentation meines Versuchs, die geheimnisvolle Feenspezies zu beobachten, die man »die Verborgenen« nennt. Dieses Tagebuch hat zwei Aufgaben: Es soll meine Erinnerung stützen, wenn ich meine Feldnotizen formal ordne, und es soll späteren Forschern als Protokoll dienen, falls ich vom Kleinen Volk gefangen werde. Verba volant, scripta manent. Wie bei meinen früheren Forschungstagebüchern setze ich auch hier beim Leser grundlegende Kenntnisse der Dryadologie voraus, werde allerdings Bezüge, die Neulingen auf diesem Gebiet nicht vertraut sein dürften, erläutern.
Bisher gab es für mich keinen Anlass, Ljosland zu besuchen, und ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass mein erster Blick heute Morgen meinen Enthusiasmus nicht gedämpft hätte. Die Reise von London hierher dauert fünf Tage, und sie lässt sich nur mit dem Frachtschiff bewerkstelligen, das einmal die Woche eine reiche Auswahl an Waren und eine wesentlich kleinere Auswahl an Passagieren befördert. Während wir stetig nach Nordwesten fuhren und Eisbergen auswichen, lief ich auf Deck auf und ab, um meine Seekrankheit zu lindern. Als eine der Ersten sah ich die schneebedeckten Berge, die sich aus dem Meer erhoben, und die roten Dächer des Dörfchens Hrafnsvik, das sich darunter zusammenkauert wie Rotkäppchen, hinter dem der böse Wolf aufragt.
Langsam näherten wir uns dem Dock, doch trotz aller Vorsicht ließen uns die wuchtigen grauen Wellen einmal dagegenprallen. Die Rampe wurde mit Hilfe einer Winde heruntergelassen, bedient von einem alten Mann, dem lässig eine Zigarette zwischen den Zähnen klemmte – wie mühelos es ihm gelang, bei diesem Wind zu rauchen, beeindruckte mich derart, dass ich noch Stunden später an die Glut zurückdachte, die in dem feinen Sprühnebel leuchtete.
Ich stellte fest, dass ich als Einzige von Bord ging. Der Kapitän stellte meine Reisetruhe mit einem Rums auf das vereiste Dock und bedachte mich mit seinem typischen leicht belustigten Blick, als wäre ich ein Witz, den er nur zur Hälfte verstand. Das Ziel meiner wenigen Mitreisenden war offenbar die einzige Stadt auf Ljosland – Loabær, die nächste Anlegestelle des Schiffs. Ein Besuch von Loabær war bei meiner Reise nicht eingeplant, weil man das Kleine Volk nicht in Städten findet, sondern in den entlegenen, vergessenen Ecken der Welt.
Zu meiner Überraschung konnte ich vom Dock aus das Häuschen sehen, das ich gemietet hatte. Der Bauer, dem das Land gehörte, ein gewisser Krystjan Egilson, hatte es mir im Zuge unserer Korrespondenz beschrieben – ein gedrungener steinerner Bau mit einem leuchtend grünen Grassodendach, gleich hinter dem Dorf am Berghang und am Rand des Waldes Karrðarskogur. Die Landschaft wirkte so gestochen klar, die Details deutlich und abgegrenzt voneinander wie mit Garn gestickt, von dem Gewirr bunt gestrichener Häuschen über das lebhafte Grün der Küste bis zu den Gletschern auf den Berggipfeln, dass ich glaubte, ich könnte die Raben in ihren Bergnestern zählen.
Die Seeleute machten einen weiten Bogen um Shadow, als wir das Dock entlanggingen. Der alte Irische Wolfshund ist auf einem Auge blind und bringt gerade noch genug Energie für ein gemächliches Dahinzockeln auf, bei weitem nicht genug, um ungehobelten Seeleuten die Kehle herauszureißen, doch das sieht man ihm nicht an; er ist ein imposantes Tier, schwarz wie die Nacht, mit bärengroßen Tatzen und strahlend weißen Zähnen. Vielleicht hätte ich ihn in der Obhut meines Bruders in London lassen sollen, aber das brachte ich nicht über mich, zumal er in meiner Abwesenheit zu Niedergeschlagenheit neigt.
Es gelang mir, meine Reisetruhe über das Dock und durchs Dorf zu zerren – es waren nur wenige Bewohner zu sehen, die meisten arbeiteten wahrscheinlich auf den Feldern oder Fischerbooten, aber diese wenigen starrten mich an, wie nur Dorfbewohner am Rande der bekannten Welt eine Fremde anstarren können. Keiner meiner Bewunderer bot mir seine Hilfe an. Shadow trottete sanft neben mir her und betrachtete sie vage interessiert, und erst dann wandten sie den Blick ab.
Ich habe schon weit rustikalere Gemeinden als Hrafnsvik gesehen, weil mich meine Arbeit quer durch Europa und Russland geführt hat, in große und kleine Dörfer und schöne und schaurige Einöden. Bescheidene Unterkünfte und bescheidene Menschen sind mir vertraut – einmal habe ich im Käsereischuppen eines andalusischen Bauern übernachtet –, aber noch nie bin ich so weit in den Norden gereist. Der Wind hatte Schnee gekostet, vor kurzem erst; er zerrte an meinem Schal und meinem Mantel. Ich brauchte eine gehörige Weile, um meine Truhe die Straße hinaufzuzerren, aber wenn ich eines bin, dann hartnäckig.
Das Dorf war von Feldern umgeben. Sie hatten nichts mit den adretten, sanften Hügeln gemein, die ich kannte, sondern waren übersät mit Klumpen von nachlässig in Moos gewandetem Vulkangestein. Und war der Blick damit noch nicht ausreichend abgelenkt, so ließ das Meer wellenweise Nebel über den Küstenstreifen schwappen.
Am Dorfrand entdeckte ich den schmalen Pfad zum Häuschen hinauf – der Berghang war so steil, dass der Weg sich in einer Reihe von Serpentinen hinaufwand. Das Haus schmiegte sich wagemutig in eine kleine Nische am Berghang. Es lag nur zehn Minuten vom Dorf entfernt, allerdings waren es für mich zehn Minuten schweißtreibender Steigung, und so keuchte ich, als ich die Tür erreichte. Sie war nicht einfach unverschlossen, sondern besaß gar kein Schloss, und als ich sie aufdrückte, entdeckte ich im Haus ein Schaf.
Einen Moment lang starrte es mich kauend an, dann hielt ich ihm höflich die Tür auf, und es zuckelte zurück zu seinen Gefährten. Shadow schnaubte, gab sich aber ansonsten ungerührt – bei unseren Streifzügen durch die ländliche Umgebung von Cambridge war er einer erklecklichen Anzahl von Schafen begegnet und betrachtete sie jetzt mit dem weltmännischen Desinteresse eines alternden Hundes.
Im Haus schien es noch kälter zu sein als draußen. Es war so schlicht wie erwartet, mit beruhigend soliden Steinwänden und einem Geruch, bei dem ich auf Papageientaucherkot tippte, der möglicherweise aber auch vom Schaf stammte. Ein Tisch und Stühle, allesamt verstaubt, weiter hinten eine kleine Küche mit einigen Töpfen an der Wand und noch mehr Staub. Vor dem Kaminofen stand ein alter, modrig riechender Lehnsessel.
Obwohl ich gerade meine Truhe den Hügel hinaufgezogen hatte, zitterte ich vor Kälte, und jetzt fiel mir auf, dass ich weder Holz noch Streichhölzer hatte, um ein Feuer anzuzünden, und dass ich, was möglicherweise noch beunruhigender war, selbst dann nicht gewusst hätte, wie ich vorgehen sollte – ich hatte das noch nie gemacht. In diesem Moment warf ich einen Blick aus dem Fenster und sah, dass es zu allem Unglück mittlerweile schneite.
Als ich hungrig und verfroren auf den leeren Kaminofen starrte, fragte ich mich zum ersten Mal, ob ich hier sterben würde.
Damit Sie nicht glauben, die Feldarbeit im Ausland sei neu für mich, möchte ich Ihnen versichern, dass dies nicht der Fall ist. Auf der Suche nach den lutins des rivières habe ich mehrere Monate in einem abgelegenen Teil der Provence verbracht, in dem die Dorfbewohner noch nie eine Kamera zu Gesicht bekommen hatten. Davor lagen ein längerer Aufenthalt in den Wäldern des Apennin mit hirschgesichtigen Parzen und ein halbes Jahr in der kroatischen Wildnis als Assistentin eines Professors, der sich auf die Musik des Kleinen Volks der Berge spezialisiert hatte. Nur hatte ich dabei immer gewusst, worauf ich mich einließ, und wurde von ein, zwei Doktoranden begleitet, die sich um die Logistik kümmerten.
Und es hatte nicht geschneit.
Ljosland ist die isolierteste Gegend Skandinaviens, eine Insel in der rauen See vor der norwegischen Festlandküste, und seine nördlichste Spitze berührt den Polarkreis. Die Strapazen, einen solchen Ort zu erreichen – die lange und unbequeme Reise nach Norden – hatte ich eingeplant, doch jetzt begriff ich, dass ich kaum einen Gedanken daran verschwendet hatte, wie schwierig es werden könnte, bei etwaigen Problemen hier wegzukommen, vor allem, wenn das Meereseis uns einschloss.
Ein Klopfen an der Tür ließ mich aufspringen. Der Besucher kam herein, ohne sich um meine Erlaubnis zu kümmern, und stampfte mit den Stiefeln auf den Boden wie ein Mann, der nach einem langen Tag sein eigenes Heim betritt.
»Professorin Wilde«, sagte er und streckte die Hand aus. Es war eine große Hand, denn er war ein großer Mann, sowohl hochgewachsen als auch breit in den Schultern und in der Körpermitte. Er hatte struppige schwarze Haare und ein kantiges Gesicht mit einer gebrochenen Nase, was ein erstaunlich attraktives Ganzes ergab, wenn auch auf eine durch und durch unnahbare Art. »Haben Ihren Hund mit, wie ich sehe. Prächtiges Tier.«
»Mr Egilson?«, fragte ich höflich und schüttelte seine Hand.
»Na, wer soll ich sonst sein?«, entgegnete mein...
Erscheint lt. Verlag | 24.5.2023 |
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Reihe/Serie | Emily Wilde | Emily Wilde |
Übersetzer | Eva Kemper |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Cosy Fantasy • cottagecore • cozy fantasy • dark academia • Fae • fairy fantasy • Fantasy für Frauen • Fantasy Liebesroman • Fantasy Neuerscheinung 2023 • Fantasy Neuheit 2023 • Fantasyroman • Fantasy Romance • Feen • Feenbuch • Feen Fantasy • Friends to Lovers • Geheimtipp • historische Fantasy • Island • Kobold • Legenden • Lieblingsbuch • Light Academia • Märchen • Mythen • Rivals to Friends to Lovers • Rivals to Lovers |
ISBN-10 | 3-10-491723-X / 310491723X |
ISBN-13 | 978-3-10-491723-8 / 9783104917238 |
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