Orlando (eBook)

Eine Biographie
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
304 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491777-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Orlando -  Virginia Woolf
Systemvoraussetzungen
12,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
»Eine Fantasie, völlig unmöglich, aber großartig ... überschäumend, ausgelassen und voller Witz.« The Times Literary Supplement »Orlando« ist alles: die wundersame Geschichte einer Verwandlung, eine Jagd durch die Jahrhunderte, Gesellschaftsporträt, der schönste Liebesbrief der Literaturgeschichte und ein Roman, der gegenwärtiger nicht sein könnte: Spielerisch, furios und unvergesslich verhandelt dieses sprachliches wie stilistisches Wunderwerk, wie flirrend und leicht Identitäten und Lebensentwürfe sich aufzulösen, wandeln und zu etwas ganz Eigenem werden können. Eine camelionhafte und übermütige Geschichte, die mit einem jungen Höfling im 16. Jahrhundert beginnt und mit einer Autorin in Virginia Woolfs eigener Zeit endet.

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.

Virginia Woolf wurde am 25. Januar 1882 als Tochter des Biographen und Literaten Sir Leslie Stephen in London geboren. Zusammen mit ihrem Mann, dem Kritiker Leonard Woolf, gründete sie 1917 den Verlag The Hogarth Press. Ihre Romane stellen sie als Schriftstellerin neben James Joyce und Marcel Proust. Zugleich war sie eine der lebendigsten Essayistinnen ihrer Zeit und hinterließ ein umfangreiches Tagebuch- und Briefwerk. Virginia Woolf nahm sich am 28. März 1941 in dem Fluß Ouse bei Lewes (Sussex) das Leben.

Kapitel I


Er – denn es konnte keinen Zweifel an seinem Geschlecht geben, wenn auch die Mode der Zeit einiges tat, es zu verhüllen – war soeben dabei, auf den Kopf eines Mohren einzusäbeln, der von den Dachbalken baumelte. Dieser hatte die Farbe eines alten Fußballs und mehr oder weniger die Form eines solchen, bis auf die eingefallenen Wangen und die ein oder zwei Strähnen strohiger, trockener Haare, wie die Haare einer Kokosnuss. Orlandos Vater, oder vielleicht sein Großvater, hatte ihn von den Schultern eines riesenhaften Heiden geschlagen, der unter dem Mond der barbarischen Felder Afrikas aufgesprungen war; und nun baumelte er, leise, unablässig, in dem Luftzug, der niemals aufhörte, durch die Dachkammern des gigantischen Hauses des Lords zu wehen, der ihn erschlagen hatte.

Orlandos Väter waren durch Felder von Asphodelen geritten, und durch steinige Felder und von fremden Flüssen bewässerte Felder, und sie hatten viele Köpfe von vielen Farben von vielen Schultern geschlagen und sie zurückgebracht, um sie von den Dachbalken hängen zu lassen. Das würde Orlando ebenfalls tun, gelobte er. Doch da er erst sechzehn war und zu jung, um in Afrika oder Frankreich mit ihnen zu reiten, stahl er sich oftmals fort von seiner Mutter und den Pfauen im Garten und ging in seine Dachkammer und hieb und stieß und zersäbelte die Luft mit seiner Klinge. Manchmal durchschnitt er die Schnur, so dass der Schädel auf den Boden plumpste und er ihn wieder aufhängen musste, wobei er ihn mit einiger Ritterlichkeit fast außerhalb seiner Reichweite befestigte, so dass sein Feind ihn durch geschrumpfte, schwarze Lippen triumphierend angrinste. Der Schädel baumelte hin und her, denn das Haus, in dessen Dach er wohnte, war so riesig, dass der Wind selbst in ihm verfangen schien, hierhin wehte, dorthin wehte, Winter wie Sommer. Der grüne Wandteppich mit den Jägern darauf bewegte sich unablässig. Seine Väter waren von Adel gewesen, seit es sie gab. Sie waren, Kronen auf den Köpfen tragend, aus den nördlichen Nebeln gekommen. Stammten die Balken der Dunkelheit im Raum und die gelben Lachen, die Karos auf den Boden malten, etwa nicht von der Sonne, die durch das farbige Glas eines riesigen Wappens im Fenster fiel? Orlando stand nun mitten im gelben Leib eines heraldischen Leoparden. Als er die Hand auf das Fenstersims legte, um das Fenster aufzustoßen, färbte sie sich unverzüglich rot, blau und gelb wie ein Schmetterlingsflügel. So mag jenen, die eine Vorliebe für Symbole und eine Neigung, sie zu entziffern, haben, auffallen, dass die wohlgeformten Beine, der schöne Leib und die kräftigen Schultern zwar allesamt mit verschiedenen Tönungen heraldischen Lichts geschmückt waren, Orlandos Gesicht jedoch, als er das Fenster aufstieß, einzig von der Sonne selbst beleuchtet war. Ein aufrichtigeres, widerspenstigeres Gesicht ließe sich unmöglich finden. Glücklich die Mutter, die ein solches Leben austrägt, glücklicher noch der Biograph, der es aufzeichnet! Nie braucht sie sich zu grämen, noch er die Hilfe von Romanschreiber oder Dichter anzurufen. Von Tat zu Tat, von Ruhm zu Ruhm, von Amt zu Amt muss er schreiten, seinen Schreiber im Gefolge, bis sie jenen Punkt erreichen, welcher der Gipfel ihres Sehnens ist. Orlando war allein dem Aussehen nach für eine solche Laufbahn geschaffen. Das Rot der Wangen war von Pfirsichflaum überzogen; der Flaum auf den Lippen nur um ein weniges dichter als der Flaum auf den Wangen. Die Lippen selbst waren kurz und leicht geöffnet über Zähnen von erlesenem, mandelhellem Weiß. Nichts störte die pfeilgerade Nase auf ihrem kurzen, gespannten Flug; die Haare waren dunkel, die Ohren klein und eng am Kopf anliegend. Aber, ach, dass dieser Katalog jugendlicher Schönheit nicht enden kann, ohne Stirn und Augen zu erwähnen. Ach, dass die Menschen nur selten bar dieser drei geboren werden; denn sowie wir Orlando anblicken, der am Fenster steht, müssen wir eingestehen, dass er Augen hatte wie benetzte Veilchen, so groß, dass es schien, das Wasser habe sie bis zum Rand gefüllt und sie geweitet; und eine Stirn wie die Wölbung einer marmornen Kuppel, eingepresst zwischen die beiden blanken Medaillons, die seine Schläfen waren. Sowie wir Augen und Stirn anblicken, geraten wir derart ins Schwärmen. Sowie wir Augen und Stirn anblicken, müssen wir eintausend Unstimmigkeiten eingestehen, die zu übergehen das Ziel eines jeden guten Biographen ist. Anblicke verstörten ihn, wie der seiner Mutter, einer wunderschönen Dame in Grün, die hinaustrat, um, gefolgt von Twitchett, ihrer Zofe, die Pfauen zu füttern; Anblicke rissen ihn hin – die Vögel und die Bäume; und machten ihn verliebt in den Tod – der Abendhimmel, die heimwärts fliegenden Saatkrähen; und so, die Wendeltreppe zu seinem Gehirn emporsteigend – welches ein geräumiges war – , begannen all diese Anblicke, und auch die Gartengeräusche, die Hammerschläge, das Holzhacken, jenen Aufruhr und jene Verwirrung der Leidenschaften und Gefühle, die jeder gute Biograph verabscheut. Um jedoch fortzufahren – Orlando zog langsam den Kopf zurück, setzte sich an den Tisch, holte mit dem halb bewussten Gebaren eines Menschen, der tut, was er jeden Tag seines Lebens um diese Stunde tut, ein Schreibheft hervor, welches die Aufschrift »Aethelbert: Eine Tragödie in fünf Akten« trug, und tunkte einen alten, fleckigen Gänsekiel in die Tinte.

Bald hatte er zehn und mehr Seiten mit Versen gefüllt. Er schrieb augenscheinlich fließend, aber er schrieb abstrakt. Das Laster, das Verbrechen, das Elend waren die Figuren seines Dramas; es gab Könige und Königinnen unmöglicher Territorien; grässliche Verschwörungen vernichteten sie; edle Gefühle durchfluteten sie; nie wurde ein Wort gesprochen, wie er selbst es gesprochen hätte, aber alles war mit einer Gewandtheit und Süße in Worte gefasst, die in Anbetracht seines Alters – er war noch keine siebzehn – und der Tatsache, dass das sechzehnte Jahrhundert noch einige Jahre hinter sich zu bringen hatte, durchaus bemerkenswert waren. Schließlich jedoch hielt er inne. Er beschrieb soeben, wie alle jungen Dichter dies stets tun, die Natur, und um die Schattierung von Grün präzise zu treffen, besah er sich (und hier bezeigte er mehr Kühnheit als die meisten) die Sache selbst, welche zufällig ein Lorbeerstrauch war, der unter dem Fenster wuchs. Danach konnte er, natürlich, nichts mehr schreiben. Grün in der Natur ist eine Sache, Grün in der Literatur eine andere. Natur und Buchstäbliches scheinen eine natürliche Abneigung gegeneinander zu hegen; bringt man sie zusammen, reißen sie sich gegenseitig in Stücke. Die Schattierung von Grün, die Orlando nun sah, verdarb seinen Reim und zerriss sein Versmaß. Überdies besitzt die Natur ihre ganz eigenen Kniffe. Man braucht nur einmal aus einem Fenster zu sehen, auf Bienen zwischen Blumen, auf einen gähnenden Hund, auf die untergehende Sonne, man braucht nur einmal zu denken, »wie viele Sonnen werde ich noch untergehen sehen« etc. etc. (der Gedanke ist zu bekannt, um es wert zu sein, niedergeschrieben zu werden), und man lässt die Feder fallen, nimmt seinen Umhang, stürmt aus dem Zimmer und bleibt dabei mit dem Fuß an einer bemalten Truhe hängen. Denn Orlando war ein wenig ungeschickt.

Er achtete mit Bedacht darauf, jede Begegnung zu vermeiden. Da kam Stubbs, der Gärtner, über den Pfad. Er versteckte sich hinter einem Baum, bis er vorbei war. Er schlüpfte durch ein kleines Tor in der Gartenmauer. Er umging alle Stallungen, Zwinger, Brauereien, Tischlerwerkstätten, Waschhäuser, Stätten, an denen Talglichter gemacht, Ochsen geschlachtet, Hufeisen geschmiedet, Wämser genäht wurden – denn das Haus war eine Stadt, widerhallend von Männern, die ihren verschiedenen Gewerben nachgingen – , und erreichte ungesehen den farnbewachsenen Pfad, der durch den Park bergan führte. Vielleicht gibt es eine Verwandtschaft zwischen Eigenschaften; die eine zieht die andere mit sich; und der Biograph sollte an dieser Stelle auf die Tatsache hinweisen, dass diese Ungeschicklichkeit oftmals mit einer Liebe zur Einsamkeit gepaart ist. Nachdem er über eine Truhe gestolpert war, liebte Orlando selbstverständlich einsame Orte, weite Ausblicke und sich für immer und immer und immer allein zu fühlen.

Und so, nach einem langen Schweigen, hauchte er endlich, »Ich bin allein«, und öffnete damit zum ersten Mal in dieser Niederschrift die Lippen. Er war sehr schnell durch Farne und Weißdornsträucher bergan gegangen, Rehe und wilde Vögel aufscheuchend, zu einer Stelle, die von einer allein stehenden Eiche gekrönt war. Sie lag sehr hoch, so hoch in der Tat, dass man unten neunzehn englische Grafschaften sehen konnte; und an klaren Tagen dreißig oder vielleicht vierzig, wenn das Wetter sehr schön war. Manchmal konnte man den Ärmelkanal sehen, wo Welle sich auf Welle wiederholte. Flüsse konnte man sehen und Vergnügungsboote, die auf ihnen glitten; und Galeonen, die in See stachen; und Armadas mit Wölkchen von Rauch, von denen das dumpfe Dröhnen feuernder Kanonen kam; und Festungen an der Küste; und Schlösser auf den Wiesen; und hier einen Wachturm; und da eine Feste; und wieder ein weitläufiges Herrenhaus, wie das von Orlandos Vater, zusammengeballt wie eine Stadt im Tal, von Mauern umrundet. Im Osten waren die Türme von London und der Rauch der großen Stadt; und vielleicht zeigten sich ganz hinten an der Horizontlinie, wenn der Wind aus der richtigen Richtung kam, der schroffe Gipfel und die zerklüfteten Kanten des Snowdon bergig zwischen den Wolken. Einen Augenblick stand Orlando zählend, sehend, erkennend. Das war das Haus seines Vaters; das das Haus seines...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2023
Übersetzer Brigitte Walitzek
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anspruchsvolle Literatur • Ein eigenes Zimmer • ein zimmer für sich allein • Vanessa Bell
ISBN-10 3-10-491777-9 / 3104917779
ISBN-13 978-3-10-491777-1 / 9783104917771
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 10,0 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Iris Wolff

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
18,99