Ökotopia (eBook)

Roman
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
284 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962079-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ökotopia -  Ernest Callenbach
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Der Roman 'Ökotopia', 1975 verfasst, verblüfft durch seine Aktualität: Elektrotaxis, Biogemüse, Smartphones, mächtige Politikerinnen, Solarenergie - beim Lesen glaubt man sich immer wieder in eine parallele Gegenwart versetzt. Doch der kleine Staat Ökotopia an der US-amerikanischen Südwestküste, der sich in Callenbachs Zukunftsszenario von den Vereinigten Staaten abgespalten hat, ist einfach nur seiner Zeit weit voraus. Entsprechend staunt auch der New Yorker Journalist William Weston, der über die skurrile Hippie-Republik mit der guten Luft berichten soll, und wirft seine Vorurteile bald über Bord. Spätestens als er sich in eine Ökotopianerin verliebt, will er gar nicht mehr zurück. Doch um bleiben zu können, muss er nicht nur die Wahrheit über einen von der US-Regierung vertuschten Krieg herausfinden, sondern auch beweisen, dass er eine gleichberechtigte Beziehung führen kann ... »Callenbach zeichnete 1975 eine Gesellschaft, die durch ihre ökologische Nachhaltigkeit heute mehr denn je inspirierend wirkt.« DEUTSCHLANDFUNK KULTUR

Ernest Callenbach, geboren 1929 in Pennsylvania, war Schriftsteller, Filmkritiker und Universitätsdozent. Er galt als ökologischer Visionär. Sein Roman 'Ecotopia' wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und erreichte Millionenauflagen. Er begründete die international renommierte Zeitschrift 'Film Quarterly' (University of California Press) und hielt weltweit Vorträge zu ökologischen Themen. 2012 verstarb er in Berkeley (Kalifornien). Holger Hanowell, geb. 1969, ist freier Übersetzer und Autor. Für Reclam hat er zuletzt George Orwells '1984' übersetzt.

Ernest Callenbach, geboren 1929 in Pennsylvania, war Schriftsteller, Filmkritiker und Universitätsdozent. Er galt als ökologischer Visionär. Sein Roman "Ecotopia" wurde in mehr als ein Dutzend Sprachen übersetzt und erreichte Millionenauflagen. Er begründete die international renommierte Zeitschrift "Film Quarterly" (University of California Press) und hielt weltweit Vorträge zu ökologischen Themen. 2012 verstarb er in Berkeley (Kalifornien). Holger Hanowell, geb. 1969, ist freier Übersetzer und Autor. Für Reclam hat er zuletzt George Orwells "1984" übersetzt.

Über die ökotopische Grenze


Im Sierra Express, Tahoe-San Francisco, 4. Mai. Ich bin jetzt in Ökotopia – soweit bekannt, der erste Amerikaner, der den neuen Staat seit seiner Unabhängigkeit vor neunzehn Jahren besucht.

Mein Flieger landete in Reno. Auch wenn es nicht viele wissen, die ökotopische Regierung gestattet nicht einmal internationale Flüge über ihrem Staatsgebiet – wegen der Luftverschmutzung und Lärmbelästigung. Flüge von San Francisco nach Asien oder über die Arktis nach Europa müssen nicht nur einen vierzig Meilen außerhalb der Stadt liegenden Flughafen nutzen, sie sind darüber hinaus gezwungen, Flugrouten über Wasser einzuhalten; und amerikanische Maschinen mit Ziel Hawaii müssen über Los Angeles fliegen. Um also nach San Francisco zu gelangen, musste ich in Reno zwischenlanden und dann eine teure Taxifahrt in Kauf nehmen, um den Bahnhof am nördlichen Ufer von Lake Tahoe zu erreichen. Von Tahoe aus gibt es schnelle und regelmäßige Verkehrsverbindungen.

Die tatsächliche Grenze markiert ein pittoresker, verwitterter Holzzaun mit einem breiten Tor, das offensichtlich wenig in Gebrauch ist. Als mein Taxi dort hielt, war niemand zu sehen. Der Fahrer musste aussteigen, zu einem kleinen, aus Stein erbauten Wachhaus gehen und die ökotopischen Soldaten dazu bewegen, ihr Kartenspiel zu unterbrechen. Letzten Endes waren es zwei junge Männer in ziemlich knittrigen Uniformen. Aber sie wussten von meinem Besuch, überprüften meine Papiere mit einer Miene wissender Autorität und ließen das Taxi dann das Tor passieren – allerdings nicht ohne darauf hinzuweisen, dass es einer speziellen Erlaubnis bedurft hatte, damit ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor die heiligen Pforten passieren könne. Ich erwiderte, das Taxi müsse mich ja nur ungefähr zwanzig Meilen bis zum Bahnhof bringen. »Sie haben Glück, dass der Wind heute aus West kommt«, meinte einer der Soldaten. »Würde er aus Ost kommen, hätten wir Sie eine Weile hier festhalten müssen.«

Sie überprüften mein Gepäck mit einer gewissen Neugier und schenkten vor allem meinen Schlaftabletten besondere Aufmerksamkeit. Aber ich durfte alles behalten, nur nicht meinen verlässlichen Colt.45 samt Halfter. Das sei womöglich Standardausrüstung in New York, wie man mir sagte, aber in Ökotopia seien keine versteckten Waffen erlaubt. Weil er womöglich mein leichtes Unbehagen bemerkte, sagte einer der beiden Soldaten, dass ökotopische Straßen recht sicher seien, bei Tag wie bei Nacht. Dann reichte er mir eine kleine Broschüre mit dem Titel Ökotopia erklärt. Das Buch war hübsch gedruckt, hatte dafür aber ziemlich kuriose Illustrationen. Die Broschüre war offensichtlich in erster Linie für Touristen aus Europa und Asien hergestellt worden. »Vielleicht fällt es Ihnen damit leichter, sich an die Dinge zu gewöhnen«, meinte der andere Soldat in einem leisen, fast schmeichlerisch-freundlichen Ton, den ich inzwischen als nationale Eigenart wahrnehme. »Entspannen Sie sich, das ist ein freies Land.«

»Mein Freund«, entgegnete ich, »ich war schon an verdammt vielen Orten, die sehr viel seltsamer waren als dieses Land, und ich entspanne mich, wenn es mir passt. Wenn Sie dann mit meinen Papieren fertig sind, würde ich gern weiterreisen.«

Er klappte meinen Pass zu, hielt ihn aber noch in der Hand. »Weston«, sagte er und sah mir in die Augen, »Sie sind Autor. Wir verlassen uns darauf, dass Sie Ihre Worte mit Bedacht wählen, solange Sie hier sind. Falls Sie auf dem Rückweg wieder hier vorbeikommen, werden Sie das Wort ›Freund‹ vielleicht ohne Hintergedanken verwenden. Das würde uns gefallen.« Dann schenkte er mir ein freundliches Lächeln und streckte mir die Hand entgegen. Zu meinem eigenen Erstaunen ergriff ich seine Hand und merkte, dass auch ich unwillkürlich lächelte.

 

Wir fuhren weiter zum Tahoer Bahnhof des ökotopischen Schienennetzes. Das Bahnhofsgebäude erwies sich als recht rustikal und bestand aus mächtigen Bohlen. In Amerika hätte es als überdimensionale Skihütte durchgehen können. In den Wartebereichen gab es sogar offene Kamine – und gleich mehrere Bereiche, in denen man sich aufhalten konnte: eine Art Restaurant, einen großen verlassenen Raum mit einer Bühne, in dem offenbar Tanzveranstaltungen stattfinden, und eine kleinere, ruhige Lounge mit Ledersitzen und einer Auswahl an Büchern. Die Züge, die für gewöhnlich nur zwei oder drei Waggons haben, dafür aber stündlich verkehren, fahren unterirdisch in den Bahnhof ein, und bei kalter Witterung schließen sich große Tore hinter ihnen, um Schnee und Wind fernzuhalten.

Besondere Vorrichtungen für Wintersportler sah man auf den ersten Blick – Regale und Spinde –, aber zu dieser Jahreszeit ist der Schnee weitestgehend geschmolzen, und die Skisaison ist quasi zu Ende. Die elektrischen Minibusse, die den Bahnhof mit den Skigebieten und den Städten in unmittelbarer Umgebung verbinden, sind fast alle leer.

Ich ging nach unten zu meinem Zug. Er sah kaum wie ein Zug aus, sondern eher wie ein Flugzeug ohne Tragflächen. Zuerst dachte ich, ich wäre in ein nicht zu Ende gebautes Fahrzeug eingestiegen – es gab keine Sitze! Der Boden war mit einem dicken, nachgiebigen Teppich ausgelegt und durch kniehohe Trennwände in verschiedene Abteile untergliedert; ein paar Passagiere hatten es sich auf großen, sackartigen Lederkissen bequem gemacht, die verstreut herumlagen. Ein älterer Herr hatte sich am Ende des Waggons eine Decke von einem Stapel geholt und legte sich für ein Nickerchen hin. Ein paar Leute, die mir an meiner Verwirrung anmerkten, dass ich ein Fremder war, zeigten mir, wo ich meine Tasche verstauen konnte, und erklärten mir, wie man bei dem Steward im nächsten Waggon Erfrischungen bestellte. Ich nahm auf einem der Kissen Platz und merkte, dass ich durch die großen Fenster, die bis auf sechs Zoll über dem Boden hinuntergezogen waren, eine tolle Aussicht haben würde. Meine Mitreisenden zündeten sich Zigaretten an, am Geruch merkte ich, dass es Marihuana war, und ließen sie herumgehen. Als erste Geste des internationalen guten Willens nahm ich ein paar Züge, und kurz darauf plauderten wir recht ungezwungen.

Ihre sentimentale Naturverbundenheit hat die Ökotopier sogar dazu veranlasst, Grünpflanzen in ihren Zügen unterzubringen, die voller hängender Farne und kleiner Pflanzen sind, die ich nicht kannte. (Meine Mitreisenden konnten die botanischen Namen jedoch wie selbstverständlich herunterbeten.) Am Ende des Waggons standen Behälter, die wie Abfalleimer aussahen, versehen mit Großbuchstaben – M, G und P. Das, so erklärte man mir, seien »Recycling-Behälter«. Es mag Amerikanern unrealistisch vorkommen, aber mir fiel auf, dass meine Mitreisenden während der Fahrt ausnahmslos sämtliche Abfälle aus Metall, Glas, Papier oder Plastik auf die jeweiligen Behälter verteilten. Sie taten das, ohne dass es ihnen peinlich war – jedem Amerikaner wäre das peinlich gewesen –, und auf diese Weise kam ich zum ersten Mal mit der streng befolgten Praxis des Recyclings und der Wiederverwertung in Berührung, auf die die Ökotopier angeblich so verbissen stolz sind.

Falls man es überhaupt bemerkt, dass man mit einem ökotopischen Zug unterwegs ist, so nimmt man die Bewegung so gut wie gar nicht wahr. Da die Züge mittels Magnetschwebetechnik angetrieben werden, gibt es keine ratternden Räder, keine Motorengeräusche und auch keine Erschütterungen. Die Leute unterhalten sich, man hört das leise Klirren von Gläsern und Teetassen, einige Passagiere winken Freunden auf dem Bahnsteig zu. Kurz darauf scheint der Zug buchstäblich über den Boden zu fliegen, obwohl er nur wenige Zoll über einer muldenförmigen Führungsschiene schwebt.

Meine Mitreisenden erzählten mir etwas zu der Entstehung dieser Züge. Boeing in Seattle hatte bis zur Unabhängigkeit offenbar nicht ernsthaft in Erwägung gezogen, die Produktpalette abseits der Flugzeuge weiter zu diversifizieren, um andere Transportarten zu ermöglichen. Der Weltmarkt war beim Flugzeugbau jedoch von starkem Wettbewerb geprägt, und glücklicherweise konnte die ökotopische Regierung vorübergehend die Boeing-Produktionsstätten nutzen, um das neue nationale Bahnnetz auf die Beine zu stellen, obwohl die Wirtschaftspolitik Ökotopias auf lange Sicht in jeder Stadt und jeder Region nach Diversifizierung und Dezentralisierung der Produktion verlangt. Zwar hatten die Deutschen und die Japaner bei Magnetschwebebahnen mit Linearmotoren Pionierarbeit geleistet, aber bei Boeing ging dieses System nur ein Jahr nach der Unabhängigkeit in Produktion. Auf meine Frage, wie das enorm kostspielige System finanziert worden sei, lachten meine Mitreisenden nur. Einer von ihnen bemerkte, dass sich die Kosten für die gesamte Bahntrasse von San Francisco nach Seattle auf etwa das Gleiche beliefen wie zehn Überschalltransportflugzeuge (SST), und er erklärte, die Sozialkosten pro Person und Meile seien bei ihrem Bahnnetz im Ganzen geringer als beim Luftverkehr auf einer beliebigen Distanz unter tausend Meilen.

Aus meiner Broschüre erfuhr ich, dass die Züge für gewöhnlich auf ebener Strecke 360 Kilometer in der Stunde fahren. (In Ökotopia wird das metrische System verwendet.) Bei dieser Geschwindigkeit, umgerechnet 225 Meilen pro Stunde, sieht man noch genug von der Landschaft. Allerdings erreichten wir diese Geschwindigkeit erst zwanzig Minuten später, nachdem wir den östlichen Steilhang der Sierra Nevada hinaufgekrochen waren, bei einer Geschwindigkeit von weniger als neunzig Meilen. Der Donnerpass wirkte fast so trist, wie er den...

Erscheint lt. Verlag 11.10.2022
Übersetzer Holger Hanowell
Verlagsort Ditzingen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Ernest Callenbach Buch • Ernest Callenbach Ecotopia • Ernest Callenbach Ecotopia Deutsch • Ernest Callenbach Ecotopia Übersetzung • Ernest Callenbach Fridays for Future • Ernest Callenbach Gesellschaft • Ernest Callenbach Gesellschaftskritik • Ernest Callenbach Gleichberechtigung • Ernest Callenbach Hippie-Bewegung • Ernest Callenbach Hippies • Ernest Callenbach Kalifornien • Ernest Callenbach Kalter Krieg • Ernest Callenbach Klimakrise • Ernest Callenbach Klimawandel • Ernest Callenbach Kritik Gesellschaft • Ernest Callenbach Novelle • Ernest Callenbach Ökologie • Ernest Callenbach Ökotopia Deutsch • Ernest Callenbach Ökotopia Übersetzung • Ernest Callenbach Oregon • Ernest Callenbach Politik • Ernest Callenbach Roman • Ernest Callenbach Umweltschutz • Ernest Callenbach USA • Ernest Callenbach Utopie • Ernest Callenbach Vereinigte Staaten
ISBN-10 3-15-962079-4 / 3159620794
ISBN-13 978-3-15-962079-4 / 9783159620794
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