Träume aus Eis (eBook)

Roman
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2023 | 1. Auflage
400 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-7499-0536-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Träume aus Eis -  Franziska Winkler
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München, 1929: zwischen Unternehmertum, Wirtschaftskrise und den Fäden des Lebens

Erna und Josef Pankofer sind überglücklich, als sie die kleine Eisdiele in der Kaufinger Straße in München eröffnen. Endlich hat das Tingeln mit dem Eiswagen durch die Straßen ein Ende und sie haben ein besseres Zuhause für sich und ihre beiden Töchter. Doch dann bricht die Weltwirtschaftskrise über sie herein, und die älteste Tochter Frieda verliebt sich ausgerechnet in den Sohn eines Konkurrenten. Das Glück der Familie hängt bald am seidenen Faden - kann die Idee, als erster Laden in ganz Bayern Eis am Stiel zu verkaufen, sie retten, oder sind die Träume aus Eis am Ende nur Luftschlösser ...?

Inspiriert von einer wahren Begebenheit: hochemotional und atmosphärisch erzählt Franziska Winkler von der Kraft, die wir brauchen, um an uns selbst zu glauben



Franziska Winkler wurde in Bad Aibling geboren und ist in Rosenheim aufgewachsen. Unter ihrem richtigen Namen Nicole Steyer sowie unter den Pseudonymen Linda Winterberg und Anke Petersen verfasste sie mehrere erfolgreiche Romane. Die »Träume aus Eis« bringen sie nun endlich zurück in ihre bayerische Heimat und nach München, die Stadt, die sie schon immer durch ihre Größe beeindruckt hat und in die sie vor vielen Jahren ihr täglicher Arbeitsweg führte.

1. Kapitel


München, 15. April 1929

Erna trocknete sich ihre Hände an einem rot-weiß karierten Geschirrtuch ab und schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatte.

»Das war das letzte Eis für heute, oder?«, fragte sie ihre Küchenmamsell Fanny, die gerade die Sorte Schokolade in den Eisschrank in der Speisekammer verfrachtete.

»Ja, damit haben wir alle Sorten beinand«, antwortete die mollige Mitfünfzigerin, die ihr bereits vollständig ergrautes Haar stets zu einem Dutt gebunden trug. »Jetzt kann der Spaß bald losgehen.«

Dem »Spaß«, der für den heutigen Tag geplante Eröffnung ihres ersten eigenen Eissalons, hatten sie wochenlang entgegengefiebert. Erna konnte noch gar nicht so recht glauben, dass sie und ihr Josef ihren bereits seit vielen Jahren gehegten Traum vom eigenen Geschäft nun endlich wahrmachen konnten.

»Ja, das kann er allerdings«, antwortete Erna. »Hoffentlich geht auch alles gut. Ich bin schon so aufgeregt, die halbe Nacht hab ich kein Auge zugetan!«

»Ach, das wird schon werden«, antwortete Fanny. »Das Wetter spielt auch mit. Als hätt’ der Petrus gewusst, dass er heute brav sein muss, der alte Schlawiner.« Sie deutete aus dem Fenster: Draußen schien die Sonne von einem wolkenlosen Himmel.

Erna schmunzelte – sie kannte sonst niemanden, der so über den heiligen Petrus sprechen würde. Was war sie froh darüber, dass Fanny den Weg zu ihnen gefunden hatte! Die durchsetzungsstarke ältere Dame hatte jahrelang im Café Ludwig am Sendlinger Tor gearbeitet und Hunderte Eis-Portionen hergestellt. Über vierzig Jahre hatte sie für die Inhaber, die Familie Stiegelmeyer, gearbeitet, und über Nacht war deren Existenz dahin gewesen – ein Brand hatte das Café zerstört. Das stark beschädigte Gebäude war inzwischen sogar abgerissen worden. Nach dem Feuer hatte Fanny eine Weile gebraucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie einen anderen Wirkungsort haben würde. »So eine Gewohnheit, die gibt man ja nicht so leicht auf«, hatte sie bei ihrem Vorstellungsgespräch zu Erna gesagt, während ihr Tränen in den Augen glitzerten. »Ich mein, die Küche da, die war ja mein Daheim.« Da hatte Erna gewusst, dass sie in ganz München keine treuere Seele finden würde.

Nun befanden die beiden sich in ihrer kleinen Eiswerkstatt, wie sie die sich hinter der Gaststube befindliche Küche liebevoll bezeichneten. Die Mitte des Raumes füllte ein großer Holztisch aus, auf dem allerlei Eismachzubehör, Schüsseln, Schneebesen und Messbecher wild durcheinanderlagen. Regale voller Geschirr säumten die Wände, und auf dem Ofen standen Unmengen an Töpfen und Tiegeln. Nach Fannys Meinung musste es in einer anständigen Küche immer ein bisschen unordentlich sein: »So ein Durcheinander ghört schon dazu«, hatte sie erst neulich gesagt. »Sonst sieht ja keiner, dass hier gearbeitet wird.« Was sie jedoch gar nicht leiden konnte, war Unsauberkeit. Sobald die Arbeit beendet war, musste die Arbeitsplatte gereinigt, Geschirr gespült und der Fußboden geschrubbt werden. »Gibt ja nix Schlimmeres, als mit de Füß pappen zu bleiben.«

Frieda, Ernas Erstgeborene, trat ein.

»Hier steckst du, Mama!«, sagte die Achtzehnjährige und musterte ihre Mutter mit hochgezogener Augenbraue von oben bis unten. »Du bist ja noch gar nicht fertig angezogen! Wir öffnen den Laden doch schon in einer Stunde. Stell dir vor: Der Korbinian will kommen und einen Artikel über unseren Eissalon für den Schwabinger Anzeiger schreiben. Ist das nicht großartig? Er will sogar einen Fotografen mitbringen! Ich wollte die tollen Neuigkeiten Papa erzählen, aber auch der ist irgendwie verschwunden. Dieses Haus ist heute schlimmer als jeder Heuhaufen.« Sie rang die Hände.

Erna lächelte. Solch vernünftige Worte erinnerten sie daran, dass ihre Tochter dem Kindesalter entwachsen war. Frieda hatte das kastanienbraune Haar, das energische Kinn und die rehbraunen Augen ihres Vaters geerbt, jedoch Ernas lange Wimpern, und auf ihre Nase hatten sich einige Sommersprossen gestohlen, die Erna liebte, Frieda selbst aber eher verabscheute.

»Ich kann mir denken, wo dein Papa abgeblieben ist«, antwortete Erna und sah kurz zu Fanny, die sogleich verstand.

»Geht ruhig«, sagte Fanny und wedelte mit den Armen. »Wir waren ja eh fertig. Aufräumen kann ich auch allein, und dann schau ich gleich, ob im Gastraum alles passt. A frische Schürzn muss ich auch noch anziehen. So gschlampert kann ich ja nicht unter die Leut gehen. Ach, so eine Neueröffnung erleb’ ich auch nicht alle Tag!« Sie wandte sich den Töpfen und Schüsseln in der Spüle zu.

Erna verließ mit Frieda den Raum. Im Hausflur des in der Kaufingerstraße gelegenen Anwesens trafen sie auf die Witwe Moosgruber, die sich gerade damit beschäftigte, die Treppe zu wischen. Erna hatte die Nachbarin aus dem dritten Stock vom ersten Augenblick an nicht leiden können. Ihre Blicke hatten etwas Herablassendes an sich, und ihr Tonfall klang ständig überheblich. Außerdem schien sie wie ein Wachhund zu sein. Nichts entging ihr, sie mäkelte an allem herum und bezog sich dabei immer wieder auf die Hausregeln, die offiziell jedoch nirgendwo einsehbar waren. Fanny, die der »alten Moosgruberin«, wie sie sie abfällig nannte, auch nicht besonders zugetan war, hatte neulich gemeint, dass sie diese Regeln bestimmt selbst erfunden hatte.

»Ach, da sind Sie ja, Frau Pankofer. Sie haben wieder mal das Fenster auf ihrem Treppenabsatz offen stehen lassen. In den Hausregeln steht klar geschrieben, dass die Fenster über Nacht geschlossen sein müssen. Könnt ja einer einbrechen!«

Am liebsten hätte Erna ihr eine patzige Antwort gegeben, doch sie wollte keinen Streit mit dieser Person haben. Wer wusste schon, was sie sonst noch alles aushecken würde … Immerhin hatten sie störungsfrei einen Betrieb zu führen.

»Das muss mein Sepp gewesen sein«, antwortete sie und bemühte sich um ein Lächeln. »Er hat gern frische Luft. Wir werden in Zukunft darauf achten, die Fenster rechtzeitig zu schließen. Aber jetzt müssen Sie uns entschuldigen, Sie wissen doch, dass heute der Eissalon eröffnet wird, und es gibt noch einiges zu tun. Vielleicht möchten Sie nachher zur Einweihung kommen? Sie sind herzlich eingeladen. Jeder Gast erhält eine Kugel Eis gratis.«

Ohne eine Antwort der Moosgruberin abzuwarten, gingen die beiden weiter. Frieda zog es in ihre im zweiten Stock gelegene Wohnung, denn sie wollte nach Lotte, ihrer kleinen Schwester, sehen, die heute mal wieder bummelte. Erna hingegen betrat durch eine Tür den Hinterhof des Anwesens. Dieser war relativ groß, und es gab eine Reihe Hinterhäuser mit vier Stockwerken. Dahinter erhob sich die Frauenkirche. Erna liebte den Anblick der Kirchtürme. Die Tatsache, dass die Kirche so nah an der Häuserfront stand, empfand sie als gutes Omen: Ein solch besonderes Gotteshaus wie die Frauenkirche in der Nähe zu haben, konnte nur Glück bringen. Ihr Blick blieb an der Fensterfront mit den Butzenscheiben hängen, die zu dem im Erdgeschoss des Hinterhauses liegenden Ladengeschäft gehörte. Bis vor Kurzem hatte Gustl Brunner hier noch seine Schreinerei geführt, doch vor einer Weile hatte er sie aus Altersgründen schließen müssen. In der Nachbarschaft wurde gemunkelt, dass in den Laden bald ein Schuster einziehen würde – das hatte die Anni Lindinger aus dem zweiten Stock des Hinterhauses aufgeschnappt, als der Besitzer, irgendeiner von den Wichtigen aus dem Rathaus, da gewesen war. Aber die Anni Lindinger, ein begeistertes Tratschweib, hörte immer irgendwo irgendetwas, und meist entsprach ihr Gerede nicht der Wahrheit.

Rechter Hand der Schreinerei gab es einen Lagerraum, der zum Ladengeschäft der Pankofers gehörte. Die blau gestrichene Holztür war nur angelehnt. Erna schob sie auf und stellte fest, dass sie mit ihrer Vermutung, wo sie ihren Mann finden würde, richtig gelegen hatte.

Josef Pankofer, der, wie im Bayerischen üblich, mit dem Spitznamen Sepp angesprochen wurde, stand vor einem alten Eiswagen mit der Aufschrift Gefrorenes darauf, den sie hier untergestellt hatten, und sah diesen wehmütig an.

»Habe ich mir doch gedacht, dass du hier bist«, sagte Erna. Sie trat neben ihren Gatten und wischte ihm einen Fussel von seinem dunkelblauen Jackett. Für den großen Tag hatte er sich bereits zurechtgemacht: Zu dem Jackett trug er ein frisches Hemd und Krawatte sowie helle Hosen, und seine Schuhe waren auf Hochglanz poliert. Sein lichter werdendes, leicht welliges kastanienbraunes Haar hatte er mit Pomade geglättet, aber es war nicht zu leugnen, dass der Zahn der Zeit an ihnen nagte. Auch in Ernas Gesicht zeigten sich bereits die ersten Linien um die Augen und die Mundwinkel, doch in ihrem mittelblonden Haar, das sie der Mode entsprechend halblang und in Wellen gelegt trug, fanden sich noch keine grauen Strähnen. Sie erkannte die Wehmut im Blick ihres Mannes. Auch sie stimmte der Anblick des Eiswagens traurig. Noch im letzten Jahr waren Josef und sein Freund und Geschäftspartner Mario während der Sommermonate mit diesem Gefährt durch die Straßen Münchens gezogen. Kurz nach Weihnachten war der stets fröhliche Italiener allerdings an einer Lungenentzündung gestorben.

»Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich Mario zum ersten Mal gesehen habe«, sagte Josef, ohne den Blick von dem Eiswagen abzuwenden. »Er hat verletzt in dieser alten Scheune gelegen, irgendwo im Nirgendwo. Ich hab nicht anders gekonnt, ich musste ihm helfen. Das waren die längsten zwei Tage meines Lebens. Ich dachte, wir würden niemals in dem Lazarett ankommen. Er hat so viel...

Erscheint lt. Verlag 25.4.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Anne Jacobs • Bayern • bücher für frauen • Carmen Korn • Die Schokoladenvilla • Eis am Stiel • Eiscafé • Eisherstellung • Familiengeschichte • Familiensaga • familiensaga 20.jahrhundert • Frauenromane • historisch • historische familiensaga • historische Frauenromane • Kaffeehaus • Kuchen • Liebesgeschichte • Linda Winterberg • München • nach dem Krieg • Romantische Bücher • Saga • Starke Frauen
ISBN-10 3-7499-0536-3 / 3749905363
ISBN-13 978-3-7499-0536-2 / 9783749905362
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