Kommissar Gennat und der grüne Skorpion (eBook)
304 Seiten
Elsengold Verlag
978-3-96201-117-8 (ISBN)
Regina Stürickow hat in Berlin Geschichte und Slavistik studiert. Nach einer Tätigkeit in der Lokalredaktion des Senders Freies Berlin ist sie seit 1993 als freie Publizistin in ihrer Heimatstadt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher zur Berliner Geschichte veröffentlicht, tritt im Fernsehen regelmäßig als Expertin auf und schreibt populäre Magazinartikel zu historischen Themen. Bei Recherchen in den 1990er- Jahren stieß sie in alten Akten auf den fast vergessenen Kommissar Ernst Gennat und machte ihn in den folgenden Jahren mit mehreren Publikationen wieder bekannt.
Regina Stürickow hat in Berlin Geschichte und Slavistik studiert. Nach einer Tätigkeit in der Lokalredaktion des Senders Freies Berlin ist sie seit 1993 als freie Publizistin in ihrer Heimatstadt tätig. Sie hat zahlreiche Bücher zur Berliner Geschichte veröffentlicht, tritt im Fernsehen regelmäßig als Expertin auf und schreibt populäre Magazinartikel zu historischen Themen. Bei Recherchen in den 1990er- Jahren stieß sie in alten Akten auf den fast vergessenen Kommissar Ernst Gennat und machte ihn in den folgenden Jahren mit mehreren Publikationen wieder bekannt.
I
Kriminalrat Ernst Gennat hatte es sich auf dem durchgesessenen grünen Sofa in seinem Büro im ersten Stock des Polizeipräsidiums am Alexanderplatz bequem gemacht, hatte die Schuhe ausgezogen und die Beine hochgelegt. In der einen Hand die fast aufgerauchte Brasil, mit der anderen hielt er den Aschenbecher fest, den er auf seinen ausladenden Bauch gestellt hatte, und hauchte genüsslich Rauchringe in die Luft. Es war Dienstag, der 31. August 1926, kurz vor sieben Uhr abends.
„Steinerchen, haben Sie nicht noch eine Tasse Kaffee für mich?“, rief er in Richtung Vorzimmer. „Schön schwarz, so dass der Löffel drin steht und mit viel Zucker.“ Als sich nichts rührte, fiel ihm ein, dass Gertrud Steiner, seine Sekretärin, heute ausnahmsweise pünktlich Feierabend gemacht hatte. Gennat gähnte, legte die Zigarre ab, stellte den Aschenbecher auf den Sofatisch mit der Klöppeldecke und knipste die Stehlampe an. Seufzend erhob er sich und ging auf Strümpfen ins Vorzimmer. Neben der Schreibmaschine stand noch die Kaffeekanne. Er nahm den Deckel ab, schaute hinein und goss den restlichen kalten Kaffee in seine Tasse. „Kalter Kaffee ist besser als gar kein Kaffee“, sagte er zu sich selbst und ging herzhaft gähnend zurück in sein Büro, zog die mittlere Schublade seines Schreibtisches auf und holte die Tüte mit der Streuselschnecke heraus, die Fräulein Steiner ihm heute Morgen mitgebracht hatte. „Ich hasse Streuselschnecken“, murmelte er vor sich hin. „Aber in der Not frisst der Teufel Fliegen.“ Jetzt erst bemerkte er, dass der Raum vom Qualm seiner Zigarre blau schimmerte. Zudem war es heiß und stickig. Vermutlich rührten daher auch seine Kopfschmerzen. Er öffnete das Fenster und schaute stirnrunzelnd auf die von Südwesten heraufziehende grafitschwarze Wolkenwand. In diesem Sommer spielte das Wetter völlig verrückt. Gerade stöhnte die Stadt noch unter der Hitzewelle und jetzt gab es fast täglich schwere Gewitter.
Er lehnte sich auf das Fensterbrett und sah hinunter. Vor der Kneipe im gegenüberliegenden Stadtbahnbogen war schon wieder eine handfeste Keilerei im Gange. Eine Szene, die sich da unten mehrmals täglich wiederholte. Eine S-Bahn kroch fauchend wie eine altersschwache Riesenechse in Richtung Bahnhof Alexanderplatz, denn die Elektrifizierung der Strecke ließ auf sich warten.
Gennat überlegte, ob er nicht nach Hause gehen sollte. Die letzten Nächte hatte er sich mit nicht enden wollenden Verhören um die Ohren schlagen müssen und kaum geschlafen. Er leckte sich den Zucker von den Fingern und setzte sich an seinen Schreibtisch. Erst jetzt sah er, dass Steinerchen ihm schon die abgetippten Vernehmungsprotokolle vom Nachmittag zur Durchsicht hingelegt hatte. Flüchtig blätterte er sie durch. Das hat Zeit bis morgen, dachte er, und warf sie zurück auf den Stapel, denn jetzt hatte er keine Lust mehr, sich mit irgendwelchen Protokollen zu beschäftigen. Er stützte den Ellenbogen auf, legte das Kinn in seine fleischige Pranke und blätterte lustlos ein paar der seit Tagen liegen gebliebenen Papiere durch.
Eine kräftige Windbö, die ein Häufchen Notizzettel von seinem Schreibtisch fegte, ließ ihn aufschrecken. Erste dicke Hagelkörner klackerten auf das Fensterblech und aus der Ferne ließ sich das dumpfe Grollen des rasch heraufziehenden Gewitters vernehmen. Schwerfällig erhob er sich, schloss das Fenster, sammelte die heruntergefallenen Zettel auf und beschloss, wenigstens noch so lange im Büro zu bleiben, bis das Unwetter abgezogen sein würde. Aus der Ablage im Vorzimmer holte er sich die Abendausgabe des Berliner Echos, lümmelte sich wieder in seine Sofaecke und begann, die Schlagzeilen zu überfliegen. Erst auf Seite vier fand er den ausführlichen Bericht des Polizeireporters Max Kaminski über die Festnahme des Raubmörders Karl Böttcher. Die Aussage des Strausberger Mörders, lautete die Schlagzeile. Gennat stimmte Kaminski, mit dem er seit Jahren befreundet war, nicht uneingeschränkt zu, wenn er schrieb, dass der wegen Diebstahls vorbestrafte 25-jährige Gelegenheitsarbeiter durch Not und Arbeitslosigkeit ins Verbrechen abgerutscht war. „Da ist ja was dran“, murmelte er vor sich hin. „Aber Not und Armut lassen niemanden zum brutalen Sexualverbrecher werden. Da läuft wohl eher im Kopf was nicht ganz richtig.“
Böttcher war gestern Nachmittag, kurz nachdem er in Hoppegarten eine junge Frau überfallen hatte, von einer Polizeistreife festgenommen worden. Gennat war sofort klar gewesen, mit Böttcher auch den Mörder der Gräfin Lambsdorff vor sich zu haben. Nicht nur die Täterbeschreibung von damals passte so verblüffend zu dem jungen Mann, dass kaum ein Zweifel bestehen konnte, sondern auch die Art und Weise des Überfalls. Zudem hatte er in beiden Fällen auf seine Verfolger geschossen.
Gennat hatte einmal mehr auf seine altbewährte Methode gesetzt: „Sie brauchen keine Angst zu haben“, hatte er auf Böttcher unmittelbar vor dem ersten Verhör am Abend eingeredet und ihm beruhigend die Hand auf die Schulter gelegt. „Ich tue Ihnen nichts. Ich bin auch nicht Ihr Richter. Erzählen Sie frei weg. Glauben Sie mir, anschließend wird es Ihnen viel besser gehen.“ Auch gehörte es zu Gennats Prinzipien, seine „Kundschaft“ zu siezen. Sie sollte sich ernst genommen fühlen. Nur seine alten Spezis, die er schon seit Langem kannte und etliche Male festgenommen hatte, duzte er im gegenseitigen Einvernehmen.
Nach einer Tasse Kaffee und einer Zigarette legte Böttcher dann tatsächlich ein umfangreiches Geständnis ab: Am 11. Mai hatte er in einem Waldstück bei Strausberg die Gräfin Lambsdorff brutal überfallen, ausgeraubt, vergewaltigt und schließlich erschossen. Auf zwei Spaziergänger, die durch die verzweifelten Schreie des Opfers und die Schüsse auf das Verbrechen aufmerksam geworden waren und ihn an der Flucht hindern wollten, eröffnete er sofort das Feuer. Die Verfolger blieben zwar unverletzt, mussten aber Deckung suchen und verloren ihn schließlich aus den Augen.
Heute Vormittag hatte Gennat dann das Verhör fortgesetzt. Obwohl Böttcher seiner Ansicht nach geistig zurückgeblieben war, berichtete dieser ruhig und detailgenau. Er erzählte, dass das erbeutete Bargeld gerade für die Fahrkarte nach Berlin und einen Kinobesuch in der Münzstraße gereicht hatte. Deshalb sei er auch noch am selben Tag zu einem Goldwarenhändler in der Artilleriestraße gegangen, um die goldene Uhr der Gräfin zu versetzen.
Umgehend hatte Gennat einen Durchsuchungsbefehl für Böttchers möbliertes Zimmer in der Linienstraße 161 erwirkt. Seine Vermutung erwies sich als richtig: Zusammen mit seinen Kollegen fand er zahlreiche Schmuckstücke, deren Herkunft noch zu klären war. Eine goldene Kette mit einem ebenfalls goldenen Anhänger in Herzform meinte Gennat auf Anhieb zu erkennen. Da er sich aber nicht sicher war, sagte er zunächst noch nichts. Er wollte erst den weiteren Verlauf der Ermittlungen abwarten. Jedenfalls wurden die Schmuckstücke beschlagnahmt. Gennat verschob ein weiteres Verhör auf Mittwoch, denn zum einen musste der betreffende Goldwarenhändler befragt werden, zum anderen sollten die Kommissare Albrecht und Engel die Akten ähnlicher, noch ungeklärter Raubtaten durchforsten. Gennat war der festen Überzeugung, dass noch weit mehr Überfälle und Vergewaltigungen auf Böttchers Konto gingen.
Das Schrillen des Telefons ließ Gennat hochfahren. Benommen blinzelte er auf die Uhr an der Wand über dem Aktenschrank. Es war halb zehn. Beim Zeitunglesen war er wohl eingenickt. Schwankend stand er auf, ließ sich aber gleich wieder in den Stuhl neben seinem Schreibtisch fallen, zog das Telefon an der Schnur zu sich heran und nahm den Hörer ab.
„Mordinspektion, Gennat“, brummte er.
„Gut, dass Sie noch da sind, Herr Kriminalrat.“
Gennat erkannte die Stimme des Kriminalassistenten Meyerhoff. Ein Neuling bei der Kripo, der heute erst seinen zweiten Bereitschaftsdienst hatte.
„Was gibt’s?“
„Ich bin nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe, Herr Kriminalrat, aber das Polizeirevier Hohenschönhausen am Orankesee bittet Sie, sofort zu kommen. Da soll was am See passiert sein. Ich hab denen gesagt, dass wir eine Reservemordkommission schicken werden, aber die Beamten bestehen darauf, dass Sie sich persönlich um die Sache kümmern.W-was s-soll ich d-denn n-nun m-machen?“
Gennat amüsierte sich insgeheim über den unbeholfenen jungen Mann, der stets ins Stottern geriet, wenn er aufgeregt war.
„Mensch, Meyerhoff“, seufzte Gennat. „Machen Sie doch nicht aus jeder Mücke gleich ’ne ganze Elefantenherde. Können Sie mir einen triftigen Grund dafür nennen, warum ich nach Feierabend nach Hohenschönhausen rausgondeln soll?“
„Es soll sich um eine Tote am See handeln – oder im See – d-das st-steht w-wohl noch n-icht f-fest.“
„Haben Sie getrunken, Meyerhoff?“
„Unsinn. Sie w-wissen doch, dass ich nicht t-trinke“, gab der Kriminalassistent pikiert zurück. „Außerdem g-gibt es Zeugen.“
„Sicher die Füchse, die sich da ‚Gute Nacht‘ sagen“, konterte Gennat.
„Nein. Ein Geschwisterpaar namens Ribbe.“
Der Name Ribbe ließ Gennat aufhorchen. „Vornamen?“
„Keine Ahnung.“
...Erscheint lt. Verlag | 10.10.2022 |
---|---|
Reihe/Serie | Gennat-Krimi |
Gennat-Krimi | Gennat-Krimi |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Berlin • Ernst Gennat • historische Kriminalfälle • Krimi • Max Kaminski • True Crime |
ISBN-10 | 3-96201-117-X / 396201117X |
ISBN-13 | 978-3-96201-117-8 / 9783962011178 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 799 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich