Die Jungen von der Paulstraße (eBook)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
224 Seiten
Anaconda Verlag
978-3-641-30403-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Jungen von der Paulstraße -  Ferenc Molnár
Systemvoraussetzungen
5,99 inkl. MwSt
  • Download sofort lieferbar
  • Zahlungsarten anzeigen
Im Budapest der Jahrhundertwende haben die Jungen von der Paulstraße einen perfekten und geliebten Ort für ihre Spiele gefunden: Den »Grund«, einen Baugrund, auf dem sie aus Brettern ihre Festungen errichtet haben und für dessen Verteidigung sie zum Letzten bereit sind. Und das müssen sie sein, denn die Rothemden, die Jungen aus dem Botanischen Garten, haben einen Plan geschmiedet, um sie vom Grund zu vertreiben. Freundschaft, Verrat, verzweifelter Heldenmut und der tragische Ernst des Lebens - Molnárs klassische Jungsbandengeschichte bewegt junge und erwachsene Leser bis heute.
  • Ein Kinderbanden-Roman der in einer Reihe steht mit Der Krieg der Knöpfe, Das fliegende Klassenzimmer und Die rote Zora
  • Kategorie: Absolutes Lieblingsbuch!


Ferenc Molnár (eigentl. Neumann) wurde am 17. Januar 1878 in Budapest geboren und gilt als einer der bedeutendsten ungarischen Dramatiker des 20. Jahrhunderts. Sein Studium der Rechtswissenschaft hing er zugunsten des Journalismus an den Nagel. Bald verfasste er auch Dramen, Romane und Erzählungen. 1906 erschien sein Jugendroman »Die Jungen von der Paulstraße«, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und mehrmals verfilmt wurde. 1937 floh er zunächst in die Schweiz und mit Kriegsbeginn von dort nach New York. Am 1. April 1952 verstarb er im Exil.

I.


Um dreiviertel Eins, gerade in dem Augenblick, als am Katheder des Lehrsaales für Physik nach langen und vergeblichen Versuchen endlich mit Müh und Not, als Belohnung erregter Erwartungen, in der farblosen Flamme der Bunsenlampe ein herrlicher smaragdgrüner Streifen aufleuchtete – zum Zeichen, dass eine gewisse chemische Verbindung, von der der Herr Professor nachweisen wollte, dass sie die Flamme grün färbe, dies auch wirklich tat – wie gesagt: Um dreiviertel Eins, genau in dieser Minute des Erfolgs erklang vom Hofe des Nachbarhauses ein Leierkasten und machte allem Ernst mit einem Schlag ein Ende. An diesem warmen Märztag standen die Fenster angelweit offen und die Musik flatterte auf den Flügeln des Frühlingshauchs in den Lehrsaal. Es war eine heitere ungarische Melodie, die aus dem Leierkasten heraus wie ein Marsch klang, mit so viel Tschintatratta und so übermütig, dass die ganze Klasse am liebsten gelächelt hätte, ja es fanden sich auch einige, die wirklich lächelten. In der Bunsenlampe flackerte der grüne Streifen lustig, und einige Jungen in der ersten Bank rissen darüber Augen und Mund auf. Aber die andern schauten zum Fenster hinaus, durch das man die Dächer der benachbarten kleinen Häuser sehen konnte und in der Ferne, im Sonnenglanz des Mittags gebadet, den Kirchturm, auf dessen Uhr der große Zeiger sich in tröstlicher Weise dem Zwölfer näherte. Und wie sie hinaushorchten, drangen, zugleich mit der Musik, auch andere nicht hieher gehörige Klänge in den Saal. Man vernahm das Trompeten der Pferdebahn, in irgendeinem Hof trällerte ein Dienstmädchen, aber eine ganz andere Melodie, als die der Leierkasten spielte. Und die ganze Klasse geriet in Bewegung. Einige begannen in den Büchern zu kramen, die Ordnungsliebenden wischten ihre Federn ab, Boka verschloss sein kleines, mit rotem Leder überzogenes ­Taschentintenfass, das so geschickt konstruiert war, dass die Tinte niemals daraus floss, außer, wenn man es in die Tasche steckte, Csele packte die Blätter zusammen, die ihm statt der Bücher dienten, denn Csele war ein Geck, der nicht, wie die andern, den ganzen Pack Bücher unter die Achsel steckte, sondern gewöhnlich nur die notwendigen Blätter mitbrachte, auch diese sehr sorgfältig in den äußeren und inneren Taschen verteilt, Csónakos, der in der letzten Bankreihe saß, gähnte gewaltig wie ein gelangweiltes Nilpferd, Weiß kehrte seine Taschen nach außen und verstreute daraus sämtliche Krumen, welche von der Semmel geblieben waren, die er in der Zeit von 10 bis 1 brockenweise aus seiner Tasche herauszuessen pflegte, Geréb begann mit den Füßen unter der Bank zu scharren, wie einer, der im Begriff ist, aufzustehen, und Bara­bás breitete unter der Bank ganz schamlos das Wachstuch auf seinen Knien aus, räumte die Bücher der Größe nach ein, und schnürte sie mit einem Riemen so kräftig zu, dass die Bank krachte und er ganz rot wurde – mit einem Wort, alle trafen ihre Vorbereitungen zum Weggehen, und nur der Herr Professor wollte keine Notiz davon nehmen, dass in fünf Minuten die Stunde zu Ende sein würde, denn der Herr Professor ließ seinen sanften Blick über die vielen kleinen widerspenstigen Kinderköpfe gleiten und sagte:

»Was gibt’s?«

Darauf trat eine große Stille ein. Eine Mäuschenstille. Barabás ließ notgedrungen den Riemen fahren, Geréb zog die Beine ein, Weiß kehrte die Taschen wieder nach innen, Csónakos hielt die Hand vor den Mund und beendete sein Gähnen hinter dem Handteller, Csele ließ die »Blätter« in Frieden, Boka verschloss rasch den roten Tintenbehälter, aus dem, sowie er die Tasche fühlte, sofort die schöne blaue Anthrazentinte heraussickerte.

»Was gibt’s?«, fragte der Herr Professor und in diesem Augenblick saßen sie alle regungslos auf ihrem Platz. Dann blickte er nach dem Fenster, durch das die Klänge des Leierkastens unbekümmert hereintönten, als wollte der damit zu verstehen geben, dass er der Schuldisziplin nicht unterworfen sei. Trotzdem warf der Herr Professor in die Richtung des Leierkastens einen strengen Blick und sagte:

»Csengey, schließ das Fenster.«

Csengey, der kleine Csengey, der »Erste der ersten Bank«, erhob sich, ging mit seinem ernsten strengen kleinen Gesichtchen zum Fenster und schloss es.

In diesem Augenblicke beugte sich Csónakos aus der Bank vor und flüsterte einem kleinen blonden Knaben zu:

»Achtung, Nemecsek!«

Nemecsek schielte nach hinten und blickte dann auf den Fußboden. Ein kleines Papierkügelchen rollte zu ihm heran. Er hob es auf, und entfaltete es. Auf der einen Seite stand geschrieben: »An Boka weiterzugeben.«

Nemecsek wusste, dass dies nur die Adresse sei, und dass der Brief selbst, die eigentliche Mitteilung, sich auf der andern Seite des Papiers befinde. Aber Nemecsek war entschieden ein charaktervoller Mann und wollte einen Brief nicht lesen, der an einen andern gerichtet war. Also drehte er das Papier wieder zu einem Kügelchen, wartete den geeigneten Augenblick ab, beugte sich in die durch die beiden Bankreihen gebildete Gasse und flüsterte:

»Achtung, Boka!«

Und jetzt blickte Boka auf den Fußboden, der die regelmäßige Verkehrsstraße aller Handelsgeschäfte bildete. Das kleine Papierkügelchen kam angerollt. Auf der andern Seite, also auf der Seite, die der blonde Nemecsek aus Ehrgefühl nicht gelesen hatte, stand geschrieben:

»Nachmittags drei Uhr, Generalversammlung. Wahl des Präsidenten auf dem Grund. Kundzumachen.«

Boka steckte das Papier ein und schnürte noch ein letztes Mal an seinen eingepackten Büchern. Es war ein Uhr. Die elektrische Uhr begann zu schnurren und jetzt wusste auch der Herr Professor, dass die Stunde zu Ende sei. Er drehte die Bunsenlampe ab, bezeichnete die Lektion und begab sich in den Saal für naturgeschichtliche Präparate, aus dessen Türe jedes Mal beim Öffnen ausgestopfte Tiere und Vögel mit starren Glasaugen von den Postamenten herabglotzten, und in dessen einer Ecke still aber würdevoll, das Rätsel der Rätsel, der Schrecken der Schrecken, ein vergilbtes menschliches Skelett sich aufreckte.

In einem Augenblick hatte die Klasse den Saal geräumt. In dem großen, säulengeschmückten Treppenhaus entstand ein wildes Rennen, das sich nur dann zum Laufen mäßigte, wenn die hohe Gestalt eines Professors in dem summenden Gewoge der Kinder auftauchte. Dann wurde gebremst, für einen Augenblick trat Stille ein, aber so wie der Professor um eine Ecke verschwand, begann das Wettrennen die Stiege hinab von Neuem.

Die vielen Kinder strömten aus dem Tor. Ein Teil wandte sich nach rechts, der andere nach links. Wenn Professoren erschienen, flogen die kleinen Hüte von den Köpfen. Und alle trabten abgespannt und hungrig die sonnige Straße dahin. Die Benommenheit in ihren Köpfen verflüchtigte sich nur allmählich angesichts der vielen heiteren und lebendigen Sehenswürdigkeiten der Straße. Wie befreite kleine Gefangene taumelten sie in der frischen Luft und im Sonnenschein dahin, schlenderten sie durch die lärmende, arbeitende Stadt, die für sie nichts anderes war, als ein Wirrwarr von Wagen, Pferdebahn, Straßen und Geschäften, aus dem sie den Weg nach Hause finden mussten.

Csele feilschte bereits in einem benachbarten Haustor um türkischen Honig. Der Honighändler hatte nämlich die Preise unverschämt hinaufgeschraubt. Auf der ganzen Welt kostet der türkische Honig bekanntlich einen Kreuzer. Das ist so: Der Honighändler nimmt ein kleines Beil und so viel er von der großen weißen, mit Haselnüssen bespickten Masse auf einen Hieb abschlägt, kostet einen Kreuzer. Wie unter dem Haustor eben alles einen Kreuzer kostet, er ist dort die Preiseinheit. Einen Kreuzer kosten drei auf ein Holzstäbchen gespießte Pflaumen, drei halbe Feigen, drei Prünellen, drei halbe Nüsse, alle in gesponnenen Zucker getaucht. Einen Kreuzer kostet ein großes Stück Bärenzucker und auch ein Stück Gerstenzucker kostet einen Kreuzer. Ja, sogar »Studentenfutter« kostet einen Kreuzer, das, in kleine Tüten gepackt, zu den schmackhaftesten Gemischen gehört. Es gibt darin Haselnüsse, Rosinen, Malagatrauben, Bonbons, Mandeln, Straßenstaub, Bruchstücke von Johannisbrot und Fliegen. So umfasst das Studentenfutter für einen Kreuzer sehr viel Produkte der Industrie, der Pflanzen- und der Tierwelt.

Csele feilschte, denn der Honighändler hatte die Preise erhöht. Die Kenner der Gesetze des Handels wissen, dass die Preise steigen, wenn das Geschäft mit einem Risiko verbunden ist. So zum Beispiel sind die asiatischen Teesorten teuer, weil sie von Karawanen gebracht werden, die durch Gegenden ziehen, wo Räuberbanden hausen. Dieses Risiko müssen wir Westeuropäer bezahlen. Der Verkäufer des türkischen Honigs hatte ohne Zweifel Geschäftsgeist. Man wollte dem Armen den Handel in der Nähe der Schule verbieten. Wenn man ihn abschaffen wollte, so würde das auch geschehen, das wusste der arme Mensch und auch, dass er trotz seinem großen Vorrat an Süßigkeiten die vorübergehenden Professoren nicht so süß anlächeln konnte, dass sie in ihm nicht doch den Feind der Jugend gesehen hätten.

»Die Kinder geben bei dem Italiener ihr ganzes Geld aus« –, sagten sie. Und der Italiener fühlte, dass seinem Handel in der Nähe des Gymnasiums kein langes Leben beschieden sein würde. Also erhöhte er die Preise. Wenn man ihn aber schon nötigte, seinen Platz zu räumen, sollte es wenigstens mit Gewinn geschehen. Er erklärte also dem Csele:

»Bisher kostete alles einen Kreuzer, von nun an aber zwei Kreuzer.«

Während er diese Worte mühsam in der ihm fremden Sprache hervorbrachte, fuchtelte er wild mit dem kleinen Beil herum. Geréb flüsterte Csele zu:

»Wirf...

Erscheint lt. Verlag 18.1.2023
Übersetzer Edmund Alzalay
Sprache deutsch
Original-Titel A Pál utcai fiúk
Themenwelt Literatur Klassiker / Moderne Klassiker
Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte 2023 • ab 10 • Die rote Zora • eBooks • Erich Kästner • Huckleberry Finn • Jugendbanden • Jugendbuchklassiker • Kinderbande • Kinderbuch ab 10 Jahren • kinderbücher ab 10 jahren • Kinderbuchklassiker • Kinderbuch Österreich • Kinderkrimi • Krieg der Knöpfe • Neuerscheinung • Tom Sawyer • ungarische Klassiker
ISBN-10 3-641-30403-2 / 3641304032
ISBN-13 978-3-641-30403-4 / 9783641304034
Haben Sie eine Frage zum Produkt?
EPUBEPUB (Wasserzeichen)
Größe: 2,4 MB

DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasser­zeichen und ist damit für Sie persona­lisiert. Bei einer missbräuch­lichen Weiter­gabe des eBooks an Dritte ist eine Rück­ver­folgung an die Quelle möglich.

Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belle­tristik und Sach­büchern. Der Fließ­text wird dynamisch an die Display- und Schrift­größe ange­passt. Auch für mobile Lese­geräte ist EPUB daher gut geeignet.

Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise

Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.

Mehr entdecken
aus dem Bereich
Roman

von Iris Wolff

eBook Download (2024)
Klett-Cotta (Verlag)
18,99