Das Geheimnis von Wishtide Manor / Die Schatten von Freshley Wood / Die Intrigen am King's Theatre - Drei Romane in einem Band (eBook)
1168 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491790-0 (ISBN)
Kate Saunders: erfolgreiche Autorin zahlreicher Romane und Kinderbücher, für die sie - auch in Deutschland - ausgezeichnet wurde. Als Journalistin und Rezensentin schrieb sie u.a. für die »Sunday Times« und »Cosmopolitan«, war als Jurorin tätig und arbeitete für das Radio. Die Londonder Autorin verstarb 2023. Literaturpreise: ?Die genial gefährliche Unsterblichkeitsschokolade?: Ulmer Unke 2015
Kate Saunders ist erfolgreiche Autorin zahlreicher Romane und Kinderbücher, für die sie - auch in Deutschland - ausgezeichnet wurde. Als Journalistin und Rezensentin schreibt sie u.a. für die »Sunday Times« und »Cosmopolitan«, ist als Jurorin tätig und arbeitet für das Radio. Sie ist begeisterte Londonerin.
Eins
Es war ein heller, windiger Oktobermorgen, und Mrs Bentley und ich standen unten in der Küche und buken Kaninchenpastete. Die Kaninchen hatte uns Mrs Bentleys jüngerer Sohn geschenkt, dessen Tochter ich zu einer respektablen Anstellung bei den Mayburys in Finchley verholfen hatte, und als der Türklopfer pochte, steckte ich bis zu den Ellbogen in Mehl.
»Verflixt!« Mrs Bentley ließ die Kartoffel fallen, an der sie gerade herumschnitzte (sie war unendlich geduldig darin, die schwarzen Stellen zu entfernen). »Erwarten Sie heute noch jemanden, Ma’am?« Sie stand auf und spähte aus dem Fenster. »Es ist Watson – aus Mr Tysons Büro!« Ihre hellen Augen funkelten plötzlich so wach und aufmerksam wie die eines Eichhörnchens. »Soll ich ihn gleich herunterbitten?«
»Ja, gern.« Ich rollte den Teig aus und war froh, meine Arbeit nicht wegen eines offiziellen Besuchs unterbrechen zu müssen, was Händewaschen, Haarebürsten und das Abnehmen meiner groben Schürze bedeutet hätte. Trotz meiner »reduzierten« Verhältnisse (bei diesem Ausdruck muss ich immer an Soßen denken), fühlte sich die Frau des Pfarrers zu gelegentlichen Besuchen verpflichtet; auch war ich Mitglied einiger wohltätiger Verbände. Zwar wussten alle, wie reduziert ich lebte, wären aber sicher schockiert gewesen, mich mit aufgerollten Ärmeln beim Kochen anzutreffen.
»Nun, ich hoffe, das bedeutet, dass Mr Tyson wieder einen Auftrag für Sie hat.« Eifrig winkte Mrs Bentley unseren Gast herein, und als ich die eisenbeschlagenen Stiefel auf der Treppe hörte, spürte ich eine ahnungsvolle Vorfreude. Watson war ein behördlich zugelassener Kurier der Kanzlei meines Bruders, und dass er auf den weiten Weg von Lincoln’s Inn nach Hampstead geschickt worden war, konnte nur bedeuten, dass es einen neuen Fall gab.
»Guten Morgen, Mrs Rodd.« Watson zog den verfilzten Hut vom Kopf; er war ein gedrungener, grauhaariger, leicht knurriger Mann mit einem langen Kapuzenmantel, der aussah und roch wie eine Pferdedecke. »Ich bringe Nachricht von Mr Tyson, Ma’am, und soll auf Antwort warten.«
»Danke, Watson.« Ich klopfte meine mehlbestäubten Hände an der Schürze ab und nahm das Papier entgegen. »Bitte setzen Sie sich doch und ruhen ein paar Minuten aus – Mary, schenken Sie dem Mann ein Glas Bier ein.«
»Das ist überaus freundlich, Ma’am.« Obschon nicht besonders groß, schien Watson durch den Geruch kalten Tabaks, der von ihm ausströmte, den ganzen Raum und gar das ganze Haus auszufüllen; ich würde später gut durchlüften müssen.
Die Nachricht war wie üblich knapp: »Liebe Letty! Eine Angelegenheit bedarf der Erörterung. Meine Kutsche kommt um fünf. M. herzl. Gruße, F.«
Ich schrieb eine gleichermaßen knappe Antwort: »Lieber F! Stets zu treuen Diensten, L.«
Diskretion war ein Grundstein meiner Arbeit; Fred und ich überlegten mit Bedacht, was wir zu Papier brachten.
Watson leerte sein Bier und war kaum aus der Tür, als Mrs Bentley schon eifrig nachfragte: »Und, Ma’am? Ein weiterer Fall?«
»So sieht es aus.«
»Ich drücke die Daumen und hole gleich Ihr gutes schwarzes Seidenkleid aus dem Schrank.«
»Ja bitte, Mary, das ist lieb von Ihnen.«
»Werden Sie dort auch zu Abend essen? Dann können wir die Kaninchenpastete für morgen aufheben.«
»Seien Sie nicht albern – was wollen dann Sie essen?«
»Ich röste mir den letzten Kanten Brot mit Käse; das ist für einen mehr als genug.« Sie streute Salz und weißen Pfeffer in ihre Schüssel mit Fleisch und Gemüse. »Ich frage mich, was es diesmal sein wird.«
»Das würde ich auch gern wissen, aber Mr Tyson hat keine Details verraten, also ist es zwecklos, darüber zu spekulieren.«
»Das Geld kommt gerade recht, so viel ist sicher – mit den restlichen Rücklagen hätten wir es bis zum nächsten Quartalstag nicht geschafft. Die Bradshaw-Geschichte ist Monate her, und Sie haben nicht genug dafür genommen.«
»Das war leichte Arbeit; ich musste lediglich ein paar Briefe abfangen.« Im Frühjahr hatte ich aufgedeckt, dass die jüngste Tochter der Bradshaws mit ihrem Tanzlehrer hatte durchbrennen wollen; man könnte sagen, meine Arbeit bestand darin, Skandale zu verhindern und zu vertuschen (mein Bruder machte sich gern einen Spaß daraus, Reklameverse für meine Dienste zu ersinnen – etwa: »Ruf gerettet, vor Sünde bewahrt – Verfehlung behoben, Blamage erspart!«).
»Auf jeden Fall war es furchtbar langweilig«, kommentierte Mrs Bentley. »Ich hoffe, die Schandtaten haben dieses Mal mehr Format.«
»Mary!«
»Ich wünsche der Welt durchaus nicht noch mehr Sünde, Ma’am, aber da das Schlechte mit Sicherheit nicht ausstirbt – warum sollten nicht wir uns seiner annehmen dürfen? Sie sind zu nett, vermaledeit noch eins! Und zu bescheiden, um mehr Geld zu verlangen, wo andere sich nicht zu fein sind, Sie zu betrügen.«
Übermäßige Vertraulichkeit ist bei einer Bediensteten ein schlimmes Übel; das war eine der ersten Regeln, die ich all meinen Hausmädchen hatte eintrichtern müssen. »Wenn ihr einen derartigen Ton anschlagt, werdet ihr nie aus der Spülküche herauskommen«, hatte ich stets gemahnt, »und bis zum Jüngsten Tag die Mangel drehen.« Aber Mary Bentley war für mich mehr als eine Bedienstete. Mary Bentley war eine Freundin, der ich mein Leben anvertrauen würde, und sie besaß außerdem eine gute Portion gesunden Menschenverstand. Ihr scharfer Blick für menschliche Falschheit war in all meinen Fällen von unschätzbarem Wert gewesen.
Seit über zwei Jahren wohnte ich mit ihr in diesem rußigen kleinen Häuschen in Hampstead. Als ich es das erste Mal besichtigte, war gerade mein Ehemann verstorben und unser Haus in Bloomsbury ausgeräumt und verkauft worden. Ich hatte nach einem bescheidenen Quartier in der Nähe meines Bruders gesucht, im beschaulichen Highgate jedoch nichts Passendes gefunden, das ich mir hätte leisten können (Fred konnte mich nicht unterstützen, da die verschwenderische Haushaltsführung seiner Frau sein Einkommen bis auf den letzten Penny vertilgte). Also hatte ich mein Glück im etwas belebteren Hampstead mit seinen günstigeren Unterkünften versucht.
Well Walk war eine an Alltagen geschäftige Straße, und Mrs Bentleys Haus lag quasi neben einer Schänke. Im ersten Moment hielt ich es für unvorstellbar, in dieser schäbigen kleinen Behausung zu wohnen, an der den ganzen Tag über Karren und Kutschen vorbeirumpelten. Ich bemühte mich sehr, mein Schicksal mit Fassung zu tragen, und schmeichle mir, dass Stolz nicht zu meinen vorherrschenden Sünden zählt, aber damals, an jenem trüben düsteren Morgen im Februar, spürte ich deutlich, wie tief ich gefallen war. Es hätte Matt viel Kummer bereitet, mich so zu sehen. Ich hatte die Zähne zusammengebissen, so wie jeder es von mir erwartete, doch es gab Zeiten, da mich Sehnsucht und Einsamkeit so sehr quälten, als führe mir ein Messer ins Herz.
Ich stand also vor dem unseligen Haus, und eine kleine, einfache Frau öffnete die Tür. Auf den ersten Blick erschien sie mir uralt. Die feinen Krisselhaare unter der Haube waren schlohweiß, ebenso ihre Brauen und Wimpern, und in den blassen Augen schimmerte nur noch ein Anflug von Blau. Allerdings wirkte sie putzmunter und energisch, und einfach nur blass in der Art, wie hellhäutige Menschen und weiße Mäuse eben blass sind. Früher einmal (wie sie mir später erzählte) war ihr Haar flammend rot gewesen. Auch ihre fünf Söhne und der gesamte Stamm an Enkelkindern waren rothaarig: von Golders Green bis Kentish Town hatte sie in allen Dörfern nördlich von London für leuchtende Akzente gesorgt.
Mrs Bentley war sehr gesprächig, und während ich den Kamin im kleinen Salon begutachtete, erzählte sie mir, sie habe vor vielen Jahren einige Zimmer an den Dichter John Keats vermietet.
Darauf war ich nicht gefasst. Vom Verlust des Mannes, den ich als die Hälfte meiner Seele empfand, war ich dermaßen angeschlagen, dass mich eine Welle der Sehnsucht überkam. Matt hatte eine Schwäche für Poesie gehabt, von der ich oft behauptet hatte, sie sei für einen Archidiakon nicht angemessen. Allerdings sagte ich das immer nur im Scherz, denn gerade unsere gemeinsame Schwäche für Poesie war es gewesen, die uns zusammengebracht hatte. Ich spürte wieder die Zweiundzwanzigjährige in mir, die sich durch die langen Sommertage unserer Verlobungszeit hindurchträumte und Matts Briefe las, übervoll mit romantischen Zitaten von Wordsworth, Crabbe und Young, vor allem aber Keats, dem größten Romantiker unter ihnen, dessen Verse er besonders liebte.
Nun war Matt, mein »glänzender Stern«, nicht mehr zugegen, ganz so, als hätte er nie existiert, und ich war eine arme, kinderlose Witwe von zweiundfünfzig Jahren. Zu meiner großen Beschämung musste ich feststellen, dass ich weinte.
»Na, na, Ma’am«, sagte Mrs Bentley.
Sie ignorierte meinen schwachen Protest, führte mich in die Küche, in der ein kleines Feuer brannte, und sagte, sie habe etwas, »um die Kälte zu vertreiben«.
Ja, eine Tasse Tee sei höchst willkommen, schniefte ich.
»An Tee hatte ich nicht gedacht.«
Mary Bentley goss heißes Wasser in einen Krug mit Brandy, gab einen Teelöffel Zucker dazu, und die so erzeugte innere Wärme versetzte uns in einen Zustand der Vertrautheit. Prompt erzählte ich vom plötzlichen Tod meines Mannes und dass der Gute nie dazu gekommen war, einen Fonds für meine Lebensrente anzulegen. Mrs Bentley erzählte von ihrem Rheumatismus, der es ihr verbot, ihre Zimmer an jemand Anspruchsvolleren als eine einzelne...
Erscheint lt. Verlag | 1.12.2022 |
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Übersetzer | Annette Hahn |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • Anne Perry • Bestseller-Autorin • Bundle • diskrete Ermittlerin • ebook bundle • England • Englisches Landhaus • Fall für Laetitia Rodd • Historischer Kriminalroman • Kriminalroman • Laetitia Rodd • London • Mord im Pfarrhaus • Mord im Theater • Oxford • Pfarrerswitwe • Richard Osman • Spannung • viktorianische Ermittlerin |
ISBN-10 | 3-10-491790-6 / 3104917906 |
ISBN-13 | 978-3-10-491790-0 / 9783104917900 |
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