Als sie das Leben träumten (eBook)

Haus der Freundinnen (2)
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
300 Seiten
Edition Texte & Tee (Verlag)
978-3-7546-8058-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Als sie das Leben träumten -  Anni Bürkl,  Katharina Schöndorfer
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Wien, 1958. 13 Jahre nach dem Krieg, 3 Jahre nach dem Staatsvertrag. Das Leben wird besser, die Freundinnen um Loretta atmen auf. Paulas Tochter Irene will reisen, hinaus aus der Hausbesorgerwohnung ihrer Mutter und die weite Welt kennenlernen. Eine Stelle als Sekretärin bei Steiner Reisen macht den Anfang. Mit dem Wirtschaftswunder und dem Staatsvertrag haben immer mehr Menschen Geld und Interesse und das Reisebüro macht gute Geschäfte. Man ist wieder wer. Italien hat es Irene angetan, der Kaffee, die Wärme, das Dolce-Vita und die Burschen auf ihren Vespas. Sie tanzt mit ihrer neuen Freundin Gitte zu wilden Ryhtmen im öffentlichen Raum, trägt Petticoat und sehnt sich danach, von zuhause auszuziehen. Da steht ein junger Mann mit Elvis-Tolle vor ihrer Tür und behauptet, ihr Bruder Emil zu sein. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach ihrem Vater Oskar und landen in Tirol. Doch das Schweigen auf ihre Fragen ist ohrenbetäubend und noch ist nicht klar, wem Irene trauen kann und wem nicht ... denn statt Antworten auf ihre Fragen findet sie zunächst die Liebe, doch der Weltkrieg hat bei allen Spuren hinterlassen.

Anni Bürkl ist Wienerin

Anni Bürkl ist Wienerin

Irene


Wien, Frühjahr 1958

Ich werde es tun.

Ich werde jetzt da reingehen.

Ich werde mein Leben ändern.

Und dann die Welt kennenlernen!

Irene starrte das große Bild eines regenbogenbunten Bootes in blauem Wasser an, das die Geschäftsauslage vor ihr schmückte. Daneben hingen Darstellungen von Palmen und fröhlichen, sonnengebräunten Menschen im Badegewand. Eine knapp bekleidete Frau mit einem spitz zulaufenden Strohhut hielt einen bunten Ball unter dem Arm. Das Meer. Da wollte Irene hin! Sie meinte, die Wellen rauschen zu hören, und wie die Palmen im Wind raschelten. Ob das so klang wie bei den Bäumen in Wien? Sie wollte es selbst hören, sich hineinschmiegen in die neue Erfahrung.

Wie sich die südliche Sonne wohl im Gesicht anfühlte? Italien! Frei sein, das wollte Irene, in die Welt hinaus, das Leben an jeder Zelle ihres Körpers spüren. Sie wollte alle Farben sehen, alle Tonlagen spüren, die die Welt bereit hielt. Es gab doch mehr als ihre Heimatstadt Wien, die sich grau und kühl anfühlte und immer so nach Moll klang. Welche Melodien würde die Sonne Griechenlands wohl in ihr auslösen? Und wie würden die Farben des Orients klingen? Und wie schmeckten die Speisen noch fernerer Orte, wie war es in der Südsee, die sie nur aus Abenteuerromanen kannte? Ihre Haut wollte mit der Wärme tanzen, schon ihr ganzes Leben lang sehnte sie sich danach ganz besonders. Seit sie denken konnte, war ihr immer etwas zu kühl. Sie hatte sich so auf den Frühling gefreut, doch erst gestern Abend war ein wolkenbruchartiger Schneesturm über Wien gefegt, dessen Reste noch zu sehen waren, die Schneehaufen wurden zu Rinnsalen aus Tauwasser. Irene fror, von den Haarspitzen bis zu den klammen Füßen sehnte sich ihr Körper nach Wärme. Das Salzwasser wollte sie auf der Haut spüren. Den Sandstrand riechen. Sich von den wilden Wogen umarmen lassen, mit ihnen singen und jubeln. In die Weite wollte sie schauen können, das Grau und die Enge, das Ewiggleiche hier hinter sich lassen, und die blöden Stiefel sowieso.

Sie starrte ihr Spiegelbild an, das das Bild vom Meer hinter der Scheibe teils verdeckte. Dann den goldenen Türgriff. Sollte sie wirklich …? Beim Gedanken, was da drin passieren mochte, bekam sie kaum noch Luft. Ein paar Schweißtropfen traten trotz der Kälte auf ihre Stirn.

Sie gab sich innerlich einen Ruck.

Auf eine solche Chance hast du gewartet!

Irene hatte neulich ein Gespräch zwischen einigen Nachbarinnen mitgehört. Die alte Friseurin Frau Blüml hatte mit der noch älteren Frau Grünberg und zwei anderen über Herrn Steiner getuschelt. Ganz vergnügt hatten die vier Damen ausgesehen, als sie den Gang mit dem braunen Boden und den grau gestrichenen Wänden hinter dem Haustor verstellten und die Köpfe schüttelten.

„Stellen Sie sich vor, Steiner Reisen muss schon wieder eine neue Mitarbeiterin suchen.“ Frau Blüml hatte sich noch näher zu den anderen gebeugt, ihre auftoupierten, dünnen weißen Haare hatten verschwörerisch gewippt. Die Nachbarinnen raunten im Chor. „Bei dem hält es keine lang aus“, hatte Irene herausgehört. Die Frauen hatten verstohlene Blicke zu ihr geworfen, und als Irene näher gekommen war, waren sie abrupt verstummt und hatten stattdessen sie gemustert. Und sie hatte sich schnell vorbeigedrückt.

Natürlich wusste Irene auch so, wer Herr Steiner war und dass ihm ein Reisebüro in der Wiener Innenstadt gehörte, unweit der Universität. Er hatte früher ebenfalls in dem alten Zinshaus aus der Gründerzeit gelebt, in dem Irene mit ihrer Mutter Paula, der Hausbesorgerin wohnte. Die alten Damen des Hauses waren mit ihm gut bekannt, von Frau Blüml ließ sich Steiner weiterhin die Haare schneiden. Und jetzt redete sie offenbar schlecht über ihn. Um was es wohl ging? War er so ein strenger Chef, weshalb das Personal häufig wechselte? Zahlte er schlecht? Oder vielleicht ordnete er zu viele Überstunden an?

Irene starrte wieder das Reisebüro an, die meerblau gestrichenen Fenster- und Türrahmen, das wuchtige Firmenschild in goldenen Lettern. Sie zupfte an ihrem Kopftuch, das sie wie üblich trug.

Das gehört sich so!

Dabei fühlte es sich so gut an, die Haare frei im Wind zu spüren, auch wenn es kalt war. Nun gut, für diesen Anlass mochte es von Vorteil sein. Ebenso wie ihr gutes Kostüm aus grauem Wollstoff, das sonst nur am Sonntag getragen wurde. Der Rock reichte ihr bis weit übers Knie.

Nur Flittchen tragen was Kürzeres.

Und warum zeigten dann die Mannequins in den Zeitschriften ihre Beine?

Achte auf deinen guten Ruf.

Die Mutter hatte lauter so Sprüche drauf.

Setz dich anständig hin, Beine geschlossen!

Schau nicht so frech.

Die Klügere gibt nach.

So ging es den ganzen Tag. Das mochte ja alles früher einmal wichtig gewesen sein, aber für Irene ergab das heute keinen Sinn mehr. Mal stritt sie mit der Mutter darüber, mal ignorierte sie die Reden. Beim einen Ohr rein, beim anderen raus.

Normalerweise nahm Irene das Kopftuch ab, sobald sie ihr Wohnhaus verlassen hatte und in die Währinger Straße eingebogen war, um zur Arbeit in der Tabakfabrik zu gehen. Aber heute war nichts normal. Heute war Samstag und sie hatte sich einen freien Tag genommen, heimlich. Irene war 18 und sie hatte einen Plan. Und damit ihr Plan gelang, hatte sie sich heimlich aus der Wohnung gestohlen, während die Mutter etwas im Haus zu reparieren hatte. Irene wollte lieber erst über diese Sache reden, wenn sie ihr geglückt war.

Da war ihr ihr Vorhaben noch leichter erschienen als jetzt, wo es so weit war. Sie spürte, dass mehr in ihr steckte, aber noch stand sie vor der Tür und traute sich nicht, hineinzugehen. Was, wenn sie sich blamierte? Mit ihrer, nun ja, Absonderlichkeit? Oder ihren leider gut getragenen Kleidungsstücken? Was, wenn sie stolperte? Oder ihr schlecht wurde? Und alles sah so elegant hier aus. Sie fühlte sich unwohl und direkt fehl am Platz.

Nichts da. Augen zu und durch!

Irene spürte wieder die Sehnsucht beim Anblick der Bilder vom Meer, prüfte noch einmal ihr Aussehen, strich ihre Jacke glatt und öffnete mit einem tiefen Atemzug die Tür. „Grüß Gott.“ Glöckchen läuteten wie ein Versprechen, als sie die Tür wieder schloss.

Drei Angestellte saßen hinter einer Reihe von Schreibtischen und sahen bei Irenes Eintreten auf. Eine der Frauen hatte blonde Haare, in denen eine schwarze Masche steckte, eine trug ihre roten Locken offen und eine ältere Schwarzhaarige hatte ein paar graue Strähnen an der Stirn.

Tief durchatmend machte sich Irene so groß wie möglich, was leider nicht sehr groß war bei einem Meter und fünfzig Zentimetern Körpergröße. Da halfen ihr auch die fünf Zentimeter hohen Schuhabsätze nicht.

„Grüß Gott, wie kann ich Ihnen helfen?“ Die Rotgelockte deutete mit weißer, gepflegter Hand auf einen leeren blauen Sessel vor ihrem Schreibtisch, auf dem Rechenmaschine, Aktenordner und Papierstapel lagen. Auf einem Tischchen an der Seite stand eine Schreibmaschine. Ein rosiger Blumenduft schwebte durch den Raum.

Irene setzte sich auf die äußerste Kante und hielt sich so gerade, wie sie konnte, so hatte sie es gelernt. Sogar im Sitzen war sie kleiner als ihr Gegenüber.

„Ich komme wegen der Stelle“, sagte sie, so fest sie konnte und wäre vor Nervosität fast wieder aufgestanden.

„Aha.“ Die Frau warf ihrer schwarzhaarigen Kollegin einen Blick zu.

Diese nickte und stand auf. „Da müssen Sie zum Herrn Direktor.“ Todschick war diese Dame angezogen: ein schwarzes Kleid mit Glockenrock, ein breiter roter Gürtel, im Dekolleté schimmerte eine goldene Kette. Und sie war einen Kopf größer als Irene, die sich natürlich ebenfalls erhoben hatte. „Kommen Sie.“

Die Angestellte ging mit klackernden Absätzen ein paar Schritte auf eine Tür mit Glasfenster, verhängt mit einem hellblauen Vorhang, im...

Erscheint lt. Verlag 1.10.2022
Reihe/Serie Haus der Freundinnen
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Historische Romane
Schlagworte Freundinnen • Freundschaft • Fünfzigerjahre • Italien • Lebensborn • Liebe • Nachkriegszeit • Nazizeit • Petticoat • Reisen
ISBN-10 3-7546-8058-7 / 3754680587
ISBN-13 978-3-7546-8058-2 / 9783754680582
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