Aufklärung (eBook)

Ein Roman | Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2023 | »Angela Steidele bringt die Epoche der Aufklärung zum Leuchten.« Denis Scheck
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2022 | 1. Auflage
603 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-77493-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Aufklärung -  Angela Steidele
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Leipzig im 18. Jahrhundert, in seiner glänzendsten Zeit. Von den Messen tragen die Händler nicht nur Waren, sondern auch Ideen nach ganz Europa. Johann Sebastian Bach vermisst das Universum in Tönen, unterstützt von seiner Frau, der Kammersängerin Anna Magdalena, und seiner ältesten Tochter Dorothea. Derweil erforscht das Ehepaar Gottsched die deutsche Sprache und verbreitet unermüdlich das Licht der Aufklärung. Empört über die Biographie, die Johann Christoph Gottsched nach dem frühen Tod seiner Frau Luise veröffentlicht, beschließt Dorothea Bach, ihre eigenen Erinnerungen zu Papier zu bringen. Es war doch alles ganz anders mit Voltaire, Lessing und dem jungen Goethe! Schließlich leben wir im Zeitalter des hochgelahrten Frauenzimmers!


Leichthändig und heiter zeichnet Angela Steidele in ihrem Roman ein gewitztes Porträt der Aufklärung aus Frauensicht. Mitreißend erzählt sie von Musikern und Buchdruckern, Dichterinnen und Schauspielerinnen, von Turbulenzen des Geistes, wissenschaftlichen Höhenflügen und von der Weltweisheit in der Musik. Historisch versiert, unsere Gegenwart im Blick, schildert sie Schicksalsjahre einer Epoche, in der es kurz möglich schien, Frauen und Männer könnten gemeinsam die Welt zur Vernunft bringen.



Wissenschaftlich recherchieren &ndash; literarisch schreiben ist Angela Steideles Markenzeichen in Werken wie <em>Geschichte einer Liebe: Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens</em> (2010), <em>Anne Lister. Eine erotische Biographie</em> (2017), <em>Zeitreisen</em> (2018), <em>Poetik der Biographie</em> (2019) und <em>In M&auml;nnerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Linck alias Anastasius Rosenstengel, hingerichtet 1721</em> (2021). F&uuml;r ihren Roman <em>Rosenstengel</em> (2015) erhielt sie den Bayerischen Buchpreis. <em>Aufkl&auml;rung. Ein Roman</em> war 2023 f&uuml;r den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert und wurde mit dem Klopstock-Preis f&uuml;r neue Literatur ausgezeichnet. Die Autorin, geb. 1968, lebt in K&ouml;ln.

Deutsche Gesellschaft


Zu meiner Überraschung bat Professor Gottsched mich kurz nach dem Streit zwischen Caroline Neuberin und Hanswurst Müller zur nächsten Sitzung der Deutschen Gesellschaft. Er habe gehört, dass ich gut lesbar schreibe und Herrn Zedler gelegentlich aushelfe. Ob ich nicht auch einmal für ihn protokollieren könne. Ich spürte Anna Magdalenas Blick im Rücken, als ich das Haus verließ. Sie hatte Christian an der Brust, ihren letzten Sohn.

Nach ihren Statuten traf sich die Deutsche Gesellschaft immer im Haus ihres Seniors, das heißt in der Wohnung der Gottscheds über Breitkopfs Druckerei. Ich freute mich, endlich einmal bei ihnen einzutreten. Der Professor hatte ja nie erfahren, dass seine Frau während der Arbeit am Weihnachtsoratorium bei uns ein und aus gegangen war, und hatte uns deshalb nie zu einem Gegenbesuch eingeladen. Leider ließ sich Mme Gottschedin dann aber gar nicht blicken. Der Professor höchstpersönlich nahm mich in Empfang und führte mich in sein Kollegienzimmer, wo schon etliche mir bekannte, einige unbekannte Herren sowie Mme von Ziegler saßen.

»Als Erstes wollen wir uns mit dem Aufnahmeantrag eines gewissen Angelus Stadeler aus Köln am Rhein beschäftigen. Hat jemand den Namen schon einmal gehört?«

Kopfschütteln und Schweigen in der Runde.

»Er will ein Buch über Leipzig um 1450 veröffentlichen und auf der Titelseite damit werben, Mitglied unserer Deutschen Gesellschaft zu sein. Wie verlangt, hat er das Manuskript zur Prüfung eingesandt.« Der Professor legte die Hand auf einen dicken Stapel eng beschriebener Blätter. »Ich habe das schon einmal durchgesehen und halte diesen Stadeler für einen Wackelkandidaten. Ich schlage vor, wir hören ein paar Seiten und diskutieren dann. – Jungfer Bachin, wenn Sie vielleicht lesen wollen?« Er schob mir den Stapel zu. Gott sei Dank bin ich immer eine gute Vorleserin gewesen. Muss man als Sängerin sein. Vielleicht machte mein Vortrag den Text sogar besser, als er war.

Als ich geendet hatte, blieb es ein Weilchen still, bis Ernesti das Wort ergriff. »Also, dieser Stadeler tut ja so, als ob er selber dabeigewesen wäre, vor dreihundert Jahren.«

»Ja, ist nicht ganz glaubwürdig.« Mizler wiegte seinen Kopf. »Einerseits. Andererseits wirkt es aber sehr unmittelbar, lebendig. Ich hätte gerne noch weiter gehört.«

»Aber ist das legitim, Geschichte so zu erzählen?« Winkler zog das Manuskript zu sich.

»Ist es denn Geschichte? Sind doch mehr so Geschichten.«

»Ein Dichter darf zwar nicht grob gegen die historische Überlieferung verstoßen, einige Freiheiten genießt er jedoch schon.« Der Professor dozierte wie vom Katheder. »Am besten ersinnt er eine zwar mögliche, aber nicht ganz so vorgefallene Begebenheit, mit berühmten Leuten aus der Vergangenheit, denen etwas Ähnliches begegnet ist und die seiner Erzählung ein gewisses Ansehen geben. Das ist wie bei meinem Cato: Tatsächlich wissen wir nicht, ob er eine Tochter hatte. Doch nur Cäsars Liebe zu ihr macht seinen Besuch im Palast des Feindes glaubhaft. Am glücklichsten greift der Dichter also zu historischen Persönlichkeiten, über die man wenig weiß: Da kann er in die Lücken der Überlieferung hineindichten.«

»Aber ist Stadelers Werk dann nicht eher ein Roman als ein Geschichtsbuch?«

»Und wenn dem so wäre, Herr Ludwig? Ich halte Romane für so unterschätzt wie Schauspiele. Die Dichtung kann und muss der Weltweisheit angehören, und daher sind solche Werke wie die von Stadeler zu begrüßen.«

»Finde ich auch«, pflichtete Mizler bei. »Poesie soll ja nicht nur ins Gehirn, sondern auch ins Herz dringen. Wenn Romane oder Tragödien die Zuschauer zu Tränen rühren, leisten sie mehr als jedes Geschichtsbuch. Das ist ja ihr großer Vorzug!«

»Gute und schlechte Beispiele finden wir in der Bibel zur Genüge, die müssen in Romanen und Theaterstücken nicht noch künstlich vermehrt werden.«

»Aber Ernesti«, widersprach Gottsched, »eben weil die Kunst auch sinnlich überwältigt, macht sie einen tieferen Eindruck als trockene moralische Betrachtungen oder gelehrte historische Werke. Wir müssen endlich auch die Dichtung zur Vervollkommnung des Menschen nutzen.«

Winkler sah von dem Manuskript hoch. »Leibniz hat sich nicht für die Dichtung interessiert. Machen wir uns nicht lächerlich, wenn wir einen Romanautor in die Deutsche Gesellschaft aufnehmen?«

»Wir müssen neue Wege gehen. Körper und Seele stehen in einer Wechselwirkung. Das sinnlich Schöne hat geistigen Wert. Es gibt eine Art intellektuelle Lust, sinnliche Erkenntnis. Die Schönheit, die Sinne, die Wahrnehmung … Ästhetik … Darüber muss ich mal in unserem Baumgarten nachdenken«, sagte Gottsched wie zu sich selbst. »Wir haben uns ein Fleckchen Grün vor der Stadt gekauft.«

Sollte ich das mit dem Baumgarten ebenfalls aufschreiben?

»Sinnliche Erkenntnis, jaja. Was nimmt sich eigentlich ein Kölner heraus, ein Buch über Leipzig zu verfassen?«

»Das ist jetzt aber kleinlich, Ernesti. Dann dürften wir Leipziger ja auch nicht länger über die ganze Welt schreiben.«

»Und wir lebten ja auch nicht in Leipzig vor dreihundert Jahren«, grinste Ludwig.

Mit sechs gegen vier Stimmen wurde Stadeler schließlich aufgenommen. Die Zieglerin hatte für ihn gestimmt.

»Nun müssen wir uns leider mit einem äußerst unangenehmen Thema beschäftigen. Es ist eine Schande, dass unsere Buchhändler die Sitten so wenig achten und sich nicht scheuen, alle Augenblicke Schmähschriften feilzubieten. Ein besonders loses Blatt verleumdet nun ausgerechnet unser verehrtes Mitglied Mme von Ziegler.«

Ach du liebe Zeit.

»Die Frage ist, wie unsere Deutsche Gesellschaft darauf reagieren soll.«

»Weiß man denn, wer dahintersteckt?«

»Nein.«

»Cui bono?«

Der Professor nahm mir sanft den Kiel aus der Hand und schrieb das auf. »Wer profitiert davon?«

Langes Schweigen. Da traute ich mich leise zu fragen: »Vielleicht jemand, der der Frau von Ziegler die öffentliche Ehrung und Anerkennung nicht gönnt, weil sie eine Frau ist?«

»Aber nicht doch. Wir leben schließlich im 18. Jahrhundert!« Mizler wirkte ehrlich empört.

»Man müsste mit der gleichen Munition zurückschießen.«

»Nein, Herr Ludwig«, sagte die Zieglerin bestimmt. »Wer grob und gemein zurückschreit, macht sich selbst hässlich und schändlich.«

Da meldete sich ein junger Mann, dessen Namen ich fürs Protokoll erst noch erfragen musste, Wolf Balthasar Adolf von Steinwehr. Er war also derjenige, der die Antrittsrede der Zieglerin in der Deutschen Gesellschaft damals vorgelesen hatte. »Vielleicht fände sich eine sehr noble Art zu antworten. Seit Madames Krönung sind ja bei uns unzählige Huldigungs- und Glückwunschgedichte aus ganz Deutschland und darüber hinaus eingegangen, aus Russland, aus Holland, ein gelehrter italienischer Aufsatz ist auch dabei. Wenn man all diese Verherrlichungen der Mme von Ziegler zusammenstellen und in einem hübschen Band veröffentlichen würde, wäre –«

»Steinwehr, das ist ja phantastisch«, fiel Gottsched ihm ins Wort. »Das mache ich!«

Leichte Unruhe entstand. Ich blickte von meinem Blatt hoch.

»Herr Professor –«

»Ja, Mizler?«

»Sie können das nicht machen. Nicht nach, äh, den Gerüchten, die –. Das wäre eine Vorlage für die Spötter.«

Ich wusste nicht, was ich davon ins Protokoll nehmen sollte.

»Warum macht es nicht Freund Steinwehr?«, schlug Winkler vor. »Der gibt doch schon die Neuen Zeitungen von gelehrten Sachen heraus und versteht sich auf so etwas.«

Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und die Sitzung beendet.

»Jungfer Bachin, bleiben Sie doch noch bitte einen Moment.«

Ernesti bekam die Aufforderung mit, was mir unangenehm war....

Erscheint lt. Verlag 12.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Schlagworte Académie-Francaise • aktuelles Buch • Alter Fritz • Angriffskrieg • Anna Magdalena Bach • Autokratie • autokratisch • Bach • Bachin • Bildung • Biografie • Biographie • Briefe • Buchdruck • bücher neuerscheinungen • Buchmesse • Chor • Christiane Marianne von Ziegler • Christian Fürchtegott Gellert • Deutsches Reich • Dichtung • Dorothea Bach • DramatikerIn • Emanzipation • Emilie du Chatelet • Erinnerung • Feminismus • Feministisch • Frauenemanzipation • Frauenzimmer • Freiheit • Freundin • Freundschaft • Friederike Caroline Neuber • Friedrich der Große • Friedrich II. • Gelehrsamkeit • Gelehrt • Gender • Gerechtigkeit • Gesang • Geschenk Freundin • Geschenk für Frauen • Geschlecht • Geschlechterrollen • Geschlechterverhältnis • Geschwister • Gotthold Ephraim Lessing • Gottsched • Gottschedin • Hanswurst • Hebamme • Heiliges Römisches Reich • Henriette von Runckel • Himmelfahrtsoratorium • Immanuel Kant • intellektuell • Johann Christoph Gottsched • Johann Jacob Bodmer • Johann Sebastian Bach • Johann Wolfgang Goethe • Klein-Paris • Klopstock • Kunst der Fuge • Kurfürst • leibniz • Leipzig • Lexikon • Louis XIV. • Luise Gottsched • Lustspiel • Maria Theresia • Matthäus-Passion • Neuberin • Neuerscheinungen • neues Buch • Oper • Operette • Orgel • Patriarchat • Picander • Preußen • Rousseau • Sängerin • Schaubühne • Schlesien • Schlesischer Krieg • Schwestern • Siebenjähriger Krieg • Sprache • Theater • Thomaner • Thomaskantor • Thomaskirche • Thomasschule • Tochter • Übersetzerin • Übersetzung • Vernunft • Voltaire • Weihnachtsoratorium • Weltweisheit • Zieglerin
ISBN-10 3-458-77493-9 / 3458774939
ISBN-13 978-3-458-77493-8 / 9783458774938
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