Zwischen Luxus und Lehmhütte -  Gabriele Lauterbach

Zwischen Luxus und Lehmhütte (eBook)

Unbequeme Reisen in die Welt der Entwicklungshilfe
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7562-7254-9 (ISBN)
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Zwischen Luxus und Lehmhütte Unbequeme Reisen in die Welt der Entwicklungshilfe Eine dokumentarische Erzählung Die Münchner Innenarchitektin Carla, die sich in einer NGO engagiert, erlebt auf ihren Projektreisen in den globalen Süden aufwühlende Situationen und trifft auf extreme Armut, Gewalt und eine ineffiziente Entwicklungshilfe. Gleichzeitig muss sie in ihrem Job die Luxuswünsche ihrer Kundschaft erfüllen. Wird sie den Spagat schaffen?

Gabriele Lauterbach, lebt am Bodensee, Studium der Kunstgeschichte, Archäologie und Neueren Geschichte in München und Italien. Tätigkeit in Galerien, einem Auktionshaus und als Kunstberaterin. Seit vielen Jahren Engagement in einer deutschen Stiftung, die weltweit soziale Projekte unterstützt. In diesem Zusammenhang zahlreiche Projektreisen in den globalen Süden zwischen 2009 und 2019.

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Deutschland


Mein Büro liegt in einem der luxussanierten Altbauten im Münchner Stadtteil Lehel. Steuer- und Anwaltskanzleien, Privatpraxen, Investment- und Verlagsbüros und andere potente Unternehmen verdrängen hier seit Langem den Wohnraum, und schicke Cafés, Bars und Restaurants ersetzen die Läden für den täglichen Bedarf.

Beim Eintreten in den Büroflur sehe ich durch die Flügeltüren, wie die herbstliche Morgensonne die hohen Räume mit ihren Stuckdecken und dem polierten Parkett durchflutet. Lisa, meine Assistentin, steht an der Kaffeemaschine und mahlt Kaffeebohnen aus Guatemala für unseren Morgenkaffee. Die übliche Routine. Wir besprechen den Tagesablauf, als mein Telefon klingelt.

Am Apparat meldet sich Uta. Mit ihr arbeite ich ehrenamtlich für eine deutsche NGO, die weltweit soziale Projekte im Bereich Bildung für Kinder und Frauen unterstützt. Zusammen organisieren wir Charity-Dinners, wir sammeln Spenden für die Projekte und nehmen an Tagungen zum Thema Entwicklungshilfe teil. Jetzt plant die NGO mehrere Reisen. Ich soll die Projekte besuchen und darüber berichten. Ob ich Lust und Zeit dazu hätte.

Das kommt überraschend, denn bisher war ich eher im Hintergrund tätig. Doch die Menschen vor Ort kennenzulernen, schauen, ob ein Projekt seinem Anspruch gerecht wird, in eine völlig andere Welt eintauchen, das stelle ich mir aufregend vor. Genau das Richtige, um meinem Alltagstrott und meiner Luxusblase für einige Zeit zu entrinnen. Ich sage spontan zu.

Erst nach dem Gespräch denke ich nach. Wie vermittle ich meinem Mann und meinen beiden Töchtern, dass ich in der nächsten Zeit öfter allein in ferne Länder reisen werde? Gut, die Kinder sind nicht mehr klein, sie sind zwölf und fünfzehn Jahre alt. Während ich mir eine Rechtfertigung und eine Erklärung für meine Familie überlege, erinnert mich Lisa energisch an das bevorstehende Meeting mit einer Kundin.

Ich kenne Hanna seit einigen Jahren, und wir duzen uns inzwischen. Was ich eigentlich bei Kundinnen und Kunden vermeide. Als Innenarchitektin half ich ihr beim Umbau und bei der Einrichtung ihrer Villa in Grünwald. In manchen Monaten sahen wir uns fast täglich, und es entstand eine gewisse Nähe.

Hanna umgibt sich gern mit neuen Dingen, dann ist sie zufrieden, zumindest kurzzeitig. Sie wechselt ihre Wohnaccessoires wie andere Leute die Kleidung. Rastlos wälzt sie Lifestyle-Magazine, um sich auf den neuesten Stand der Einrichtungstrends zu bringen.

Hannas Mann, ein erfolgreicher Bauunternehmer, überlässt, wie die meisten Ehemänner, die ich kenne, die Ausstattung ihres Hauses seiner Ehefrau. Er muss nur abnicken und bezahlen. Oft sind die Männer erleichtert, dass ihre Ehefrau eine Beschäftigung gefunden hat, die sie voll in Anspruch nimmt.

Jetzt braucht Hanna mal wieder Veränderung, wie sie sich ausdrückt. Neue Objekte. Neue Farben. Neue Vorhänge, Kissen, Teppiche. In ihrem Jargon arbeitet sie mit mir zusammen. Das soll suggerieren, dass sie immerhin auch etwas tut, etwas Kreatives. Sie ist nicht berufstätig, und den Haushalt erledigt eine Frau aus Polen. Hannas Hauptbeschäftigung, seit ihr erwachsener Sohn ausgezogen ist, beschränkt sich auf ein ausgiebiges Wellness- und Körperpflegeprogramm sowie intensives Shoppen in diversen Luxusgeschäften der Stadt. In ihren Lieblingsläden ist sie inzwischen mit allen Verkäuferinnen per Du. Dabei erscheint sie äußerst jovial und unterhält die Angestellten gern mit ihren Selbstdarstellungsstorys. Ich habe das Glück, dass sie meiner Dienstleistung sehr zugeneigt ist und immer wieder etwas Neues für ihr Haus und ihr Chalet in der Schweiz benötigt.

Die Neuanschaffungen präsentieren Hanna und ihr Mann bei diversen Einladungen in ihrem großen Freundes- und Bekanntenkreis. Mit ihrem Besitz ernten sie Anerkennung und Bewunderung, und er bestätigt ihnen den erwünschten sozialen Status. Diese Art Kundschaft sichert mir ein konstantes Einkommen und mein wirtschaftliches Überleben.

Hanna erscheint in perfekt gestyltem Outfit und in überdreht aufgekratzter Laune. Anscheinend hat sie kurz vorher wieder ein paar Amphetamine geschluckt. Mit einer nervösen Handbewegung streicht sie sich die schulterlangen schwarzen Haare aus dem Gesicht, sie wirft den Kopf zurück und lässt sich auf meinem Le-Corbusier-Zweisitzer nieder. Sie zeigt mir stolz die neueste Errungenschaft von ihrer letzten Shoppingtour durch Florenz: eine Handtasche von Gucci. Ausführlich schwärmt sie von ihren florentinischen Einkäufen. Nebenbei kramt sie ihr Handy aus der Tasche und sucht nach Fotos. »Weißt du, Florenz hat mich so inspiriert, ich brauche einfach wieder was Neues in unseren vier Wänden«, sprudelt sie los und lacht.

»Was hast du dir denn alles angeschaut in Florenz? Die Uffizien, die Accademia, San Miniato al Monte oder den Boboli-Garten?«, frage ich neugierig.

»Für Besichtigungen fehlte mir leider die Zeit. Ich wollte nur die Atmosphäre der Stadt genießen, einen Aperol Spritz auf der Piazza della Signoria trinken, abends in der Enoteca Pinchiorri essen gehen, und außerdem, ein Einkaufsbummel in Florenz ist schon ein Erlebnis für sich und macht total Spaß. Allein der Gucci Store in diesem Palast, der ist gigantisch«, erzählt sie aufgeregt mit einer selbstbewussten Ignoranz gegenüber den weltberühmten Kunstschätzen der Stadt.

Ich komme zum Anlass unseres Treffens.

Lisa serviert uns auf einem Tablett zwei Tassen Espresso und zwei Fläschchen Pellegrino.

Ohne ihr einen Blick zu schenken, fährt Hanna fort: »Ich möchte unseren Wintergarten neu gestalten. Mit weißen Korbsesseln. Für die Sitz- und Rückenpolster stelle ich mir einen Stoff mit einem floralen Muster vor. Er muss natürlich zum Travertin-Boden passen. Hier«, sie deutet auf eine Abbildung auf ihrem Handy und hält es mir aufgeregt vor das Gesicht, »das ist der Korbsessel auf der Terrasse unseres Hotels in Florenz. Dieser Polsterstoff mit den kräftigen Farben und bunten Blüten und die dschungelartigen Blätter und dazwischen die kleinen Papageien, die sind doch süß! Ich finde diesen Stoff perfekt für unseren Wintergarten, den möchte ich auch. Meinst du, du kannst ihn irgendwo auftreiben?«

Ich weiß, dass ich ihr den genau gleichen Stoff vermutlich nicht beschaffen kann. Ich hole meine Musterkataloge, und gemeinsam suchen wir nach ähnlichen Modellen und Motiven.

Nichts ist dabei, was Hanna gefällt. Sie lässt nicht locker. Es muss der Stoff aus Florenz sein.

»Du kennst doch sicher noch andere Herstellerfirmen? Oder könntest du in dem Hotel in Florenz mal anrufen, woher die ihre Möbelstoffe beziehen?«

Ich schaue mit ihr online einige infrage kommende Firmenwebseiten durch. Ohne Erfolg. Hanna wirkt augenblicklich frustriert und ungeduldig, weil ich ihren Wunsch nicht sofort erfüllen kann.

»Wir könnten uns im Showroom von Lacroix die Designers-Guild-Stoffe zeigen lassen. Da ist ganz bestimmt etwas für dich dabei. Die Firma arbeitet mit solchen Stoffen und Mustern«, versuche ich, sie zu überzeugen.

Hanna stimmt zu. Sie genießt die Aufmerksamkeit, die ich ihr entgegenbringe.

Mit unseren langen Diskussionen über die Ausstattung ihres Wintergartens und über weiteres Aufhübschen der Einrichtung entflieht sie ihrer häuslichen Langeweile. Die Zeit mit mir zählt für sie zu ihrem Freizeitvergnügen und dient gleichzeitig ihrer Selbstbestätigung. Denn nebenbei tischt sie mir eine märchenhafte Version ihres Lebens auf. Das verleiht ihr ein Gefühl von Wichtigkeit und Überlegenheit. Sie erzählt mir von ihren Traumreisen, von Dinnerpartys mit illustren Gästen und dem Stress, für den jeweiligen Anlass das richtige Outfit für sich und ihren Mann zu finden. Mit solchen Fragen ist sie wochenlang beschäftigt.

Als Innenarchitektin höre ich ständig irgendwelche Geschichten von meinen Kundinnen und Kunden. Durch meine Arbeit erhalte ich Einblicke in ihre privaten Räume und somit auch in ihr Privatleben, das sie bisweilen mit intimen Details vor mir ausbreiten.

Andere wiederum flüchten in eine Welt der Fiktionen und Lügen, um sich vor mir so zu präsentieren, wie sie gesehen werden möchten. Sich selbst zu belügen ist bekanntlich die Königsdisziplin der Lügen. Man redet sich die eigene Realität schön, bisweilen auch die eigene Vergangenheit, bis man die Fiktion selbst glaubt und sie zur Wirklichkeit befördert. So müssen wir uns nicht mit den eigenen dunklen, tief vergrabenen Seiten auseinandersetzen. Sonst träte womöglich ein jämmerliches Leben zutage, das keiner aushält. Deshalb lenken wir uns ab, mit Drogen, Alkohol, der Hetze von einem Event zum nächsten. Häufige Reisen und die dauernde Beschäftigung mit den eigenen Immobilien und Einrichtungen verschaffen uns die nötige Abwechslung.

Für mich ist Hanna eine Kundin, die mich gerade viel Energie und Zeit kostet. Wir besprechen noch weitere...

Erscheint lt. Verlag 26.7.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur
ISBN-10 3-7562-7254-0 / 3756272540
ISBN-13 978-3-7562-7254-9 / 9783756272549
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