Otto der Große (eBook)

Kaiser und Reich

(Autor)

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2022 | 2. Auflage
333 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-79298-4 (ISBN)

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Otto der Große - Matthias Becher
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Rom, 2. Februar 962 - Papst Johannes XII. erwartet den ostfränkischen König Otto I. und sein Gefolge, um ihn in der Peterskirche zum Kaiser zu krönen. Er wird die Fürsprache aller Heiligen und die Gnade und den Segen Gottes auf den Herrscher herabflehen, auf dass er weise, gerecht und siegreich die Kirche und das Reich schützen möge. Als Otto diese höchste Auszeichnung erfährt, die ein Laie im Diesseits erringen kann, herrscht er bereits seit 26 Jahren. Hinter ihm liegen schwerste Kämpfe - mit Familienangehörigen, mit Großen des Reichs und mit mächtigen Feinden außerhalb der Reichsgrenzen wie etwa im Jahr 955 mit den Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld.
Matthias Becher, Ordinarius für Mittelalterliche Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms- Universität Bonn, hat auf dem aktuellen Stand der Forschung eine spannende, faktengesättigte Biographie des ersten Kaisers aus dem sächsischen Geschlecht der Liudolfinger geschrieben, in der Herrschaft, Gesellschaft und Kultur des 10. Jahrhunderts wieder lebendig werden.

Matthias Becher lehrt als Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er ist ein vielfach ausgewiesener Spezialist für die Erforschung des Frühmittelalters.

2. HERRSCHAFT UND GESELLSCHAFT IM 9. UND 10. JAHRHUNDERT


Als Otto zum Kaiser gekrönt wurde, beherrschte er seit fast 26 Jahren das Ostfrankenreich, das aus sogenannten Stammesprovinzen bestand – seiner Heimat Sachsen, Franken, Bayern, Schwaben und Lotharingien. Damit reichte seine Macht von der Maas im Westen bis an die Elbe im Osten und von der Nordsee bis in die Alpen hinein. Allerdings waren diese Gebiete äußerst dünn besiedelt. Nach vorsichtigen Schätzungen lebten etwa vier Millionen Menschen in den Grenzen seines Reiches, die sich darin aber nicht gleichmäßig verteilten.[1] Am Rhein war die Bevölkerungsdichte sicher größer als in den Mittelgebirgslandschaften, wo noch große Gebiete von Wald bedeckt und damit weitgehend unbewohnbar waren. Dort konzentrierte sich die Bevölkerung in sogenannten Siedlungsinseln und nur wenige, zumeist unbefestigte Straßen und Wege verbanden die besiedelten Gebiete miteinander. Allein der Westen, das sogenannte Lotharingien, war besser erschlossen und wirtschaftlich auch weiter entwickelt. Aber insgesamt handelte es sich beim Ostfrankenreich im Vergleich zu den anderen Regionen Europas und der Mittelmeerwelt – etwa zu Italien, Byzanz oder dem islamischen Spanien – um ein sehr rückständiges Gebiet. Vor diesem Hintergrund beeindruckt die Leistung Ottos umso mehr, da er dieses fragile Reich nicht nur zusammengehalten, sondern Italien hinzugewonnen und in Rom die Kaiserwürde erlangt hat.

Die meisten Bewohner seines Reiches dürften den Ereignissen, die sich Anfang Februar des Jahres 962 in Rom zutrugen, nur wenig Interesse entgegengebracht haben. Gut 95 Prozent von ihnen waren Bauern und vollauf mit der Sicherung ihres Lebensunterhalts beschäftigt. In rechtlicher Hinsicht waren viele von ihnen frei, aber stets in Gefahr, auf den Status von Unfreien abzusinken. Die Mehrheit der Bauern aber war damals wohl bereits unfrei und von einem Grundherrn abhängig. Über ihnen stand der Adel, der ebenfalls keine einheitliche Schicht bildete, sondern in sich nach Rang und Ansehen vielfach abgestuft war. Er stellte in politischer sowie militärischer Hinsicht die entscheidende Schicht innerhalb der Gesellschaft dar. Auf ihn stützte der König sich, wenn es um seine konkrete Herrschaftsausübung ging. Schließlich gehörten alle Amtsträger dem Adel an, und auch die meisten Angehörigen der hohen Geistlichkeit. Sie alle lebten von der Arbeit der Bauern, was bei der Darstellung mittelalterlicher Geschichte oft in den Hintergrund rückt, zumal unsere Quellen uns nur sehr allgemeine Einblicke in das Leben der einfachen Leute gewähren.

Die Arbeit der Bauern war außerordentlich anstrengend und bestand jahraus, jahrein aus den gleichen Tätigkeiten: Pflügen, Säen, Ernten. Insbesondere das Pflügen war eine kraftraubende und überaus mühselige Tätigkeit.[2] Oft musste der Boden zuvor noch mit dem Spaten vorbereitet werden, wozu viele Leute gebraucht wurden. Zum eigentlichen Pflügen wurde nach wie vor der schon bei den Römern bekannte Hakenpflug verwendet – der die Erdschollen wendende Pflug mit Streichbrett war zwar schon bekannt, aber nur wenig verbreitet. Der Hakenpflug ritzte den Boden aber nur auf, was zwar für die leichten Böden im Mittelmeerraum ausreichte, bei den schwereren Böden nördlich der Alpen aber zu wenig befriedigenden Anbauergebnissen führte. Was das Pflügen zu einer solch anstrengenden Arbeit machte, war die Tatsache, dass der Pflug allein mit der Körperkraft ins Erdreich gedrückt werden musste, während die Zugtiere ihn schleppten. Da war es schon eine große Hilfe für den Bauern, wenn eine zweite Person, oft die Frau oder auch heranwachsende Kinder, die Zugtiere führten. Auf das Pflügen folgte das Säen: Das Saatgut wurde in einem Korb oder im umgeschlagenen Obergewand mitgeführt und mit der Hand auf die Krume ausgeworfen. Danach wurde der Boden zunächst mit Strauchwerk, später mit der hölzernen Egge weiterbearbeitet und geebnet. Die weitere Ackerpflege während der Vegetationsperiode bestand nicht zuletzt darin, das Feld von Unkraut freizuhalten.

Abbildung 6: Schwerer Kehrpflug mit Radvorgestell aus einem angelsächsischen Kalendarium des 11. Jh.s, Vorlage vermutlich aus dem 9. Jh.

Der Ertrag war häufig gering. Man schätzt, dass das Verhältnis von Saatgut zur Ernte lediglich ungefähr eins zu drei betrug. Das bedeutet, dass die Menschen größte Sorgfalt auf die Pflege ihrer Felder legen mussten, und selbst dann waren sie den Unbilden der Witterung – lange Trockenheit, Starkregen mit Hagelschlag oder lange Regenperioden – fast hilflos ausgeliefert. So drohte ständig der Verlust der Ernte, von der ja ein Drittel wieder für die Aussaat benötigt wurde. Die Ernte wurde ebenfalls von Hand eingebracht, und zwar mit der kurzen Sichel auf halbem Halm – ein mühsames Verfahren, das aber immerhin wenig Verluste brachte. Erst seit dem hohen Mittelalter fand die schon früher bekannte Sense größere Verbreitung, welche eine Ernte auf dem ganzen Halm erlaubte. Dann banden meist die Frauen die Halme zu Garben, und die Männer brachten diese zur Scheune. Nach der Ernte wurde das Getreide gedroschen, gereinigt und gemahlen. Das besorgten entweder die Bauern selbst mit Hilfe einfacher Handmühlen, oder sie trugen es zu Wassermühlen, die aber in Regie des Grundherrn betrieben wurden, der Abgaben für diese Dienstleistung verlangte. Das Brot schließlich wurde dann entweder auf den einzelnen Hofstellen gebacken oder in herrschaftlichen Backstuben. Übrigens wurde nicht alles Getreide zu Brot verarbeitet – Bier war ein weiteres wichtiges landwirtschaftliches Produkt.

Erforderte also der Getreideanbau besonders großen Arbeitseinsatz, so wurde viel Land anders genutzt und dem Vieh überlassen. Insgesamt kam der Viehzucht in der frühmittelalterlichen Wirtschaft hohe Bedeutung zu. Nicht nur zur Erzeugung von Fleisch und Milch, sondern auch von Fellen und Wolle waren Tiere wichtig. Rinder wurden darüber hinaus, wie schon erwähnt, als Zugtiere verwandt. Pferde wurden dagegen lange Zeit kaum für die Arbeit in der Landwirtschaft eingesetzt. Sie waren für solch triviale Nutzungsformen im Unterhalt zu teuer und repräsentierten vor allem als Reittiere den Status des Eigentümers.

Mist war der wichtigste Dünger, wurde aber auch als Brennstoff gebraucht. Da im Winter die Möglichkeiten beschränkt waren, Tiere unterzustellen und durchzufüttern, kam mit dem Herbst und dem Ende der Weidefütterung der Schlachttermin. Die wichtigsten Lieferanten von Fleisch aber waren nicht Rinder, sondern Schweine. Sie boten den Vorteil, dass sie nur wenig Pflege benötigten. Zur Mast trieb man sie besonders im Herbst einfach in die zahlreichen Buchen- und Eichenwälder. Weitere Nutztiere auf einer Bauernstelle waren Schafe, Hühner und Gänse, aber auch Bienen, die Wachs (für Kerzen) und Honig lieferten, den einzigen Süßstoff des in geschmacklicher Hinsicht insgesamt eher eintönigen Mittelalters. Die Größenordnungen der Tierhaltung sind eher gering zu veranschlagen: Für Burgund etwa errechnete man für jeden Hof durchschnittlich ein halbes Pferd, zwei bis vier Rinder, zehn Schweine und Schafe. So konnte auch bereits der Ausfall eines einzigen Tieres die Existenz einer bäuerlichen Familie bedrohen.

Wie bereits angedeutet, verbesserte sich die landwirtschaftliche Produktion nur langsam. Anfangs wurde die sogenannte Feldgraswirtschaft betrieben, bei der ein Bauer den Boden so lange bearbeitete, wie er Früchte trug, und, sobald er erschöpft war, auf unbestimmte Zeit brachliegen ließ. Schon relativ früh im Mittelalter entdeckte man jedoch die Vorteile einer Fruchtwechselwirtschaft: Bei der Zweifelderwirtschaft teilte man den Acker in zwei Teile – der eine Teil wurde bebaut, den anderen ließ man brachliegen, damit der Boden sich erholen konnte; im nächsten Jahr wechselten Anbaufläche und Brache. Den entscheidenden Fortschritt aber brachte die Dreifelderwirtschaft, wobei sich Herbstaussaat mit Weizen, Roggen, Dinkel oder Gerste, Brache vom Herbst bis zum Frühjahr und Sommersaat mit Gerste, Hafer oder Hülsenfrüchten und eine erneute, längere Brache bis zur nächsten Herbstaussaat ablösten. Die Vorteile waren eine ausgewogenere Verteilung der landwirtschaftlichen Arbeiten über das Jahr und damit ein effektiverer Einsatz der menschlichen Arbeitskraft. Zudem wurden die Felder vor der Wintersaat intensiver mit Nährstoffen versorgt, weil sie während der vorangehenden langen Brache als Viehweide dienten und dabei automatisch gedüngt wurden. Der Naturdung reichte allerdings nicht aus und wurde durch Stallmist, Mergel, Kalk oder Torf ergänzt. Immerhin lagen die Felder 20 von 36 Monaten brach und konnten sich in diesem Zeitraum erholen, was sich in erster Linie positiv auf den Nährstoffgehalt des Bodens auswirkte. Mit der Dreifelderwirtschaft verringerte sich auch die Gefahr von Hungersnöten, denn der Verlust einer Wintersaat konnte durch die Sommerfrucht wenigstens teilweise ausgeglichen werden. Die vergleichsweise starke Zunahme der Bevölkerung seit dem 11. Jahrhundert – mancherorts schon seit dem 10. Jahrhundert – ist folglich auf diese fortschrittlichere Bodennutzung zurückzuführen.

Aus alldem ergab sich aber auch ein Zwang zur Flächenorganisation, denn ein einzelner Bauer konnte seine kleinen Parzellen nicht auch noch aufteilen; stattdessen musste die Dorfflur für die Dreifelderwirtschaft in mindestens drei sogenannte Zelgen geteilt werden, an denen jeder Bauer seinen Anteil erhielt. Diese...

Erscheint lt. Verlag 5.8.2022
Zusatzinfo mit 20 Abbildungen, 2 Stammtafeln, 5 Karten und einem Vorsatz
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Mittelalter
Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
Schlagworte Biographie • Frieden • Gesellschaft • Gewalt • Herrschaft • Herzog von Sachsen • Kaiser • Kaiserhof • Karolinger • Konflikt • König • Kriege • Liudolfinger • Militär • Mittelalter • Nachfolgeregelung • ostfrankenreich
ISBN-10 3-406-79298-7 / 3406792987
ISBN-13 978-3-406-79298-4 / 9783406792984
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